S 12 AL 119/01

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 12 AL 119/01
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 09.10.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.03.2001 und unter Änderung des Änderungsbescheides vom 10.10.2002 verurteilt, der Klägerin auch für die Zeit vom 28.09.2000 bis 14.02.2001 Arbeitslosenhilfe in gesetzlicher Höhe zu bewilligen. Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Klägerin auch für die Zeit vom 28.09.2000 bis 14.02.2001 Anspruch auf Arbeitslosenhilfe hat.

Die am 00.00.1953 geborene, geschiedene Klägerin bezog bis zur Erschöpfung des Anspruches am 27.09.2000 Arbeitslosengeld, zuletzt nach einem gerundeten wöchentlichen Arbeitsentgelt von 880,- DM. In ihrem Antrag auf Arbeitslosenhilfe ab 28.09.2000 gab sie an, Vermögen in Form einer Festgeldanlage über 00.000,- DM und in zwei Fonds mit Kurswert von 00.000,- DM und 00.000,- DM zu besitzen und nannte als Verwendungszweck jeweils Alterssicherung.

Mit Bescheid vom 09.10.2000 und Widerspruchsbescheid vom 19.03.2001 lehnte die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe gestützt auf §§ 190 Abs. 1 Nr. 5 und 193 Abs. 2 SGB III in Verbindung mit den §§ 6 und 9 der Arbeitslosenhilfeverordnung in der Fassung vom 18.06.1999 im wesentlichen mit der Begründung ab, dass nicht nachvollzogen werden könne, dass das Vermögen der Klägerin der Alterssicherung diene. Die gewählten Anlagearten stünden dem entgegen. 00.000,00 DM seien in Aktienfonds und somit in einer spekulativen Anlageform angelegt. Die weiteren 00.000,00 DM Festzinssparen seien lediglich für sechs Monate angelegt gewesen und damit nicht dauerhaft. Vom Vermögen über 00.000,00 DM sei somit nur der Grundfreibetrag von 8.000,- DM gemäß § 6 Abs. 1 Arbeitslosenhilfeverordnung abzuziehen, so dass 00.000,00 DM verwertbar seien. Unter Berücksichtigung des wöchentlichen Arbeitsentgeltes von 880,- DM errechne sich daraus gemäß § 9 Arbeitslosenhilfeverordnung ein Zeitraum von 54 Wochen, für den Bedürftigkeit nicht vorliege.

Zur Begründung ihrer am 17.04.2001 erhobenen Klage hat die Klägerin dargelegt, dass sie ihr Vermögen im Laufe ihres knapp 30jährigen Erwerbslebens zum Zwecke der Alterssicherung kontinuierlich angespart habe. Im Laufe der Zeit habe sie diverse Sparverträge, Festgeldanlagen und eine Lebensversicherung abgeschlossen. Die am 00.00.1975 abgeschlossene Lebensversicherung sei am 00.00.1995 mit rund 00.000,- DM einschließlich Gewinnbeteiligung ausgezahlt worden. Diese Auszahlung und weitere 00.000,- DM aus Sparanlagen habe sie am 00.00.1995 in Form eines Renditesparbuches für weitere drei Jahre angelegt und bei Vertragsablauf einschließlich der Zinsen ein Vermögen von 00.000,- DM besessen. Dieses habe sie auf Anraten ihrer Bank Anfang 1999 in drei Teilen weiter angelegt: In Form eines Garantiefonds (00.000,00 DM, zum Stichtag 00.000,00 DM) mit festgelegter Laufzeit bis 2004, wobei die Zinsen im Fond wieder angelegt worden seien, in einem weiteren Fond (00.000.00 DM, zum Stichtag 00.000,00 DM), wobei die Zinsen ebenfalls im Fond wieder angelegt worden seien und in einer Festgeldanlage mit automatischer Erneuerung des Vertrages (00.000,00 DM, zum Stichtag 00.000,00 DM), wobei die Zinsen bei der Geldanlage verblieben seien. Dadurch habe sie erreicht, dass sich ihr Vermögen von 1995 bis zum Jahr 2000 von 00.000,- DM auf 00.000,- DM gesteigert habe.

Mit Änderungsbescheid vom 10.10.2002 hat die Beklagte der Klägerin Arbeitslosenhilfe ab 15.02.2001 bewilligt.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 09.10.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.03.2000 und unter Änderung des Änderungsbescheides vom 10.10.2002 zu verurteilen, ihr auch für die Zeit vom 28.09.2000 bis 14.02.2001 Arbeitslosenhilfe in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig und meint, der Klägerin stehe Arbeitslosenhilfe für den begehrten Zeitraum nicht zu. Von dem Vermögen der Klägerin diene nur ein Betrag in Höhe von 00.000,00 DM der angemessenen Alterssicherung, so dass ein Vermögen von 00.000,00 DM verbleibe von dem abzüglich des Freibetrages von 8.000,- DM 00.000,00 DM bei der Prüfung der Bedürftigkeit zu berücksichtigen seien. Daraus ergebe sich ein Zeitraum von 20 Wochen fehlender Bedürftigkeit, d.h. bis zum 14.02.2001. Der genannte Betrag könne als Alterssicherung berücksichtigt werden, weil er aus einer kapitalbildenden Lebensversicherung stamme und in Abschnitten wieder angelegt worden sei. Auf die Anlageform komme es bezüglich des aus der Versicherung stammenden Teils des Vermögens nicht mehr an. Entsprechend könnte dieser Teil auch als der Alterssicherung dienend berücksichtigt werden, selbst wenn er letztendlich in Form von Fondanteilen angelegt worden sei.

Für den aus dem Sparbuch 000000000 stammenden Teil des Vermögens könne diese Sonderregelung jedoch keine Anwendung finden. Es müsse festgestellt werden, dass die Klägerin bezüglich dieses Teils ihres Vermögens eine spekulative Anlageform ausgewählt habe, die jedenfalls die Berücksichtigung des Vermögens als Alterssicherung dienend ausschließe. Außerdem seien von diesem Sparbuch seit 1990 immer wieder Abbuchungen erfolgt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Prozessakten und der die Klägerin betreffenden Leistungsakten der Beklagten. Diese Akten haben vorgelegen und sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Arbeitslosenhilfe bereits ab 28.09.2000.

Die Klägerin erfüllt alle in § 190 SGB III genannten Voraussetzungen für einen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe ab 28.09.2000. Sie war insbesondere auch bedürftig im Sinne von § 193 SGB III. Ihr Vermögen hat Bedürftigkeit nicht nach § 193 Abs. 2 SGB III ausgeschlossen.

Nach § 6 Abs. 1 Arbeitslosenhilfeverordnung in der Fassung vom 18.06.1999 ist Vermögen des Arbeitslosen zu berücksichtigen, soweit es verwertbar ist, die Verwertung zumutbar ist und der Wert des Vermögens, dessen Verwertung zumutbar ist, 8.000,- DM nicht übersteigt. Nicht zumutbar ist gemäß § 6 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 dritte Alternative Arbeitslosenhilfeverordnung insbesondere die Verwertung von Vermögen, dass zur Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung bestimmt ist. Für eine Alterssicherung ist gemäß § 6 Abs. 4 Arbeitslosenhilfeverordnung Vermögen bestimmt, wenn der Arbeitslose dieses nach dem Eintritt in den Ruhestand zur Beschreitung seines Lebensunterhaltes verwenden will und eine der Bestimmung entsprechende Vermögensdisposition getroffen hat, angemessen, soweit es 1.000,- DM je vollendetem Lebensjahr des Arbeitslosen nicht übersteigt.

Das Gericht hat keine Zweifel daran, dass das gesamte Vermögen der Klägerin über 00.000,00 DM zur Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung bestimmt ist. Zu Recht geht die Beklagte bei der Teilabhilfeentscheidung durch den Änderungsbescheid vom 10.10.2002 davon aus, dass Vermögen, das aus einer kapitalbildenden Lebensversicherung stammt und wieder angelegt wird, als der Alterssicherung dienend anzuerkennen ist, soweit nicht besondere Umstände dem entgegenstehen. Insoweit stimmt das Gericht der Beklagten auch zu, dass es bei der Wiederanlage solchen Vermögens auf die gewählte Anlageart nicht ankommt. Allerdings verkennt die Beklagte, dass auch Vermögen, das bei Wiederanlage eines aus einer Lebensversicherung stammenden Vermögens diesem Vermögen hinzugefügt wird, diesem gleich zu behandeln ist. Für das Gericht ist schlechterdings nicht nachvollziehbar, warum es nicht möglich sein soll, vor Eintritt der Arbeitslosigkeit (hier ab 00.00.1999) Vermögen, das der Alterssicherung dienen soll, aufzustocken. Das Gericht hält solches vielmehr für die natürlichste Sache der Welt. Im übrigen hat die Klägerin auch glaubhaft dargelegt, dass auch das Vermögen, das bis zur gemeinsamen Anlage ab 06.11.1995 mit der ausgezahlten Lebensversicherung auf dem Renditesparbuch angelegt war, bereits in die Planung ihrer Alterssicherung einbezogen war. Sie hat dazu glaubhaft gemacht, dass ihr Sparbuch insoweit Depotfunktion gehabt habe, von dem Vermögen entnommen worden sei, um es vorübergehend bei derselben Bank festverzinslich anzulegen, dann wieder auf das Sparbuch eingezahlt und erneut angelegt worden sei und dies mehrfach. Die vorliegenden Auszüge aus dem Sparbuch belegen auch, dass nach Entnahme von Kapitalanteilen auf dem Sparbuch jeweils größere Einzahlungen erfolgt sind (EZ = Einzahlung, ZZ = Zinszahlung, AZ = Auszahlung; EZ 10.000 + 216,70 ZZ am 00.00.1990, AZ 10.000 am 00.00.1990; EZ 10.000 + ZZ 750 am 00.00.1991, AZ 15.000 am 00.00.1991; EZ 15.000 + 1.200 ZZ am 00.00.1992, AZ 17.200 am 00.00.1992; EZ 17.200 + 1.462 ZZ am 00.00.1993, AZ 21.662 am 00.00.1993; EZ 21.662 + 1191,50 ZZ am 00.00.1994, AZ 23.000 am 00.00.1994; EZ 23.000 + 1.184,50 am 00.00.1995, AZ 22.000 am 00.00.1995).

Damit auch ist glaubhaft, dass die Klägerin auch bei dieser Sparform die Zinsen wieder dem Kapital zugeschlagen hat. Zugleich ist eine langfristige und kontinuierliche Anlage belegt. Die Auszahlung am 00.00.1995 fällt mit der Wiederanlage dieses Betrages gemeinsam mit der ausgezahlten Lebensversicherung auf dem Renditesparbuch zusammen.

Nach dem anzuerkennen ist, dass das gesamte Vermögen, das die Klägerin am 00.00.1995 angelegt hat, ihrer Alterssicherung zu dienen bestimmt war, besteht auch bei der Wiederanlage des Vermögens Anfang 1999 insoweit kein Zweifel daran. Unabhängig davon, dass das Gericht sich der Meinung der Beklagten anschließt, dass es bei Wiederanlage von der Alterssicherung dienendem Vermögen auf die Anlageart nicht ankommt, hat das Gericht bei den gewählten Anlagearten der Klägerin, nämlich Aktienfonds einerseits und Festgeldanlagen andererseits, keine Bedenken, diese als der Alterssicherung dienend anzuerkennen. Soweit die Beklagte diesen und in anderen Fällen auf spekulative Anlageformen hinweist, definiert sie diesen weder im Gesetz, noch in der Arbeitslosenhilfeverordnung vorkommenden Begriff nicht. Für das Gericht ist nicht Anlageform, sondern der Umgang mit der Geldanlage ausschlaggebend. Spekulativ kann nicht eine Anlageform, sondern nur der Umgang mit Vermögen sein. Ob dies spekulativ ist oder nicht, hängt davon ab, ob Vermögen kurzfristig im Sinne einer maximalen Gewinnerwartung angelegt und auf die Anlage erforderlichenfalls spontan wieder abgestoßen wird. Dies ist beispielsweise der Fall bei Erwerb von Aktien zu einem günstigen Kurs in Erwartung einer alsbaldigen Kurssteigerung und Veräußerung der Aktien nach einer solchen Kurssteigerung. Wer Aktien aber, insbesondere in Fonds, erwirbt und langfristig behält und Gewinne reinvestiert, spekuliert nicht, sondern hat Geld angelegt wie in anderen Anlageformen auch. Im übrigen verwalten Lebensversicherungen die Lebensversicherungsbeiträge nicht anders als in Formen, die von der Beklagte als spekulative Anlage bezeichnet werden, nämlich u.a. durch Anlage auf dem Kapitalmarkt. Für die Festgeldanlage gilt nichts anderes. Ausschlaggebend ist hierbei, dass sich aus der Anlage erkennen lässt, dass sie der Kapitalansammlung dient. Wenn wie hier über einen längeren Zeitraum Festgeld abschnittsweise festgelegt und nach Ablauf der Betrag einschließlich Zinsen neu festgelegt wird, bestehen im Zusammenhang mit der Herkunft des Geldes und der erkennbar langfristigen Kapitalanlage und Sammlung keine vernünftigen Zweifel, dass das gesamte Vermögen der Klägerin der Alterssicherung dient.

Unter Berücksichtigung des Lebensalters der Klägerin (bei Eintritt des Leistungsfalles vollendetes 47. Lebensjahr) sind für eine Alterssicherung der Klägerin 47.000,- DM angemessen im Sinne von § 6 Abs. 4 Nr. 2 Arbeitslosenhilfeverordnung. Ausgehend von 00.000,00 DM abzüglich 47.000,- DM abzüglich des Grundfreibetrages von 8.000,- DM verbleibt damit ein berücksichtigungsfähiges Vermögen von 000,00 DM. Dieses Vermögen führt nicht zum Wegfall der Bedürftigkeit, weil sich unter Berücksichtigung von § 9 Arbeitslosenhilfeverordnung bei Teilung des zu berücksichtigenden Vermögens durch das Arbeitsentgelt (880,- DM) ein Betrag von weniger als 1 ergibt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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