Land
Bundesrepublik Deutschland
Sozialgericht
Bundessozialgericht
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 RJ 36/02 R
Datum
Kategorie
Urteil
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 17. Januar 2001 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen. Die Kostenentscheidung bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Gründe:
I
Die im Jahre 1943 geborene Klägerin war als ungelernte Arbeiterin bis zum Eintritt der Arbeitsunfähigkeit im März 1995 als Fabrik- und Lagerarbeiterin versicherungspflichtig beschäftigt. Ihren Antrag auf Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit vom 30. April 1996 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 17. Juni 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. September 1997 ab. Grundlage waren ua der Bericht der Psychosomatischen Klinik Schloß W vom 18. März 1996 nach einem Heilverfahren in der Zeit vom 19. Februar 1996 bis 18. März 1996 sowie das Gutachten der Sozialmedizinerin Dr. S vom 18. April 1997 mit Zusatzgutachten des Psychiaters W. L vom 17. April 1997. Trotz der festgestellten Gesundheitsstörungen (Depressive Entwicklung bei protrahierter und pathologischer Trauerreaktion, chronisch-rezidivierendes Wirbelsäulensyndrom, medikamentös eingestellte Hypertonie) hatten die Sachverständigen die Klägerin für fähig erachtet, vollschichtig leichte, ungelernte Arbeiten mit qualitativen Einschränkungen (ohne Nachtschicht, besonderen Zeitdruck, überwiegend einseitige Körperhaltung) zu verrichten.
Das Sozialgericht (SG) hat Berichte der behandelnden Ärzte angefordert. Die Klägerin hat eine Stellungnahme aus psychologischer/psychosomatischer Sicht des Dipl.-Psych. H vom 16. Juli 1998 sowie dessen (Privat-)Gutachten vom 4. Februar 1999 vorgelegt. Danach seien aus der Sicht des Fachgebietes eine schwere, chronifizierte Depression (bei neurotischer Konstellation), eine psychosomatische Reaktionsweise, eine Angststörung noch klärungsbedürftiger Dimension sowie ein Defizit an sozialer Kompetenz festzustellen, was dazu führe, dass aus psychologischer Sicht die vollschichtige Leistungsbreite nicht mehr gegeben sei und selbst bei einer halbschichtigen Tätigkeit qualitative Einschränkungen zu beachten seien. Das SG hat daraufhin Dr. med. B (Arzt für Neurologie und Psychiatrie - Psychotherapie -) zum gerichtlichen Sachverständigen bestellt. Dieser hat nach Auswertung der beigezogenen Unterlagen und eigener Untersuchung der Klägerin das Gutachten vom 2. August 1999 erstattet. Er hat die Klägerin mit Blick auf die von ihm gestellten Diagnosen (Dysthymie; Panikstörung mit leichter Agoraphobie bei asthenischer, ängstlicher Persönlichkeit; wiederkehrende vasomotorische Kopfschmerzen; degeneratives HWS-Syndrom mit anamnestisch wiederkehrenden Zervikobrachialgien - Ausschluss einer alten oder frischen Nervenwurzelreizung oder -kompression im HWS-Bereich; degeneratives LWS-Syndrom mit wiederkehrenden Lumboischialgien - Ausschluss einer alten oder frischen Nervenwurzelreizung oder -kompression im LWS-Bereich) vor allem wegen einer abweichenden diagnostischen Einordnung und Bewertung des depressiven Krankheitsbildes im Gegensatz zu Dipl.-Psych. H mit Einschränkungen (ohne schwere und ständig mittelschwere Arbeiten mit Heben und Tragen von Lasten über 10 kg, dauerndes Stehen und Sitzen, häufiges Bücken, regelmäßige Überkopfarbeit, Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten sowie mit Absturz- und Verletzungsgefahr, Akkord- und Fließbandarbeit, Arbeiten an laufenden verletzungsgefährdenden Maschinen, Kälte-, Nässe- und Zugluftexposition, ständig erhöhte Konzentration und Aufmerksamkeit sowie mit dauerndem Stehen und Sitzen) für vollschichtig einsatzfähig gehalten. Die Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit der Klägerin hat er als alters- und intelligenzentsprechend bezeichnet. Die Klägerin hat zu diesem Gutachten eine kritische Stellungnahme des Dipl.-Psych. H vom 30. August 1999 vorgelegt, zu der sich Dr. B am 3. Januar 2000 geäußert hat. Dipl.-Psych. H hat dazu am 28. Januar 2000 repliziert. Das SG hat sich dem Beurteilungsvorschlag des gerichtlichen Sachverständigen angeschlossen und mit Urteil vom 8. Februar 2000 die Klage abgewiesen.
Im Berufungsverfahren hat die Klägerin vorgetragen, es müsse abgeklärt werden, welches der beiden Gutachten wissenschaftlichen Kriterien entspreche, auch sei bisher nicht dem Vorschlag des Dipl.-Psych. H nachgegangen worden, das Ausmaß der Dunkelangst abzuklären. Weiter hat die Klägerin ein Attest des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. med. W.-D. E (undatiert, Diagnose: schwere chronisch-depressive Anpassungsstörung mit ... (unleserlich), auf lange Sicht sei die Klägerin emotional kaum belastbar und kaum vermittelbar) sowie Berichte des Orthopäden Dr. A vom 22. September 2000 (Diagnose: Fibromyalgie-Syndrom) und des Rheumazentrums B vom 9. Juni 2000 (Diagnosen: Leichter Schub einer Rheumafaktor-positiven rheumatoiden Arthritis (Erstdiagnose 1998), Sekundäre Fibromyalgie bei depressiver Stimmungslage, Arterielle Hypertonie, PHS, HWS-Schmerzsyndrom) vorgelegt. Dazu und allgemein zum Stellenwert testpsychologischer Untersuchungen hat die Beklagte eine Stellungnahme des Chirurgen und Sozialmediziners Dr. S vom 30. Oktober 2000 vorgelegt. Als gerichtlich bestellter Sachverständiger hat der Internist und Rheumatologe Dr. med. R das Gutachten vom 4. Dezember 2000 erstattet. Er hat folgende Diagnosen gestellt: generalisierte Tendomyopathie (Synonym für Fibromyalgie); sereopositive chronische Polyarthritis, unter der kombinierten Therapie mit Quensyl und Predni-H 5 zurzeit in Vollremission; Herberden´sche Arthrose am 4. Strahl rechts; arterielle Hypertonie (RR190/120). Der Sachverständige hat dargelegt, die Klägerin sei in der Lage, leichte Arbeiten vollschichtig auszuüben. Mittelschwere und schwere Arbeiten kämen wegen der zweifellos vorliegenden seropositiven chronischen Polyarthritis mit trotz Behandlung vorliegender Synovitis der MCP-Gelenke der rechten Hand nicht in Frage. Ganz im Vordergrund stehe die sogenannte Fibromyalgie, die heute im Gegensatz zu der von Dr. S vertretenen Meinung gut definiert sei. Die vegetativen und depressiven Symptome seien der Diagnose Fibromyalgie problemlos zuzuordnen. Er sehe den Leidensdruck der Klägerin und das Schmerzsyndrom überwiegend durch die Fibromyalgie verursacht. Nach der von der Klägerin angegebenen Beschwerdesymptomatik habe dieser Zustand bereits zur Zeit des Rentenantrags im Jahre 1996 bestanden. Die im Jahre 1998 diagnostizierte Polyarthritis zeige einen blanden Verlauf und befinde sich unter der jetzt eingeschlagenen Therapie in Vollremission. Der erhöhte Blutdruck sollte intensiver behandelt werden. Er weiche in Befunderhebung und Beurteilung nicht von den vorliegenden ärztlichen Äußerungen ab.
Mit Schriftsatz vom 9. Januar 2001 hat die Klägerin eine Stellungnahme des Allgemeinarztes K vom 28. Dezember 2000 vorgelegt und vorgetragen, dass die vier von Dr. R gestellten Diagnosen nur das internistische Fachgebiet beträfen, die übrigen bereits von den Vorgutachtern aufgeführten Gesundheitsstörungen mit den entsprechenden Einschränkungen seien nicht berücksichtigt worden. Die Diagnostik und Beurteilung auf psychiatrischem bzw psychologischem Fachgebiet sei nach wie vor offen und konträr. Art und Ausmaß der psychischen Störungen in Folge der Fibromyalgie seien nicht abgeklärt worden. Die Gutachten des Psychologen H und des Neurologen Dr. B hätten die neue Diagnose nicht berücksichtigen können. Die Klägerin hat deshalb im Termin zur mündlichen Verhandlung am 17. Januar 2001 unter anderem beantragt, ein erneutes neurologisch-psychiatrisches Gutachten einzuholen, um die geistig-seelische Belastbarkeit der Klägerin für leichte vollschichtige Tätigkeiten unter Einbeziehung der Diagnosen Fibromyalgie, Schmerzsyndrom, Panikstörung, schwere chronisch-depressive Anpassungsstörung zu quantifizieren. Zur Unterstützung dieses Antrags hat die Klägerin ein Attest des Neurologen und Psychiaters Dr. Wolf-D. E vom 11. Januar 2001 vorgelegt.
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin mit Urteil vom 17. Januar 2001 zurückgewiesen: Im Vordergrund des Beschwerdebildes stehe die Fibromyalgie. PCP und die HWS-Beschwerden stünden einer leichten vollschichtigen Tätigkeit mit den genannten weiteren Einschränkungen nicht entgegen. Der Senat schließe sich den Gutachten von Dr. B und Dr. R an. Die neurologisch-psychiatrischen Einschränkungen seien, wie von Dr. B festgestellt, nicht gravierend. Das Gutachten des Dipl.-Psych. H sei nicht überzeugend. Die zuletzt vorgelegten Atteste überzeugten nicht, weil auch hierin eindeutige psychopathologische oder organische Befunde, die eine Erwerbsunfähigkeit begründen könnten, nicht beschrieben seien. Für eine weitere Sachverhaltsaufklärung bestehe kein Anlass: Dunkelangst und Panikstörungen könnten nicht so ausgeprägt sein, weil die Klägerin zT bei Dunkelheit die Wege zu den Begutachtungen habe zurücklegen können. Für das beantragte neurologisch-psychiatrische Gutachten bestehe kein Anlass, da ein solches bereits von Dr. B vorliege. Auch wenn damals die Diagnose einer Fibromyalgie nicht gestellt worden sei, rechtfertige dies nicht die Einholung eines weiteren Gutachtens, denn die aus dieser Diagnose resultierenden Leistungseinschränkungen seien von Dr. R umfassend gewürdigt worden.
Die (vom Senat zugelassene) Revision stützt die Klägerin auf eine Verletzung des § 44 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) und des § 103 Sozialgerichtsgesetz (SGG) iVm den §§ 62, 128 SGG. Das LSG hätte sich gedrängt fühlen müssen, dem Beweisantrag stattzugeben, die für die Ablehnung gegebene Begründung sei nicht hinreichend. Das LSG stelle nunmehr im Anschluss an Dr. R die Fibromyalgie in den Vordergrund der Gesundheitsstörungen der Klägerin. Als Internist und Rheumatologe könne Dr. R aber die damit einhergehenden Begleiterkrankungen und Leistungseinschränkungen auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet nicht verlässlich beurteilen. Vor allem sei das neurologisch-psychiatrische Gutachten von Dr. B vom 2. August 1999 für das LSG erkennbar von einer unzutreffenden Tatsachengrundlage ausgegangen - der Unkenntnis der Diagnose Fibromyalgie -, deren Vorliegen Dr. B noch ausdrücklich verneint habe. Deshalb habe dem Gutachter das gesamte Verhalten und Erleben der Patientin in der Begutachtungssituation in einem unzutreffenden Licht erscheinen müssen. Die ärztlichen Stellungnahmen, auf die sich das LSG im Übrigen berufe (Dr. A , Dr. Dr. B ), stammten aus dem Jahre 1997 und seien zu alt, um hierauf zuverlässig eine Entscheidung stützen zu können. Es fehle somit an einer brauchbaren Gesamtbeurteilung, welche die mit der Diagnose "Fibromyalgie" möglicherweise einhergehenden schmerz- sowie geistig-seelischen Einschränkungen berücksichtige. Durch die beantragte Begutachtung wäre erwiesen worden, dass die Klägerin nicht mehr in der Lage sei, vollschichtig auch leichte Arbeiten zu verrichten.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 17. Januar 2001 und das Urteil des SG Karlsruhe vom 8. Februar 2000 sowie den Bescheid der Beklagten vom 17. Juni 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. September 1997 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu leisten, hilfsweise, das Urteil des LSG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte stellt keinen Antrag.
II
Die Revision der Klägerin ist zulässig und im Sinne der Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG begründet. Das Urteil des LSG beruht auf einem Verfahrensmangel; das Berufungsgericht hätte sich von seinem sachlich-rechtlichen Standpunkt aus zu weiteren Ermittlungen in medizinischer Sicht gedrängt fühlen müssen.
Der geltend gemachte Rentenanspruch der Klägerin richtet sich nach den §§ 43, 44 SGB VI in der bis 31. Dezember 2000 geltenden Fassung, da er auch Zeiten vor diesem Zeitpunkt erfasst. Die ab 1. Januar 2001 geltende Neuregelung durch das Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20. Dezember 2000 (BGBl I, 1827) ist nur für den Fall heranzuziehen, dass ein Rentenanspruch am 31. Dezember 2000 nicht bestand, aber für die nachfolgende Zeit in Betracht kommt (vgl § 300 Abs 1 iVm Abs 2 SGB VI).
Nach § 43 Abs 2 SGB VI aF sind berufsunfähig Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Nicht berufsunfähig ist, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen. Nach § 240 SGB VI nF haben Versicherte, die wie die Klägerin vor dem 2. Januar 1961 geboren sind, bei Vorliegen von Berufsunfähigkeit einen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. Die Definition der Berufsunfähigkeit weicht vom früheren Recht nur insoweit ab, als nach § 240 Abs 2 Satz 4 SGB VI nF berufsunfähig nicht ist, wer - ungeachtet der jeweiligen Arbeitsmarktlage - eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann. Erwerbsunfähigkeit setzt nach § 44 Abs 2 SGB VI aF ebenso wie die volle Minderung der Erwerbsfähigkeit iS des neuen Rechts (§ 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI nF) eine gegenüber der Berufsunfähigkeit noch weiter herabgesetzte Erwerbsfähigkeit voraus.
Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Rentengewährung sind unstreitig erfüllt.
Ausgangspunkt bei der Prüfung der genannten Tatbestandsvoraussetzungen, insbesondere der Zumutbarkeit der Verweisungstätigkeit, ist der bisherige Beruf des Versicherten. Die Klägerin war nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des LSG während ihres gesamten Erwerbslebens als ungelernte Fabrikarbeiterin beschäftigt. Sie genießt deshalb keinen sogenannten "Berufsschutz" (vgl zB BSG Urteile vom 22. Oktober 1996 - 13 RJ 35/96 - SozR 3-2200 § 1246 Nr 55 und vom 18. Februar 1998 - B 5 RJ 34/97 R - SozR 3-2200 § 1246 Nr 61, jeweils mwN). Der Anspruch der Klägerin auf die begehrte Rente wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit bzw voller oder teilweiser Erwerbsminderung hängt deshalb primär davon ab, ob und ggf in welchem Umfange ihre Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben in zeitlicher Hinsicht eingeschränkt ist. Qualitative Einschränkungen, denen bei der Auswahl der in Betracht kommenden Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt begegnet werden kann (zB Arbeiten im Sitzen ohne Akkord) führen bei vollschichtiger Einsatzfähigkeit bei Ungelernten in der Regel nicht zur Rentengewährung. Eine Ausnahme besteht nur bei einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung (zum Katalog vgl BSG, Beschluss des Großen Senats vom 19. Dezember 1996 - GS 2/95 - BSGE 80, 24 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8). In diesen Fällen muss dem Versicherten ein zumutbarer Arbeitsplatz benannt werden.
Art und vor allem das Ausmaß der bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen und ihre daraus abzuleitende Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben, speziell mit Blick auf zeitliche Einschränkungen, die Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung, sind als Voraussetzung für die geltend gemachten Rentenarten unter Verletzung von Verfahrensrecht vom LSG nicht derart festgestellt, dass über das Rentenbegehren der Klägerin eine abschließende Entscheidung getroffen werden kann.
Die Klägerin rügt zu Recht, dass das LSG § 103 SGG verletzt hat und nach dem objektiven Stand der Ermittlungen zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung den damals gestellten und mit Schriftsatz vom 9. Januar 2001 vorab erläuterten Beweisantrag,
"ein erneutes neurologisch-psychiatrisches Gutachten einzuholen, um die geistig-seelische Belastbarkeit der Klägerin für leichte vollschichtige Tätigkeit unter Einbeziehung der Diagnosen Fibromyalgie, Schmerzsyndrom, Panikstörung, schwere chronisch-depressive Anpassungsstörung zu quantifizieren",
mit einer nicht hinreichenden Begründung unbeachtet gelassen hat. Vielmehr hätte es sich zu weiteren Ermittlungen gedrängt fühlen müssen. Wenigstens hätte der Sachverständige Dr. B nochmals gehört werden müssen.
Die Klägerin beanstandet nur am Rande, das LSG habe kein "Obergutachten" zu den behaupteten Unstimmigkeiten zwischen den Stellungnahmen sowie dem Privatgutachten von Dipl.-Psych. H und dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Dr. B eingeholt, und es sei der behaupteten Verschlimmerung ihrer gesundheitlichen Verhältnisse nicht nachgegangen. Insoweit ist aber ein Verfahrensfehler, auf dem das Urteil des LSG beruhen könnte, nicht erkennbar, denn das LSG ist auf diese beiden Gesichtspunkte mit einer nachvollziehbaren und schlüssigen Begründung eingegangen. Das LSG bewegte sich innerhalb des ihm nach § 103 Satz 2 und § 128 Abs 1 SGG bei der Beweiserhebung und Beweiserwürdigung zustehenden Spielraums. Denn selbst bei widersprüchlichen Gutachten muss nicht in allen Fällen ein Dritt- oder Obergutachten eingeholt werden, wenn sich das Gericht dem einen wegen größerer Überzeugungskraft anschließen kann. Auch muss das Gericht, gerade bei Verfahren, die sich über Jahre hinziehen, nicht jedem vagen Vortrag nachgehen, die Befunde hätten sich mittlerweile verschlimmert.
Berechtigt ist dagegen die Rüge, das LSG hätte die Leistungsbeurteilung der Klägerin nicht mehr auf das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Dr. B stützen dürfen. Denn dessen Verwertbarkeit oder Dignität ist durch die im Gutachten des Internisten und Rheumatologen Dr. R vom 4. Dezember 2000 erstmals gestellte und nunmehr auch vom LSG in den Mittelpunkt des Krankheitsgeschehens gerückte Diagnose "generalisierte Tendomypathie (Fibromyalgie)" jedenfalls nicht mehr uneingeschränkt gegeben. Dr. R hatte sich ausdrücklich von den Ausführungen des Sozialmediziners Dr. S in der Stellungnahme vom 30. Oktober 2000 distanziert, wonach es sich angesichts der "wachsweichen" Diagnosekriterien der Fibromyalgie nur um eine andere Bezeichnung längst bekannter Leidenszustände handele. Er hatte Dr. S nur insoweit zugestimmt, als mit der neuen Diagnose keine Verschlechterung der früher erhobenen Befunde, die nunmehr unter die neue Krankheitsbezeichnung subsumiert werden, einhergehe, denn "die vegetativen und depressiven Symptome sind der Diagnose Fibromyalgie problemlos zuzuordnen, man findet sie bei diesem Krankheitsbild mehr oder weniger häufig. Ich sehe den Leidensdruck überwiegend durch die Fibromyalgie verursacht, nach der von der Patientin angegebenen Beschwerdesymptomatik hat dieser Zustand bereits zum Zeitpunkt des Rentenantrags 1996 bestanden ... in Befunderhebung und Beurteilung weiche ich nicht von den vorliegenden ärztlichen Äußerungen ab." Dem hat sich das LSG in vollem Unfange angeschlossen.
Dennoch hätte die beantragte neurologisch-psychiatrische Begutachtung, wenigstens in Form einer erneuten Befragung von Dr. B , durchgeführt werden müssen. Die für die Ablehnung vom LSG angeführten Gründe sind nicht hinreichend.
Denn Dr. B hatte im Gutachten vom 2. August 1999 (Seite 39 unten, Seite 40 oben) die Diagnose "Fibromyalgie" ausdrücklich ausgeschlossen und die geklagten Schmerzen auf degenerative Veränderungen der Hals- und Lendenwirbelsäule zurückgeführt. Es trifft zwar in der Regel zu, dass es für die Feststellung des Restleistungsvermögens im Rahmen einer Rentenbegutachtung letztlich nicht darauf ankommt, ob überhaupt, und wenn ja, welche Diagnose gestellt werden kann, wenn nur Art und Ausmaß der Defizite für die folgende Leistungsbeurteilung vom Sachverständigen verlässlich erfasst werden. Ein Gutachten, dessen Schwergewicht auf psychiatrischem und psychologischem Fachgebiet liegt, wird aber in allen Phasen einer ordnungsgemäßen Begutachtung (Auswertung der Akten, Anamnese, Befunderhebung, Beurteilung der Befunde mit Ausschluss von "Verdeutlichungstendenzen", Diagnostik, Ermittlung des Schweregrades und schließlich die Beurteilung des Restleistungsvermögens mit Blick auf die rentenrechtliche Fragestellung) durch die spätere Kenntnis einer fachspezifischen Hauptdiagnose (hier "Fibromyalgie") in Frage gestellt und muss deshalb - sei es durch den Sachverständigen selbst, sei es durch ein weiteres Gutachten - einer kritischen Prüfung unterzogen werden:
- Bereits die Eigen- und Fremdanamnese, die bei diesen Fachgutachten eine besondere Rolle spielt, könnte in Kenntnis der Diagnose bewusst oder unbewusst anders erhoben worden sein, sei es bei der Fragestellung, sei es bei der Selektion und Verarbeitung der Antworten, sei es bei der schriftlichen Fixierung im Gutachten.
- Art und Weise der Befunderhebung, die Auswahl der Testverfahren und letztlich auch die Interpretation der Testergebnisse könnten bei einer gesicherten Diagnose abweichend erfolgt sein.
- Die Feststellung des Schweregrades einer spezifischen Fachdiagnose (zB Depression) könnte von der Kenntnis einer später diagnostizierten Haupterkrankung beeinflusst sein.
- Die spätere Kenntnis eines Hauptleidens könnte entscheidend für den Ausschluss oder die Annahme von Aggravation oder Simulation sein. Auch die Beurteilung der Zumutbarkeit und Effektivität eigener Willensanstrengungen zur Überwindung der psychischen Hemmnisse könnte anders ausfallen.
- Die Frage nach quantitativen Einschränkungen bei der Leistungsbeurteilung könnte anders beantwortet werden, wenn das Hauptleiden, für das Erfahrungswerte vorliegen, gesichert ist, und dessen retro- und prospektiver Verlauf dann Grundlage der Beurteilung wäre.
(Dazu allgemein "Sozialmedizinische Begutachtung in der gesetzlichen Rentenversicherung", herausgegeben vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, 5. Auflage 1995, Seiten 456, 457, 476, 486 f, 515 - 517, 522 f).
Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass zwischen Dipl.-Psych. H und Dr. B Meinungsverschiedenheiten über die Art und Weise der Befunderhebung und die Aussagekraft der Testverfahren, den objektivierbaren Schweregrad der Fachdiagnosen chronifizierte Depression bzw nur Dysthymie (Anzeichen, leichtgradig, mittelgradig, schwer), die Glaubwürdigkeit der Angaben der Klägerin (speziell zu den Schmerzen von Dr. B in Frage gestellt und Grundlage seiner Leistungsbeurteilung, vgl S 62, 63, 68 des Gutachtens) und schließlich über die zeitliche Belastungsfähigkeit (bzw vorzeitige Ermüdbarkeit) der Klägerin bestanden.
Deshalb war es geboten, wenigstens bei Dr. B nachzufragen, ob er in Kenntnis der neuen Diagnose an seinem Gutachten hinsichtlich aller angesprochenen Punkte festhält oder ggf nach einer erneuten Untersuchung der Klägerin seine bisherige Beurteilung revidiert. Das LSG ist hierzu mangels eigener Sachkompetenz nicht in der Lage. Im Falle der Klägerin ist (nach den bisherigen Darlegungen von Dr. B ) nicht auszuschließen, dass sich eine bereits in der Kindheit und der Ehe mit einem Alkoholiker angelegte Depression und die sonstigen seelischen Störungen mit dem immer deutlicher werdenden Krankheitsbild einer Fibromyalgie, den Wirbelsäulenbeschwerden und einer nunmehr durch Laborbefunde gesicherten chronischen Polyarthritis derart überlagern, dass nach gutachtlichem Ermessen von einer vollschichtigen Leistungsfähigkeit von einem bestimmten Zeitpunkt an nicht mehr ausgegangen werden kann. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Polyarthritis der Hände sich möglicherweise nicht, wie vom Gutachter Dr. R und dem LSG angenommen, "in Vollremission" befinden, sondern mit ständigen Schüben einhergehen könnte. Denn im Bericht des Hausarztes K vom 28. Dezember 2000 ist ausgeführt: "Da am Begutachtungstag die chronische Polyarthritis stabil war, dies (nach dem Kontext diese) jedoch in letzter Zeit häufig zu beobachten war, muss diese Aussage neu bewertet werden, eine Dauerbelastbarkeit ist nicht zumutbar". Das LSG wird schließlich auch der Frage nachzugehen haben, ob der von Dr. R trotz jahrelanger Medikation festgestellte "erhöhte" Blutdruck (RR 190/120) wirklich mit Erfolg "noch intensiver" behandelt werden konnte. Da der Senat die erforderlichen Feststellungen nicht selbst treffen kann, war der Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen.
Die Klägerin wird nach dem im Revisionsverfahren vorgelegten Rentenbescheid ab Juni 2003 vorzeitige Altersrente mit einem monatlichen Zahlbetrag von EUR 590,39 erhalten. Da im Versicherungsverlauf bis 18. Juni 2002 Pflichtbeiträge wegen (ggf höherer) Lohnersatzleistungen ausgewiesen sind, könnten sich (nach einer entsprechenden Klageänderung) die weiteren Ermittlungen auf den dazwischenliegenden Zeitraum beschränken.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Endurteil vorbehalten.
Gründe:
I
Die im Jahre 1943 geborene Klägerin war als ungelernte Arbeiterin bis zum Eintritt der Arbeitsunfähigkeit im März 1995 als Fabrik- und Lagerarbeiterin versicherungspflichtig beschäftigt. Ihren Antrag auf Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit vom 30. April 1996 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 17. Juni 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. September 1997 ab. Grundlage waren ua der Bericht der Psychosomatischen Klinik Schloß W vom 18. März 1996 nach einem Heilverfahren in der Zeit vom 19. Februar 1996 bis 18. März 1996 sowie das Gutachten der Sozialmedizinerin Dr. S vom 18. April 1997 mit Zusatzgutachten des Psychiaters W. L vom 17. April 1997. Trotz der festgestellten Gesundheitsstörungen (Depressive Entwicklung bei protrahierter und pathologischer Trauerreaktion, chronisch-rezidivierendes Wirbelsäulensyndrom, medikamentös eingestellte Hypertonie) hatten die Sachverständigen die Klägerin für fähig erachtet, vollschichtig leichte, ungelernte Arbeiten mit qualitativen Einschränkungen (ohne Nachtschicht, besonderen Zeitdruck, überwiegend einseitige Körperhaltung) zu verrichten.
Das Sozialgericht (SG) hat Berichte der behandelnden Ärzte angefordert. Die Klägerin hat eine Stellungnahme aus psychologischer/psychosomatischer Sicht des Dipl.-Psych. H vom 16. Juli 1998 sowie dessen (Privat-)Gutachten vom 4. Februar 1999 vorgelegt. Danach seien aus der Sicht des Fachgebietes eine schwere, chronifizierte Depression (bei neurotischer Konstellation), eine psychosomatische Reaktionsweise, eine Angststörung noch klärungsbedürftiger Dimension sowie ein Defizit an sozialer Kompetenz festzustellen, was dazu führe, dass aus psychologischer Sicht die vollschichtige Leistungsbreite nicht mehr gegeben sei und selbst bei einer halbschichtigen Tätigkeit qualitative Einschränkungen zu beachten seien. Das SG hat daraufhin Dr. med. B (Arzt für Neurologie und Psychiatrie - Psychotherapie -) zum gerichtlichen Sachverständigen bestellt. Dieser hat nach Auswertung der beigezogenen Unterlagen und eigener Untersuchung der Klägerin das Gutachten vom 2. August 1999 erstattet. Er hat die Klägerin mit Blick auf die von ihm gestellten Diagnosen (Dysthymie; Panikstörung mit leichter Agoraphobie bei asthenischer, ängstlicher Persönlichkeit; wiederkehrende vasomotorische Kopfschmerzen; degeneratives HWS-Syndrom mit anamnestisch wiederkehrenden Zervikobrachialgien - Ausschluss einer alten oder frischen Nervenwurzelreizung oder -kompression im HWS-Bereich; degeneratives LWS-Syndrom mit wiederkehrenden Lumboischialgien - Ausschluss einer alten oder frischen Nervenwurzelreizung oder -kompression im LWS-Bereich) vor allem wegen einer abweichenden diagnostischen Einordnung und Bewertung des depressiven Krankheitsbildes im Gegensatz zu Dipl.-Psych. H mit Einschränkungen (ohne schwere und ständig mittelschwere Arbeiten mit Heben und Tragen von Lasten über 10 kg, dauerndes Stehen und Sitzen, häufiges Bücken, regelmäßige Überkopfarbeit, Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten sowie mit Absturz- und Verletzungsgefahr, Akkord- und Fließbandarbeit, Arbeiten an laufenden verletzungsgefährdenden Maschinen, Kälte-, Nässe- und Zugluftexposition, ständig erhöhte Konzentration und Aufmerksamkeit sowie mit dauerndem Stehen und Sitzen) für vollschichtig einsatzfähig gehalten. Die Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit der Klägerin hat er als alters- und intelligenzentsprechend bezeichnet. Die Klägerin hat zu diesem Gutachten eine kritische Stellungnahme des Dipl.-Psych. H vom 30. August 1999 vorgelegt, zu der sich Dr. B am 3. Januar 2000 geäußert hat. Dipl.-Psych. H hat dazu am 28. Januar 2000 repliziert. Das SG hat sich dem Beurteilungsvorschlag des gerichtlichen Sachverständigen angeschlossen und mit Urteil vom 8. Februar 2000 die Klage abgewiesen.
Im Berufungsverfahren hat die Klägerin vorgetragen, es müsse abgeklärt werden, welches der beiden Gutachten wissenschaftlichen Kriterien entspreche, auch sei bisher nicht dem Vorschlag des Dipl.-Psych. H nachgegangen worden, das Ausmaß der Dunkelangst abzuklären. Weiter hat die Klägerin ein Attest des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. med. W.-D. E (undatiert, Diagnose: schwere chronisch-depressive Anpassungsstörung mit ... (unleserlich), auf lange Sicht sei die Klägerin emotional kaum belastbar und kaum vermittelbar) sowie Berichte des Orthopäden Dr. A vom 22. September 2000 (Diagnose: Fibromyalgie-Syndrom) und des Rheumazentrums B vom 9. Juni 2000 (Diagnosen: Leichter Schub einer Rheumafaktor-positiven rheumatoiden Arthritis (Erstdiagnose 1998), Sekundäre Fibromyalgie bei depressiver Stimmungslage, Arterielle Hypertonie, PHS, HWS-Schmerzsyndrom) vorgelegt. Dazu und allgemein zum Stellenwert testpsychologischer Untersuchungen hat die Beklagte eine Stellungnahme des Chirurgen und Sozialmediziners Dr. S vom 30. Oktober 2000 vorgelegt. Als gerichtlich bestellter Sachverständiger hat der Internist und Rheumatologe Dr. med. R das Gutachten vom 4. Dezember 2000 erstattet. Er hat folgende Diagnosen gestellt: generalisierte Tendomyopathie (Synonym für Fibromyalgie); sereopositive chronische Polyarthritis, unter der kombinierten Therapie mit Quensyl und Predni-H 5 zurzeit in Vollremission; Herberden´sche Arthrose am 4. Strahl rechts; arterielle Hypertonie (RR190/120). Der Sachverständige hat dargelegt, die Klägerin sei in der Lage, leichte Arbeiten vollschichtig auszuüben. Mittelschwere und schwere Arbeiten kämen wegen der zweifellos vorliegenden seropositiven chronischen Polyarthritis mit trotz Behandlung vorliegender Synovitis der MCP-Gelenke der rechten Hand nicht in Frage. Ganz im Vordergrund stehe die sogenannte Fibromyalgie, die heute im Gegensatz zu der von Dr. S vertretenen Meinung gut definiert sei. Die vegetativen und depressiven Symptome seien der Diagnose Fibromyalgie problemlos zuzuordnen. Er sehe den Leidensdruck der Klägerin und das Schmerzsyndrom überwiegend durch die Fibromyalgie verursacht. Nach der von der Klägerin angegebenen Beschwerdesymptomatik habe dieser Zustand bereits zur Zeit des Rentenantrags im Jahre 1996 bestanden. Die im Jahre 1998 diagnostizierte Polyarthritis zeige einen blanden Verlauf und befinde sich unter der jetzt eingeschlagenen Therapie in Vollremission. Der erhöhte Blutdruck sollte intensiver behandelt werden. Er weiche in Befunderhebung und Beurteilung nicht von den vorliegenden ärztlichen Äußerungen ab.
Mit Schriftsatz vom 9. Januar 2001 hat die Klägerin eine Stellungnahme des Allgemeinarztes K vom 28. Dezember 2000 vorgelegt und vorgetragen, dass die vier von Dr. R gestellten Diagnosen nur das internistische Fachgebiet beträfen, die übrigen bereits von den Vorgutachtern aufgeführten Gesundheitsstörungen mit den entsprechenden Einschränkungen seien nicht berücksichtigt worden. Die Diagnostik und Beurteilung auf psychiatrischem bzw psychologischem Fachgebiet sei nach wie vor offen und konträr. Art und Ausmaß der psychischen Störungen in Folge der Fibromyalgie seien nicht abgeklärt worden. Die Gutachten des Psychologen H und des Neurologen Dr. B hätten die neue Diagnose nicht berücksichtigen können. Die Klägerin hat deshalb im Termin zur mündlichen Verhandlung am 17. Januar 2001 unter anderem beantragt, ein erneutes neurologisch-psychiatrisches Gutachten einzuholen, um die geistig-seelische Belastbarkeit der Klägerin für leichte vollschichtige Tätigkeiten unter Einbeziehung der Diagnosen Fibromyalgie, Schmerzsyndrom, Panikstörung, schwere chronisch-depressive Anpassungsstörung zu quantifizieren. Zur Unterstützung dieses Antrags hat die Klägerin ein Attest des Neurologen und Psychiaters Dr. Wolf-D. E vom 11. Januar 2001 vorgelegt.
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin mit Urteil vom 17. Januar 2001 zurückgewiesen: Im Vordergrund des Beschwerdebildes stehe die Fibromyalgie. PCP und die HWS-Beschwerden stünden einer leichten vollschichtigen Tätigkeit mit den genannten weiteren Einschränkungen nicht entgegen. Der Senat schließe sich den Gutachten von Dr. B und Dr. R an. Die neurologisch-psychiatrischen Einschränkungen seien, wie von Dr. B festgestellt, nicht gravierend. Das Gutachten des Dipl.-Psych. H sei nicht überzeugend. Die zuletzt vorgelegten Atteste überzeugten nicht, weil auch hierin eindeutige psychopathologische oder organische Befunde, die eine Erwerbsunfähigkeit begründen könnten, nicht beschrieben seien. Für eine weitere Sachverhaltsaufklärung bestehe kein Anlass: Dunkelangst und Panikstörungen könnten nicht so ausgeprägt sein, weil die Klägerin zT bei Dunkelheit die Wege zu den Begutachtungen habe zurücklegen können. Für das beantragte neurologisch-psychiatrische Gutachten bestehe kein Anlass, da ein solches bereits von Dr. B vorliege. Auch wenn damals die Diagnose einer Fibromyalgie nicht gestellt worden sei, rechtfertige dies nicht die Einholung eines weiteren Gutachtens, denn die aus dieser Diagnose resultierenden Leistungseinschränkungen seien von Dr. R umfassend gewürdigt worden.
Die (vom Senat zugelassene) Revision stützt die Klägerin auf eine Verletzung des § 44 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) und des § 103 Sozialgerichtsgesetz (SGG) iVm den §§ 62, 128 SGG. Das LSG hätte sich gedrängt fühlen müssen, dem Beweisantrag stattzugeben, die für die Ablehnung gegebene Begründung sei nicht hinreichend. Das LSG stelle nunmehr im Anschluss an Dr. R die Fibromyalgie in den Vordergrund der Gesundheitsstörungen der Klägerin. Als Internist und Rheumatologe könne Dr. R aber die damit einhergehenden Begleiterkrankungen und Leistungseinschränkungen auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet nicht verlässlich beurteilen. Vor allem sei das neurologisch-psychiatrische Gutachten von Dr. B vom 2. August 1999 für das LSG erkennbar von einer unzutreffenden Tatsachengrundlage ausgegangen - der Unkenntnis der Diagnose Fibromyalgie -, deren Vorliegen Dr. B noch ausdrücklich verneint habe. Deshalb habe dem Gutachter das gesamte Verhalten und Erleben der Patientin in der Begutachtungssituation in einem unzutreffenden Licht erscheinen müssen. Die ärztlichen Stellungnahmen, auf die sich das LSG im Übrigen berufe (Dr. A , Dr. Dr. B ), stammten aus dem Jahre 1997 und seien zu alt, um hierauf zuverlässig eine Entscheidung stützen zu können. Es fehle somit an einer brauchbaren Gesamtbeurteilung, welche die mit der Diagnose "Fibromyalgie" möglicherweise einhergehenden schmerz- sowie geistig-seelischen Einschränkungen berücksichtige. Durch die beantragte Begutachtung wäre erwiesen worden, dass die Klägerin nicht mehr in der Lage sei, vollschichtig auch leichte Arbeiten zu verrichten.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 17. Januar 2001 und das Urteil des SG Karlsruhe vom 8. Februar 2000 sowie den Bescheid der Beklagten vom 17. Juni 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. September 1997 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu leisten, hilfsweise, das Urteil des LSG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte stellt keinen Antrag.
II
Die Revision der Klägerin ist zulässig und im Sinne der Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG begründet. Das Urteil des LSG beruht auf einem Verfahrensmangel; das Berufungsgericht hätte sich von seinem sachlich-rechtlichen Standpunkt aus zu weiteren Ermittlungen in medizinischer Sicht gedrängt fühlen müssen.
Der geltend gemachte Rentenanspruch der Klägerin richtet sich nach den §§ 43, 44 SGB VI in der bis 31. Dezember 2000 geltenden Fassung, da er auch Zeiten vor diesem Zeitpunkt erfasst. Die ab 1. Januar 2001 geltende Neuregelung durch das Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20. Dezember 2000 (BGBl I, 1827) ist nur für den Fall heranzuziehen, dass ein Rentenanspruch am 31. Dezember 2000 nicht bestand, aber für die nachfolgende Zeit in Betracht kommt (vgl § 300 Abs 1 iVm Abs 2 SGB VI).
Nach § 43 Abs 2 SGB VI aF sind berufsunfähig Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Nicht berufsunfähig ist, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen. Nach § 240 SGB VI nF haben Versicherte, die wie die Klägerin vor dem 2. Januar 1961 geboren sind, bei Vorliegen von Berufsunfähigkeit einen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. Die Definition der Berufsunfähigkeit weicht vom früheren Recht nur insoweit ab, als nach § 240 Abs 2 Satz 4 SGB VI nF berufsunfähig nicht ist, wer - ungeachtet der jeweiligen Arbeitsmarktlage - eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann. Erwerbsunfähigkeit setzt nach § 44 Abs 2 SGB VI aF ebenso wie die volle Minderung der Erwerbsfähigkeit iS des neuen Rechts (§ 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI nF) eine gegenüber der Berufsunfähigkeit noch weiter herabgesetzte Erwerbsfähigkeit voraus.
Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Rentengewährung sind unstreitig erfüllt.
Ausgangspunkt bei der Prüfung der genannten Tatbestandsvoraussetzungen, insbesondere der Zumutbarkeit der Verweisungstätigkeit, ist der bisherige Beruf des Versicherten. Die Klägerin war nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des LSG während ihres gesamten Erwerbslebens als ungelernte Fabrikarbeiterin beschäftigt. Sie genießt deshalb keinen sogenannten "Berufsschutz" (vgl zB BSG Urteile vom 22. Oktober 1996 - 13 RJ 35/96 - SozR 3-2200 § 1246 Nr 55 und vom 18. Februar 1998 - B 5 RJ 34/97 R - SozR 3-2200 § 1246 Nr 61, jeweils mwN). Der Anspruch der Klägerin auf die begehrte Rente wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit bzw voller oder teilweiser Erwerbsminderung hängt deshalb primär davon ab, ob und ggf in welchem Umfange ihre Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben in zeitlicher Hinsicht eingeschränkt ist. Qualitative Einschränkungen, denen bei der Auswahl der in Betracht kommenden Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt begegnet werden kann (zB Arbeiten im Sitzen ohne Akkord) führen bei vollschichtiger Einsatzfähigkeit bei Ungelernten in der Regel nicht zur Rentengewährung. Eine Ausnahme besteht nur bei einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung (zum Katalog vgl BSG, Beschluss des Großen Senats vom 19. Dezember 1996 - GS 2/95 - BSGE 80, 24 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8). In diesen Fällen muss dem Versicherten ein zumutbarer Arbeitsplatz benannt werden.
Art und vor allem das Ausmaß der bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen und ihre daraus abzuleitende Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben, speziell mit Blick auf zeitliche Einschränkungen, die Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung, sind als Voraussetzung für die geltend gemachten Rentenarten unter Verletzung von Verfahrensrecht vom LSG nicht derart festgestellt, dass über das Rentenbegehren der Klägerin eine abschließende Entscheidung getroffen werden kann.
Die Klägerin rügt zu Recht, dass das LSG § 103 SGG verletzt hat und nach dem objektiven Stand der Ermittlungen zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung den damals gestellten und mit Schriftsatz vom 9. Januar 2001 vorab erläuterten Beweisantrag,
"ein erneutes neurologisch-psychiatrisches Gutachten einzuholen, um die geistig-seelische Belastbarkeit der Klägerin für leichte vollschichtige Tätigkeit unter Einbeziehung der Diagnosen Fibromyalgie, Schmerzsyndrom, Panikstörung, schwere chronisch-depressive Anpassungsstörung zu quantifizieren",
mit einer nicht hinreichenden Begründung unbeachtet gelassen hat. Vielmehr hätte es sich zu weiteren Ermittlungen gedrängt fühlen müssen. Wenigstens hätte der Sachverständige Dr. B nochmals gehört werden müssen.
Die Klägerin beanstandet nur am Rande, das LSG habe kein "Obergutachten" zu den behaupteten Unstimmigkeiten zwischen den Stellungnahmen sowie dem Privatgutachten von Dipl.-Psych. H und dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Dr. B eingeholt, und es sei der behaupteten Verschlimmerung ihrer gesundheitlichen Verhältnisse nicht nachgegangen. Insoweit ist aber ein Verfahrensfehler, auf dem das Urteil des LSG beruhen könnte, nicht erkennbar, denn das LSG ist auf diese beiden Gesichtspunkte mit einer nachvollziehbaren und schlüssigen Begründung eingegangen. Das LSG bewegte sich innerhalb des ihm nach § 103 Satz 2 und § 128 Abs 1 SGG bei der Beweiserhebung und Beweiserwürdigung zustehenden Spielraums. Denn selbst bei widersprüchlichen Gutachten muss nicht in allen Fällen ein Dritt- oder Obergutachten eingeholt werden, wenn sich das Gericht dem einen wegen größerer Überzeugungskraft anschließen kann. Auch muss das Gericht, gerade bei Verfahren, die sich über Jahre hinziehen, nicht jedem vagen Vortrag nachgehen, die Befunde hätten sich mittlerweile verschlimmert.
Berechtigt ist dagegen die Rüge, das LSG hätte die Leistungsbeurteilung der Klägerin nicht mehr auf das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Dr. B stützen dürfen. Denn dessen Verwertbarkeit oder Dignität ist durch die im Gutachten des Internisten und Rheumatologen Dr. R vom 4. Dezember 2000 erstmals gestellte und nunmehr auch vom LSG in den Mittelpunkt des Krankheitsgeschehens gerückte Diagnose "generalisierte Tendomypathie (Fibromyalgie)" jedenfalls nicht mehr uneingeschränkt gegeben. Dr. R hatte sich ausdrücklich von den Ausführungen des Sozialmediziners Dr. S in der Stellungnahme vom 30. Oktober 2000 distanziert, wonach es sich angesichts der "wachsweichen" Diagnosekriterien der Fibromyalgie nur um eine andere Bezeichnung längst bekannter Leidenszustände handele. Er hatte Dr. S nur insoweit zugestimmt, als mit der neuen Diagnose keine Verschlechterung der früher erhobenen Befunde, die nunmehr unter die neue Krankheitsbezeichnung subsumiert werden, einhergehe, denn "die vegetativen und depressiven Symptome sind der Diagnose Fibromyalgie problemlos zuzuordnen, man findet sie bei diesem Krankheitsbild mehr oder weniger häufig. Ich sehe den Leidensdruck überwiegend durch die Fibromyalgie verursacht, nach der von der Patientin angegebenen Beschwerdesymptomatik hat dieser Zustand bereits zum Zeitpunkt des Rentenantrags 1996 bestanden ... in Befunderhebung und Beurteilung weiche ich nicht von den vorliegenden ärztlichen Äußerungen ab." Dem hat sich das LSG in vollem Unfange angeschlossen.
Dennoch hätte die beantragte neurologisch-psychiatrische Begutachtung, wenigstens in Form einer erneuten Befragung von Dr. B , durchgeführt werden müssen. Die für die Ablehnung vom LSG angeführten Gründe sind nicht hinreichend.
Denn Dr. B hatte im Gutachten vom 2. August 1999 (Seite 39 unten, Seite 40 oben) die Diagnose "Fibromyalgie" ausdrücklich ausgeschlossen und die geklagten Schmerzen auf degenerative Veränderungen der Hals- und Lendenwirbelsäule zurückgeführt. Es trifft zwar in der Regel zu, dass es für die Feststellung des Restleistungsvermögens im Rahmen einer Rentenbegutachtung letztlich nicht darauf ankommt, ob überhaupt, und wenn ja, welche Diagnose gestellt werden kann, wenn nur Art und Ausmaß der Defizite für die folgende Leistungsbeurteilung vom Sachverständigen verlässlich erfasst werden. Ein Gutachten, dessen Schwergewicht auf psychiatrischem und psychologischem Fachgebiet liegt, wird aber in allen Phasen einer ordnungsgemäßen Begutachtung (Auswertung der Akten, Anamnese, Befunderhebung, Beurteilung der Befunde mit Ausschluss von "Verdeutlichungstendenzen", Diagnostik, Ermittlung des Schweregrades und schließlich die Beurteilung des Restleistungsvermögens mit Blick auf die rentenrechtliche Fragestellung) durch die spätere Kenntnis einer fachspezifischen Hauptdiagnose (hier "Fibromyalgie") in Frage gestellt und muss deshalb - sei es durch den Sachverständigen selbst, sei es durch ein weiteres Gutachten - einer kritischen Prüfung unterzogen werden:
- Bereits die Eigen- und Fremdanamnese, die bei diesen Fachgutachten eine besondere Rolle spielt, könnte in Kenntnis der Diagnose bewusst oder unbewusst anders erhoben worden sein, sei es bei der Fragestellung, sei es bei der Selektion und Verarbeitung der Antworten, sei es bei der schriftlichen Fixierung im Gutachten.
- Art und Weise der Befunderhebung, die Auswahl der Testverfahren und letztlich auch die Interpretation der Testergebnisse könnten bei einer gesicherten Diagnose abweichend erfolgt sein.
- Die Feststellung des Schweregrades einer spezifischen Fachdiagnose (zB Depression) könnte von der Kenntnis einer später diagnostizierten Haupterkrankung beeinflusst sein.
- Die spätere Kenntnis eines Hauptleidens könnte entscheidend für den Ausschluss oder die Annahme von Aggravation oder Simulation sein. Auch die Beurteilung der Zumutbarkeit und Effektivität eigener Willensanstrengungen zur Überwindung der psychischen Hemmnisse könnte anders ausfallen.
- Die Frage nach quantitativen Einschränkungen bei der Leistungsbeurteilung könnte anders beantwortet werden, wenn das Hauptleiden, für das Erfahrungswerte vorliegen, gesichert ist, und dessen retro- und prospektiver Verlauf dann Grundlage der Beurteilung wäre.
(Dazu allgemein "Sozialmedizinische Begutachtung in der gesetzlichen Rentenversicherung", herausgegeben vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, 5. Auflage 1995, Seiten 456, 457, 476, 486 f, 515 - 517, 522 f).
Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass zwischen Dipl.-Psych. H und Dr. B Meinungsverschiedenheiten über die Art und Weise der Befunderhebung und die Aussagekraft der Testverfahren, den objektivierbaren Schweregrad der Fachdiagnosen chronifizierte Depression bzw nur Dysthymie (Anzeichen, leichtgradig, mittelgradig, schwer), die Glaubwürdigkeit der Angaben der Klägerin (speziell zu den Schmerzen von Dr. B in Frage gestellt und Grundlage seiner Leistungsbeurteilung, vgl S 62, 63, 68 des Gutachtens) und schließlich über die zeitliche Belastungsfähigkeit (bzw vorzeitige Ermüdbarkeit) der Klägerin bestanden.
Deshalb war es geboten, wenigstens bei Dr. B nachzufragen, ob er in Kenntnis der neuen Diagnose an seinem Gutachten hinsichtlich aller angesprochenen Punkte festhält oder ggf nach einer erneuten Untersuchung der Klägerin seine bisherige Beurteilung revidiert. Das LSG ist hierzu mangels eigener Sachkompetenz nicht in der Lage. Im Falle der Klägerin ist (nach den bisherigen Darlegungen von Dr. B ) nicht auszuschließen, dass sich eine bereits in der Kindheit und der Ehe mit einem Alkoholiker angelegte Depression und die sonstigen seelischen Störungen mit dem immer deutlicher werdenden Krankheitsbild einer Fibromyalgie, den Wirbelsäulenbeschwerden und einer nunmehr durch Laborbefunde gesicherten chronischen Polyarthritis derart überlagern, dass nach gutachtlichem Ermessen von einer vollschichtigen Leistungsfähigkeit von einem bestimmten Zeitpunkt an nicht mehr ausgegangen werden kann. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Polyarthritis der Hände sich möglicherweise nicht, wie vom Gutachter Dr. R und dem LSG angenommen, "in Vollremission" befinden, sondern mit ständigen Schüben einhergehen könnte. Denn im Bericht des Hausarztes K vom 28. Dezember 2000 ist ausgeführt: "Da am Begutachtungstag die chronische Polyarthritis stabil war, dies (nach dem Kontext diese) jedoch in letzter Zeit häufig zu beobachten war, muss diese Aussage neu bewertet werden, eine Dauerbelastbarkeit ist nicht zumutbar". Das LSG wird schließlich auch der Frage nachzugehen haben, ob der von Dr. R trotz jahrelanger Medikation festgestellte "erhöhte" Blutdruck (RR 190/120) wirklich mit Erfolg "noch intensiver" behandelt werden konnte. Da der Senat die erforderlichen Feststellungen nicht selbst treffen kann, war der Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen.
Die Klägerin wird nach dem im Revisionsverfahren vorgelegten Rentenbescheid ab Juni 2003 vorzeitige Altersrente mit einem monatlichen Zahlbetrag von EUR 590,39 erhalten. Da im Versicherungsverlauf bis 18. Juni 2002 Pflichtbeiträge wegen (ggf höherer) Lohnersatzleistungen ausgewiesen sind, könnten sich (nach einer entsprechenden Klageänderung) die weiteren Ermittlungen auf den dazwischenliegenden Zeitraum beschränken.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Endurteil vorbehalten.
Rechtskraft
Aus
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NRW
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