S 12 AL 49/04

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 12 AL 49/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 AL 197/04
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 02.02.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.03.2004 verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 01.01.2004 bis 29.02.2004 ungemindert Arbeitslosengeld zu bewilligen. Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Klägers. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Minderung des Arbeitslosengeldes wegen verspäteter Meldung.

Der 1947 geborene Kläger meldete sich am 29.12.2003 zum 01.01.2004 arbeitslos und beantragte die Wiederbewilligung von Arbeitslosengeld. Nach den Angaben in der Arbeitsbescheinigung war er zuvor vom 15.04.2003 bis 22.10.2003 in einem durch Kündigung des Arbeitgebers vom 06.10.2003 beendeten unbefristeten Beschäftigungsverhältnis und vom 23.10.2003 bis 31.12.2003 beim selben Arbeitgeber in einem befristeten Beschäftigungsverhältnis beschäftigt gewesen.

Zuvor hatte der Kläger Arbeitslosengeld aufgrund eines am 08.05.2001 entstandenen Anspruchs bezogen. Seit der Entstehung dieses Anspruchs war er vom 02.06. bis 31.07.2002 und vom 25.09. bis 13.11.2002 versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Die Restanspruchsdauer aus dem bis zum 14.04.2003 bezogenen Anspruch auf Arbeitslosengeld betrug 214 Tage.

Mit Bescheid vom 02.02.2004 bewilligte die Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld ab 01.01.2004 nach einem gerundeten wöchentlichen Arbeitsentgelt von 555,00 EURO und Leistungsgruppe C/0 nach einem wöchentlichen Leistungssatz von 245,84 EURO abzüglich eines Minderungsbetrages in Höhe von insgesamt 1.050,00 EURO, der durch einen Abzug von der täglichen Leistung in Höhe von 17,56 EURO einzubehalten sei. Die Anrechnung beginne am 01.01.2004 und werde am 29.02.2004 enden. Die im Hinblick auf die Anspruchsminderung auf § 140 i.V.m. § 37 b SGB III gestützte Entscheidung begründete die Beklagte damit, dass der Kläger sich nicht rechtzeitig nach Kenntnis von der Beendigung des Pflichtversicherungsverhältnisses arbeitssuchend gemeldet habe. Er hätte sich spätestens am 10.10.2003 arbeitssuchend melden müssen, tatsächlich habe er sich erst am 29.12.2003 gemeldet. Die Meldung sei somit um 81 Tage verspätet gewesen.

Zur Begründung seines am 05.02.2004 erhobenen Widerspruchs machte der Kläger geltend, zunächst durch Kündigungsschreiben vom 06.10.2003 zum 22.10.2003 entlassen worden zu sein. Danach habe der Arbeitgeber wegen dringender Arbeiten am 22.10.2003 einen befristeten Vertrag bis zum 31.12.2003 mit ihm geschlossen. Von den Regelungen über die unverzügliche Meldung habe er bis jetzt keine Kenntnis gehabt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 04.03.2003 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Ausweislich der Arbeitsbescheinigung sei der Kläger durch den Arbeitgeber am 06.10.2003 gekündigt worden. Danach sei am 22.10.2003 ein neuer befristeter Arbeitsvertrag geschlossen worden. Da dieses das letzte Versicherungspflichtverhältnis gewesen sei, sei die Regelung über befristete Pflichtversicherungsverhältnisse maßgeblich. Mit dem Abschluss dieses befristeten Vertrages am 22.10.2003 habe der Kläger Kenntnis vom Ende des Beschäftigungsverhältnisses erlangt. Zuzüglich einer Reaktionszeit von 7 Tagen hätte sich der Kläger spätestens am 29.10.2003 arbeitssuchend melden müssen. Die Minderung betrage hier gemäß §140 Satz 2 Nr. 2 i.V.m. Satz 3 SGB III 35,00 EURO für 30 Tage.

Zur Begründung seiner am 05.04.2004 erhobenen Klage verweist der Kläger auf seine Ausführungen im Widerspruchsverfahren. Er sei unverschuldet an der rechtzeitigen Antragstellung gehindert gewesen.

Seit dem 01.03.2004 erhält der Kläger ungemindert Arbeitslosengeld.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 02.02.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.03.2004 zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 01.01.2004 bis 29.02.2004 ungemindert Arbeitslosengeld zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Bescheide aus den im Widerspruchsbescheid genannten Gründen für rechtmäßig.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 10.08.2004 hat das Gericht mit den Beteiligten die Bedeutung der Formulierung in § 140 Satz 1 SGB III, dass sich das Arbeitslosengeld mindert, das dem Arbeitslosen aufgrund des Anspruchs zusteht, der nach der Pflichtverletzung entstanden ist, erörtert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Prozessakten und der den Kläger betreffenden Leistungsakten der Beklagten. Diese Akten haben vorgelegen und sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Arbeitslosengeld ab 01.01.2004 ohne Minderung.

Der Kläger hat unstreitig Anspruch auf Arbeitslosengeld für die Zeit ab 01.01.2004 nach einem gerundeten wöchentlichen Arbeitsentgelt von 555,00 EURO und Leistungsgruppe C/0. Daraus leitet sich nach der SGB III-Leistungsentgelt-VO 2004 ein wöchentlicher Leistungssatz von 245,84 EURO ab. Der Kläger hat Anspruch auf ungeminderte Auszahlung dieser Leistungssätze auch für die Zeit vom 01.01. bis 29.02.2004.

Die Voraussetzungen für eine Minderung wegen verspäteter Meldung gemäß § 140 Abs. 3 SGB III in der ab 01.07.2003 geltenden Fassung liegen nicht vor. Hat der Arbeitslose entgegen § 37 b SGB III sich nicht unverzüglich arbeitssuchend gemeldet, so mindert sich nach dieser Vorschrift das Arbeitslosengeld, das dem Arbeitslosen aufgrund des Anspruchs zusteht, der nach der Pflichtverletzung entstanden ist. Es kann offen bleiben, ob der Kläger sich entgegen § 37 b SGB III nicht unverzüglich arbeitssuchend gemeldet hat. Nach § 37 b Satz 1 SGB III sind Personen, deren Versicherungspflichtverhältnis endet, verpflichtet, sich unverzüglich nach Kenntnis des Beendigungszeitpunkts persönlich beim Arbeitsamt arbeitssuchend zu melden. Nach Satz 2 dieser Vorschrift hat die Meldung im Falle eines befristeten Arbeitsverhältnisses jedoch frühestens 3 Monate vor dessen Beendigung zu erfolgen. Ausweislich des vorliegenden Arbeitsvertrages hatte der Kläger bei der J GmbH in F seit dem 15.04.2003 in einem unbefristeten Beschäftigungsverhältnis gestanden, das durch Kündigungsschreiben vom 06.10.2003 von der Arbeitgeberin zum 22.10.2003 gekündigt worden ist. Nach dem vorliegenden Vertrag vom 22.10.2003 zwischen dem Kläger und der J GmbH erfolgte zum 23.10.2003 eine Einstellung in einem bis zum 23.11.2003 befristeten Beschäftigungsverhältnis, das ausweislich eines Schreibens der J GmbH vom 01.04.2004 an den Bevollmächtigten des Klägers "auf Bitten und Drängen (des Klägers) dann bis zum 31.12.2003" verlängert worden ist. Entsprechend enthält der Zeitvertrag vom 22.10.2003 in der Spalte "Ende des Zeitvertrages" eine handschriftliche Änderung, durch die das ursprüngliche Datum 23. November 2003 durchgestrichen und durch das Datum 31.12.2003 ersetzt worden ist. Der Kläger beruft sich darauf, dass er von der sich aus § 37 b SGB III ergebenden Verpflichtung keine Kenntnis gehabt hat. Das Gericht lässt offen, ob es sich insoweit um einen relevanten Klagevortrag handelt und sich aus der gesetzlichen Anforderung, sich "unverzüglich" nach Kenntnis des Beendigungszeitpunkts arbeitssuchend zu melden, ableiten lässt, dass dem Betroffenen, der keine Kenntnis von dieser Obliegenheit hat, kein Schuldvorwurf für die verspätete Meldung gemacht werden kann (so SG Mannheim, Urteil vom 14.05.2004, S 11 AL 3775/03; SG Freiburg, Gerichtsbescheid vom 15.04.2004, S 9 AL 3989/03; SG Berlin, Urteile vom 26.03.2004, S 58 AL6603/03 und S 58 AL 108/04, info also 2004 S. 111/ 112 und S. 112 – 114; dagegen LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 09.06.2004, L 3 AL 1267/04; SG Frankfurt/Oder, Beschluss vom 01.04.2004, S 7 AL 42/04; Höhl, Juris PR-SozR: 27/04 als Anmerkung zum Gerichtsbescheid des SG Freiburg vom 15.04.2004).

Selbst wenn in der erst am 29.12.2003 vorgenommenen Arbeitslosmeldung, die das Arbeitsgesuch enthält, eine Pflichtverletzung nach § 37 b SGB III läge, könnte eine Anspruchsminderung nicht stattfinden, denn nach einer solchen Pflichtverletzung ist kein Anspruch auf Arbeitslosengeld entstanden. Anspruch auf Arbeitslosengeld haben nach § 117 Abs. 1 SGB III Arbeitnehmer, die arbeitslos sind, sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet und die Anwartschaftszeit erfüllt haben. Am ersten Tag, an dem alle diese Merkmale zusammenfallen, entsteht ein Anspruch auf Arbeitslosengeld. Dieser Anspruch besteht als sog. Stammrecht bis zu seinem Untergang fort, also bis zur Erschöpfung durch Verbrauch, d.h. vollständige Ausschöpfung der Anspruchsdauer nach § 127 SGB III, oder durch Erlöschen nach §147 SGB III entweder mit der Entstehung eines neuen Anspruches oder Eintritt von Sperrzeiten von insgesamt mindestens 21 Wochen oder wenn seit seiner Entstehung 4 Jahre verstrichen sind.

Seit der Entstehung des Anspruchs am 08.05.2001 war durch die folgenden drei Beschäftigungen des Klägers noch kein neuer Anspruch auf Arbeitslosengeld entstanden. Aus dem am 08.05.2001 entstandenen Anspruch stand dem Kläger am 01.01.2004 noch ein Restanspruch von 214 Tagen zu. Ist kein neuer Anspruch entstanden, besteht aber noch ein früherer, nicht verbrauchter Anspruch, der noch geltend gemacht werden kann, tritt keine Minderung ein (Winkler in Gagel, SGB III, Kommentar, § 140 nF, Rdnr. 5, SG Duisburg, Urteil vom 29.06.2004, S 12 AL 369/03). Der Wortlaut des § 140 Satz 1 SGB III lässt insoweit keine andere Auslegung zu. An das Entstehen des Anspruchs sind im SGB III auch an anderer Stelle Rechtsfolgen geknüpft. Nach §147 Abs. 1 Nr. 1 SGB III erlischt der Anspruch auf Arbeitslosengeld mit der Entstehung eines neuen Anspruchs. Nach § 147 Abs. 1 Nr. 2 SGB III in der bis zum 31.12.2003 geltenden Fassung erlosch der Anspruch auf Arbeitslosengeld, wenn der Arbeitslose nach der Entstehung des Anspruchs Anlass für den Eintritt von Sperrzeiten mit der Dauer von insgesamt mindestens 21 Monaten gegeben hatte und der Arbeitslose über den Eintritt der Sperrzeiten nach Entstehung des Anspruchs schriftliche Bescheide erhalten hatte. In bewusster Abkehr von dieser Regelung ist in § 147 Abs. 1 Nr. 2 SGB III in der ab 01.01.2004 geltenden Fassung die Anknüpfung an den Anlass für Sperrzeiten nach Entstehen des Anspruchs weggefallen und in einem neu eingefügten 2. Satz neu geregelt worden, dass auch Sperrzeiten berücksichtigt werden, die in einem Zeitpunkt von 12 Monaten vor der Entstehung des Anspruchs eingetreten sind und nicht bereits zum Erlöschen des Anspruchs geführt haben. Wenn also eine Rechtsfolge mit dem Entstehen eines Anspruchs verbunden ist und an eine Pflichtverletzung anknüpft, die vor Entstehen des Anspruchs stattgefunden hat, kann sie nicht entgegen ihrem Wortlaut dahin ausgelegt werden, dass die Rechtsfolge auch bei Pflichtverletzung nach Entstehung des Anspruchs, also bei Wiederbewilligung aus einem alten Anspruch, eintritt.

Im Falle einer Wiederbewilligung des Arbeitslosengeldes aus einem vor der Pflichtverletzung entstandenen Anspruch tritt somit die Rechtsfolge aus § 140 SGB III nicht ein.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Zulassung der Revision erfolgt gemäß § 161 Abs. 2 SGG i.V.m. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG, denn das Gericht misst der entscheidungserheblichen Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung zu.
Rechtskraft
Aus
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