B 13 RJ 25/99 R

Land
Bundesrepublik Deutschland
Sozialgericht
Bundessozialgericht
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 13 RJ 25/99 R
Datum
Kategorie
Urteil
Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 14. Juli 1998 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I

Streitig ist die Gewährung von Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU), hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit (BU). Vorrangig ist zu prüfen, ob der angefochtene Beschluss unter Verstoß gegen § 153 Abs 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zustande gekommen ist.

Der 1935 im ehemaligen Jugoslawien geborene Kläger war in der Bundesrepublik Deutschland von 1961 bis März 1984 als Bauarbeiter versicherungspflichtig beschäftigt. Ab September 1984 war er arbeitslos gemeldet und von Dezember 1985 bis Juli 1986 arbeitsunfähig krank.

Ein vom Kläger im April 1986 gestellter Rentenantrag blieb ohne Erfolg (Bescheid der beigeladenen Landesversicherungsanstalt Niederbayern-Oberpfalz vom 9. April 1987, Urteil des Sozialgerichts (SG) Landshut vom 19. Juli 1989). Seine beim Bayerischen Landessozialgericht (LSG) eingelegte Berufung nahm der Kläger in der mündlichen Verhandlung am 28. Januar 1993 zurück. Gleichzeitig stellte er einen neuen Antrag auf Gewährung von BU/EU-Rente. Diesen lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 18. Juli 1994 idF des Widerspruchsbescheides vom 16. Dezember 1994 ab, weil die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rentenleistung fehlten. Dagegen erhob der wieder in Bosnien wohnende Kläger beim SG Frankfurt am Main Klage, die durch Urteil vom 27. Oktober 1997 abgewiesen wurde. Das vom Kläger angerufene Hessische LSG erteilte ihm mit Schreiben vom 28. Mai 1998 folgenden Hinweis: Der Senat beabsichtige, den Rechtsstreit durch Beschluss ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter zu entscheiden. Es bestehe Gelegenheit, zu dieser Verfahrensweise Stellung zu nehmen bis zum 4. Juli 1998. Dazu äußerte sich der Kläger nicht. Durch Beschluss vom 14. Juli 1998 wies das LSG sodann die Berufung des Klägers im wesentlichen mit folgender Begründung zurück:

Ein Versicherungsfall der BU oder EU sei beim Kläger nicht vor der Berufungsrücknahme im Januar 1993 eingetreten, da dieser auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar sei, wo er nach dem vorliegenden Gutachten noch habe vollschichtig tätig sein können. Wenn unterstellt werde, der Versicherungsfall sei im Anschluß an die Berufungsrücknahme eingetreten, habe der Kläger in dem maßgeblichen Fünfjahreszeitraum vor Eintritt des Versicherungsfalls keine drei Jahre mit Pflichtbeiträgen aufzuweisen. Denn er habe den letzten Pflichtbeitrag bereits im März 1984 geleistet. Eine Minderung seiner Erwerbsfähigkeit sei auch nicht aufgrund eines Tatbestandes eingetreten, durch den die Wartezeit als vorzeitig erfüllt gelte. Ebensowenig könne der Kläger seinen Anspruch auf die §§ 240, 241 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) stützen. Denn bei ihm lägen von Januar 1984 bis Januar 1993 nicht durchgehend Anwartschaftserhaltungszeiten vor. Eine nachträgliche Beitragszahlung für die nicht belegten Zeiträume sei nicht zulässig.

Mit seiner vom erkennenden Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des rechtlichen Gehörs iS von Art 103 Abs 1 des Grundgesetzes (GG), §§ 62, 153 Abs 4 Satz 2 SGG. Dazu trägt er insbesondere vor: Die Anhörungsmitteilung der Beklagten vom 28. Mai 1998 habe nicht den Anforderungen des § 153 Abs 4 Satz 2 SGG genügt. Aus ihr sei für ihn nicht erkennbar gewesen, ob die Vorinstanz die Berufung nach dem damaligen Sach- und Streitstand für begründet oder für unbegründet gehalten habe. Hätte das LSG angekündigt, daß es die Berufung als unbegründet zurückweisen werde, hätte er versucht, der drohenden Berufungszurückweisung durch weiteren Sachvortrag entgegenzutreten. Insbesondere hätte er geltend gemacht: Er sei bereits am 8. April 1986 erwerbsunfähig gewesen. Demnach hätte sein am 28. Januar 1993 vor dem Bayerischen LSG gestellter Antrag als Zugunstenantrag iS von § 44 Abs 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) aufgefaßt werden müssen. Schließlich habe bei ihm in der von der Beklagten angenommenen "Lückenzeit" von März bis September 1984 der Tatbestand der Arbeitsunfähigkeit vorgelegen, für dessen Berücksichtigung er sich nicht in der Bundesrepublik Deutschland habe aufhalten müssen. Außerdem sei auch kein Leistungsbezug erforderlich gewesen. Ein derartiges Vorbringen hätte das LSG wahrscheinlich zu einer weiteren Sachaufklärung veranlaßt, was wiederum zu einer für ihn günstigen Entscheidung geführt hätte.

Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Hessischen LSG vom 14. Juli 1998 sowie das Urteil des SG Frankfurt am Main vom 27. Oktober 1997 aufzuheben und die Beklagte - hilfsweise die Beigeladene - unter Aufhebung des Bescheides vom 18. Juli 1994 idF des Widerspruchsbescheides vom 16. Dezember 1994 zu verurteilen, ihm Rente wegen EU, hilfsweise wegen BU zu gewähren.

Die Beklagte hat mitgeteilt, sie wolle sich nicht gegen die Ausführungen des Klägers wenden.

Die Beigeladene hat angegeben, es sei derzeit eine Äußerung zum Revisionsvorbringen nicht beabsichtigt.

Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).

II

Die Revision des Klägers ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz, weil das Berufungsverfahren an einem vom Kläger ordnungsgemäß gerügten Verfahrensmangel leidet, auf dem die Entscheidung des LSG beruhen kann (vgl §§ 162, 164 Abs 2 Satz 3 SGG). Das LSG hat § 153 Abs 4 SGG verletzt, indem es die Berufung durch Beschluss zurückgewiesen hat, ohne den Kläger vorher angemessen zu hören.

Nach § 153 Abs 4 Satz 1 SGG kann das LSG, außer in den Fällen des § 105 Abs 2 Satz 1 SGG (Rechtsmittel gegen einen Gerichtsbescheid), die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. § 153 Abs 4 Satz 2 SGG bestimmt dazu, daß die Beteiligten vorher zu hören sind. Diese Anhörungspflicht gebietet es, daß der Berufungskläger zunächst über die Absicht des Gerichts informiert wird, ohne mündliche Verhandlung im Beschlussverfahren zu seinen Ungunsten zu entscheiden (ebenso zur gleichlautenden Regelung des § 130a iVm § 125 Abs 2 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO): BVerwG Buchholz 310 § 130a Nr 10). Durch den nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG gebotenen Hinweis auf das Beschlussverfahren wird den Beteiligten mit anderen Worten deutlich gemacht, daß der Senat die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (so Bundessozialgericht (BSG), Beschluss vom 16. März 1994 - 9 BV 151/93 - in HVBG-INFO 1994, 2082; allgemein dazu auch BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 7).

Diesen Anforderungen wird die Anhörungsmitteilung des LSG vom 28. Mai 1998 nicht gerecht. Ihr fehlt insbesondere ein Hinweis darauf, daß die Berufung für unbegründet gehalten werde, also eine Entscheidung zu Ungunsten des Klägers beabsichtigt sei. Dabei handelt es sich um einen wesentlichen Mangel; denn eine derartige Information über die fehlende Erfolgsaussicht seines Rechtsmittels kann einen Berufungskläger ggf zu weiterem sachdienlichen Vorbringen veranlassen. Davon ist nach der Revisionsbegründung auch im vorliegenden Fall auszugehen.

Auf diesem Verfahrensmangel kann der angefochtene Beschluss auch beruhen. Denn es ist nicht ausgeschlossen, daß sich das LSG durch ergänzende Darlegungen des Klägers zu weiteren Ermittlungen hätte bewegen lassen, was wiederum zu einer für diesen günstigen Entscheidung hätte führen können. Immerhin erscheint es als möglich, daß während der bis jetzt für die Zeit von April bis August 1984 angenommenen "Belegungslücke" eine rentenrechtlich zu berücksichtigende Arbeitsunfähigkeit des Klägers vorgelegen hat.

Da der berufungsgerichtliche Verfahrensmangel im Revisionsverfahren wegen der hier fehlenden Möglichkeit einer ergänzenden Sachaufklärung (vgl § 163 SGG) nicht geheilt werden kann, ist das Urteil des LSG aufzuheben und die Sache gemäß § 170 Abs 2 Satz 2 SGG an die Vorinstanz zurückzuverweisen. Dieses Gericht wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Rechtskraft
Aus
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