Land
Bundesrepublik Deutschland
Sozialgericht
Bundessozialgericht
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
9
1. Instanz
SG Koblenz (RPF)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
-
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9 V 4/01 R
Datum
Kategorie
Urteil
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 23. August 2000 aufgehoben. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 11. Februar 2000 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungs- und Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
I
Die 1939 geborene Klägerin ist Kriegswaise. Sie bezog über ihr 27. Lebensjahr hinaus Halbwaisengrundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG), weil sie seit ihrer Geburt geistig behindert und deshalb außerstande war, sich selbst zu unterhalten. Seit dem Tod - auch - der Mutter (1983) gewährte der Beklagte Vollwaisenrente. Nach einer Erbauseinandersetzung über nachgelassene Firmenanteile verfügte die Klägerin über Geld- und Wertpapiervermögen, dessen Stand per 31. Oktober 1996 noch 870.166,77 DM betrug. Der Beklagte entzog die Waisenrente mit Wirkung ab 1. März 1998 (Bescheid vom 26. Januar 1998 und Widerspruchsbescheid vom 26. August 1998). Die Waise sei nunmehr in der Lage, sich aus Zinseinkünften und dem Stamm ihres Vermögens selbst zu unterhalten.
Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 11. Februar 2000). Die Verhältnisse hätten sich mit Anfall der Erbschaft wesentlich geändert. Seither könne die Klägerin sich selbst unterhalten. Sollten die Zinseinkünfte aus ihrem Vermögen dazu nicht ausreichen, so habe sie auch den Vermögensstamm einzusetzen. Das Landessozialgericht (LSG) hat diese Entscheidung und die angegriffenen Bescheide des Beklagten aufgehoben (Urteil vom 23. August 2000). Die jährlichen Kosten der Heimunterbringung von etwa 62.000,00 DM könne die Klägerin aus ihrem Einkommen von 43.000,00 DM (Zinsen und Pflegegeld nach dem Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI)) nicht aufbringen. Den Vermögensstamm brauche sie nicht anzugreifen. Eine solche Verpflichtung gebe es nur im Recht der Kriegsoperfürsorge, nicht aber im Recht der Kriegsopferversorgung. Auch die entsprechenden Bestimmungen des Rentenversicherungsrechts verlangten nicht, daß das Vermögen zur Bestreitung des Unterhalts eingesetzt werde.
Der Beklagte rügt mit der - vom Senat zugelassenen - Revision eine Verletzung des § 45 Abs 3 Buchst c BVG und macht geltend: Die Waisenrente habe - jedenfalls nach dem 27. Lebensjahr der Berechtigten - reine Unterhaltsersatzfunktion. Für die Frage, ob jemand zum Selbstunterhalt fähig sei, finde das bürgerliche Recht Anwendung. Danach bestehe kein Unterhaltsanspruch, wenn und solange der Betroffene seinen Unterhalt aus dem eigenen Vermögen bestreiten könne.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 23. August 2000 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 11. Februar 2000 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision ist begründet. Der Beklagte hat der Klägerin - entgegen der Auffassung des LSG - zu Recht die Waisenrente gemäß § 48 Abs 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) durch Bescheid vom 26. Januar 1998 mit Wirkung ab 1. März 1998 entzogen.
Die tatsächlichen Verhältnisse, die der Bewilligung von Waisenrente zugrunde lagen, haben sich wesentlich, dh rechtserheblich, geändert (§ 48 Abs 1 Satz 1 SGB X). Die Klägerin ist - jedenfalls seit der Erbauseinandersetzung über die nachgelassenen Firmenanteile - in der Lage, sich selbst zu unterhalten. Vergleichszeitpunkt ist nicht etwa die Bewilligung von Vollwaisenrente. Mit dem von Amts wegen ergangenen Bescheid vom 28. Juni 1984 ist - ohne erneute Entscheidung über Waisenrente dem Grunde nach - die bis dahin gezahlte Halbwaisenrente lediglich auf den Betrag der Vollwaisenrente erhöht worden. Grundlage dafür war die lange Jahre zuvor ergangene - rechtmäßige - Bewilligungsentscheidung über Waisenrente auch nach Vollendung des 27. Lebensjahres. Wegen der schon seit dem Erbfall 1983 bestehenden Vermögensverhältnisse war diese Entscheidung mithin nicht nach § 45 SGB X zurückzunehmen, sondern nach § 48 SGB X aufzuheben. Das durfte der Beklagte - mit Wirkung für die Zukunft - auch noch 1998, also nach Ablauf von mehr als zehn Jahren (BSGE 72, 1, 3 ff = SozR 3-1300 § 48 Nr 22; Steinwedel in KassKomm Stand August 2000, § 48 SGB X RdNr 77; aA neuerdings SG Mainz, Urteil vom 30. Januar 2001 - S 6 U 217/98 - (nicht rechtskräftig)).
Nach § 45 Abs 3 Buchst c BVG ist Waisenrente lebenslang solchen Kindern zu gewähren, die infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen spätestens bei Vollendung des 27. Lebensjahres außerstande sind, sich selbst zu unterhalten. Die Klägerin ist nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG seit ihrer Geburt geistig behindert und damit gebrechlich iS des Waisenrentenrechts.
Die Auffassung des LSG, daß die Klägerin zum Selbstunterhalt den Stamm ihres Vermögens nicht anzugreifen braucht, wird zwar durch den Wortlaut der Verwaltungsvorschrift (VV) Nr 1 zu § 45 BVG iVm Nr 14 zu § 33b BVG, und die - diesen Regeln zustimmende - Literatur (Dahm in Rohr/Strässer, BVG mit Verfahrensrecht, Stand Februar 2001, § 33b Anm 7 - K 48/1 -) und die Rechtsprechung gestützt, die sogar Einkommen der Waise aus Grundeigentum unberücksichtigt lassen will (LSG Bremen, Breithaupt 1989, 325). Mit dem vom LSG ermittelten Inhalt verstößt die VV aber gegen das Gesetz und ist deshalb unbeachtlich.
Die VV bestimmt: "Ein Kind ist dann außerstande, sich selbst zu unterhalten, wenn es seinen angemessenen Lebensunterhalt nicht durch Einkünfte aus seinem Vermögen, durch Einkünfte aus einer gegenwärtigen oder früheren Erwerbstätigkeit oder nach Vollendung des 27. Lebensjahres durch Unterhaltsleistungen seines Ehegatten oder früheren Ehegatten bestreiten kann". Diese Definition des Tatbestandsmerkmals "außerstande, sich selbst zu unterhalten" gibt den Inhalt dieses Begriffs nur unvollständig wieder. § 45 Abs 3 Buchst c BVG knüpft - wie sich aus den Gesetzesmaterialien ergibt - an die "entsprechenden Vorschriften des früheren Reichsversorgungsgesetzes" an (BT-Drucks I/1333, S 60 zu § 44 Abs 3 BVG-E). Der Gesetzgeber hat sich damit auf § 41 Abs 3 Satz 1 Reichsversorgungsgesetz (RVG) berufen: "Ist ein Kind bei Vollendung des 18. Lebensjahres infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen außerstande, sich selbst zu unterhalten, so wird die Waisenrente gewährt, solange dieser Zustand dauert". Die Vorschrift war der Begründung des Gesetzentwurfs - zum RVG - zufolge "§ 1708 Abs 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches nachgebildet" (Deutsche Nationalversammlung, Drucks 2663, S 45), dem außerordentlichen Unterhaltsanspruch des unehelichen Kindes, das "infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen außerstande" ist, "sich selbst zu unterhalten". Kennzeichnende Voraussetzung dieses Anspruchs war Bedürftigkeit des Kindes (vgl Dölle, Familienrecht, Band II, 1965, 412). Anders als der regelmäßige Unterhaltsanspruch nach § 1708 Abs 1 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB - (vgl Scheffler in BGB-RG RK, 10./11. Aufl 1964, § 1708 Anm 9), bestand er nur, wenn das Kind seinen Unterhalt weder aus eigenem Einkommen noch aus dem Verzehr seines Vermögens bestreiten konnte (Göppinger in Staudinger, Kommentar zum BGB, 10./11. Aufl 1969, § 1708 BGB Rz 154 mwN).
Das Reichsversorgungsgericht hat dementsprechend § 41 Abs 3 Satz 1 RVG nach dem vom Gesetzgeber gewählten Modell des § 1708 Abs 2 BGB ausgelegt und den Anspruch auf lebenslange Waisenrente für ausgeschlossen erklärt, wenn das Kind zwar erwerbsunfähig, "aber infolge des Besitzes von Vermögen imstande" ist, "seine Bedürfnisse in ausreichender Weise zu befriedigen" (Urteile vom 20. Februar 1928 M 4753/27 und M 5204/27, Der Versorgungsbeamte 1928, 170 mit zustimmender Anmerkung von Dietz; so - wohl - auch Arendts, Kommentar zum RVG, 2. Aufl 1929, § 41 RVG Anm 14; aA Jacobs, Der Versorgungsbeamte 1928, 193 f und - ihm folgend - Kommentar von Reichsversorgungsbeamten zum RVG, 2. Aufl 1929, § 41 RVG Anm 26). Diese Auffassung herrschte zunächst auch noch nach Inkrafttreten des BVG (vgl Schieckel, BVG, 2. Aufl 1953, § 46 BVG Anm 5; anders derselbe: BVG, Stand 1989, S 400 (46)).
Der Senat schließt sich dem jedenfalls für den vorliegenden Fall einer im Alter von 44 Jahren vermögend gewordenen Waise an. Ausschlaggebend ist die im deutschen Recht noch über § 61 Abs 2 Sätze 2 und 3 des Beamtenversorgungsgesetzes weit hinausgehende, einzigartige Konstruktion einer lebenslangen Waisenrente. Für diese Leistung entfällt nach Vollendung des 27. Lebensjahres jeder rechtfertigende Grund, sobald die Waise zur Existenzsicherung aus eigenen Mitteln in der Lage ist. Denn von diesem Zeitpunkt an hat auch die Waisenrente nach dem BVG allein und uneingeschränkt Unterhaltsersatzfunktion (BSG SozR 3100 § 45 Nr 8). Daran würde sich nichts ändern, wollte man in der lebenslangen Dauer der Waisenrente die besondere Lage der Eltern behinderter, zum Selbstunterhalt unfähiger Kinder durch das Gesetz anerkannt sehen. Diese Eltern werden bemüht sein, über ihren eigenen Tod hinaus den Unterhalt ihrer Kinder bis zu deren Tod sicherzustellen. Hinterlassen sie deshalb ein Vermögen, so ist dieses dazu bestimmt, zur Existenzsicherung des behinderten Kindes aufgezehrt, nicht dessen Erben möglichst ungeschmälert erhalten zu werden.
Das Ergebnis des Senats steht zwar - wie das LSG zu Recht angenommen hat - nicht im Einklang mit dem versorgungsrechtlichen Grundsatz, wohl einzelne Leistungen vom Einkommen des Berechtigten abhängig zu machen, ihm dagegen - im Unterschied zum Recht der Kriegsopferfürsorge - nicht Einsatz und Verzehr seines Vermögens abzufordern. § 45 Abs 3 Buchst c BVG muß von diesem Grundsatz aber abweichen, weil es sich bei dieser Vorschrift ausnahmsweise um eine Bedürftigkeitsregelung handelt: Anspruch auf Waisenrente besteht solange, wie die Waise ihren angemessenen Unterhaltsbedarf nicht anderweitig vollständig decken kann. Der Bedarf ist der Höhe nach nicht begrenzt und kann - wie der vorliegende Fall zeigt - gerade wegen gebrechlichkeitsbedingter Aufwendungen etwa für einen Heimaufenthalt außerordentlich hoch sein. Deshalb führt selbst das monatliche (Kapital-)Einkommen der Klägerin von mehr als 3.500,00 DM noch nicht zum Wegfall der Waisenrente. Ebensowenig wie der Bedarf ist allerdings auf der anderen Seite der vorrangige Einsatz eigener Mittel zur Existenzsicherung weder der Höhe noch der Art nach begrenzt. Deshalb hat eine Waise grundsätzlich auch den Stamm ihres Vermögens einzusetzen.
Der Senat läßt ausdrücklich offen, ob etwa aus Gründen der Gleichbehandlung mit den vom LSG genannten rentenberechtigten Waisen nach dem Recht der Rentenversicherung (§ 48 Abs 4 Nr 2 Buchst b Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI)) und der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 67 Abs 3 Nr 2 Buchst c Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII)) einerseits und den in § 45 Abs 3 Buchstaben a und b BVG aufgeführten Kriegswaisen andererseits - wie bei diesen Gruppen - die Leistung für körperlich oder geistig gebrechliche Waisen bis zum 27. Lebensjahr nicht von ihrer Bedürftigkeit abhängt. Es bedarf hier wegen der Höhe des verwertbaren Geldvermögens der Klägerin von rund 870.000,00 DM auch keiner Entscheidung, ob die Härte der Wegfallregelung (kein Wiederaufleben nach Vermögensverzehr (vgl BSG SozR 3-3100 § 45 Nr 2)) abzumildern ist, indem ein Schonvermögen unberücksichtigt bleibt (etwa in Höhe von 30.000,00 DM nach dem Vorbild der Dienstanweisung zur Durchführung des Familienlastenausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes (Textziffer 63.3.6.3.2 Abs 6)).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Gründe:
I
Die 1939 geborene Klägerin ist Kriegswaise. Sie bezog über ihr 27. Lebensjahr hinaus Halbwaisengrundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG), weil sie seit ihrer Geburt geistig behindert und deshalb außerstande war, sich selbst zu unterhalten. Seit dem Tod - auch - der Mutter (1983) gewährte der Beklagte Vollwaisenrente. Nach einer Erbauseinandersetzung über nachgelassene Firmenanteile verfügte die Klägerin über Geld- und Wertpapiervermögen, dessen Stand per 31. Oktober 1996 noch 870.166,77 DM betrug. Der Beklagte entzog die Waisenrente mit Wirkung ab 1. März 1998 (Bescheid vom 26. Januar 1998 und Widerspruchsbescheid vom 26. August 1998). Die Waise sei nunmehr in der Lage, sich aus Zinseinkünften und dem Stamm ihres Vermögens selbst zu unterhalten.
Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 11. Februar 2000). Die Verhältnisse hätten sich mit Anfall der Erbschaft wesentlich geändert. Seither könne die Klägerin sich selbst unterhalten. Sollten die Zinseinkünfte aus ihrem Vermögen dazu nicht ausreichen, so habe sie auch den Vermögensstamm einzusetzen. Das Landessozialgericht (LSG) hat diese Entscheidung und die angegriffenen Bescheide des Beklagten aufgehoben (Urteil vom 23. August 2000). Die jährlichen Kosten der Heimunterbringung von etwa 62.000,00 DM könne die Klägerin aus ihrem Einkommen von 43.000,00 DM (Zinsen und Pflegegeld nach dem Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI)) nicht aufbringen. Den Vermögensstamm brauche sie nicht anzugreifen. Eine solche Verpflichtung gebe es nur im Recht der Kriegsoperfürsorge, nicht aber im Recht der Kriegsopferversorgung. Auch die entsprechenden Bestimmungen des Rentenversicherungsrechts verlangten nicht, daß das Vermögen zur Bestreitung des Unterhalts eingesetzt werde.
Der Beklagte rügt mit der - vom Senat zugelassenen - Revision eine Verletzung des § 45 Abs 3 Buchst c BVG und macht geltend: Die Waisenrente habe - jedenfalls nach dem 27. Lebensjahr der Berechtigten - reine Unterhaltsersatzfunktion. Für die Frage, ob jemand zum Selbstunterhalt fähig sei, finde das bürgerliche Recht Anwendung. Danach bestehe kein Unterhaltsanspruch, wenn und solange der Betroffene seinen Unterhalt aus dem eigenen Vermögen bestreiten könne.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 23. August 2000 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 11. Februar 2000 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision ist begründet. Der Beklagte hat der Klägerin - entgegen der Auffassung des LSG - zu Recht die Waisenrente gemäß § 48 Abs 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) durch Bescheid vom 26. Januar 1998 mit Wirkung ab 1. März 1998 entzogen.
Die tatsächlichen Verhältnisse, die der Bewilligung von Waisenrente zugrunde lagen, haben sich wesentlich, dh rechtserheblich, geändert (§ 48 Abs 1 Satz 1 SGB X). Die Klägerin ist - jedenfalls seit der Erbauseinandersetzung über die nachgelassenen Firmenanteile - in der Lage, sich selbst zu unterhalten. Vergleichszeitpunkt ist nicht etwa die Bewilligung von Vollwaisenrente. Mit dem von Amts wegen ergangenen Bescheid vom 28. Juni 1984 ist - ohne erneute Entscheidung über Waisenrente dem Grunde nach - die bis dahin gezahlte Halbwaisenrente lediglich auf den Betrag der Vollwaisenrente erhöht worden. Grundlage dafür war die lange Jahre zuvor ergangene - rechtmäßige - Bewilligungsentscheidung über Waisenrente auch nach Vollendung des 27. Lebensjahres. Wegen der schon seit dem Erbfall 1983 bestehenden Vermögensverhältnisse war diese Entscheidung mithin nicht nach § 45 SGB X zurückzunehmen, sondern nach § 48 SGB X aufzuheben. Das durfte der Beklagte - mit Wirkung für die Zukunft - auch noch 1998, also nach Ablauf von mehr als zehn Jahren (BSGE 72, 1, 3 ff = SozR 3-1300 § 48 Nr 22; Steinwedel in KassKomm Stand August 2000, § 48 SGB X RdNr 77; aA neuerdings SG Mainz, Urteil vom 30. Januar 2001 - S 6 U 217/98 - (nicht rechtskräftig)).
Nach § 45 Abs 3 Buchst c BVG ist Waisenrente lebenslang solchen Kindern zu gewähren, die infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen spätestens bei Vollendung des 27. Lebensjahres außerstande sind, sich selbst zu unterhalten. Die Klägerin ist nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG seit ihrer Geburt geistig behindert und damit gebrechlich iS des Waisenrentenrechts.
Die Auffassung des LSG, daß die Klägerin zum Selbstunterhalt den Stamm ihres Vermögens nicht anzugreifen braucht, wird zwar durch den Wortlaut der Verwaltungsvorschrift (VV) Nr 1 zu § 45 BVG iVm Nr 14 zu § 33b BVG, und die - diesen Regeln zustimmende - Literatur (Dahm in Rohr/Strässer, BVG mit Verfahrensrecht, Stand Februar 2001, § 33b Anm 7 - K 48/1 -) und die Rechtsprechung gestützt, die sogar Einkommen der Waise aus Grundeigentum unberücksichtigt lassen will (LSG Bremen, Breithaupt 1989, 325). Mit dem vom LSG ermittelten Inhalt verstößt die VV aber gegen das Gesetz und ist deshalb unbeachtlich.
Die VV bestimmt: "Ein Kind ist dann außerstande, sich selbst zu unterhalten, wenn es seinen angemessenen Lebensunterhalt nicht durch Einkünfte aus seinem Vermögen, durch Einkünfte aus einer gegenwärtigen oder früheren Erwerbstätigkeit oder nach Vollendung des 27. Lebensjahres durch Unterhaltsleistungen seines Ehegatten oder früheren Ehegatten bestreiten kann". Diese Definition des Tatbestandsmerkmals "außerstande, sich selbst zu unterhalten" gibt den Inhalt dieses Begriffs nur unvollständig wieder. § 45 Abs 3 Buchst c BVG knüpft - wie sich aus den Gesetzesmaterialien ergibt - an die "entsprechenden Vorschriften des früheren Reichsversorgungsgesetzes" an (BT-Drucks I/1333, S 60 zu § 44 Abs 3 BVG-E). Der Gesetzgeber hat sich damit auf § 41 Abs 3 Satz 1 Reichsversorgungsgesetz (RVG) berufen: "Ist ein Kind bei Vollendung des 18. Lebensjahres infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen außerstande, sich selbst zu unterhalten, so wird die Waisenrente gewährt, solange dieser Zustand dauert". Die Vorschrift war der Begründung des Gesetzentwurfs - zum RVG - zufolge "§ 1708 Abs 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches nachgebildet" (Deutsche Nationalversammlung, Drucks 2663, S 45), dem außerordentlichen Unterhaltsanspruch des unehelichen Kindes, das "infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen außerstande" ist, "sich selbst zu unterhalten". Kennzeichnende Voraussetzung dieses Anspruchs war Bedürftigkeit des Kindes (vgl Dölle, Familienrecht, Band II, 1965, 412). Anders als der regelmäßige Unterhaltsanspruch nach § 1708 Abs 1 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB - (vgl Scheffler in BGB-RG RK, 10./11. Aufl 1964, § 1708 Anm 9), bestand er nur, wenn das Kind seinen Unterhalt weder aus eigenem Einkommen noch aus dem Verzehr seines Vermögens bestreiten konnte (Göppinger in Staudinger, Kommentar zum BGB, 10./11. Aufl 1969, § 1708 BGB Rz 154 mwN).
Das Reichsversorgungsgericht hat dementsprechend § 41 Abs 3 Satz 1 RVG nach dem vom Gesetzgeber gewählten Modell des § 1708 Abs 2 BGB ausgelegt und den Anspruch auf lebenslange Waisenrente für ausgeschlossen erklärt, wenn das Kind zwar erwerbsunfähig, "aber infolge des Besitzes von Vermögen imstande" ist, "seine Bedürfnisse in ausreichender Weise zu befriedigen" (Urteile vom 20. Februar 1928 M 4753/27 und M 5204/27, Der Versorgungsbeamte 1928, 170 mit zustimmender Anmerkung von Dietz; so - wohl - auch Arendts, Kommentar zum RVG, 2. Aufl 1929, § 41 RVG Anm 14; aA Jacobs, Der Versorgungsbeamte 1928, 193 f und - ihm folgend - Kommentar von Reichsversorgungsbeamten zum RVG, 2. Aufl 1929, § 41 RVG Anm 26). Diese Auffassung herrschte zunächst auch noch nach Inkrafttreten des BVG (vgl Schieckel, BVG, 2. Aufl 1953, § 46 BVG Anm 5; anders derselbe: BVG, Stand 1989, S 400 (46)).
Der Senat schließt sich dem jedenfalls für den vorliegenden Fall einer im Alter von 44 Jahren vermögend gewordenen Waise an. Ausschlaggebend ist die im deutschen Recht noch über § 61 Abs 2 Sätze 2 und 3 des Beamtenversorgungsgesetzes weit hinausgehende, einzigartige Konstruktion einer lebenslangen Waisenrente. Für diese Leistung entfällt nach Vollendung des 27. Lebensjahres jeder rechtfertigende Grund, sobald die Waise zur Existenzsicherung aus eigenen Mitteln in der Lage ist. Denn von diesem Zeitpunkt an hat auch die Waisenrente nach dem BVG allein und uneingeschränkt Unterhaltsersatzfunktion (BSG SozR 3100 § 45 Nr 8). Daran würde sich nichts ändern, wollte man in der lebenslangen Dauer der Waisenrente die besondere Lage der Eltern behinderter, zum Selbstunterhalt unfähiger Kinder durch das Gesetz anerkannt sehen. Diese Eltern werden bemüht sein, über ihren eigenen Tod hinaus den Unterhalt ihrer Kinder bis zu deren Tod sicherzustellen. Hinterlassen sie deshalb ein Vermögen, so ist dieses dazu bestimmt, zur Existenzsicherung des behinderten Kindes aufgezehrt, nicht dessen Erben möglichst ungeschmälert erhalten zu werden.
Das Ergebnis des Senats steht zwar - wie das LSG zu Recht angenommen hat - nicht im Einklang mit dem versorgungsrechtlichen Grundsatz, wohl einzelne Leistungen vom Einkommen des Berechtigten abhängig zu machen, ihm dagegen - im Unterschied zum Recht der Kriegsopferfürsorge - nicht Einsatz und Verzehr seines Vermögens abzufordern. § 45 Abs 3 Buchst c BVG muß von diesem Grundsatz aber abweichen, weil es sich bei dieser Vorschrift ausnahmsweise um eine Bedürftigkeitsregelung handelt: Anspruch auf Waisenrente besteht solange, wie die Waise ihren angemessenen Unterhaltsbedarf nicht anderweitig vollständig decken kann. Der Bedarf ist der Höhe nach nicht begrenzt und kann - wie der vorliegende Fall zeigt - gerade wegen gebrechlichkeitsbedingter Aufwendungen etwa für einen Heimaufenthalt außerordentlich hoch sein. Deshalb führt selbst das monatliche (Kapital-)Einkommen der Klägerin von mehr als 3.500,00 DM noch nicht zum Wegfall der Waisenrente. Ebensowenig wie der Bedarf ist allerdings auf der anderen Seite der vorrangige Einsatz eigener Mittel zur Existenzsicherung weder der Höhe noch der Art nach begrenzt. Deshalb hat eine Waise grundsätzlich auch den Stamm ihres Vermögens einzusetzen.
Der Senat läßt ausdrücklich offen, ob etwa aus Gründen der Gleichbehandlung mit den vom LSG genannten rentenberechtigten Waisen nach dem Recht der Rentenversicherung (§ 48 Abs 4 Nr 2 Buchst b Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI)) und der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 67 Abs 3 Nr 2 Buchst c Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII)) einerseits und den in § 45 Abs 3 Buchstaben a und b BVG aufgeführten Kriegswaisen andererseits - wie bei diesen Gruppen - die Leistung für körperlich oder geistig gebrechliche Waisen bis zum 27. Lebensjahr nicht von ihrer Bedürftigkeit abhängt. Es bedarf hier wegen der Höhe des verwertbaren Geldvermögens der Klägerin von rund 870.000,00 DM auch keiner Entscheidung, ob die Härte der Wegfallregelung (kein Wiederaufleben nach Vermögensverzehr (vgl BSG SozR 3-3100 § 45 Nr 2)) abzumildern ist, indem ein Schonvermögen unberücksichtigt bleibt (etwa in Höhe von 30.000,00 DM nach dem Vorbild der Dienstanweisung zur Durchführung des Familienlastenausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes (Textziffer 63.3.6.3.2 Abs 6)).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
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