S 8 KR 89/04

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Leipzig (FSS)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 8 KR 89/04
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein Vergütungsanspruch der Hebamme für Schwangerenschwimmen und Akupunktur besteht nicht.
I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Die Berufung wird zugelassen.

IV. Der Streitwert wird auf 372,60 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Vergütung von Hebammenleistungen.

Die als freiberufliche Hebamme tätige Klägerin übersandte mit Schreiben vom 02.11.2003 eine Rechnung betreffend ... P ... über 572,91 EUR, eingeschlossen waren hierbei 20 Teil-nahmen am 20-minütigen Schwangerenschwimmen zu jeweils 11,50 EUR. Eine weitere Rechnung vom 09.02.2004 betraf ...in Höhe von 108,10 EUR, in-klusive 9-maligem Schwangerenschwimmen. Ferner übersandte sie betreffend ...B ... eine Rechnung vom 18.01.2004 über 235,15 EUR, einschließlich 3 x 30-minütiger Akupunkturmaßnahmen zu je 11,50 EUR.

Mit Schreiben vom 05.12.2003, 26.02.2004 und 09.03.2004 kürzte die Beklagte die gel-tend gemachten Beträge um das Schwangerenschwimmen und die Akupunkturleistungen (betreffend ...P ...: 230,00 EUR, ...: 108,10 EUR, ...: 34,50 EUR).

Unter dem 29.03.2004 machte die Klägerin eine Erstattung auch der gekürzten Leistungen geltend. Wassergymnastik und Akupunktur stellten Hilfeleistungen bei Schwangerschafts-beschwerden dar. Nach einem mit übersandten Schreiben des Bundesministeriums für Ge-sundheit vom 18.09.2001 habe die Klägerin "absolute Therapiefreiheit bei der Behandlung von Schwangerschaftsbeschwerden".

Nachdem die Beklagte mit Schreiben vom 16.04.2004 die Erstattung abgelehnt hatte, hat die Klägerin am 29.04.2004 Klage zum Sozialgericht Leipzig erhoben. Bei schwanger-schaftsbedingten Ischialgien handele es sich um Schwangerschaftsbeschwerden, für die eine Hebamme die Behandlungskompetenz habe. Im Rahmen ihrer Therapiefreiheit dürfe sie muskelkräftigende Übungen und Dehnübungen als Bewegungsübungen durchführen. Bei mehreren Frauen mit denselben Beschwerden könnten diese gleichzeitig erbracht wer-den, weil eine hinreichende Zuwendung vorliege, so dass die Möglichkeit einer parallelen Leistungserbringung bestehe. Wenngleich der Gemeinsame Bundesausschuss noch keine Entscheidung über die Akupunktur als Behandlungsmethode getroffen habe, dürfe eine Hebamme diese anwenden, zumal die Klägerin über ein Akupunktur-Zertifikat verfüge. Die Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses beträfen nicht die Hebammen; denn diese seien in dem Ausschuss nicht vertreten und unterlägen daher nicht dem System der Gesetzlichen Krankenversicherung im Leistungserbringungsrecht.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin insgesamt weitere 372,60 EUR aus den Rechnungen vom 02.11.2003 (betreffend: ... P ...), 09.02.2004 (betreffend: ...) und 18.01.2004 (betreffend: ...) zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Aktenin-halt, eine Gerichtsakte sowie ein Verwaltungsvorgang der Beklagten, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Entscheidung ergeht ohne mündliche Verhandlung, weil die Beteiligten hierzu ihr Ein-verständnis erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

Die nach § 54 Abs. 5 SGG ohne Durchführung eines Vorverfahrens statthafte Leistungs-klage ist zulässig, aber nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Rechtsanspruch auf Erstattung der geltend gemachten Gebühren für Schwangerenschwimmen und Akupunktur. Maßgebliche Anspruchsgrundlage ist § 134 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) i.V.m. § 3 Hebammen-Gebührenverordnung und dem Sächsischen Hebammen-Gesetz (Sächs. Gesetz- und Verordnungsblatt vom 29.07.1997, S. 478 f). Versicherte der gesetzli-chen Krankenversicherung haben nach § 196 der Reichsversicherungsordnung (RVO) u.a. Anspruch auf Hebammenhilfe. Nach den entsprechenden Regelungen der §§ 31 Abs. 3 und 32 Abs. 2 SGB V erhalten sie bei Schwangerschaftsbeschwerden und im Zusammenhang mit der Entbindung die erforderlichen Arznei-, Verband- und Heilmittel. Für Leistungen zur Geburtshilfe sind, abgesehen von Notfällen, außer Ärztinnen und Ärzten nur Personen mit einer Erlaubnisverfügung der Berufsbezeichnung "Hebamme" oder "Entbindungspfle-ger" sowie Dienstleistungserbringer im Sinne des § 1 Abs. 2 berechtigt (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Hebammen-Gesetz). Als Geburtshilfe im Sinne des Abs. 1 gilt die Überwachung des Ge-burtsvorganges von Beginn der Wehen an, Hilfen bei der Geburt und Überwachung des Wochenbettverlaufs (§ 4 Abs. 2 Hebammen-Gesetz). Der Beruf der Hebamme und des Entbindungspflegers ist insoweit bundesgesetzlich geregelt, als dieser Beruf Zulassungsre-gelungen beinhaltet; die Berufsausübung hingegen wird durch Ländergesetze bestimmt.

Welcher Aufgabenkreis der Hebamme zukommt, ergibt sich insbesondere aus § 3 des Sächsischen Hebammengesetzes. § 3 Satz 1 der Vorschrift beinhaltet die "Generalklausel" der Hilfeleistung von Hebammen für Schwangere, deren Gesundheit geschützt und erhal-ten werden soll. Was im Einzelnen dazu gehört, ist in Satz 2 der Vorschrift unter Nr. 1 bis 10 ("insbesondere") aufgeführt, wobei der genannte Aufgabenkreis nur eine beispielhafte Aufzählung beinhaltet und nicht abschließend ist.

Gem. § 2 Abs. 1 Hebammen-Gebührenverordnung zahlen die Krankenkassen als Vergü-tungen nach Maßgabe der Bestimmungen dieser Verordnung Gebühren für die im anlie-genden Gebührenverzeichnis genannten Leistungen, Ersatz von Auslagen und Wegegeld. Nach Position 4 und 5 des Gebührenverzeichnisses betrifft dies Hilfe bei Schwanger-schaftsbeschwerden oder bei Wehen, für jede angefangene halbe Stunde, sowie Hilfe bei Schwangerschaftsbeschwerden oder bei Wehen bei Nacht, an Samstagen ab 12.00 Uhr sowie an Sonn- und Feiertagen, für jede angefangene halbe Stunde. Die von der Arbeitsgruppe des Bundes Deutscher Hebammen (BDH) in Zusammenarbeit mit dem Bund freiberuflicher Hebammen Deutschlands (BfHD) festgelegten Betreuungs-inhalte von Hebammenhilfe (Tätigkeitskatalog, Stand: 01.03.1995) verweist unter 2.1.2 darauf, dass Hilfemaßnahmen und Beratung der Schwangeren auch Körperübungen, z.B. bei Ischiasbeschwerden, umfasse. Das generelle Angebot von Schwangerenschwimm-Kursen zählt nicht hierzu.

Wie aus dieser Formulierung und auch aus der Formulierung des Gebührenverzeichnisses hervorgeht, bedarf es zur Abrechenbarkeit von Hilfeleistungen akut vorhandener Be-schwerden. Nur für diesen Fall ist die Hebamme befugt, entsprechend den gesetzlichen Festlegungen Schwangeren Hilfe zu gewähren. Bei länger andauernden Zuständen für die geltend gemachten Ischiasbeschwerden der Schwangeren bleibt zur Behandlung der Arzt zuständig. Nur dieser kann bei länger andauernden Beschwerden auf Grund seiner medizi-nischen Fachkompetenz gegebenenfalls längerfristig wirkende Maßnahmen und Therapien verordnen, weil diesem die Krankenbehandlung obliegt (§§ 15, 28 SGB V), zu der er sich gegebenenfalls weiterer Personen hilfsweise bedienen kann (jeweils Abs. 1 Satz 2 der vor-genannten Bestimmungen). Zwar darf die Hebamme nach §4 Hebammen-Gesetz über die Methoden, die sie einsetzt, selbst entscheiden; ihr verbleibt indes kein eigenständiger Auf-gabenbereich zur Ausübung von Heilkunde (ebenso: SG Nürnberg, Urteil vom 29.04.2004, Az: S 11 KR 159/03).

Bei der Abgrenzung der Tätigkeit von Arzt und Hebamme ist grundsätzlich davon auszu-gehen, dass der Arzt die medizinisch komplizierteren Fälle betreut, die Hebamme hingegen die "normale" Schwangerschaft (so bereits: SG Leipzig, Urteil vom 16.12.2004, Az: S 8 KR 7/02). So ist landesgesetzlich in § 3 geregelt, dass die Hebamme die Schwangerschaft feststellt und die "normal verlaufende" Schwangerschaft, die Durchführung der üblichen Kontrolluntersuchung zur Überwachung des "normalen" Schwangerschaftsverlaufes und die Durchführung von "Normalgeburten" (§ 3 Satz 2 Nr. 2 und 6 Sächs. Hebammenge-setz). Daraus folgt zugleich, dass die Hebamme grundsätzlich insoweit zuständig bleibt, als krankhafte, vom Normalverlauf abweichende, Schwangerschaften nicht vorliegen. Inso-weit ist sie grundsätzlich auch in der Wahl ihrer Mittel frei (so auch: Bundesministerium für Gesundheit vom 18.09.2001, Bl. 14 f der Verwaltungsakte). Ihr verbleibt damit eine eingeschränkte Behandlungskompetenz für einfache Regelwidrigkeiten, wie sie im Rah-men eines Wochenbettverlaufes üblicherweise auftreten können, beispielsweise einer Still-störung.

Nur bei fehlender ärztlicher Hilfe darf die Hebamme Beckenendlagengeburten, Damm-schnitte und Dammnähte und erforderliche Maßnahmen in Notfällen durchführen (Nr. 6 und 7 der Vorschrift). Insoweit pathologische Vorgänge festzustellen sind, ist ein Arzt ein-zuschalten, dessen Verordnung die Hebamme durchzuführen hat (§ 3 Satz 2 Nr. 10 Sächs. Hebammengesetz). Der Hebamme ist damit im Verhältnis zum Arzt ein eigenständiger Kompetenzbereich für die im Regelfall "normal" verlaufenden Schwangerschaften und Geburten zugewiesen.

Wenngleich bei Schwangeren Ischiasbeschwerden auf Grund des körperlich ungewohnten Zustanden häufig ("normal") sein dürften, fällt deren längerfristige Behandlung zunächst jedoch in die Kompetenz des Arztes, der gegebenenfalls weitere Maßnahmen, wie bspw. Krankengymnastik, verordnen kann. Eine generelle Durchführung von Schwange-renschwimmen, wie hier im Falle der Versicherten ... und ..., fehlt jedoch das Moment der akuten Behandlungsbedürftigkeit. Zu Recht weist die Beklagte darauf hin, dass nicht die Hilfe für jedwede mit der Schwangerschaft zusammenhängenden Beschwerden eine Vergütung nach Pos. 4 des Vergütungsverzeichnisses rechtfertigen kann. Hinzu kommt, dass die Klägerin die geltend gemachte Gebühr für 4 Schwangere in demselben Zeitraum abgerechnet hat. Für Gruppenleistungen sind jedoch grundsätzlich niedrigere Gebühren in Ansatz zu bringen (vgl. Pos. 7 des Gebührenverzeichnisses).

Ein Gebührenanspruch besteht auch nicht im Hinblick auf die Akupunkturleistungen. Bei Akkupunktur handelt es sich grundsätzlich um die Ausübung von Heilkunde. Denn hier-über hat bereits der damalige Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen nach § 92 Abs. 1 Nr. 5 SGB V entschieden. Er war danach unter Prüfung evidenz basierter Studien über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen, die medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit in seinem Beschluss vom 16.10.2000 (BAnz. Nr. 12 v. 18.01.2001) zu dem Ergebnis gelangt, dass eine positive Empfehlung zur Aufnahme dieser Behandlungs-methode in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen nicht empfohlen werden könne. Die Akupunktur unterfällt damit nicht dem Leistungskatalog des § 27 SGB V. Nur für spezielle Indikationsbereiche im Rahmen von Modellversuchen nach §§ 63 f SGB V ist demzufolge eine Leistungserbringung durch die Krankenkassen zulässig (§ 12 Abs. 1 Satz 2 SGB V).

Wenn somit, bis auf Ausnahmen, die Akupunktur kein Bestandteil des Leistungskataloges der Gesetzlichen Krankenversicherung ist, können Krankenkassen erst recht nicht ver-pflichtet sein, diese Maßnahme außerhalb des ärztlichen Leistungserbringungsrechts zu erstatten. Gem. § 134 SGB V bestimmt das Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Vergütungen für die Leistungen der freiberuflich tätigen Hebammen und Entbindungspfleger, soweit diese Leistungen von der Leistungspflicht der Krankenversicherung umfasst sind. Daraus folgt zugleich, dass das abrechenbare Leistungsspektrum der Hebamme insoweit nicht wei-ter gehen darf als das des Arztes. Wenngleich § 135 SGB V den Umfang neuer Untersu-chungs- und Behandlungsmethoden nur in der vertragsärztlichen und vertragszahnärztli-chen Versorgung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung regeln kann, nicht aber den Umfang von Hebammenleistungen, ist kein vernünftiger Grund dafür ersichtlich, wa-rum Hebammen im ambulanten Bereich zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung Untersuchungs- und Behandlungsmethoden anwenden dürften, die in der gleichen Situati-on Ärzte zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung nicht erbringen dürften (wie hier: Bayerisches LSG, Beschluss vom 22.12.2004, Az: L 4 KR 115/04 NZB; vgl. auch: SG Münster, Urteil vom 27.07.2004, Az: S 11 KR 97/03).

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 193, 197 a SGG.

Die Berufung war zuzulassen, weil dem Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung beizumessen ist (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG). Eine obergerichtliche Klärung der Gebührenansprüche von Hebammen ist derzeit noch nicht erfolgt.

Die Streitwertfestsetzung stützt sich auf § 197 a SGG i.V.m. §§ 25 Abs. 2, 13 Abs. 2 Ge-richtskostengesetz (GKG) a.F ...
Rechtskraft
Aus
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