S 21 RJ 167/01

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
21
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 21 RJ 167/01
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die von der Antragsgegnerin (AGin) an den Antragsteller (ASt) zu erstattenden außergerichtlichen Kosten werden auf 2.026,52 DM (1.036,12 EUR) nebst 5 % über dem Basisleitzins nach § 1 des Diskontüberleitungsgesetzes vom 09.06.1998 Zinsen seit dem 20.08.2002 festgestellt.

Gründe:

Das durch angenommenes Anerkenntnis und Kostenanerkenntnis dem Grunde nach am 05.08.2002 beendete Klageverfahren betraf die Frage, ob dem ASt Altersrente für Berufs- oder Erwerbsunfähige zustand.

Im Verwaltungsverfahren erfolgte eine sozialmedizinische Untersuchung des ASt sowie eine orthopädische. Mit beiden Gutachten setzten sich die Prozessbevollmächtigten des ASt nach Akteneinsicht kurz auseinander, wobei im wesentlichen geltend gemacht wurde, die Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben sei altersbedingt bei dem 1938 geborenen ASt erloschen, da dieser nach jahrelanger Überforderung nicht mehr in der Lage sei, seine Beschwerden zu kompensieren.

Im Klageverfahren erfolgte eine arbeitsmedizinische sowie eine orthopädische Begutachtung. Mit beiden Gutachten setzten sich die Bevollmächtigten des ASt sehr ausführlich auseinander. Ferner wurde ein Erörterungstermin mit berufskundlicher Begutachtung durchgeführt, in dem der Rentenanspruch anerkannt wurde.

Die außergerichtlichen Kosten berechneten die Prozessbevollmächtigten des ASt mit bei Gericht am 20.08.2002 eingegangenem Schreiben auf insgesamt 2.296,80 DM (1.174,33 EUR), ausgehend von einer Gebühr nach § 116 Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (BRAGebO) in Höhe von 1.200,00 DM (613,55 EUR) für das Gerichtsverfahren und einer Gebühr von 700,00 DM (357,90 EUR) für das Vorverfahren unter Hinweis auf eine Entscheidung des Sozialgerichts (SG) Nordhausen, worauf die AGin geltend machte, diese Gebühren seien unbillig hoch.

Durch Kostenfestsetzungsbeschluss vom 17.09.2002 setzte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die von der AGin zu erstattenden Kosten des ASt auf 828,56 EUR fest, ausgehend von der Mittelgebühr/verminderten Mittelgebühr nach § 116 BRAGebO. Auf die Gründe des Beschlusses wird verwiesen.

Mit bei Gericht am 10.10.2002 eingegangenem Schreiben haben die Prozessbevollmächtigten des ASt das Gericht angerufen. Sie verweisen erneut auf die Entscheidung des SG Nordhausen vom 23.08.2001 - S 4 RJ 620/00 -, wonach in Rentenstreitverfahren grundsätzlich die Höchstgebühr und eine nicht reduzierte Höchstgebühr für das Vorverfahren angemessen sei, - vgl. NZS 220, S 112 - da es keinen Grund für die Reduzierung gebe. Diese sei gesetzlich nicht vorgeschrieben und stehe dem Willen des Gesetzgebers bei Änderung der BRAGebO entgegen, der bewusst gebührenrechtliche Anreize für eine außergerichtliche Erledigung der Verfahren geschaffen habe.

Der nach § 197 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Rechtsbehelf ist sachlich teilweise begründet.

Sozialgerichtliche Streitigkeiten sind in den Gebührenrahmen des § 116 BRAGebO einzuordnen, wobei grundsätzlich für jede Streitigkeit zunächst von der Mittelgebühr auszugehen ist, die auf Grund des Umfangs, der Bedeutung und der Schwierigkeit herauf- oder herabzusetzen ist.

Die Auffassung des SG Nordhausen - NZS 2002, S. 112 - verkennt den Regelungsgehalt des § 116 BRAGebO. Zwar ist es sicher richtig, dass eine Rentenklage eine solche ist, bei der über existenzsichernde Leistungen entschieden wird. Allein auf Grund dieses Umstandes ist indessen nicht bereits die Höchstgebühr angemessen. Denn das Sozialgericht entscheidet mit Knappschafts-/Arbeiter- und Angestelltenversicherungsrenten, Versorgungsrenten, Arbeitslosengeld und -hilfe, Pflegegeld und Krankengeld in aller Regel über existenzsichernde Leistungen, zumeist über solche mit Lohnersatzfunktion. In etwas schwächerer Form gilt dies darüber hinaus für Unfallrenten, so dass es - abgesehen vom Schwerbehindertenrecht und einigen Streitigkeiten in der Krankenversicherung - kaum Klagen in der Sozialgerichtsbarkeit gibt, die keine existenzsichernden Leistungen betreffen.

Wäre es die Intention des Gesetzgebers gewesen, dass bei existenzsichernden Leistungen stets die Höchstgebühr nach § 116 BRAGebO auszuwerfen wäre, müsste die Vorschrift so gefasst sein, dass sie die Höchstgebühr als üblich auswiese - mit der Möglichkeit, von ihr in besonders begründeten Einzelfällen abzuweichen. Dies entspricht indessen dem klaren Wortlaut der Norm nicht.

Ausgehend von der vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle hier in Ansatz gebrachten Mittelgebühr ist die Streitsache einzuordnen, wobei vor allem der Umstand zu beachten ist, dass die Gebühr die anwaltliche Tätigkeit angemessen honorieren soll.

Die Notwendigkeit, sich mit medizinischen und /oder berufskundlichen Fragen auseinander zusetzen, die auch für einen erfahrenen Fachanwalt im Sozialrecht fachfremd sind, vergrößert den Zeitaufwand des Anwaltes erheblich. Entsprechendes gilt bei nicht/bzw. schlecht deutsch sprechenden oder sehr unbeholfenen Klägern, bei denen jede Beratung zeitaufwendig ist. Ferner können umfangreiche Vorprozesse, die aktenmäßig auszuwerten sind, besonders seltene Krankheitsbilder oder sehr aus dem Normalrahmen herausfallende Rechtsfragen, die eine eingehende Beschäftigung mit Literatur und Rechtsprechung erfordern, die anwaltliche Tätigkeit überdurchschnittlich aufwendig gestalten.

Von diesen die anwaltliche Tätigkeit erschwerenden Umständen haben hier im Klageverfahren zwei vorgelegen: Die Prozessbevollmächtigten des ASt mussten sich mit medizinischen und berufskundlichen Fragen eingehend auseinandersetzen, so dass eine Erhöhung der Mittelgebühr um 40 % angemessen erscheint. Der entsprechenden Ansicht des Gerichtes, die vorab mitgeteilt worden ist, hat die AGin auch nicht widersprochen.

Die von den Prozessbevollmächtigten des ASt in Ansatz gebrachte Gebühr von 1.200,00 DM (613,55 EUR) überschreitet die exakt berechnete von 1.190,00 DM (608,44 EUR) in so geringem Umfang, dass sie nicht als unbillig hoch zu qualifizieren ist.

Die für das Vorverfahren in Ansatz gebrachte Gebühr von 700,00 DM (357,90 EUR) ist hingegen unbillig.

Für das Vorverfahren ist die reduzierte Mittelgebühr angemessen, die im angefochtenen Beschluss ausgeworfen wurde. Im Vorverfahren sind noch keine berufskundlichen Fragen diskutiert worden, die Prozessbevollmächtigten des ASt beschränkten sich hier auf ein kurzes medizinisches Vorbringen. Bei dieser Sachlage ist nicht zu erkennen, aus welchen Gründen von der Mittelgebühr abgewichen werden sollte, die, wie oben ausgeführt, auch in Rentenangelegenheiten grundsätzlich maßgebend ist.

Ein Abweichen von der angemessenen Mittelgebühr führt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) - Vgl. Urteil vom 26.02.1992, Az.: 9 a RVs 3/90 - stets zur Unbilligkeit der geltend gemachten Gebühr.

Für das Vorverfahren ist eine herabgesetzte Gebühr, wie sie im sozialgerichtlichen Verfahren üblich ist, angemessen, nicht hingegen der volle Gebührenrahmen des § 116 BRAGebO.

Zum einen ist das Vorverfahren nicht durch regelmäßigen Schriftverkehr gekennzeichnet, der im Klageverfahren üblich ist. Vielmehr beschränkt sich die anwaltliche Tätigkeit regelmäßig - wie hier - auf die Anfertigung einer Widerspruchsschrift.

Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass auch sozial Schwache in die Lage versetzt werden sollen, sich schon im Widerspruchsverfahren, bei dem es keine Möglichkeiten zur Anwaltsbeiordnung via Prozesskostenhilfe gibt, sich anwaltlicher Hilfe zu bedienen, um ihre Ansprüche angemessen durchsetzen zu können. Von daher ist es gerade im Vorverfahren notwendig, die - von den Rentenantragstellern bzw. Antragstellern unter Umständen voll selbst zu tragenden - Anwaltskosten möglichst knapp zu kalkulieren, was vom SG Nordhausen - vgl. a.a.O. - nicht angemessen berücksichtigt wird.

Im übrigen ist auch nicht nachzuvollziehen, warum eine Erhöhung der Gebühr für das Vorverfahren ein Anreiz sein sollte, kein Klageverfahren zu führen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 197 Abs. 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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