Land
Bundesrepublik Deutschland
Sozialgericht
Bundessozialgericht
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 7 AL 76/00 R
Datum
Kategorie
Beschluss
Das Verfahren wird ausgesetzt. Dem Europäischen Gerichtshof werden gemäß Art 234 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (idF des Amsterdamer Vertrages vom 2. Oktober 1997, BGBl II, 387) folgende Fragen zur Entscheidung vorgelegt: 1. Ist Art 41 Abs 1 des Zusatzprotokolls zu dem Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom 23. November 1970 so auszulegen, daß a) ein türkischer Arbeitnehmer berechtigt ist, sich auf eine protokollwidrige Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs zu berufen, und - falls ja - b) auch dann eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs vorliegt, wenn ein Mitgliedstaat der Gemeinschaft eine bisherige Arbeitserlaubnisfreiheit türkischer Fahrer im grenzüberschreitenden Güterverkehr, die bei einem (türkischen) Arbeitgeber mit Sitz in der Türkei beschäftigt sind, abschafft? 2. Betrifft eine solche Beschränkung ausschließlich den freien Dienstleistungsverkehr oder auch bzw allein den Zugang zum Arbeitsmarkt iS des Art 13 des Beschlusses Nr 1/80 des Assoziationsrates über die Entwicklung der Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom 19. September 1980? 3. Ist Art 13 des Beschlusses Nr 1/80 des Assoziationsrates über die Entwicklung der Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom 19. September 1980 auch auf türkische Arbeitnehmer eines Arbeitgebers mit Sitz in der Türkei anzuwenden, die als Fernfahrer im grenzüberschreitenden Güterverkehr regelmäßig einen Mitgliedstaat der Gemeinschaft durchfahren, ohne dem (regulären) Arbeitsmarkt dieses Mitgliedstaates anzugehören?
Gründe:
I
Der Kläger begehrt die Feststellung, daß er berechtigt ist, in der Türkei wohnhafte türkische Arbeitnehmer ohne Arbeitsgenehmigung im grenzüberschreitenden Verkehr auf LKW einzusetzen, die in Deutschland zugelassen sind.
Der Kläger, seit 1991 deutscher Staatsangehöriger, betreibt in G. ein Transportunternehmen. Er ist nach den Ausführungen des Landessozialgerichts (LSG) gleichzeitig Inhaber eines Tochterunternehmens, der A. A.S. (im folgenden: A. A.S.) mit Sitz in I ... Das G. Transportunternehmen ist Eigentümer mehrerer LKW, die es im internationalen Fernverkehr Deutschland/ Türkei/ Iran/ Irak einsetzt. Sämtliche LKW sind in Deutschland zugelassen. Zwischen dem Kläger und dem Tochterunternehmen besteht nach den Feststellungen des Berufungsurteils ein "Agenturvertrag", wonach die A. A.S. die LKW des Klägers im grenzüberschreitenden Güterverkehr nutzt.
Der Kläger setzte 17 im Berufungsurteil namentlich benannte Arbeitnehmer bereits vor dem 1. September 1993 als Fahrer auf den in Deutschland zugelassenen LKW ein. Diese Arbeitnehmer sind türkische Staatsangehörige, leben in der Türkei und hatten ihre Arbeitsverträge vor jenem Datum mit der A. A.S. abgeschlossen. Jeweils für die Beschäftigung in Deutschland erhalten sie ein deutsches Visum vom zuständigen Generalkonsulat.
Die Fahrer bedurften zunächst nach Meinung der Beklagten keiner Arbeitserlaubnis. Ab Mitte 1995 vertrat die Beklagte die Auffassung, der Einsatz von ausländischen Kraftfahrern auf in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen sei auch dann nicht mehr arbeitserlaubnisfrei, wenn die Fahrer von ausländischen Unternehmen eingestellt sind.
Mit der am 29. Mai 1996 beim Sozialgericht Ulm (SG) erhobenen Klage hat der Kläger die Feststellung begehrt, daß die genannten Arbeitnehmer für ihre Tätigkeit keiner Arbeitserlaubnis bedürften. Er hat ferner den Erlaß der einstweiligen Anordnung des SG vom 9. Dezember 1996 erwirkt, mit der die Beklagte verpflichtet wurde, den Arbeitnehmern vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren Arbeitserlaubnisse zu erteilen.
Mit Urteil vom 10. Februar 1998 hat das SG festgestellt, daß die Beschäftigungsverhältnisse der genannten 17 Arbeitnehmer arbeitserlaubnisfrei sind.
Mit Urteil vom 27. Juli 2000 hat das LSG die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Entscheidungserheblich sei die Rechtslage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem LSG. Zwar führe der dem früheren § 9 Nr 2 der Arbeitserlaubnisverordnung (AEVO) entsprechende § 9 Nr 3 Arbeitsgenehmigungsverordnung (ArGV) nicht zur Arbeitserlaubnisfreiheit der betroffenen Arbeitnehmer. Abweichend hiervon sei jedoch die am 1. Januar 1973 geltende Rechtslage weiterhin maßgeblich. Dies folge aus Art 41 Abs 1 des am 1. Januar 1973 in Kraft getretenen Zusatzprotokolls zu dem Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom 23. November 1970 (ZProt). Diese Bestimmung verbiete es, neue Beschränkungen des Dienstleistungsverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten und der Türkei einzuführen und entfalte nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) (Hinweis auf Urteil vom 11. Mai 2000 - C-37/98 - Savas) unmittelbare Wirkung in den Mitgliedstaaten. Am 1. Januar 1973 aber sei für Arbeitnehmer wie die im vorliegenden Verfahren betroffenen Fahrer keine Arbeitserlaubnis erforderlich gewesen (Hinweis auf BSG SozR 3-4210 § 9 Nr 1 zu der bis zum 31. August 1993 bestehenden Rechtslage).
Mit ihrer - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 9 Nr 2 AEVO. Die vom LSG gezogenen Folgerungen ließen sich weder aus Vorschriften des Assoziationsrechts EWG/Türkei noch aus der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) (Senatsurteil vom 10. März 1994) herleiten.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27. Juli 2000 sowie das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 10. Februar 1998 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sowohl Art 41 Abs 1 ZProt zum Assoziationsabkommen EWG/Türkei als auch Art 13 des Beschlusses Nr 1/80 des Assoziationsrates über die Entwicklung der Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom 19. September 1980 (ARB 1/80) enthielten eine Stillhalteklausel, aus der abzuleiten sei, daß hinsichtlich der Arbeitserlaubnisfreiheit türkischer Fernfahrer keine Verschlechterung eintreten dürfe.
II
Eine Entscheidung in der Sache ist dem Senat nicht möglich, bevor der EuGH vorab über die aus dem Entscheidungssatz ersichtlichen Fragen entschieden hat. Der Senat nimmt insoweit Bezug auf den Vorlagebeschluß des 11. Senats des BSG vom 20. Juni 2001 - B 11 AL 89/00 R -, dem (aufgrund einer Klage von türkischen Arbeitnehmern) ein ähnlicher Sachverhalt zugrunde liegt. Er erläutert im folgenden vor allem solche Gesichtspunkte, die sich dem erkennenden Senat aufgrund der abweichenden Fallkonstellation im vorliegenden Verfahren neu oder in anderer Weise als dem 11. Senat stellen.
Die vom LSG begehrte Arbeitserlaubnisfreiheit der Fahrer kann unterschiedlich zu beurteilen sein, je nach dem, wer ihr Arbeitgeber ist - der Kläger oder die A. A.S. Die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen, die den Schluß zuließen, wer Arbeitgeber der Fahrer ist, fehlen bisher. Sie nachzuholen, ist dem BSG als Revisionsgericht verwehrt; insoweit käme allein eine Zurückverweisung der Sache an das LSG in Betracht. Dort könnte im übrigen gleichermaßen (zB durch Klägerwechsel, gewillkürte Prozeßstandschaft) eine Beteiligung der A. A.S. oder der türkischen Fahrer am vorliegenden Verfahren nachgeholt werden.
Unter Umständen könnte sich jedoch eine Zurückverweisung erübrigen, wenn sich aus europarechtlichen Bindungen ein Anspruch der Fahrer ergäbe, hinsichtlich ihrer Arbeitserlaubnis- oder Arbeitsgenehmigungsfreiheit gegenüber dem Rechtszustand 1970 bzw 1973 nicht eingeschränkt zu werden (vgl Vorlagebeschluß des 11. Senats des BSG vom 20. Juni 2001 - B 11 AL 89/00 R).
Einschlägig ist insoweit entweder Art 41 ZProt, sofern diese Vorschrift auch Arbeitnehmer in der Position der im vorliegenden Fall betroffenen türkischen Fahrer in ihrem arbeitserlaubnis- oder arbeitsgenehmigungsrechtlichen Status schützt (Frage 1a) oder Art 13 ARB 1/80 oder beide Vorschriften nebeneinander (Frage 2); bei beiden Bestimmungen stellt sich wiederum die Frage, ob sie auch Regelungen für die konkret vorliegende Fallgestaltung treffen (Fragen 1b und 3).
Art 41 Abs 1 ZProt lautet:
"Die Vertragsparteien werden untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einführen."
Art 13 ARB Nr 1/80 hat folgenden Wortlaut:
"Die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die Türkei dürfen für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen."
(zu Frage 1 a und b)
Diese Fragen dienen zur Klärung, ob Art 41 ZProt auch zugunsten der türkischen Fahrer gilt. Insoweit ist erheblich, ob sich auch Arbeitnehmer auf diese Bestimmung berufen können (Frage 1a) und, wenn ja, ob Maßnahmen der hier vorliegenden Art und Weise überhaupt als "Beschränkungen" iS des Art 41 ZProt zu werten sind (Frage 1b).
Sollte Frage 1a grundsätzlich zu bejahen sein, könnte es im vorliegenden Fall auch darauf ankommen, ob dies voraussetzt, daß es sich um Arbeitnehmer allein eines türkischen Arbeitgebers handelt oder ob an dem Arbeitsverhältnis - in welcher Form auch immer - ein weiterer (deutscher) Arbeitgeber beteiligt sein kann. Insoweit sei auf die Beweisschwierigkeiten hingewiesen, die sich bei einem Abstellen auf ein "Schwergewicht" des Arbeitsverhältnisses insbesondere dann ergeben könnten, wenn das deutsche und das türkische Unternehmen - wie möglicherweise hier - eng miteinander verflochten sind.
Eine Maßnahme kann von vornherein nicht als neue Beschränkung iS der Frage 1b verstanden werden, wenn hierdurch - als Unternehmer - nur ein in Deutschland ansässiger Deutscher nachteilig betroffen ist. Der Kläger ist - seit 1991 - als deutscher Staatsbürger kein türkischer Unternehmer. Selbst wenn man über Frage 1b hinaus auf die Rechtsposition des Klägers als Arbeitgeber abstellen würde, bestünde keine wie auch immer geartete Nachwirkung von möglicherweise früher auf den Kläger anwendbaren Vorschriften des Assoziationsrechts. Im vorliegenden Verfahren ist nicht über Sachverhalte rückwirkend für Zeiträume vor Einbürgerung des Klägers zu entscheiden, sondern über seine Berechtigung, künftig (jedenfalls nicht vor 1996) bestimmte türkische Fahrer ohne Arbeitsgenehmigung (-erlaubnis) einzusetzen. Darüber hinaus ist anerkannt, daß ein freiwilliger Wechsel der Staatsangehörigkeit neben Vorteilen auch Rechtsverluste mit sich bringen kann (vgl die Urteile des EuGH vom 20. Februar 1975, 21 und 37/74, EuGHE 1975, 221, 228 f und 235, 244 f - Airola und Van den Broeck). Im übrigen ist bereits zweifelhaft, ob einem aufgrund der auch assoziationsrechtlich geschützten Niederlassungsfreiheit in Deutschland ansässigen türkischen Unternehmer eine bessere Rechtsposition zustehen kann als einem deutschen Unternehmer oder einem Unternehmer aus einem anderen EU-Mitgliedstaat. Denn das Assoziationsrecht strebt die schrittweise Annäherung der Türkei an die Gemeinschaft an mit dem Ziel ihres späteren Beitritts (vgl EuGH vom 11. Mai 2000 - C-37/98, RdNr 51 ff - Savas); dann aber ist eine derartige Besserstellung der Angehörigen eines assoziierten Staats gegenüber den Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats dem Assoziationsrecht wesensfremd.
(zu Frage 2)
Mit dieser Frage soll das Verhältnis zwischen Art 41 ZProt einerseits und Art 13 ARB 1/80 andererseits geklärt werden. Bei Fallkonstellationen der hier vorliegenden Art könnten einschränkende Maßnahmen im Arbeitserlaubnis- oder Arbeitsgenehmigungsrecht sowohl als (neue) Beschränkung des zugunsten türkischer Unternehmer gewährleisteten Standes des freien Dienstleistungsverkehrs gewertet werden als auch als (neue) Beschränkung des zugunsten türkischer Arbeitnehmer gewährleisteten Standes des Zugangs zum Arbeitsmarkt. Wäre eine der genannten Vorschriften - ggfs nur in bestimmten Fallkonstellationen - gegenüber der anderen vorrangig, verstieße eine unzulässige neue Beschränkung nur gegen die vorrangige Bestimmung.
(zu Frage 3)
Die Beantwortung dieser Frage soll Aufschluß darüber geben, ob Maßnahmen der hier vorliegenden Art und Weise überhaupt als "Beschränkungen" iS des Art 13 ARB 1/80 zu werten sind: Es könnte zweifelhaft sein, ob eine Beschränkung des "Zugangs zum Arbeitsmarkt" vorliegt, wenn für Betätigungen, die nur kurzzeitig (als Fahrer im grenzüberschreitenden Güterverkehr) den deutschen Arbeitsmarkt berühren, die Arbeitserlaubnis- oder Arbeitsgenehmigungspflicht erweitert oder eingeführt wird.
Hiergegen wird eingewandt, daß die Stillhalteklausel des Art 13 ARB 1/80 jedenfalls neue Beschränkungen der Freizügigkeit für solche türkischen Arbeitnehmer verbietet, deren Arbeitsverhältnisse voll in den deutschen Arbeitsmarkt eingegliedert sind; dann aber wäre es widersinnig, solche Arbeitnehmer assoziationsrechtlich besser zu schützen als jene, deren Tätigkeit den deutschen Arbeitsmarkt jedenfalls nur in geringerem Ausmaß berührt (Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 21. November 2000 - L 10 AL 386/98 -).
Gründe:
I
Der Kläger begehrt die Feststellung, daß er berechtigt ist, in der Türkei wohnhafte türkische Arbeitnehmer ohne Arbeitsgenehmigung im grenzüberschreitenden Verkehr auf LKW einzusetzen, die in Deutschland zugelassen sind.
Der Kläger, seit 1991 deutscher Staatsangehöriger, betreibt in G. ein Transportunternehmen. Er ist nach den Ausführungen des Landessozialgerichts (LSG) gleichzeitig Inhaber eines Tochterunternehmens, der A. A.S. (im folgenden: A. A.S.) mit Sitz in I ... Das G. Transportunternehmen ist Eigentümer mehrerer LKW, die es im internationalen Fernverkehr Deutschland/ Türkei/ Iran/ Irak einsetzt. Sämtliche LKW sind in Deutschland zugelassen. Zwischen dem Kläger und dem Tochterunternehmen besteht nach den Feststellungen des Berufungsurteils ein "Agenturvertrag", wonach die A. A.S. die LKW des Klägers im grenzüberschreitenden Güterverkehr nutzt.
Der Kläger setzte 17 im Berufungsurteil namentlich benannte Arbeitnehmer bereits vor dem 1. September 1993 als Fahrer auf den in Deutschland zugelassenen LKW ein. Diese Arbeitnehmer sind türkische Staatsangehörige, leben in der Türkei und hatten ihre Arbeitsverträge vor jenem Datum mit der A. A.S. abgeschlossen. Jeweils für die Beschäftigung in Deutschland erhalten sie ein deutsches Visum vom zuständigen Generalkonsulat.
Die Fahrer bedurften zunächst nach Meinung der Beklagten keiner Arbeitserlaubnis. Ab Mitte 1995 vertrat die Beklagte die Auffassung, der Einsatz von ausländischen Kraftfahrern auf in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen sei auch dann nicht mehr arbeitserlaubnisfrei, wenn die Fahrer von ausländischen Unternehmen eingestellt sind.
Mit der am 29. Mai 1996 beim Sozialgericht Ulm (SG) erhobenen Klage hat der Kläger die Feststellung begehrt, daß die genannten Arbeitnehmer für ihre Tätigkeit keiner Arbeitserlaubnis bedürften. Er hat ferner den Erlaß der einstweiligen Anordnung des SG vom 9. Dezember 1996 erwirkt, mit der die Beklagte verpflichtet wurde, den Arbeitnehmern vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren Arbeitserlaubnisse zu erteilen.
Mit Urteil vom 10. Februar 1998 hat das SG festgestellt, daß die Beschäftigungsverhältnisse der genannten 17 Arbeitnehmer arbeitserlaubnisfrei sind.
Mit Urteil vom 27. Juli 2000 hat das LSG die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Entscheidungserheblich sei die Rechtslage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem LSG. Zwar führe der dem früheren § 9 Nr 2 der Arbeitserlaubnisverordnung (AEVO) entsprechende § 9 Nr 3 Arbeitsgenehmigungsverordnung (ArGV) nicht zur Arbeitserlaubnisfreiheit der betroffenen Arbeitnehmer. Abweichend hiervon sei jedoch die am 1. Januar 1973 geltende Rechtslage weiterhin maßgeblich. Dies folge aus Art 41 Abs 1 des am 1. Januar 1973 in Kraft getretenen Zusatzprotokolls zu dem Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom 23. November 1970 (ZProt). Diese Bestimmung verbiete es, neue Beschränkungen des Dienstleistungsverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten und der Türkei einzuführen und entfalte nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) (Hinweis auf Urteil vom 11. Mai 2000 - C-37/98 - Savas) unmittelbare Wirkung in den Mitgliedstaaten. Am 1. Januar 1973 aber sei für Arbeitnehmer wie die im vorliegenden Verfahren betroffenen Fahrer keine Arbeitserlaubnis erforderlich gewesen (Hinweis auf BSG SozR 3-4210 § 9 Nr 1 zu der bis zum 31. August 1993 bestehenden Rechtslage).
Mit ihrer - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 9 Nr 2 AEVO. Die vom LSG gezogenen Folgerungen ließen sich weder aus Vorschriften des Assoziationsrechts EWG/Türkei noch aus der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) (Senatsurteil vom 10. März 1994) herleiten.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27. Juli 2000 sowie das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 10. Februar 1998 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sowohl Art 41 Abs 1 ZProt zum Assoziationsabkommen EWG/Türkei als auch Art 13 des Beschlusses Nr 1/80 des Assoziationsrates über die Entwicklung der Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom 19. September 1980 (ARB 1/80) enthielten eine Stillhalteklausel, aus der abzuleiten sei, daß hinsichtlich der Arbeitserlaubnisfreiheit türkischer Fernfahrer keine Verschlechterung eintreten dürfe.
II
Eine Entscheidung in der Sache ist dem Senat nicht möglich, bevor der EuGH vorab über die aus dem Entscheidungssatz ersichtlichen Fragen entschieden hat. Der Senat nimmt insoweit Bezug auf den Vorlagebeschluß des 11. Senats des BSG vom 20. Juni 2001 - B 11 AL 89/00 R -, dem (aufgrund einer Klage von türkischen Arbeitnehmern) ein ähnlicher Sachverhalt zugrunde liegt. Er erläutert im folgenden vor allem solche Gesichtspunkte, die sich dem erkennenden Senat aufgrund der abweichenden Fallkonstellation im vorliegenden Verfahren neu oder in anderer Weise als dem 11. Senat stellen.
Die vom LSG begehrte Arbeitserlaubnisfreiheit der Fahrer kann unterschiedlich zu beurteilen sein, je nach dem, wer ihr Arbeitgeber ist - der Kläger oder die A. A.S. Die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen, die den Schluß zuließen, wer Arbeitgeber der Fahrer ist, fehlen bisher. Sie nachzuholen, ist dem BSG als Revisionsgericht verwehrt; insoweit käme allein eine Zurückverweisung der Sache an das LSG in Betracht. Dort könnte im übrigen gleichermaßen (zB durch Klägerwechsel, gewillkürte Prozeßstandschaft) eine Beteiligung der A. A.S. oder der türkischen Fahrer am vorliegenden Verfahren nachgeholt werden.
Unter Umständen könnte sich jedoch eine Zurückverweisung erübrigen, wenn sich aus europarechtlichen Bindungen ein Anspruch der Fahrer ergäbe, hinsichtlich ihrer Arbeitserlaubnis- oder Arbeitsgenehmigungsfreiheit gegenüber dem Rechtszustand 1970 bzw 1973 nicht eingeschränkt zu werden (vgl Vorlagebeschluß des 11. Senats des BSG vom 20. Juni 2001 - B 11 AL 89/00 R).
Einschlägig ist insoweit entweder Art 41 ZProt, sofern diese Vorschrift auch Arbeitnehmer in der Position der im vorliegenden Fall betroffenen türkischen Fahrer in ihrem arbeitserlaubnis- oder arbeitsgenehmigungsrechtlichen Status schützt (Frage 1a) oder Art 13 ARB 1/80 oder beide Vorschriften nebeneinander (Frage 2); bei beiden Bestimmungen stellt sich wiederum die Frage, ob sie auch Regelungen für die konkret vorliegende Fallgestaltung treffen (Fragen 1b und 3).
Art 41 Abs 1 ZProt lautet:
"Die Vertragsparteien werden untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einführen."
Art 13 ARB Nr 1/80 hat folgenden Wortlaut:
"Die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die Türkei dürfen für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen."
(zu Frage 1 a und b)
Diese Fragen dienen zur Klärung, ob Art 41 ZProt auch zugunsten der türkischen Fahrer gilt. Insoweit ist erheblich, ob sich auch Arbeitnehmer auf diese Bestimmung berufen können (Frage 1a) und, wenn ja, ob Maßnahmen der hier vorliegenden Art und Weise überhaupt als "Beschränkungen" iS des Art 41 ZProt zu werten sind (Frage 1b).
Sollte Frage 1a grundsätzlich zu bejahen sein, könnte es im vorliegenden Fall auch darauf ankommen, ob dies voraussetzt, daß es sich um Arbeitnehmer allein eines türkischen Arbeitgebers handelt oder ob an dem Arbeitsverhältnis - in welcher Form auch immer - ein weiterer (deutscher) Arbeitgeber beteiligt sein kann. Insoweit sei auf die Beweisschwierigkeiten hingewiesen, die sich bei einem Abstellen auf ein "Schwergewicht" des Arbeitsverhältnisses insbesondere dann ergeben könnten, wenn das deutsche und das türkische Unternehmen - wie möglicherweise hier - eng miteinander verflochten sind.
Eine Maßnahme kann von vornherein nicht als neue Beschränkung iS der Frage 1b verstanden werden, wenn hierdurch - als Unternehmer - nur ein in Deutschland ansässiger Deutscher nachteilig betroffen ist. Der Kläger ist - seit 1991 - als deutscher Staatsbürger kein türkischer Unternehmer. Selbst wenn man über Frage 1b hinaus auf die Rechtsposition des Klägers als Arbeitgeber abstellen würde, bestünde keine wie auch immer geartete Nachwirkung von möglicherweise früher auf den Kläger anwendbaren Vorschriften des Assoziationsrechts. Im vorliegenden Verfahren ist nicht über Sachverhalte rückwirkend für Zeiträume vor Einbürgerung des Klägers zu entscheiden, sondern über seine Berechtigung, künftig (jedenfalls nicht vor 1996) bestimmte türkische Fahrer ohne Arbeitsgenehmigung (-erlaubnis) einzusetzen. Darüber hinaus ist anerkannt, daß ein freiwilliger Wechsel der Staatsangehörigkeit neben Vorteilen auch Rechtsverluste mit sich bringen kann (vgl die Urteile des EuGH vom 20. Februar 1975, 21 und 37/74, EuGHE 1975, 221, 228 f und 235, 244 f - Airola und Van den Broeck). Im übrigen ist bereits zweifelhaft, ob einem aufgrund der auch assoziationsrechtlich geschützten Niederlassungsfreiheit in Deutschland ansässigen türkischen Unternehmer eine bessere Rechtsposition zustehen kann als einem deutschen Unternehmer oder einem Unternehmer aus einem anderen EU-Mitgliedstaat. Denn das Assoziationsrecht strebt die schrittweise Annäherung der Türkei an die Gemeinschaft an mit dem Ziel ihres späteren Beitritts (vgl EuGH vom 11. Mai 2000 - C-37/98, RdNr 51 ff - Savas); dann aber ist eine derartige Besserstellung der Angehörigen eines assoziierten Staats gegenüber den Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats dem Assoziationsrecht wesensfremd.
(zu Frage 2)
Mit dieser Frage soll das Verhältnis zwischen Art 41 ZProt einerseits und Art 13 ARB 1/80 andererseits geklärt werden. Bei Fallkonstellationen der hier vorliegenden Art könnten einschränkende Maßnahmen im Arbeitserlaubnis- oder Arbeitsgenehmigungsrecht sowohl als (neue) Beschränkung des zugunsten türkischer Unternehmer gewährleisteten Standes des freien Dienstleistungsverkehrs gewertet werden als auch als (neue) Beschränkung des zugunsten türkischer Arbeitnehmer gewährleisteten Standes des Zugangs zum Arbeitsmarkt. Wäre eine der genannten Vorschriften - ggfs nur in bestimmten Fallkonstellationen - gegenüber der anderen vorrangig, verstieße eine unzulässige neue Beschränkung nur gegen die vorrangige Bestimmung.
(zu Frage 3)
Die Beantwortung dieser Frage soll Aufschluß darüber geben, ob Maßnahmen der hier vorliegenden Art und Weise überhaupt als "Beschränkungen" iS des Art 13 ARB 1/80 zu werten sind: Es könnte zweifelhaft sein, ob eine Beschränkung des "Zugangs zum Arbeitsmarkt" vorliegt, wenn für Betätigungen, die nur kurzzeitig (als Fahrer im grenzüberschreitenden Güterverkehr) den deutschen Arbeitsmarkt berühren, die Arbeitserlaubnis- oder Arbeitsgenehmigungspflicht erweitert oder eingeführt wird.
Hiergegen wird eingewandt, daß die Stillhalteklausel des Art 13 ARB 1/80 jedenfalls neue Beschränkungen der Freizügigkeit für solche türkischen Arbeitnehmer verbietet, deren Arbeitsverhältnisse voll in den deutschen Arbeitsmarkt eingegliedert sind; dann aber wäre es widersinnig, solche Arbeitnehmer assoziationsrechtlich besser zu schützen als jene, deren Tätigkeit den deutschen Arbeitsmarkt jedenfalls nur in geringerem Ausmaß berührt (Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 21. November 2000 - L 10 AL 386/98 -).
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