Land
Bundesrepublik Deutschland
Sozialgericht
Bundessozialgericht
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
9
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9 VG 1/00 R
Datum
Kategorie
Urteil
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 8. Dezember 1999 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Hessische Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin Ansprüche nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) zustehen.
Die Mutter (I. H.) der 1964 geborenen Klägerin kam 1995 durch eine Gewalttat ums Leben. Sie lebte seinerzeit mit dem Stiefvater der Klägerin (K. H.) im Erdgeschoß desselben Hauses, in dessen 2. Stock und Dachgeschoß die Klägerin mit ihren beiden Kindern wohnte. Am 24. Mai 1995 ermordete K. H. I. H. gegen 6.00 Uhr morgens durch Erdrosseln, nachdem er ihr mit einem Pickelstiel mehrere Kopfwunden beigebracht hatte. Etwa zwei Stunden später rief er die Klägerin zum Tatort, an dem er Maßnahmen getroffen hatte, um einen Einbruch vorzutäuschen. Der Klägerin gegenüber äußerte er sich dahin, daß ihre Mutter offenbar Selbstmord verübt habe. Kurz darauf erblickte die Klägerin die Leiche ihrer Mutter, die in blutdurchtränkter Kleidung in einer Blutlache lag. K. H. wurde am 10. Juli 1996 durch das Landgericht Darmstadt zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt.
Am 10. April 1996 beantragte die Klägerin beim Beklagten Entschädigung nach dem OEG. Sie habe infolge des Mordes an ihrer Mutter einen Schockschaden erlitten. Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 12. November 1996 ab. Den Widerspruch der Klägerin wies er mit Widerspruchsbescheid vom 30. Januar 1997 zurück. Schockschäden seien nach den vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA) mit Rundschreiben vom 6. August 1996 - VI 1-52039/3 - festgelegten Maßstäben zu beurteilen. Der Schaden müsse danach in unmittelbarem zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit der Tat eingetreten sein und diese als schwerwiegendes Gewaltdelikt geeignet gewesen sein, einen Schock auszulösen. Zwischen dem Anspruchsteller und dem eigentlichen Opfer müsse eine Sonderbeziehung wie eine Ehe oder ein Eltern-Kind-Verhältnis bestanden haben und der Schock eine nicht nur vorübergehende psychische Störung ausgelöst haben. Bei der Klägerin fehle der örtliche Zusammenhang, die Todesnachricht könne nicht ausreichen.
In dem anschließenden Klageverfahren zog das Sozialgericht Frankfurt am Main (SG) die Akten der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Darmstadt bei und holte Befundberichte über die Klägerin ein. Diese lauteten dahin, daß die Klägerin sich von 1992 bis 1995 in ambulanter - sowie im Jahre 1993 sechs Wochen in stationärer - psychotherapeutischer Behandlung befunden habe. Mit Urteil vom 8. Dezember 1999 verurteilte das SG den Beklagten unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide, "der Klägerin Entschädigungsleistungen in gesetzlichem Umfang nach dem Opferentschädigungsgesetz in Verbindung mit den Folgen des gewaltsamen Todes ihrer Mutter am 24. Mai 1995 zu gewähren" und ließ die Sprungrevision zu. Zur Begründung führte es aus, daß die Klägerin Opfer der von ihrem Stiefvater an ihrer Mutter begangenen Gewalttat geworden sei. Es sei wahrscheinlich, daß sie durch die Ermordung ihrer Mutter psychisch erkrankt sei. Ihre vorbestehende weitgehend abgeklungene psychische Erkrankung habe sich gravierend verschlimmert. Es sei unerheblich, daß der Täter den Angriff nicht gegen die Klägerin selbst gerichtet habe. Nach dem Gesetzeswortlaut reiche auch ein Schaden aus, der infolge eines gegen einen anderen gerichteten tätlichen Angriffs eintrete.
Mit der zugelassenen Sprungrevision rügt der Beklagte eine Verletzung des § 1 OEG und macht ua geltend: Ein Anspruch auf Versorgung entstehe nur, wenn der Angriff bei dem Dritten unmittelbar zu einer Schädigung geführt habe. Mittelbar Geschädigte könnten zwar in den Kreis der Berechtigten einbezogen werden. Dies erfordere aber zumindest eine gewisse Nähe zwischen dem tätlichen Angriff und dem eingetretenen Schaden. Anderenfalls sei die Schädigungskette uferlos.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Sprungrevision des Beklagten zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.
II
Die zulässige Sprungrevision des Beklagten ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) begründet. Der Senat konnte nicht abschließend über den geltend gemachten Anspruch entscheiden, weil das SG nicht alle dafür erforderlichen Tatsachen festgestellt hat.
Gemäß § 1 Abs 1 OEG erhält Versorgung, wer im Geltungsbereich des Gesetzes infolge eines vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Die Schädigung kann auch psychischer Natur sein (vgl BSGE 2, 29, 35 und Rohr/Sträßer, Bundesversorgungsrecht Anm 6 zu § 1 BVG auf S K 44). K. H. hat I. H. getötet und damit einen vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriff verübt. Durch den Anblick des Tatorts und der unmittelbaren Tatfolgen wenige Stunden nach der Tat kann bei der Klägerin eine psychische Schädigung eingetreten sein, deren Folgen noch heute vorhanden sind. Die Klägerin kann als weiteres Opfer (Sekundäropfer, in der Entscheidung BSGE 49, 98, 103 f = SozR 3800 § 1 Nr 1 als "Drittgeschädigter" bezeichnet) des unmittelbar auf I. H. (Primäropfer) gerichteten Angriffs mitgeschädigt worden sein, obwohl sie die Straftat nicht selbst miterlebt, sondern die Schädigung ggf erst nach dem Ende des Angriffs auf das Primäropfer durch die Inaugenscheinnahme des Tatorts und der Tatfolgen erlitten hat.
Die Entschädigungsansprüche der Klägerin nach dem OEG scheitern - entgegen der Ansicht des Beklagten - nicht schon daran, daß die Klägerin durch den Angriff auf I. H. als nur mittelbar geschädigt anzusehen wäre. Allerdings räumt das OEG - wie das BVG - grundsätzlich Ansprüche nur unmittelbar Geschädigten ein (BSGE 49, 98, S 100 ff, 102 = SozR 3800 § 1 Nr 1 S 2 ff; Schoreit/Düsseldorf, Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) 1977, Anm 5 ff zu § 1 Abs 1; aA Kunz/Zellner OEG, 4. Aufl 1999, RdNr 5 zu § 1; abweichend auch Behn, ZfS 1982, 317, 326 mwN bei Fußnoten 102, 103, 131). Das Unmittelbarkeitserfordernis hat die Rechtsprechung im Bereich der Kriegsopferversorgung (KOV) vor allem aus dem Wortlaut des § 1 Abs 1 BVG ("wer") und des § 1 Abs 2 Buchst a OEG iVm § 5 BVG hergeleitet (BSGE 11, 234, 236; 54, 206 ff = SozR 3100 § 1 Nr 29; SozR 3100 § 5 Nr 6). Sie hat dabei die Unmittelbarkeit grundsätzlich als engen zeitlichen und örtlichen Zusammenhang zwischen dem Schädigungstatbestand und der schädigenden Einwirkung im Sinne einer engen, untrennbaren Verbindung beider Tatbestandselemente ohne örtliche und zeitliche Zwischenglieder verstanden (BSGE 2, 29, 34). Zugleich hat das Bundessozialgericht (BSG) aber betont, daß es für die Unmittelbarkeit der Schädigung stets auf die Umstände des Einzelfalles ankomme (BSGE aaO). Unmittelbarkeit in diesem Sinn hat es etwa in einem Fall anerkannt, in dem ein seelischer Schock dadurch eingetreten war, daß ein Kind mit ansehen mußte, wie seine Eltern durch feindliche Soldaten erschossen wurden (BSG SozR 3100 § 5 Nr 6). Die Unmittelbarkeit der Schädigung hat es dagegen dann verneint, wenn der Schaden erst als Folge eines vorherigen Schadens eingetreten war, den die Schädigungshandlung verursacht hatte (BSGE 11, 234, 236; 41, 70, 73 = SozR 3100 § 30 Nr 11; 54, 206, 210 = SozR 3100 § 1 Nr 29; BSG SozR 3100 § 1 Nr 5; vgl auch das unveröffentlichte Urteil des Senats vom 29. September 1993 - 9/9a RV 28/92).
Allerdings hat das BSG für bestimmte Fälle (für den Bereich der KOV) den Begriff der unmittelbaren Schädigung erweiternd ausgelegt. So hat es in einer Entscheidung aus dem Jahr 1960 den Unmittelbarkeitsbegriff in einem Fall als erfüllt angesehen, in dem der Betroffene beim Anblick seiner kurz zuvor durch Sprengbomben zerstörten Wohnung einen zum Herzinfarkt führenden seelischen Schock erlitten hatte (Urteil vom 24. Februar 1960, 9 RV 908/56, VersorgB 1960, 59). Noch weitergehend hat es für den noch nicht konzipierten nasciturus eine "unmittelbare Kriegseinwirkung" iS des § 5 BVG durch Infektion seiner Mutter angenommen (vgl BSGE 18, 55). Damit ist es den vom Gesetzgeber in § 5 Abs 1 Buchst a, Abs 2 BVG vorgezeichneten Weg weitergegangen; denn in diesen Bestimmungen hat schon der Gesetzgeber selbst schädigende Einwirkungen als "unmittelbar" gelten lassen, die der Geschädigte oft erst lange Zeit nach Kriegsende und erst nach Hinzutritt späterer, bisweilen willentlich herbeigeführter Umstände erlitten hat (etwa im Fall der von Kindern oder Jugendlichen gezündeten Fundmunition - vgl dazu zuletzt Urteil des Senats vom 12. Juni 2001 - B 9 V 5/00 R mwN). Im Ergebnis zeigt sich somit, daß die Frage, ob das Opfer einer Gewalttat durch den Angriff unmittelbar geschädigt worden ist, nur wertend nach dem Schutzzweck des Gesetzes beantwortet werden kann (vgl dazu Schulin/Köbl in Achterberg/Würtenberger, Besonderes Verwaltungsrecht, Bd II, 2. Aufl 2000, 895 f).
Die grundsätzliche Einschränkung, daß nur die Folgen unmittelbarer Schädigungen entschädigt werden (vgl auch den unveröffentlichten Beschluss des Senats vom 17. Dezember 1997 - 9 BVg 5/97), entfällt für den Anwendungsbereich des OEG nicht etwa deswegen, weil nach § 1 Abs 1 Satz 1 OEG auch eine Person anspruchsberechtigt sein kann, die durch einen auf eine a n d e r e Person verübten Angriff geschädigt wird ("aberratio ictus"). Während nach dem Recht der KOV eine gezielte Schädigung des Opfers nicht Anspruchsvoraussetzung ist, weil Personen, die durch Kampfhandlungen unbeabsichtigt mitgeschädigt werden, fraglos zum Kreis der Entschädigungsberechtigten zählen, bedarf das Recht der Gewaltopferentschädigung zur Erstreckung des gesetzlichen Schutzes auf Opfer, gegen die sich die vorsätzliche Gewalttat nicht gerichtet hatte (Sekundäropfer), einer ausdrücklichen Erweiterung. Diese findet sich in § 1 Abs 1 Satz 1 OEG. Danach ist anspruchsberechtigt auch derjenige, der eine gesundheitliche Schädigung infolge eines vorsätzlichen Angriffs auf eine a n d e r e Person erlitten hat. Dazu müssen - in Anlehnung an die zitierte Rechtsprechung des BSG zur KOV - auch solche Sekundäropfer gerechnet werden, deren Schädigung und Schädigungsfolgen - wie hier - psychischer Natur sind. Grundsätzlich wird jedoch damit der Kreis der Entschädigungsberechtigten gegenüber dem Kriegsopferrecht nicht erweitert (ähnlich BSGE 49, 100 f). Denn auch das Opfer einer "aberratio ictus" erleidet eine Schädigung unmittelbar durch den Angriff auf einen anderen. Der somit grundsätzlich auch für das OEG erforderliche zeitliche und örtliche Zusammenhang zwischen Gewalttat und Drittschädigung würde ohne weiteres zu bejahen sein, wenn - anders als hier - das Sekundäropfer am Tatort unmittelbar Zeuge der Tat gewesen wäre und dabei einen seelischen Schock erlitten hätte (vgl insoweit das bereits zitierte Urteil des Senats SozR 3100 § 5 Nr 6 auch BSGE 49, 98, 102).
Darüber hinaus ist aber im Gewaltopferrecht eine unmittelbare Schädigung auch dann noch anzunehmen, wenn der - wenigstens örtliche - Zusammenhang dadurch gelockert ist, daß eine Person die Nachricht von der Ermordung eines nahen Angehörigen erhält und dadurch einen Schock erleidet. In einem solchen Falle bildet die Nachrichtenübermittlung eine natürliche Einheit mit dem Tatgeschehen (vgl BSG aaO S 102 und Schoreit/Düsseldorf aaO), weswegen auch der Empfänger der Nachricht von dem "besonders schrecklichen Geschehen" (BSGE aaO S 103) nicht etwa nur mittelbar, sondern - wenn auch zeitlich versetzt - unmittelbar geschädigt wird. Denn erst der Erhalt der Nachricht von der Gewalttat gegen das Primäropfer bildet ihm gegenüber das Ende der Gewalttat. Sicherlich handelt es sich in diesem Fall um eine "Unmittelbarkeit" im weiteren Sinn. Diese Lockerung des Erfordernisses der Unmittelbarkeit - wie sie die Rechtsprechung schon für den Bereich der KOV anerkannt hatte (s weiter oben) - ist aber durch den Schutzzweck des OEG geboten. Dieser ist zwar primär darauf gerichtet, diejenigen Bürger zu entschädigen, die der Staat mit seinen Sicherheitsvorkehrungen nicht vor Gewalttaten schützen konnte (vgl Entwurf zum OEG BT-Drucks 7/2506 S 7). Staatlichen Schutz gegen Gewalttaten erwartet aber der Bürger nicht nur für sich, sondern auch für sein höchstpersönliches Umfeld, dh für seine nächsten Angehörigen. Daher entspricht es dem Zweck des Gesetzes, den Begriff der Unmittelbarkeit dahingehend zu erweitern, daß jedenfalls auch Personen als unmittelbar geschädigt anzusehen sind, die gesundheitliche Schäden durch die Benachrichtigung von einem auf einen nahen Angehörigen verübten Angriff erleiden.
Diese Betrachtungsweise steht auch im Einklang mit der Zivilrechtsprechung zum Schadensersatz bei Schockschäden (vgl BGH NJW 1976, 673; BGHZ 56, 163, 168; vgl auch die weitere in der Entscheidung des Senats im 49. Band aaO auf S 102 angeführte Rechtsprechung). Eine Anlehnung an die Rechtsprechung der Zivilgerichte insoweit empfiehlt sich auch deswegen, weil die Ansprüche nach dem OEG - wirtschaftlich betrachtet - auch eine Art (begrenzte) "Ausfallbürgschaft des Staates" für die - oft nicht durchzusetzenden - Schadensersatzforderungen der Opfer (BT-Drucks 7/4614 S 3 f) bilden. Es erscheint sachgerecht und geboten, den Kreis der anspruchsberechtigten Opfer vorsätzlicher Gewalttaten im Gewaltopferentschädigungsrecht jedenfalls nicht enger zu ziehen als im Zivilrecht, damit nicht Personen, die nach zivilrechtlichen Grundsätzen wegen vorsätzlicher Gewalttaten Schadensersatzansprüche hätten, bei Zahlungsunfähigkeit des Täters leer ausgehen.
Der hier zu entscheidende Fall liegt zwischen dem der Augenzeugenschaft (vgl insoweit BSG SozR 3100 § 5 Nr 6) und dem der Schädigung durch Erhalt einer Benachrichtigung (vgl BSGE 49, 98 f). Er ist zumindest dem Fall der Schädigung durch Benachrichtigung gleichzustellen. Dabei spielt es keine Rolle, daß hier das Sekundäropfer nicht sogleich beim Anblick der Leiche des nahen Angehörigen sicher sein konnte, daß ein Gewaltverbrechen vorlag. Maßgeblich sind insoweit lediglich der Eintritt der Schockwirkung und das objektive Vorliegen einer Gewalttat.
Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat mit Rundschreiben vom 6. August 1996 (VI 1- 52039/3 - BABl 1996 Nr 11 S 71 ff) als weitere Anspruchsvoraussetzung für nur psychisch geschädigte Sekundäropfer ua eine "besondere Beziehung" zwischen dem Primär- und Sekundäropfer gefordert. Ob und inwieweit diese Einschränkung notwendig ist, insbesondere im Fall der Tatzeugenschaft, kann hier offen gelassen werden, weil die fragliche "besondere Beziehung" zwischen der Klägerin und dem Primäropfer, ihrer Mutter, zweifellos gegeben ist.
Allerdings spricht für das Erfordernis einer "besonderen Beziehung" zwischen Primäropfer und Sekundäropfer wiederum die Rechtsprechung der Zivilgerichte zum Schadensersatz wegen Schockschäden (vgl Palandt BGB, 59. Aufl, RdNr 71 vor § 249 mwN), ferner vergleichbare Regelungen des ausländischen Rechts (vgl für das schweizerische Gewaltopferrecht Otte, Staatliche Entschädigung für Opfer von Gewalttaten in Österreich, Deutschland und der Schweiz, Mainz 1998, S 163 f; vgl zu dieser Frage auch Behn aaO S 326 f mwN). Außerdem spricht § 5 OEG iVm § 81a BVG dagegen, den Kreis der Entschädigungsberechtigten gegenüber dem Zivilrecht zu erweitern. Nach diesen Vorschriften geht der - nach einer Gewalttat regelmäßig gegebene - Anspruch des Geschädigten auf Schadensersatz gegen den Gewalttäter ("Dritten") auf den jeweiligen Kostenträger über. Auch wenn der Entschädigungsanspruch nach dem OEG selbstverständlich nicht davon abhängt, daß das Opfer gegen den Täter einen zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch erwirbt, erscheint es doch bedenklich, eine ganze Kategorie von Fällen (Schockschädigung von Nichtangehörigen) in den Schutzbereich des OEG einzubeziehen, in denen der Leistungsträger von vornherein keinen finanziellen Ausgleich durch Übergang von bürgerlich-rechtlichen Schadensersatzansprüchen erlangen kann. Hinzu kommt, daß die (psychische) Schädigung des Sekundäropfers in der Regel nur fahrlässig erfolgt (vgl Urteil des Senats BSGE 81, 288, 292 = SozR 3-3800 § 1 Nr 12) und eine fahrlässige psychische Schädigung grundsätzlich dem allgemeinen Lebensrisiko zuzuordnen ist. Zu bedenken wäre schließlich auch, daß der klassische Fall der "aberratio ictus" in der unbeabsichtigten k ö r p e r l i c h e n Schädigung einer dritten Person besteht und damit im Gewaltopferrecht einen Ausnahmetatbestand darstellt. Der Schockschaden als durch eine psychische Einwirkung verursachte Schädigung kann dagegen häufiger und bei einem kaum absehbaren Personenkreis eintreten. Das gilt insbesondere im Fall der Benachrichtigung durch die öffentlichen Medien. Die Einbeziehung aller durch Kenntnisnahme von der Gewalttat psychisch geschädigten Personen in den Kreis der Anspruchsberechtigten könnte daher den Rahmen eines Ausnahmetatbestandes sprengen.
Andererseits spricht gegen die Ausgrenzung all derjenigen Schockschadensopfer aus dem Kreis der Entschädigungsberechtigten, die mit dem Primäropfer nicht verwandtschaftlich oder sonst eng verbunden sind, der von der Zivilrechtsprechung (vgl dazu ablehnend Schiemann in Staudingers Kommentar zum BGB, 13. Aufl 1998, § 249 RdNr 46 mwN) angegebene Grund: Die Gesundheitsschädigung einer anderen als einer solchen dem Primäropfer nahestehenden Person sei kaum denkbar, wäre jedenfalls so ungewöhnlich, daß man die Vorhersehbarkeit des Schockschadens verneinen müßte (BGHZ 56, 163 ff). Anders als das Zivilrecht betrachtet das soziale Entschädigungsrecht die Ursachenbeziehung zwischen Angriff und Schädigung aber nicht ex ante, generell und abstrakt (Adäquanztheorie), sondern ex post, speziell und konkret (Lehre von der wesentlichen Bedingung). Versorgung könnte deshalb im Einzelfall stets dann zu leisten sein, wenn der tätliche Angriff auf das Primäropfer wesentliche Bedingung auch für die Verletzung der (psychischen) Gesundheit des Schockgeschädigten gewesen ist.
Indessen bedarf - wie gesagt - die Frage, ob eine "besondere Beziehung" zwischen Primäropfer und psychisch geschädigtem ("schockgeschädigtem") Sekundäropfer erforderlich und wann diese anzunehmen ist, hier - wie in dem vom Senat 1979 entschiedenen Fall (BSGE 49, 98, 103 f) - keiner abschließenden Entscheidung.
Könnte nach dem Gesagten ein etwa eingetretener Schockschaden der Klägerin somit grundsätzlich nach dem OEG entschädigt werden, so ist der Rechtsstreit gleichwohl noch nicht zur Entscheidung reif. Aus dem Urteil des SG ergibt sich nicht hinreichend, ob und in welcher Weise die Klägerin durch den grundsätzlich für die Bejahung eines Entschädigungsanspruchs geeigneten Tatbestand (Anblick des Tatorts und der Tatfolgen kurze Zeit nach der Tat) eine primäre psychische Schädigung (Schock) erlitten hat und worin diese Schädigung bestand. Aus dem Urteil des SG ergibt sich des weiteren nicht eindeutig, welche Schädigungsfolgen bestehen und welche Minderung der Erwerbsfähigkeit sie ggf verursachen. Auch hat das SG nicht festgestellt, ob und für welche der in § 9 BVG genannten Leistungen die tatsächlichen Voraussetzungen erfüllt sind.
Diese Fragen können nicht etwa deshalb offenbleiben, weil das SG ein "Grundurteil" erlassen hat. Nach § 130 SGG ist zwar unter bestimmten Voraussetzungen der Ausspruch eines Grundurteils zulässig. Die Bestimmung setzt jedoch einen Anspruch auf Geldleistungen voraus und erlaubt ein Grundurteil nur wegen der Höhe derartiger Leistungen. Das SG hat - ohne dies im Tenor seiner Entscheidung auszusprechen - letztlich eine "Zurückverweisung an die Verwaltung" vorgenommen. Ein Urteil mit diesem Inhalt ist aber nach dem SGG unzulässig (BSGE 83, 13, 18 = SozR 3-2500 § 50 Nr 5; BSGE 7, 126; Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl 1998, RdNr 46 zu § 54 und RdNr 10 zu § 103). Außerdem umfassen die im SG-Urteil zugesprochenen "Entschädigungsleistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz iVm Bundesversorgungsgesetz" auch den Anspruch auf Heilbehandlung (vgl § 9 Nr 1 iVm §§ 10 ff BVG). Was diesen Anspruch, der sich regelmäßig auf eine Sachleistung richtet, angeht, hat das SG übersehen, daß dem Geschädigten Heilbehandlung nur für solche Gesundheitsstörungen zu gewähren ist, die als Folge einer Schädigung anerkannt oder durch eine anerkannte Schädigung als Folge verursacht worden sind. Eine Verurteilung zur Anerkennung einer Schädigungsfolge oder eine Feststellung einer solchen Schädigungsfolge gemäß § 55 Abs 1 Nr 3 SGG ist aber nicht erfolgt. Im übrigen käme hier in erster Linie eine Schädigungsfolge iS der Verschlimmerung eines vorbestehenden Leidens in Betracht; im Falle einer derartigen Schädigungsfolge wäre § 10 Abs 1 Satz 2 BVG anzuwenden, wonach zwar grundsätzlich Anspruch auf Heilbehandlung besteht, dieser Anspruch im Einzelfall aber auch ausgeschlossen sein kann.
Aus Gründen der Prozeßökonomie hat der Senat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Rechtssache statt an das SG an das Landessozialgericht (LSG) zurückzuverweisen (§ 170 Abs 4 SGG). Bei der für die Prüfung der fraglichen Leistungsansprüche erforderlichen Sachaufklärung wird das LSG auch zu beachten haben, daß nach der Rechtsprechung des Senats nur solche psychischen Erkrankungen (oder Verschlimmerungen von psychischen Krankheiten) zu entschädigen sind, für deren Verursachung der festgestellte schädigende Vorgang nach der herrschenden Meinung der medizinischen Wissenschaft allgemein geeignet ist (BSGE 74, 51, 52 = SozR 3-3800 § 1 Nr 3 und Urteil des Senats vom 14. Februar 2001 - B 9 VG 4/00 R- zur Veröffentlichung vorgesehen).
Die Kostenentscheidung ist der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorzubehalten.
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin Ansprüche nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) zustehen.
Die Mutter (I. H.) der 1964 geborenen Klägerin kam 1995 durch eine Gewalttat ums Leben. Sie lebte seinerzeit mit dem Stiefvater der Klägerin (K. H.) im Erdgeschoß desselben Hauses, in dessen 2. Stock und Dachgeschoß die Klägerin mit ihren beiden Kindern wohnte. Am 24. Mai 1995 ermordete K. H. I. H. gegen 6.00 Uhr morgens durch Erdrosseln, nachdem er ihr mit einem Pickelstiel mehrere Kopfwunden beigebracht hatte. Etwa zwei Stunden später rief er die Klägerin zum Tatort, an dem er Maßnahmen getroffen hatte, um einen Einbruch vorzutäuschen. Der Klägerin gegenüber äußerte er sich dahin, daß ihre Mutter offenbar Selbstmord verübt habe. Kurz darauf erblickte die Klägerin die Leiche ihrer Mutter, die in blutdurchtränkter Kleidung in einer Blutlache lag. K. H. wurde am 10. Juli 1996 durch das Landgericht Darmstadt zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt.
Am 10. April 1996 beantragte die Klägerin beim Beklagten Entschädigung nach dem OEG. Sie habe infolge des Mordes an ihrer Mutter einen Schockschaden erlitten. Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 12. November 1996 ab. Den Widerspruch der Klägerin wies er mit Widerspruchsbescheid vom 30. Januar 1997 zurück. Schockschäden seien nach den vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA) mit Rundschreiben vom 6. August 1996 - VI 1-52039/3 - festgelegten Maßstäben zu beurteilen. Der Schaden müsse danach in unmittelbarem zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit der Tat eingetreten sein und diese als schwerwiegendes Gewaltdelikt geeignet gewesen sein, einen Schock auszulösen. Zwischen dem Anspruchsteller und dem eigentlichen Opfer müsse eine Sonderbeziehung wie eine Ehe oder ein Eltern-Kind-Verhältnis bestanden haben und der Schock eine nicht nur vorübergehende psychische Störung ausgelöst haben. Bei der Klägerin fehle der örtliche Zusammenhang, die Todesnachricht könne nicht ausreichen.
In dem anschließenden Klageverfahren zog das Sozialgericht Frankfurt am Main (SG) die Akten der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Darmstadt bei und holte Befundberichte über die Klägerin ein. Diese lauteten dahin, daß die Klägerin sich von 1992 bis 1995 in ambulanter - sowie im Jahre 1993 sechs Wochen in stationärer - psychotherapeutischer Behandlung befunden habe. Mit Urteil vom 8. Dezember 1999 verurteilte das SG den Beklagten unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide, "der Klägerin Entschädigungsleistungen in gesetzlichem Umfang nach dem Opferentschädigungsgesetz in Verbindung mit den Folgen des gewaltsamen Todes ihrer Mutter am 24. Mai 1995 zu gewähren" und ließ die Sprungrevision zu. Zur Begründung führte es aus, daß die Klägerin Opfer der von ihrem Stiefvater an ihrer Mutter begangenen Gewalttat geworden sei. Es sei wahrscheinlich, daß sie durch die Ermordung ihrer Mutter psychisch erkrankt sei. Ihre vorbestehende weitgehend abgeklungene psychische Erkrankung habe sich gravierend verschlimmert. Es sei unerheblich, daß der Täter den Angriff nicht gegen die Klägerin selbst gerichtet habe. Nach dem Gesetzeswortlaut reiche auch ein Schaden aus, der infolge eines gegen einen anderen gerichteten tätlichen Angriffs eintrete.
Mit der zugelassenen Sprungrevision rügt der Beklagte eine Verletzung des § 1 OEG und macht ua geltend: Ein Anspruch auf Versorgung entstehe nur, wenn der Angriff bei dem Dritten unmittelbar zu einer Schädigung geführt habe. Mittelbar Geschädigte könnten zwar in den Kreis der Berechtigten einbezogen werden. Dies erfordere aber zumindest eine gewisse Nähe zwischen dem tätlichen Angriff und dem eingetretenen Schaden. Anderenfalls sei die Schädigungskette uferlos.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Sprungrevision des Beklagten zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.
II
Die zulässige Sprungrevision des Beklagten ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) begründet. Der Senat konnte nicht abschließend über den geltend gemachten Anspruch entscheiden, weil das SG nicht alle dafür erforderlichen Tatsachen festgestellt hat.
Gemäß § 1 Abs 1 OEG erhält Versorgung, wer im Geltungsbereich des Gesetzes infolge eines vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Die Schädigung kann auch psychischer Natur sein (vgl BSGE 2, 29, 35 und Rohr/Sträßer, Bundesversorgungsrecht Anm 6 zu § 1 BVG auf S K 44). K. H. hat I. H. getötet und damit einen vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriff verübt. Durch den Anblick des Tatorts und der unmittelbaren Tatfolgen wenige Stunden nach der Tat kann bei der Klägerin eine psychische Schädigung eingetreten sein, deren Folgen noch heute vorhanden sind. Die Klägerin kann als weiteres Opfer (Sekundäropfer, in der Entscheidung BSGE 49, 98, 103 f = SozR 3800 § 1 Nr 1 als "Drittgeschädigter" bezeichnet) des unmittelbar auf I. H. (Primäropfer) gerichteten Angriffs mitgeschädigt worden sein, obwohl sie die Straftat nicht selbst miterlebt, sondern die Schädigung ggf erst nach dem Ende des Angriffs auf das Primäropfer durch die Inaugenscheinnahme des Tatorts und der Tatfolgen erlitten hat.
Die Entschädigungsansprüche der Klägerin nach dem OEG scheitern - entgegen der Ansicht des Beklagten - nicht schon daran, daß die Klägerin durch den Angriff auf I. H. als nur mittelbar geschädigt anzusehen wäre. Allerdings räumt das OEG - wie das BVG - grundsätzlich Ansprüche nur unmittelbar Geschädigten ein (BSGE 49, 98, S 100 ff, 102 = SozR 3800 § 1 Nr 1 S 2 ff; Schoreit/Düsseldorf, Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) 1977, Anm 5 ff zu § 1 Abs 1; aA Kunz/Zellner OEG, 4. Aufl 1999, RdNr 5 zu § 1; abweichend auch Behn, ZfS 1982, 317, 326 mwN bei Fußnoten 102, 103, 131). Das Unmittelbarkeitserfordernis hat die Rechtsprechung im Bereich der Kriegsopferversorgung (KOV) vor allem aus dem Wortlaut des § 1 Abs 1 BVG ("wer") und des § 1 Abs 2 Buchst a OEG iVm § 5 BVG hergeleitet (BSGE 11, 234, 236; 54, 206 ff = SozR 3100 § 1 Nr 29; SozR 3100 § 5 Nr 6). Sie hat dabei die Unmittelbarkeit grundsätzlich als engen zeitlichen und örtlichen Zusammenhang zwischen dem Schädigungstatbestand und der schädigenden Einwirkung im Sinne einer engen, untrennbaren Verbindung beider Tatbestandselemente ohne örtliche und zeitliche Zwischenglieder verstanden (BSGE 2, 29, 34). Zugleich hat das Bundessozialgericht (BSG) aber betont, daß es für die Unmittelbarkeit der Schädigung stets auf die Umstände des Einzelfalles ankomme (BSGE aaO). Unmittelbarkeit in diesem Sinn hat es etwa in einem Fall anerkannt, in dem ein seelischer Schock dadurch eingetreten war, daß ein Kind mit ansehen mußte, wie seine Eltern durch feindliche Soldaten erschossen wurden (BSG SozR 3100 § 5 Nr 6). Die Unmittelbarkeit der Schädigung hat es dagegen dann verneint, wenn der Schaden erst als Folge eines vorherigen Schadens eingetreten war, den die Schädigungshandlung verursacht hatte (BSGE 11, 234, 236; 41, 70, 73 = SozR 3100 § 30 Nr 11; 54, 206, 210 = SozR 3100 § 1 Nr 29; BSG SozR 3100 § 1 Nr 5; vgl auch das unveröffentlichte Urteil des Senats vom 29. September 1993 - 9/9a RV 28/92).
Allerdings hat das BSG für bestimmte Fälle (für den Bereich der KOV) den Begriff der unmittelbaren Schädigung erweiternd ausgelegt. So hat es in einer Entscheidung aus dem Jahr 1960 den Unmittelbarkeitsbegriff in einem Fall als erfüllt angesehen, in dem der Betroffene beim Anblick seiner kurz zuvor durch Sprengbomben zerstörten Wohnung einen zum Herzinfarkt führenden seelischen Schock erlitten hatte (Urteil vom 24. Februar 1960, 9 RV 908/56, VersorgB 1960, 59). Noch weitergehend hat es für den noch nicht konzipierten nasciturus eine "unmittelbare Kriegseinwirkung" iS des § 5 BVG durch Infektion seiner Mutter angenommen (vgl BSGE 18, 55). Damit ist es den vom Gesetzgeber in § 5 Abs 1 Buchst a, Abs 2 BVG vorgezeichneten Weg weitergegangen; denn in diesen Bestimmungen hat schon der Gesetzgeber selbst schädigende Einwirkungen als "unmittelbar" gelten lassen, die der Geschädigte oft erst lange Zeit nach Kriegsende und erst nach Hinzutritt späterer, bisweilen willentlich herbeigeführter Umstände erlitten hat (etwa im Fall der von Kindern oder Jugendlichen gezündeten Fundmunition - vgl dazu zuletzt Urteil des Senats vom 12. Juni 2001 - B 9 V 5/00 R mwN). Im Ergebnis zeigt sich somit, daß die Frage, ob das Opfer einer Gewalttat durch den Angriff unmittelbar geschädigt worden ist, nur wertend nach dem Schutzzweck des Gesetzes beantwortet werden kann (vgl dazu Schulin/Köbl in Achterberg/Würtenberger, Besonderes Verwaltungsrecht, Bd II, 2. Aufl 2000, 895 f).
Die grundsätzliche Einschränkung, daß nur die Folgen unmittelbarer Schädigungen entschädigt werden (vgl auch den unveröffentlichten Beschluss des Senats vom 17. Dezember 1997 - 9 BVg 5/97), entfällt für den Anwendungsbereich des OEG nicht etwa deswegen, weil nach § 1 Abs 1 Satz 1 OEG auch eine Person anspruchsberechtigt sein kann, die durch einen auf eine a n d e r e Person verübten Angriff geschädigt wird ("aberratio ictus"). Während nach dem Recht der KOV eine gezielte Schädigung des Opfers nicht Anspruchsvoraussetzung ist, weil Personen, die durch Kampfhandlungen unbeabsichtigt mitgeschädigt werden, fraglos zum Kreis der Entschädigungsberechtigten zählen, bedarf das Recht der Gewaltopferentschädigung zur Erstreckung des gesetzlichen Schutzes auf Opfer, gegen die sich die vorsätzliche Gewalttat nicht gerichtet hatte (Sekundäropfer), einer ausdrücklichen Erweiterung. Diese findet sich in § 1 Abs 1 Satz 1 OEG. Danach ist anspruchsberechtigt auch derjenige, der eine gesundheitliche Schädigung infolge eines vorsätzlichen Angriffs auf eine a n d e r e Person erlitten hat. Dazu müssen - in Anlehnung an die zitierte Rechtsprechung des BSG zur KOV - auch solche Sekundäropfer gerechnet werden, deren Schädigung und Schädigungsfolgen - wie hier - psychischer Natur sind. Grundsätzlich wird jedoch damit der Kreis der Entschädigungsberechtigten gegenüber dem Kriegsopferrecht nicht erweitert (ähnlich BSGE 49, 100 f). Denn auch das Opfer einer "aberratio ictus" erleidet eine Schädigung unmittelbar durch den Angriff auf einen anderen. Der somit grundsätzlich auch für das OEG erforderliche zeitliche und örtliche Zusammenhang zwischen Gewalttat und Drittschädigung würde ohne weiteres zu bejahen sein, wenn - anders als hier - das Sekundäropfer am Tatort unmittelbar Zeuge der Tat gewesen wäre und dabei einen seelischen Schock erlitten hätte (vgl insoweit das bereits zitierte Urteil des Senats SozR 3100 § 5 Nr 6 auch BSGE 49, 98, 102).
Darüber hinaus ist aber im Gewaltopferrecht eine unmittelbare Schädigung auch dann noch anzunehmen, wenn der - wenigstens örtliche - Zusammenhang dadurch gelockert ist, daß eine Person die Nachricht von der Ermordung eines nahen Angehörigen erhält und dadurch einen Schock erleidet. In einem solchen Falle bildet die Nachrichtenübermittlung eine natürliche Einheit mit dem Tatgeschehen (vgl BSG aaO S 102 und Schoreit/Düsseldorf aaO), weswegen auch der Empfänger der Nachricht von dem "besonders schrecklichen Geschehen" (BSGE aaO S 103) nicht etwa nur mittelbar, sondern - wenn auch zeitlich versetzt - unmittelbar geschädigt wird. Denn erst der Erhalt der Nachricht von der Gewalttat gegen das Primäropfer bildet ihm gegenüber das Ende der Gewalttat. Sicherlich handelt es sich in diesem Fall um eine "Unmittelbarkeit" im weiteren Sinn. Diese Lockerung des Erfordernisses der Unmittelbarkeit - wie sie die Rechtsprechung schon für den Bereich der KOV anerkannt hatte (s weiter oben) - ist aber durch den Schutzzweck des OEG geboten. Dieser ist zwar primär darauf gerichtet, diejenigen Bürger zu entschädigen, die der Staat mit seinen Sicherheitsvorkehrungen nicht vor Gewalttaten schützen konnte (vgl Entwurf zum OEG BT-Drucks 7/2506 S 7). Staatlichen Schutz gegen Gewalttaten erwartet aber der Bürger nicht nur für sich, sondern auch für sein höchstpersönliches Umfeld, dh für seine nächsten Angehörigen. Daher entspricht es dem Zweck des Gesetzes, den Begriff der Unmittelbarkeit dahingehend zu erweitern, daß jedenfalls auch Personen als unmittelbar geschädigt anzusehen sind, die gesundheitliche Schäden durch die Benachrichtigung von einem auf einen nahen Angehörigen verübten Angriff erleiden.
Diese Betrachtungsweise steht auch im Einklang mit der Zivilrechtsprechung zum Schadensersatz bei Schockschäden (vgl BGH NJW 1976, 673; BGHZ 56, 163, 168; vgl auch die weitere in der Entscheidung des Senats im 49. Band aaO auf S 102 angeführte Rechtsprechung). Eine Anlehnung an die Rechtsprechung der Zivilgerichte insoweit empfiehlt sich auch deswegen, weil die Ansprüche nach dem OEG - wirtschaftlich betrachtet - auch eine Art (begrenzte) "Ausfallbürgschaft des Staates" für die - oft nicht durchzusetzenden - Schadensersatzforderungen der Opfer (BT-Drucks 7/4614 S 3 f) bilden. Es erscheint sachgerecht und geboten, den Kreis der anspruchsberechtigten Opfer vorsätzlicher Gewalttaten im Gewaltopferentschädigungsrecht jedenfalls nicht enger zu ziehen als im Zivilrecht, damit nicht Personen, die nach zivilrechtlichen Grundsätzen wegen vorsätzlicher Gewalttaten Schadensersatzansprüche hätten, bei Zahlungsunfähigkeit des Täters leer ausgehen.
Der hier zu entscheidende Fall liegt zwischen dem der Augenzeugenschaft (vgl insoweit BSG SozR 3100 § 5 Nr 6) und dem der Schädigung durch Erhalt einer Benachrichtigung (vgl BSGE 49, 98 f). Er ist zumindest dem Fall der Schädigung durch Benachrichtigung gleichzustellen. Dabei spielt es keine Rolle, daß hier das Sekundäropfer nicht sogleich beim Anblick der Leiche des nahen Angehörigen sicher sein konnte, daß ein Gewaltverbrechen vorlag. Maßgeblich sind insoweit lediglich der Eintritt der Schockwirkung und das objektive Vorliegen einer Gewalttat.
Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat mit Rundschreiben vom 6. August 1996 (VI 1- 52039/3 - BABl 1996 Nr 11 S 71 ff) als weitere Anspruchsvoraussetzung für nur psychisch geschädigte Sekundäropfer ua eine "besondere Beziehung" zwischen dem Primär- und Sekundäropfer gefordert. Ob und inwieweit diese Einschränkung notwendig ist, insbesondere im Fall der Tatzeugenschaft, kann hier offen gelassen werden, weil die fragliche "besondere Beziehung" zwischen der Klägerin und dem Primäropfer, ihrer Mutter, zweifellos gegeben ist.
Allerdings spricht für das Erfordernis einer "besonderen Beziehung" zwischen Primäropfer und Sekundäropfer wiederum die Rechtsprechung der Zivilgerichte zum Schadensersatz wegen Schockschäden (vgl Palandt BGB, 59. Aufl, RdNr 71 vor § 249 mwN), ferner vergleichbare Regelungen des ausländischen Rechts (vgl für das schweizerische Gewaltopferrecht Otte, Staatliche Entschädigung für Opfer von Gewalttaten in Österreich, Deutschland und der Schweiz, Mainz 1998, S 163 f; vgl zu dieser Frage auch Behn aaO S 326 f mwN). Außerdem spricht § 5 OEG iVm § 81a BVG dagegen, den Kreis der Entschädigungsberechtigten gegenüber dem Zivilrecht zu erweitern. Nach diesen Vorschriften geht der - nach einer Gewalttat regelmäßig gegebene - Anspruch des Geschädigten auf Schadensersatz gegen den Gewalttäter ("Dritten") auf den jeweiligen Kostenträger über. Auch wenn der Entschädigungsanspruch nach dem OEG selbstverständlich nicht davon abhängt, daß das Opfer gegen den Täter einen zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch erwirbt, erscheint es doch bedenklich, eine ganze Kategorie von Fällen (Schockschädigung von Nichtangehörigen) in den Schutzbereich des OEG einzubeziehen, in denen der Leistungsträger von vornherein keinen finanziellen Ausgleich durch Übergang von bürgerlich-rechtlichen Schadensersatzansprüchen erlangen kann. Hinzu kommt, daß die (psychische) Schädigung des Sekundäropfers in der Regel nur fahrlässig erfolgt (vgl Urteil des Senats BSGE 81, 288, 292 = SozR 3-3800 § 1 Nr 12) und eine fahrlässige psychische Schädigung grundsätzlich dem allgemeinen Lebensrisiko zuzuordnen ist. Zu bedenken wäre schließlich auch, daß der klassische Fall der "aberratio ictus" in der unbeabsichtigten k ö r p e r l i c h e n Schädigung einer dritten Person besteht und damit im Gewaltopferrecht einen Ausnahmetatbestand darstellt. Der Schockschaden als durch eine psychische Einwirkung verursachte Schädigung kann dagegen häufiger und bei einem kaum absehbaren Personenkreis eintreten. Das gilt insbesondere im Fall der Benachrichtigung durch die öffentlichen Medien. Die Einbeziehung aller durch Kenntnisnahme von der Gewalttat psychisch geschädigten Personen in den Kreis der Anspruchsberechtigten könnte daher den Rahmen eines Ausnahmetatbestandes sprengen.
Andererseits spricht gegen die Ausgrenzung all derjenigen Schockschadensopfer aus dem Kreis der Entschädigungsberechtigten, die mit dem Primäropfer nicht verwandtschaftlich oder sonst eng verbunden sind, der von der Zivilrechtsprechung (vgl dazu ablehnend Schiemann in Staudingers Kommentar zum BGB, 13. Aufl 1998, § 249 RdNr 46 mwN) angegebene Grund: Die Gesundheitsschädigung einer anderen als einer solchen dem Primäropfer nahestehenden Person sei kaum denkbar, wäre jedenfalls so ungewöhnlich, daß man die Vorhersehbarkeit des Schockschadens verneinen müßte (BGHZ 56, 163 ff). Anders als das Zivilrecht betrachtet das soziale Entschädigungsrecht die Ursachenbeziehung zwischen Angriff und Schädigung aber nicht ex ante, generell und abstrakt (Adäquanztheorie), sondern ex post, speziell und konkret (Lehre von der wesentlichen Bedingung). Versorgung könnte deshalb im Einzelfall stets dann zu leisten sein, wenn der tätliche Angriff auf das Primäropfer wesentliche Bedingung auch für die Verletzung der (psychischen) Gesundheit des Schockgeschädigten gewesen ist.
Indessen bedarf - wie gesagt - die Frage, ob eine "besondere Beziehung" zwischen Primäropfer und psychisch geschädigtem ("schockgeschädigtem") Sekundäropfer erforderlich und wann diese anzunehmen ist, hier - wie in dem vom Senat 1979 entschiedenen Fall (BSGE 49, 98, 103 f) - keiner abschließenden Entscheidung.
Könnte nach dem Gesagten ein etwa eingetretener Schockschaden der Klägerin somit grundsätzlich nach dem OEG entschädigt werden, so ist der Rechtsstreit gleichwohl noch nicht zur Entscheidung reif. Aus dem Urteil des SG ergibt sich nicht hinreichend, ob und in welcher Weise die Klägerin durch den grundsätzlich für die Bejahung eines Entschädigungsanspruchs geeigneten Tatbestand (Anblick des Tatorts und der Tatfolgen kurze Zeit nach der Tat) eine primäre psychische Schädigung (Schock) erlitten hat und worin diese Schädigung bestand. Aus dem Urteil des SG ergibt sich des weiteren nicht eindeutig, welche Schädigungsfolgen bestehen und welche Minderung der Erwerbsfähigkeit sie ggf verursachen. Auch hat das SG nicht festgestellt, ob und für welche der in § 9 BVG genannten Leistungen die tatsächlichen Voraussetzungen erfüllt sind.
Diese Fragen können nicht etwa deshalb offenbleiben, weil das SG ein "Grundurteil" erlassen hat. Nach § 130 SGG ist zwar unter bestimmten Voraussetzungen der Ausspruch eines Grundurteils zulässig. Die Bestimmung setzt jedoch einen Anspruch auf Geldleistungen voraus und erlaubt ein Grundurteil nur wegen der Höhe derartiger Leistungen. Das SG hat - ohne dies im Tenor seiner Entscheidung auszusprechen - letztlich eine "Zurückverweisung an die Verwaltung" vorgenommen. Ein Urteil mit diesem Inhalt ist aber nach dem SGG unzulässig (BSGE 83, 13, 18 = SozR 3-2500 § 50 Nr 5; BSGE 7, 126; Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl 1998, RdNr 46 zu § 54 und RdNr 10 zu § 103). Außerdem umfassen die im SG-Urteil zugesprochenen "Entschädigungsleistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz iVm Bundesversorgungsgesetz" auch den Anspruch auf Heilbehandlung (vgl § 9 Nr 1 iVm §§ 10 ff BVG). Was diesen Anspruch, der sich regelmäßig auf eine Sachleistung richtet, angeht, hat das SG übersehen, daß dem Geschädigten Heilbehandlung nur für solche Gesundheitsstörungen zu gewähren ist, die als Folge einer Schädigung anerkannt oder durch eine anerkannte Schädigung als Folge verursacht worden sind. Eine Verurteilung zur Anerkennung einer Schädigungsfolge oder eine Feststellung einer solchen Schädigungsfolge gemäß § 55 Abs 1 Nr 3 SGG ist aber nicht erfolgt. Im übrigen käme hier in erster Linie eine Schädigungsfolge iS der Verschlimmerung eines vorbestehenden Leidens in Betracht; im Falle einer derartigen Schädigungsfolge wäre § 10 Abs 1 Satz 2 BVG anzuwenden, wonach zwar grundsätzlich Anspruch auf Heilbehandlung besteht, dieser Anspruch im Einzelfall aber auch ausgeschlossen sein kann.
Aus Gründen der Prozeßökonomie hat der Senat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Rechtssache statt an das SG an das Landessozialgericht (LSG) zurückzuverweisen (§ 170 Abs 4 SGG). Bei der für die Prüfung der fraglichen Leistungsansprüche erforderlichen Sachaufklärung wird das LSG auch zu beachten haben, daß nach der Rechtsprechung des Senats nur solche psychischen Erkrankungen (oder Verschlimmerungen von psychischen Krankheiten) zu entschädigen sind, für deren Verursachung der festgestellte schädigende Vorgang nach der herrschenden Meinung der medizinischen Wissenschaft allgemein geeignet ist (BSGE 74, 51, 52 = SozR 3-3800 § 1 Nr 3 und Urteil des Senats vom 14. Februar 2001 - B 9 VG 4/00 R- zur Veröffentlichung vorgesehen).
Die Kostenentscheidung ist der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorzubehalten.
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