S 19 KA 52/00

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
19
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 19 KA 52/00
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 7).

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Beigeladene zu 7) zu Recht die bedarfsunabhängige Zulassung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung als psychologische Psychotherapeutin erhalten hat.

Die 1960 geborene Beigeladene zu 7) schloss das Psychologie-Studium 1986 mit dem Diplom ab und war eigenen Angaben zufolge ab September 1986 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Psychologie der Universität H tätig. Daneben nahm sie eine freiberufliche Tätigkeit als Psychotherapeutin (Verhaltenstherapie) auf und nahm am sogenannten Kostenerstattungsverfahren der gesetzlichen Krankenkassen teil. Ab 1989 war die Beigeladene zu 7) in einer Rehabilitationsklinik beschäftigt. Im Mai 1997 nahm sie eine Halbtagsbeschäftigung in der Schmerzambulanz der Universitätsklinik H auf. Am 04.01.1999 wurde die Beigeladene zu 7) als psychologische Psychotherapeutin approbiert.

Auf ihren am 22.12.1998 gestellten Antrag auf bedarfsunabhängige Zulassung für den Planungsbereich F, den sie damit begründete, dass in dem Zeitraum vom 25.06.1994 bis zum 24.06.1997 480 im Kostenerstattungsverfahren erbrachte Behandlungsstunden belegt seien, wies sie der Zulassungsausschuss für Ärzte E - Kammer Psychotherapie - mit Beschluss vom 11.05.1999 mit Wirkung ab dem 01.07. 1999 als psychologische Psychotherapeutin im Verfahren Verhaltenstherapie/ Einzeltherapie für F, B 0, zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung zu.

Die Klägerin erhob Widerspruch: Die Beigeladene zu 7) habe keinen Bestandsschutz im Sinne von § 95 Abs. 10 S. 1 Nr. 3 Fünftes Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB V) erworben. Während des sogenannten Zeitfensters habe sie nicht innerhalb von sechs bis zwölf Monaten 250 Behandlungsstunden für Versicherte der gesetzlichen Krankenkassen erbracht. Die in dem Beschluss des Zulassungsausschusses genannten 480 Behandlungsstunden verteilten sich auf einen Zeitraum von insgesamt drei Jahren.

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Beschluss vom 15.03.2000 zurück: Die Ablehnung einer bedarfsunabhängigen Zulassung laufe im Falle der Beigeladenen zu 7) auf eine unbillige Härte hinaus. Der berufliche Werdegang belege den Willen der Beigeladenen zu 7), zukünftig freiberuflich psychotherapeutisch tätig zu sein. Sie habe bei einer in H praktizierenden Kollegin Räume zu einem festen Mietzins angemietet und sei auch mit ihrem Namen auf dem an dem Haus angebrachten Praxisschild aufgeführt gewesen.

Die Klägerin trägt zur Begründung der dagegen binnen Monatsfrist erhobenen Klage vor: Die von den Zulassungsinstanzen zugrundegelegte Zahl von 480 Zeitfenster- Stunden sei wohl zu hoch gegriffen. Grundsätzlich sei für den Fenster-Zeitraum eine halbtätige Tätigkeit zu fordern, was wenigstens 250 Behandlungsstunden innerhalb von sechs bis zwölf Monaten entspreche. Im vorliegenden Falle ergäben sich bei insgesamt 480 Behandlungsstunden lediglich drei bis vier Stunden pro Woche; in Wirklichkeit habe das Behandlungsvolumen bei lediglich zwei bis drei Stunden pro Woche gelegen, weil in dem gesamten Fensterzeitraum insgesamt nur ca. 305 Behandlungsstunden an Patienten der gesetzlichen Krankenkassen erbracht worden seien. Ein Bestandsschutz scheide auch deshalb aus, weil die in Rede stehenden Praxisstunden nicht in F, sondern in H geleistet worden sein.

Die Klägerin beantragt,

den Beschluss des Beklagten vom 15.03.2000 aufzuheben.

Die Beigeladene zu 7) beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beigeladene zu 7) trägt vor: In dem Fensterzeitraum habe sie für Versicherte der gesetzlichen Krankenkassen nicht mehr als die belegten Behandlungsstunden erbringen können, weil sie zum einen im Jahr 1992 eine Tochter geboren und zum anderen in der Zeit von März 1996 bis September 1996 mit ihrer Tochter dem Ehemann nach L gefolgt sei, der damals dort berufstätig gewesen sei. Nach ihrer Rückkehr habe sie ihre Praxis gewissermaßen erst einmal wieder aufbauen müssen. Noch im Jahre 1997 sei die Anzahl der Behandlungsstunden durch den vorausgegangenen L-Aufenthalt beeinflusst worden. In ihrem Falle träte eine indirekte Diskriminierung ein, wenn in dieser zulassungsrechtlichen Angelegenheit zum Nachteil einer Frau Umstände nicht berücksichtigt würden, die gerade bei Frauen typischerweise dazu führten, dass sie ihre berufliche Entwicklung nicht so stringent verfolgen könnten, wie dies Männern möglich sei. Derartige Umstände seien insbesondere die Teilzeitarbeit, für die eine Frau sich mit Rücksicht auf den Arbeitsanfall im familiären Bereich entscheide, sowie eine größere Häufigkeit des Umzugs, der mit Rücksicht auf die Berufstätigkeit des Ehemannes erfolge. Das Bundessozialgericht habe in seinen Urteilen vom 08.11.2000 keinen Anlass gesehen, zu der Frage Stellung zu nehmen, ob nicht eine geringere Anzahl von Behandlungsstunden ausreiche, wenn die betreffenden Bewerberin im Einzelfall nur eine stundenweise Tätigkeit habe ausüben können, weil sie ihre berufliche und ihre Familienarbeit miteinander habe verbinden wollen.

Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten, den Aktenvorgang über das Widerspruchsverfahren sowie auf die die Beigeladene zu 7) betreffenden Registerakten verwiesen, deren wesentlicher Inhalt ebenfalls Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Der Beschluss des Zulassungsausschusses vom 11.05.1995 und der Beschluss des Beklagten vom 15.03.2000 sind nicht nach § 54 Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) aufzuheben gewesen. Diese Beschlüsse sind nicht rechtswidrig. Die Beigeladene zu 7) ist zu Recht bedarfsunabhängig zur ambulanten vertragsärztlichen Versorgung zugelassen worden.

Nach § 95 Abs. 10 S. 1 SGB V werden Psychotherapeuten zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen, wenn sie bis zum 31.12.1998 die Voraussetzungen der Approbation nach § 12 des Psychotherapeutengesetzes und des Fachkundenachweises nach § 95 c S. 2 Nr. 3 erfüllt und den Antrag auf Erteilung der Zulassung gestellt haben, bis zum 31.03.1999 die Approbationsurkunde vorlegen und in der Zeit vom 25.06.1994 bis zum 24.06.1997 an der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung teilgenommen haben. Die Beigeladene zu 7) erfüllt diese Voraussetzungen. Sie hat ihre Approbationsurkunde bis zum 31.03.1999 vorgelegt und auch den erforderlichen Fachkundenachweis geführt. Ferner hat sie in der Zeit vom 25.06.1994 bis zum 24.06.1997 an der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung teilgenommen, indem sie als freiberufliche Psychotherapeutin auf dem Gebiet der Verhaltenstherapie Versicherte der gesetzlichen Krankenkassen im Rahmen des sogenannten Kostenerstattungsverfahrens ambulant behandelt hat. Der Beschluss des Beklagten hebt zutreffend hervor, dass die Verweigerung der bedarfsunabhängigen Zulassung für F in der Person der Beigeladenen zu 7) zu einer unbilligen Härte führen würde, die der Gesetzgeber gerade darin erblickt hat, dass ohne die Möglichkeit der bedarfsunabhängigen Zulassung auch solche Psychotherapeuten, die in der Vergangenheit in niedergelassener Praxis an der psychotherapeutischen Versorgung der Versicherten teilgenommen und auch daraus ihr Erwerbseinkommen erzielt haben, nach dem in Inkrafttreten von § 95 Abs. 10 SGB V nur bedarfsabhängig an der Versorgung der Versicherten teilnehmen, d.h. sich nur noch in nicht gesperrten Gebieten niederlassen dürften (Bundestagsdrucksache 13/9212, Seite 40).

Die von der Beigeladenen zu 7) verteidigte Ermächtigung hat weiteren Bestand, obwohl das Bundessozialgericht in mehreren am 08.11.2000 verkündeten Revisionsentscheidungen (vgl. insbesondere vom 08.11.2000 - B 6 KA 22/00 R -) das in § 95 Abs. 10 S. 1 Nr. 3 SGB V aufgeführte Tatbestandsmerkmal "an der ambulanten Versorgung der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung teilgenommen haben" mit Blick auf Praxen, die wie die der Beigeladenen zu 7) bereits zu Beginn des sogenannten Zeitfenster existiert haben, dahingehend konkretisiert hat, dass sich eine Orientierung der Zulassungsgremien an einem Behandlungsumfang von 250 Stunden in einem halben bis zu einem Jahr durchaus noch innerhalb der durch das Bundessozialgericht vorgenommenen Konkretisierung des Begriffs "teilgenommen haben" hält, woraus das Bundessozialgericht desweiteren gefolgert hat, dass ein Nachweis von 250 Behandlungsstunden, welche sich gleichmäßig über alle drei Jahre des Zeitfensters verteilen, dem gegenüber nicht ausreicht; mit einem Behandlungsumfang von ca. zwei Behandlungsstunden in der Woche wäre kein Tätigkeitsschwerpunkt in der Behandlung von Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen zu erkennen. Im vorliegenden Fall sind des während des gesamten Fensterzeitraums zwischen 305 und 480 Behandlungsstunden für Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht worden.

Die in den von Seiten der Klägerin angeführten Entscheidungen vom 08.11.2000 vorgenommene Auslegung von § 95 Abs. 10 S. 1 Nr. 3 SGB V erfasst jedoch nicht Fälle wie den vorliegenden, denn diese Rechtsprechung erkennt nicht die versteckte geschlechtsbezogene Diskriminierung, die in § 95 Abs. 10 S. 1 Nr.3 SGB V angelegt und durch die bisher zu dieser Vorschrift ergangene Rechtsprechung des Bundessozialgericht nicht beseitigt ist. Wie die Beigeladene zu 7) zutreffend vorgetragen hat, ist sie daran, während des Zeitfensters mindestens 750 Behandlungsstunden für Versicherte der gesetzlichen Krankenkassen zu erbringen, vornehmlich durch die Erziehung der 1992 geborenen Tochter und desweiteren durch den Auslandsaufenthalt gehindert gewesen, den sie in der Zeit von März 1996 bis September 1996 mit Rücksicht auf ihr Kind und ihrem Ehemann durchgeführt hat.

Diese Umstände resultieren typischerweise aus der überkommenden Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen, bei der die Aufgabe der Kindererziehung zum weit überwiegenden Teil tatsächlich der Ehefrau überlassen bleibt; gleiches gilt für die tatsächliche Führung des gemeinsamen Haushalts. Von daher scheitert das Zulassungsbegehren der Beigeladenen zu 7) auch nicht daran, dass die Kindererziehung und die mit ihr verbundenen Erschwernisse für den Sachbereich "Teilnahme an der ambulanten Versorgung vor dem Inkrafttreten des Psychotherapeutengesetzes" in Abs. 11 b des § 95 SGB V thematisiert ist; diese Vorschrift greift im vorliegenden Fall schon deshalb nicht ein, weil die Beigeladene zu 7) in dem dort genannten Zeitraum von einer Erwerbstätigkeit gerade nicht Abstand genommen hat und dennoch nicht in den Genuss einer Erleichterung des Zugangs zur bedarfsunabhängigen Zulassung gelangt.

Der Beigeladenen zu 7) kann auch nicht entgegengehalten werden, dass sie sowohl vor März 1996 als auch nach September 1996 einer Halbtagsbeschäftigung in einer Rehabilitationsklinik nachgegangen ist, anstatt die dafür erforderliche Arbeitszeit in den Ausbau ihrer eigenen freiberuflichen psychotherapeutischen Praxis zu investieren. Eine psychotherapeutische Tätigkeit in einem Teilzeitbeschäftigungsverhältnis, welches neben der Tätigkeit in der eigenen Praxis besteht, ist für die Gruppe derjenigen Psychotherapeuten, die der Gesetzgeber in § 95 Abs. 10 SGB V hat privilegieren wollen, nichts außergewöhnliches gewesen.

Desweiteren ist der Beigeladenen zu 7) nicht entgegen zu halten, dass sie den Umfang der in ihrer eigenen Praxis entfalteten Tätigkeit nach ihrer Rückkehr von dem Auslandsaufenthalt nicht soweit gesteigert hat, dass sie in dem Zeitraum von Ende 1996/Anfang 1997 bis zum 24.07.1997 gewissermaßen halbtags ausschließlich für Versicherte der gesetzlichen Krankenkassen praktiziert hat. Ein solcher Tätigkeitsumfang ist - wie bereits dargelegt - aus familiären Gründen nicht zu erreichen gewesen.

Schließlich ist der Umstand, dass die Praxis, für die die streitbefangene Zulassung erteilt worden ist, in einem anderen Planungsbereich befindet, als diejenige Praxis, in der die Beigeladene zu 7) den Bestandsschutz erworben hat, nicht geeignet, die erteilte Zulassung zu Fall zu bringen. Dies ergibt sich bereits daraus, dass für diejenigen psychologischen Psychotherapeuten, die während des Fensterzeitraumes an dem sogenannten Kostenerstattungsverfahren teilgenommen haben, keinerlei berufsrechtliche oder sonstigen Normen existiert haben, aus denen eine Revidenzpflicht herzuleiten gewesen ist. Eine derartige Revidenzpflicht darf nicht nachträglich im Wege der Auslegung von § 95 Abs. 10 S. 1 Nr. 3 SGB V begründet werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Die Kammer hat dabei berücksichtigt, dass die Beigeladene zu 7) die ihr erteilte Zulassung gegen die Anfechtungsklage der Klägerin mit anwaltlicher Hilfe erfolgreich verteidigt hat.
Rechtskraft
Aus
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