S 8 KR 369/05

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Leipzig (FSS)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 8 KR 369/05
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Kosten für eine operative Brustverklei-nerung (Mammareduktionsplastik) sind durch die gesetzliche Krankenversicherung zu tragen, wenn durch die Brustgröße bedingte krankhafte Veränderungen vorliegen, die mit Schmerzen einhergehen, welche bisher erfolglos durch physiothera-peutische Maßnahmen behandelt worden und - als letztes Mittel - nur noch operativ zu lindern sind.
I. Die Bescheide vom 27.05.2004, 23.07.2004, 18.11.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.07.2005 werden aufgehoben.
II. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten für eine Mamma-Reduktions-plastik zu übernehmen.
III. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtliche Kosten des Verfahrens zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Kosten für eine Brustverkleinerung.

Die 1957 geborene Klägerin beantragte über ihre behandelnde Frauenärztin, Frau Dipl.-Med. H., am 29.04.2004 die Kostenübernahme für eine Mamma-Reduktionsplastik wegen Mammahypertrophie beidseits, verbunden mit einer typischen Beschwerdesymptomatik. Sie befinde sich deswegen schon seit längerem in orthopädischer und neurologischer Be-handlung. Der psychische Leidensdruck habe zugenommen. Beigefügt war ein Befund des Krankenhauses Landkreis M. gGmbH vom 19.04.2004 des Chefarztes der Gynäkologie Dr. V., nebst einer dort gefertigten Fotodokumentation vom 16.04.2004, ferner ein Befund des behandelnden Orthopäden Dr. H. vom 07.04.2004.

Die Beklagte holte daraufhin ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversi-cherung (MDK) von Frau Dr. W. vom 13.05.2004 ein. Diese empfahl Physiotherapie und eine Gewichtsreduktion zur Linderung der orthopädischen Beschwerden.

Durch Bescheid vom 27.05.2004, dem keine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt worden war, lehnte die Beklagte unter Bezugnahme auf das Gutachten des MDK den Antrag ab.

Hiergegen legte die Klägerin am 04.06.2004 Widerspruch ein. Sie sei als Verkäuferin im Handel tätig und müsse von daher öfters schwere Lasten (Kisten) tragen. Bei der kleinsten Belastung leide sie unter Rückenschmerzen, ohne dass die bisherigen physiotherapeutischen Behandlungen Erfolg gezeitigt hätten. Nach 2 Stunden könne sie schmerzbedingt keine Kisten mehr tragen. Wegen seit mehreren Jahren bestehender Depressionen müsse sie Tabletten einnehmen. Durch das Stillen ihrer 4 Kinder seien die Brüste zu groß geraten. Im Hochsommer kämen Entzündungen unter der Brust hinzu. Beigefügt war eine Beschei-nigung der Physiotherapeutin S. vom 02.06.2004, wonach die mehr-jährige physiotherapeutische Behandlung nur eine kurzzeitige Besse-rung bewirkt habe. Auch Dr. H. bescheinigte unter dem 15.06.2004, dass bisherige Behandlungen keine Linderung gebracht hätten. Er empfehle deswegen aus orthopädischer Sicht eine Mamma-Reduktionsplastik zur Linderung des Beschwerdebildes.

Unter Bezugnahme auf ein weiteres vom MDK eingeholtes Gutachten von Frau Dipl.-Med. S. vom 15.07.2004 lehnte die Beklagte mit weiterem Bescheid vom 23.07.2004 erneut die Kostenübernahme für eine Mamma-Reduktionsplastik ab. Der Bescheid enthielt erneut keine Rechtsbehelfsbelehrung.

Hiergegen legte die Klägerin am 09.08.2004 ein weiteres Mal Wider-spruch ein.
Sie verwies erneut auf ihre Rückenschmerzen und die bisherige erfolg-lose physiotherapeutische Behandlung. Frau Dipl.-Med. H. und die nunmehr behandelnde Orthopädin Dipl.-Med. Z. empfahlen eine ope-rative Brustverkleinerung. Diese führte unter dem 04.10.2004 aus, dass die Klägerin BH-Größe 90 DD trage, es handele sich um keine bloße "kosmetische Operation".

Die Beklagte holte daraufhin ein weiteres Gutachten des MDK von Frau Dipl.-Med. S. vom 05.11.2004 ein. Danach sei die Beschwerdesymp-tomatik nur durch eine Komplextherapie, Physio- und Psychotherapie, zu lindern. Das Äußere der Klägerin sei nicht entstellt.

Mit dem nunmehr 3. Bescheid vom 18.11.2004 lehnte die Beklagte ein weiteres Mal den Antrag ab, wiederum fehlte eine Rechtsbehelfs-belehrung.

Hiergegen legte die Klägerin – ebenfalls zum 3. Mal – am 01.12.2004 Widerspruch ein. Die Gewichtszunahme sei auf Grund einer Arznei-mitteleinnahme erfolgt. Ohne die beantragte Operation seien weitere degenerative Veränderungen der Brust- und Lendenwirbelsäule zu befürchten.

Durch Widerspruchsbescheid vom 12.07.2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Größe der Brust sei keine Krankheit, weil kein regelwidriger Körperzustand vorliege. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei bei einem im Normbereich liegenden körperlichen Zustand zur körperlichen Besserung Psychotherapie angezeigt, jedoch kein chirurgischer Eingriff.

Die Klägerin hat deswegen am 25.07.2005 Klage zum Sozialgericht Leipzig erhoben. Das Gewicht der Brust müsse über Wirbelsäule und Rückenmuskulatur kompensiert werden. Dies verursache Schmerz-syndrome, für die allein physiotherapeutische Maßnahmen nicht ausreichten. Die Brustkontur sei deformiert. Es bestehe auch eine Osteochondrose der Brustwirbelsäule. Durch die beantragte Operation ließen sich die Rückenbeschwerden lin-dern, zumal weitere Kosten und degenerative Veränderungen dadurch vermieden würden. Die Klägerin habe mittlerweile an Körpergewicht verloren, ohne dass dies zu einer gleichzeitigen Brustverkleinerung geführt habe. Ihre Streckfehlhaltung werde durch die Brustgröße bedingt.

Das Gericht hat Befundberichte der behandelnden Nervenärztin Dr. H. vom 13.10.2005 und von Frau Dipl.-Med. Z. vom 03.11.2005 eingeholt, nebst Anlage der Radiologin F. vom 14.09.2004.

Mit Beweisanordnung nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das Gericht auf Antrag der Klägerin MR Doz. Dr. M. am 02.03.2006 mit einem Gutachten beauftragt. Dieser emp-fahl in seinem Gutachten vom 30.03.2006 die Kostenübernahme. Die Beklagte legte daraufhin ein weiteres Gutachten des MDK von Frau Dr. R. /Dr. B. vom 05.05.2006 vor.

Das Gericht hat daraufhin mit Beweisanordnung vom 14.08.2006 Dr. E. mit der Erstellung eines orthopädischen Gutachtens beauftragt.

Die Klägerin beantragt,

die Bescheide vom 27.05.2004, 23.07.2004 und 18.11.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.07.2005 aufzuheben und die Be-klagte zu verurteilen, die Kosten für eine Mamma-Reduktionsplastik zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Aktenin-halt, eine Gerichtsakte sowie einen Verwaltungsvorgang der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

Die Beklagte hat die begehrte Leistung zu Unrecht abgelehnt. Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwen-dig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlim-merung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern (§ 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung müssen nach § 12 Abs. 1 SGB V ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht über-schreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.

Da die begehrte operative Brustkorrektur medizinisch erforderlich war, war sie notwendig und ist damit von der Beklagten zu übernehmen. Entgegen der Rechtsansicht der Beklagten liegt eine behandlungs-bedürftige Krankheit nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V vor, die einen entsprechenden Leistungsanspruch der Klägerin begründet.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG), der das erkennende Gericht folgt, wird unter Krankheit im versicherungs-rechtlichen Sinne ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand verstanden, dessen Eintritt u.a. Behandlungsbedürftigkeit zur Folge hat (vgl. nur: BSG SozR 3-2200 § 182 Nr. 14; vgl. auch: OLG Karlsruhe, Urteil vom 17.01.1991, Az: 12 U 70/90). Im Hinblick auf die behauptete Operationsindikation besteht zur Verschaffung der Sachleistung – Mammareduktionsplastik – das Merkmal einer "Krankheit" im Sinne des § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Ein diesbezüglicher Behandlungsanspruch lässt sich – wie ausgeführt – nur damit begründen, dass eine Abweichung von der Norm besteht.

Aus dem MDK-Gutachten von Frau Dr. W. vom 29.04.2003 folgt, dass die Klägerin die BH-Größe 80 F trägt. Aus der BH-Größe und der Größe der Brust allein kann jedoch noch nicht auf einen krankhaften Zustand geschlossen werden; denn die Brustgröße bedingt für sich noch keinen regelwidrigen und behandlungsbedürftigen Körperzustand. Wenn die Beschaffenheit ihrer Brust nach Auffassung der Klägerin vom typischen Erscheinungsbild der weiblichen Brust abweichen sollte, ist festzu-halten, dass es eine "idealtypische" Größe der Brust nach allgemeiner Anschauung nicht gibt. Insoweit ist das körperliche Ideal und damit einhergehend die allgemeine Anschauung, wie groß eine Brust zu sein hat, nicht auf die Allgemeinheit übertragbar. Vielmehr unterliegen Schönheitsideale regelmäßig wech-selnden Modeerscheinungen. Eine deswegen angestrebte Verkleinerung oder Vergröße-rung der Brust wäre insoweit – worauf die Beklagte zu Recht hinweist – lediglich als eine, nicht dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung unter-liegende, "Schönheitsoperation" zu werten. Denn ein "Leitbild des gesunden Menschen" zur Bestimmung dessen, was regelwidrig ist, gibt es im Hinblick auf die Größe der Brust nicht. Krankenbehandlung ist jedoch erst dann notwendig, wenn durch sie der regelwidrige Körper- oder Geisteszustand behoben, gebessert, vor einer Verschlimmerung bewahrt oder Schmerzen sowie Be-schwerden gelindert werden können (BSGE 35, 10). Die Größe der Brust allein bedingt somit noch keine Behandlungsbedürftigkeit im krankenversicherungsrechtlichen Sinne (so bereits: SG Leipzig, Gerichtsbescheid vom 09.05.2005, Az: S 8 KR 49/03, sowie: Urteil vom 04.05.2006, Az: S 8 KR 227/03, beide veröffentlich in "juris").

Etwas anderes gilt allenfalls in wenigen extremen Ausnahmefällen, so wenn bspw. der körperliche Zustand entstellend bis verunstaltend wäre (vgl. dazu ausführlich: SG Leipzig, in: Breithaupt 2002, 865 ff.). Das Gericht folgt darüber hinausgehend ausdrücklich der Rechtsprechung des Sächsischen Landessozialgerichts zur Kostenübernahme für eine Mammareduktions-Operation (Urteil vom 24.09.2003, Az: L 1 KR 84/01). Dort bestand die Notwendigkeit einer medizinischen Indikation zur Operation bei Makromastie in Fäl-len, in denen nach intensiver physikalischer Therapie Beschwerden im Hals- und Brustwirbelsäulen-bereich nicht mehr behoben werden konnten. Unter Bezugnahme der "Leitlinie der Vereinigung der Deutschen Plastischen Chirurgie" im Deutschen Ärzteblatt 100, Ausgabe 8 vom 21.02.2003 bestehen Gründe für eine medizinische Indikation bei infra-mammärer Feuchtigkeit mit Intertrigo, Rücken- und Nackenschmerzen (schlechte Haltung), Schwere und Völlegefühl, Hauteinziehungen über der Schulter von dem zu hochgezogenen Büstenhalter, Schmerzen in den Arm ausstrahlend (Brachialplexusbeteiligung), sowie anatomischen Muskel- und Knochenveränderungen. "Gegebenenfalls" besteht bei Makromastie eine Indikation, wenn zusätzliche Beschwerden im Hals- und Brustwirbel-säulenbereich angegeben werden, die nach intensiver physikalischer Therapie nicht gemin-dert werden konnten. Es müssen somit – über die Größe eines Körperteils und eine etwaige Entstellung hinaus – krankhafte Veränderungen zu besorgen sein, die mit Schmerzen ein-hergehen. So liegt der Fall hier:

Dr. H. gab bereits am 07.04.2004 an, dass die Klägerin über anhal-tende, seit über einem Jahr bestehende Beschwerden, bedingt durch einen erhöhten Muskeltonus der Schulter-Nacken-Muskulatur, leide, ohne dass knöcherne Ursachen hierfür bestünden. Die Hypertrophie der Brüste könne Ursache der Beschwerden sein. Die Landkreis M. Krankenhaus gGmbH führte unter dem 19.04.2004 aus, dass die Brüste sehr schwer seien, d. h. mit einem hohen spezifischen Gewicht, was die Beschwerdesymptomatik im Sinne eines thorakalen Syndroms, begleitet mit dem Symptomen eines HWS-Syndroms, mitbegründe. Eine Therapie könne nur durch eine Reduktionsplastik beidseits vorgenommen werden, mit einem Resektat rechts von 800 und links von 950 g. Laut Dipl.-Med. H. ist die Beschwerdesymptomatik ebenfalls auf das hohe Brustgewicht zurückzuführen.

Wenn demgegenüber der MDK im Gutachten von Frau Dipl.-Med. S. vom 05.11.2004 auf eine "Komplextherapie" abzielt, war darauf hinzuweisen, dass diese in der Vergangenheit keine weiteren Erfolge gezeitigt hat. Dr. H. berichtete unter dem 15.06.2004 mit, dass sei-ne Behandlung und die physiotherapeutischen Maßnahmen der Klägerin keine Linderung gebracht hätten, weshalb er eine Mamma-Reduktionsplastik empfehle. Mit Schreiben vom 15.06.2004 wies er darauf hin, dass die Beschwerdesymptomatik bereits seit 15 Jahren bestehe. Selbst die behandelnde Physiotherapeutin S. teilte unter dem 02.06.2004 mit, dass durch ihre Maßnahmen nur eine kurzzeitige Besserung habe erreicht werden können. Dies wird auch unterstrichen durch den Befund der nunmehr behandelnden Orthopädin Dipl.-Med. Z. vom 04.10.2004. Danach liegt ein chronisches Schmerzsyndrom der HWS und BWS mit massiven muskulären Verspannungen und Fehlstatik bei massiver Mammahy-perplasie vor.

Die Größe der Brust hat hier auch zu einer Einschränkung körperlicher Funktionen geführt. Das Gesetz über die Anpassung der Leistungen zur Rehabilitation (jetzt: Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX)) hat den Krankheitsbegriff insoweit weiterentwickelt, als auch bei dauernder Beeinträchtigung oder Aufhebung der Fähigkeit zur Verrichtung von Arbeit, zur Ausübung eines Berufes oder zur Teilnahme am gesellschaftlichen Leben infolge Behinde-rung Leistungen der Krankenbehandlung grundsätzlich in Frage kommen (vgl. §§ 1, 2, 4 SGB IX); hier beruht die geltend gemachte Beeinträchtigung der Berufsausübung auf der Größe der Brust.

Aus dem Gutachten von MR Doz. Dr. M. vom 30.03.2006 geht zwar hervor, dass Schulter-, Ellenbogen-, Hand- und Fingergelenke seitengleich frei beweglich waren; gleichwohl zeigte sich eine eingeschränkte Beweglichkeit der komplexen Bewegungen von Brust- und Lendenwirbelsäule mittleren Grades, eine eingeschränkte Dehnungsfähigkeit von Brust- und Lendenwirbelsäule und ein positiver Ischiasdehnungsschmerz beidseits. Im Stehen bestand ein Beckengeradstand mit deutlichem Hohlkreuz, eine fast aufgehobene physiologische Krümmung der Brustwirbelsäule, eine deutliche Hyperlordose der Lendenwirbel-säule im unteren Bereich und ein Klopfschmerz über den Dornfortsätzen der Brust- und Lendenwirbelsäule. Hierdurch wird die Fähigkeit der Klägerin zur Berufsausübung als Verkäuferin nachhaltig beeinträchtigt.

Eine funktionelle Streckfehlhaltung im thorakolumbalen Übergang wird auch durch den radiologischen Befund der Radiologin F. vom 14.09.2004 bestätigt, ferner mäßige degene-rative Veränderungen. Es liegt danach eine funktionelle Streckfehlhaltung im thorakolumbalen Übergang vor sowie Osteochondrosen und degenerative Vertebral-Gelenkveränderungen. Er diagnostizierte insgesamt eine Mammahypertrophie beidseits mit erheblicher Ptose, eine MRT-gesicherte Degeneration der Brustwirbelsäule, eine MRT-gesicherte Degeneration der Lendenwirbelsäule und eine Adipositas Grad I. Er sah einen Zusammenhang zwischen den konsekutiven Veränderungen an der Brust- und Lendenwir-belsäule bei leichter Übergewichtigkeit. Die vergrößerten Brüste haben danach zu einer Streckfehlhaltung der Wirbelsäule im thorako-lumbalen Übergang geführt, was eine ver-mehrte Buckelbildung der Brustwirbelsäule kompensieren sollte. Schadensanlagen an Brust- oder Lendenwirbelsäule, die von sich aus, mithin ohne die vergrößerten Brüste, für die degenerativen Veränderungen an Brust- und Lendenwirbelsäule und den daraus resul-tierenden Beschwerden führen können, konnte er nicht feststellen. Er hat demzufolge keine medizinischen Zweifel daran, dass auf Grund der gegebenen Konstellation an der Brustwand die bei der Klägerin vorliegenden Beschwerden auf die Größe und das Gewicht der Brüste zurückzuführen sind.

Auch nach dem noch auf Veranlassung des Gerichts eingeholten Gutachten von Dr. E. vom 21.09.2006, bei Gericht eingegangen am 04.12.2006, besteht eine Mammahypertrophie beidseits, ein chronisches cervikobrachiales vertebragenes Schmerzsyndrom, ein chronisches lokales thorakales vertebragenes Schmerzsyndrom bei Fehlstatik und ein chronisches lokales lumbales vertebragenes Schmerzsyndrom bei Fehlstatik. Er stellte ebenfalls eine ausgeprägte Fehlstatik im Sinne eines Hohl-/Rundrückens fest. Seiner Ansicht nach hat die Klägerin bereits seit 20 Jahren Brust- und Lendenwirbelsäulenbeschwerden. Frau Dr. R. vermochte insoweit in ihrem Gutachten für den MDK vom 17.07.2003 eine hypotrophe Rückenmuskulatur und zum damaligen Zeitpunkt nur mittelgradige Ver-spannungen im Schulter- und Nackenbereich festzustellen.

Wenngleich Dr. E. nunmehr als mögliche Ursache der Beschwerdesymptomatik der Klägerin eine "Reifestörung der Wirbelsäule" angibt, nach welcher der Rundrücken oder Hohl-/Rundrücken zurückbleibe und nach Abschluss des Knochenwachstums nicht mehr korrigierbar sei, wird dadurch die Verursachung der Beschwerdesymptomatik durch das Brustgewicht nicht aufgehoben; denn ob die Makromastie auf die Geburt der Kinder zurückzuführen ist oder bereits seit der Pubertät vorlag, ist für die Frage der Kostentragung nicht entscheidungserheblich. Wenn er einerseits darauf hinweist, dass physiotherapeutische Therapiemaßnahmen zu keinem Zeitpunkt konsequent durch- und weitergeführt worden seien, steht dem der, zur mündlichen Verhandlung weitere eingereichte, Befund der Physi-otherapeutin S. entgegen, wonach die Klägerin ab 1991 regelmäßig zwei- bis dreimal jährlich zur Physiotherapie gekommen ist, ohne dass – wie bereits zuvor von ihr ausgeführt – dies zu einer nachhaltigen Linderung der Beschwerden geführt hatte.

Im Vergleich dazu ist das Risiko einer Operation im Vergleich zu physiotherapeutischen Maßnahmen u.ä. in Rechnung zu stellen. Das erkennende Gericht tritt der Rechtsprechung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg bei, wonach vor Durchführung einer Brust-verkleinerungsoperation sämtliche Behandlungsalternativen durchzuführen sind. Eine chirurgische Behandlung im Bereich der Brust darf stets nur die letzte denkbare Maßnahme sein (Urteil vom 20.04.2004, Az: L 11 KR 1886/03). Denn durch eine Brustverkleinerungsoperation wird im Grunde in ein gesundes Organ, d.h. die "große" Brust, eingegrif-fen. Da hierbei das Risiko der Narkose und auch das Ergebnis der Operation zu berücksichtigen ist, stellt eine chirurgische Behandlung im Bereich der Brust nur die "ultima ratio" dar. Wenngleich es für eine Behandlungsbedürftigkeit ausreicht, dass durch die Maß-nahme Schmerzen gelindert werden (vgl. BSGE 26, 288 (289)), müssen zur Beschwerde-linderung zunächst "mildere Formen" der ärztlichen Behandlung vor Brustverkleinerungs-operationen in Anspruch genommen werden. Die hypotrophe Rückenmuskulatur, die Streckfehlhaltung der Wirbelsäule und die Verspannungen im Schulter-Nackenbereich können indes nicht mehr durch eine Physiotherapie gelindert werden. Diese "mildere" Be-handlungsalternative ist damit als ausgeschöpft anzusehen. In ihrem für das Gericht erstell-ten Befundbericht vom 03.11.2005 verwies Dipl.Med. Z. zudem auf eine ausreichend entwickelte Brust- und Rückenmuskulatur, sodass durch weitere diesbezügliche Maßnahmen keine weitere Schmerzlinderung zu erzielen wäre. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin selbst glaubhaft angegeben, regelmäßig einmal die Woche zum Fitnesstraining zu gehen, um ihre Brust- und Rückenmuskulatur zu kräftigen. Sie trage zwar mittlerweile nicht mehr BH-Größe 90 DD, sondern 85 F; der Unterbrustumfang habe somit zwar ab-, der Oberumfang habe jedoch zugenommen.

Eine weitere Gewichtsreduktion vermag ebenfalls nicht mehr die Beschwerdesymptomatik zu bessern, zumal diese auch bisher zu keiner nachhaltigen Verkleinerung der Brust geführt hat. Die noch von Frau Dr. W. in ihrem Gutachten für den MDK vom 29.04.2003 seinerzeit empfohlene Gewichtsreduktion zur Linderung orthopädischer Beschwerden dürfte vorliegend nicht mehr in Betracht kommen; denn die Klägerin hat nach Einstellen des Rauchens und vorübergehender Gewichtszunahme – wie auch in der mündlichen Verhandlung erkennbar war – deutlich ihr Gewicht verringert, ohne dass dies mit einer Linde-rung der Schmerzen verbunden war. Sowohl Dr. M. als auch Dr. E. halten im Falle der Klägerin eine operative Brustverkleinerung für medizinisch vertretbar.

Zwar können röntgenologisch fassbare degenerative Veränderungen der Wirbelsäule durch eine Reduktionsplastik nicht mehr behoben werden; es können aber deren Auswirkungen gemindert werden. Als sichtbare körperliche Zeichen für die Einwirkung der schweren Brust können "Schnürfurchen" im Bereich beider Schultern durch die BH-Träger und me-chanische Druckstellen in anderen BH-Bereichen bestehen. Nach den glaubhaften Anga-ben der Klägerin kommt es im Unterbrustbereich und an den Schultern wegen des Gewich-tes der Brust zu Schnürfurchen und im Sommer – wegen des Gewichts und der damit ver-bunden Feuchtigkeit – zu Ekzemen unterhalb der Brust.

Es lagen auch durch die Brustgröße bedingte Haltungsschäden vor. Diese waren nach Aus-kunft der behandelnden Ärzte und Sachverständigen festzustellen. Zudem gab die Klägerin glaubhaft an, jeden Morgen unter Schmerzen im rechten Arm, in die Hand ausstrahlend, zu leiden, ohne dass ein Karpaltunnelsyndrom besteht. Sie hat deswegen seit Jahren ein Taubheitsgefühl, das auch durch die manuelle Therapie bei ihrer Physiotherapeutin nicht mehr zu lindern war. Aus dem Befundbericht der behandelnden Orthopäden und dem Gutachten von Dr. M. geht jedoch hervor, dass die begehrte Reduktionsplastik die Rückenbeschwer-den lindert. Im Hinblick auf die bereits eingetretenen degenerativen Veränderungen steht für ihn fest, dass damit eine wesentliche Verbesserung des gegenwärtigen Zustandes er-reichbar ist.

Ein Anspruch auf die begehrte Maßnahme lässt sich indes nicht allein daraus ableiten, dass eine Mammareduktionsplastik möglicherweise psychische Probleme der Klägerin bessern könnte. Krankenbehandlungsmaßnahmen haben vielmehr unmittelbar an der eigentlichen Krankheit, d.h. der möglichen Störung, anzusetzen (wie hier: BSG SozR 3-2500 § 39 Nr. 5; SozR 3-2200 § 182 Nr. 14). Andernfalls würde die Leistungspflicht der Krankenkassen im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung – entgegen dem Wirtschaftlichkeitsge-danken des § 12 SGB V – unvereinbar ausgeweitet (so: BSG SozR 3-2200 § 182 Nr. 14). Eine Grenzziehung hinsichtlich einer möglichen Verpflichtung der Krankenkasse zur Ü-bernahme kostspieliger Schönheitsoperationen wäre kaum möglich und könnte zu unabsehbaren Folgekosten für die Krankenkassen führen (LSG Nordrhein-Westfalen a.a.O.). Dass eine etwaige Störung im psychischen Befinden der Klägerin durch eine Mammare-duktionsplastik günstig beeinflusst werden könnte, vermag daher für sich noch keine Leis-tungspflicht der Beklagten zu begründen. Etwaige Krankenbehandlungsmaßnahmen haben vielmehr unmittelbar an der eigentlichen Krankheit anzusetzen, d. h. es greifen dann vor-rangig Mittel der Psychiatrie bzw. Psychotherapie (wie hier: LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 24.04.2001, Az: L 16 KR 7/01; SG Leipzig a.a.O.). Hier hat indes die behandelnde Nervenärztin angegeben, dass die Brustgröße im Rahmen ihrer rezidivierenden depressiven Symptomatik nie Gesprächsthema gewesen sei (Befundbericht Frau Dr. H. vom 13.10.2005). Dies bestätigte letztlich auch der Gutachter Dr. M., wonach die Klägerin auf die langfristige Reduktion ihrer Beschwerden, nicht auf die Brustverkleinerung, fixiert ist. Eine psychische Fixierung der Klägerin auf eine Brustverkleinerung war somit nicht festzustellen. Ohne nichtoperative Maßnahmen, insbesondere eine Physiotherapie, lassen sich die Beschwerden aber nicht dauerhaft lindern, so dass die Beklagte zu Unrecht die Kostenübernahme für eine Mammareduktionsplastik abgelehnt hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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