B 11 AL 99/99 R

Land
Bundesrepublik Deutschland
Sozialgericht
Bundessozialgericht
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Oldenburg (NSB)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
LSG Niedersachsen-Bremen
Aktenzeichen
-
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 11 AL 99/99 R
Datum
Kategorie
Urteil
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 21. September 1999 aufgehoben. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Oldenburg vom 6. November 1998 wird zurückgewiesen. Kosten des Revisions- und des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I

Die Klägerin begehrt im Wege des Zugunstenbescheides die rückwirkende Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) anstelle von Arbeitslosenhilfe (Alhi) für die Zeit vom 9. März 1993 bis 5. Januar 1994.

Die 1959 geborene Klägerin bezog ab 1. Juli 1991 Anschluß-Alhi, ab 10. Juli 1991 Mutterschaftsgeld und vom 9. Oktober 1991 bis 8. März 1993 Erziehungsgeld (Erzg). Nach Auslaufen des Mutterschaftsgeldes bewilligte die Beklagte die Alhi ab 15. November 1991 wieder, zunächst bis zum 30. Juni 1992, danach jeweils für ein Jahr. Die Klägerin bezog die Alhi bis zur Arbeitsaufnahme am 1. April 1995. Ua ergingen Bescheide der Beklagten vom 13. Januar 1993, 16. April 1993, 5. Juli 1993, 3. September 1993 und 12. Januar 1994.

Mit Schreiben vom 24. Februar 1997 beantragte die Klägerin bei der Beklagten unter Hinweis auf § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) sowie ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) sinngemäß die Rücknahme früherer Bescheide und die "Umwandlung" des Alhi-Anspruchs in einen einjährigen Alg-Anspruch. Dies lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, nach § 152 Abs 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) iVm § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X sei ein unanfechtbarer Verwaltungsakt nur mit Wirkung für die Zeit nach dem Entstehen ständiger Rechtsprechung zurückzunehmen; nach der Entscheidung des BSG zur anwartschaftsbegründenden Wirkung des Bezugs von Erzg bei gleichzeitigem Alhi-Bezug vom 3. August 1995, SozR 3-4100 § 107 Nr 9, habe die Klägerin kein Erzg neben Alhi bezogen und damit keine anwartschaftsbegründende Zeit zurückgelegt (Bescheid vom 10. April 1997, Widerspruchsbescheid vom 2. Oktober 1997).

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 6. November 1998 abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) den Gerichtsbescheid und den Bescheid der Beklagten vom 10. April 1997 idF des Widerspruchsbescheids vom 2. Oktober 1997 aufgehoben sowie die Beklagte in Abänderung der in den Jahren 1993 und 1994 ergangenen Alhi-Bescheide verurteilt, der Klägerin Alg abzüglich gewährter Alhi für die Zeit vom 9. März 1993 bis 5. Januar 1994 zu gewähren (Urteil vom 21. September 1999). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt: Die Alhi-Bewilligungsbescheide seien mit Beendigung des Erzg-Bezuges am 8. März 1993 rechtswidrig geworden, da die Klägerin ab 9. März 1993 ein neues Stammrecht auf Alg begründet habe (BSG-Urteil vom 3. August 1995 aaO). Die Beklagte sei daher gemäß § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X zur rückwirkenden Gewährung von Alg zu verurteilen; die sonstigen Anspruchsvoraussetzungen (§ 100 Abs 1 AFG) seien erfüllt. Dem stehe § 152 Abs 1 AFG in der ab 1. Januar 1994 geltenden Fassung nicht entgegen. Eine "ständige Rechtsprechung" im Sinne dieser Vorschrift sei nicht feststellbar. Die Vorgeschichte und die Zweckrichtung der Norm rechtfertigten eine wortgetreue und somit enge Auslegung des Begriffs "ständige Rechtsprechung"; eine einzige BSG-Entscheidung genüge - entgegen anderslautenden Äußerungen im Schrifttum - nicht.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung des § 152 Abs 1 AFG. Die Vorschrift setze weder nach dem Wortlaut noch nach ihrem Sinn und Zweck voraus, daß eine Änderung der Rechtsprechung des Revisionsgerichts stattgefunden habe. Eine "ständige Rechtsprechung" sei entgegen der Auffassung des LSG auch dann zu bejahen, wenn die Auslegung einer Rechtsnorm erstmals höchstrichterlich klargestellt worden sei. Insbesondere sei der Ansicht zu folgen, wonach im allgemeinen eine Entscheidung eines BSG-Senats genüge, um eine zweifelhafte Rechtsfrage als hinreichend geklärt zu betrachten, es sei denn, dieser höchstrichterlichen Entscheidung werde in der Literatur mit ernsthaften und gewichtigen Gründen widersprochen. In der Regel schließe sich die Bundesanstalt für Arbeit (BA) der in der einen BSG-Entscheidung vertretenen Auffassung an; zu mehreren Entscheidungen komme es deshalb in den meisten Fällen nicht. Dem entspreche auch der Zusammenhang mit der Regelung der Gründe für die Zulassung der Revision in § 160 Abs 2 Nr 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), da mit einer BSG-Entscheidung regelmäßig der Weg zu einer nochmaligen Entscheidung eines anderen Senats verschlossen sei.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts vom 21. September 1999 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts vom 6. November 1998 zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

II

Die Revision der Beklagten ist begründet und führt zur Wiederherstellung der klageabweisenden erstinstanzlichen Entscheidung. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Bewilligung von Alg für die Zeit vor 1995 unter Zurücknahme der früheren Alhi-Bewilligungsbescheide.

Das Urteil des LSG erweist sich zunächst insofern als fehlerhaft, als es vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X auch im Hinblick auf den ersten nach seiner Ansicht zurückzunehmenden Bescheid der Beklagten vom 13. Januar 1993 ausgeht. § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X betrifft ua den Fall, daß bei Erlaß eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt worden ist und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Das LSG behauptet aber selbst nicht, daß die Klägerin während des Bezuges des Erzg einen Anspruch auf Alg begründet habe, sondern setzt diesen Zeitpunkt erst für den 9. März 1993 an. Ersteres ist nicht zu beanstanden. Denn es liegt nichts dafür vor, daß die Klägerin vor dem 9. März 1993 die Anspruchsvoraussetzung der Verfügbarkeit (§ 100 Abs 1, § 103 AFG) erfüllt hat, auf die nach § 2 Abs 4 Bundeserziehungsgeldgesetz (idF der Bekanntmachung vom 25. Juli 1989, BGBl I 1550, zuletzt geändert durch Gesetz vom 6. Dezember 1991, BGBl I 2142) nur für den Bezug von Alhi neben Erzg verzichtet wird, und einen Antrag auf Alg gestellt hat, neben dem ihr das Erzg nicht belassen worden wäre (vgl § 1 Abs 1 Nr 4, § 2 Abs 2 Nr 1 aaO).

Allerdings könnte der Bescheid vom 13. Januar 1993 ab 9. März 1993 an die entsprechende Änderung der Verhältnisse anzupassen sein, wenn die Klägerin einen Anspruch auf Alg erworben hätte, was über § 48 Abs 1 SGB X zur Aufhebung dieses Bescheides führen müßte. Ein solcher Anspruch ist jedoch in Ermangelung eines Antrags nicht entstanden. Der Anspruch auf Alg entsteht erst, wenn alle Voraussetzungen des § 100 Abs 1 AFG zur gleichen Zeit vorliegen. Sind während des Bezuges von Leistungen wegen Arbeitslosigkeit beitragspflichtige oder gleichgestellte Zeiten in anwartschaftsbegründendem Umfang zurückgelegt worden, gilt grundsätzlich nichts anderes. Ein auf einer neuen Anwartschaft beruhender, eigens zu bemessender neuer Anspruch entsteht daher erst, wenn alle Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind (vgl BSG SozR 4100 § 117 Nr 18 und 22). Dazu gehört in einem solchen Fall auch ein Antrag auf Alg, der den gewollten Übergang von der einen zur anderen Anspruchsberechtigung deutlich macht und - zusammen mit den anderen Anspruchsvoraussetzungen - die Rahmenfrist bestimmt, in der die anwartschaftsbegründenden Zeiten liegen müssen (§ 104 AFG). Auf den Antrag, der zu der bezogenen Leistung geführt hat, kann dabei nicht zurückgegriffen werden (BSG SozR 4100 § 117 Nr 22). Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG hat die Klägerin einen solchen Antrag jedenfalls im Frühjahr 1993 nicht gestellt.

Von einem zur Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen des § 100 AFG ausreichenden Alg-Antrag kann allenfalls ausgegangen werden, wenn die Klägerin im Zusammenhang mit dem neuen Bewilligungsabschnitt einen nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung (BSGE 74, 77, 79 = SozR 3-4100 § 104 Nr 11 mwN) als Antrag auf Alg zu verstehenden Antrag auf Alhi gestellt hätte, obwohl die Bewilligung von Alhi für einen neuen Bewilligungsabschnitt nach § 139a AFG einen neuen Antrag nicht erfordert (BSG SozR 4100 § 134 Nr 29; Urteil vom 24. Juli 1986 - 7 RAr 94/84 - DBl R 3200a AFG § 134; Knigge/ Ketelsen/Marschall/Wittrock, AFG, 2. Aufl 1988, § 139a RdNr 5; Ambs ua, GK-AFG, § 139a RdNr 4). Dann kann auch angenommen werden, daß die Beklagte mit den weiteren Alhi-Bescheiden, deren Rücknahme die Klägerin begehrt, zugleich sinngemäß die Bewilligung von Alg abgelehnt hat, so daß - insoweit ist dem LSG zu folgen - § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X zur Anwendung kommt, da die Beklagte bei Erlaß dieser Bescheide durch fehlerhafte Auslegung des § 107 Satz 1 Nr 5 Buchst c AFG das Recht iS des § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X unrichtig angewandt und auch deshalb Sozialleistungen (Alg-Zahlungen) zu Unrecht nicht erbracht hat. Entgegen der Auffassung des LSG steht der nachträglichen Bewilligung von Alg jedoch die Vorschrift des § 152 Abs 1 AFG in der ab 1. Januar 1994 geltenden Fassung des Ersten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms (1. SKWPG) vom 21. Dezember 1993, BGBl I 2353, entgegen. Diese Vorschrift ist auf den vorliegenden Fall anzuwenden, da der Zugunstenantrag der Klägerin nach Inkrafttreten des 1. SKWPG abgelehnt worden ist (vgl BSG SozR 3-4100 § 152 Nr 7).

152 Abs 1 AFG in der vorgenannten Fassung enthält - wie auch die ab 1. Januar 1998 geltende und im wesentlichen gleichlautende Bestimmung des § 330 Abs 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) - eine Sonderregelung zu § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X, der unter bestimmten Voraussetzungen die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes trotz Unanfechtbarkeit für die Vergangenheit vorschreibt. § 152 Abs 1 AFG weicht von diesem Grundsatz ua für den Fall ab, daß die Voraussetzungen des § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X vorliegen, weil der rechtswidrige nicht begünstigende Verwaltungsakt auf einer Rechtsnorm beruht, die nach Erlaß des Verwaltungsaktes "in ständiger Rechtsprechung" anders als durch die BA ausgelegt worden ist; der Verwaltungsakt ist dann, wenn er unanfechtbar geworden ist, nur noch mit Wirkung für die Zeit "nach dem Entstehen der ständigen Rechtsprechung" zurückzunehmen (vgl BSG SozR 3-4100 § 152 Nr 5). Diese Voraussetzungen des § 152 Abs 1 AFG bzw des § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X sind im vorliegenden Fall gegeben und schließen zum Nachteil der Klägerin einen Anspruch auf Rücknahme der Ablehnung von Alg für die streitgegenständliche Zeit (1993/1994), die vor dem Entstehen der maßgeblichen Rechtsprechung (1995) liegt, aus.

Daß die mit der Bewilligung von Alhi verbundene Ablehnung des Alg auf einer Rechtsnorm beruhte, die "nach Erlaß" der Verwaltungsakte anders ausgelegt worden ist als "durch die BA", ist nicht zweifelhaft. Denn nach den Dienstanweisungen der BA zu § 107 AFG, die bis zum Urteil des 7. Senats vom 3. August 1995, also auch 1993/1994, für die Dienststellen der BA verbindlich waren, galten Zeiten des Bezuges von Erzg nach § 107 Nr 5c AFG nicht als beschäftigungsgleiche Zeiten, wenn neben Erzg Alhi weitergezahlt worden war; das ist damit begründet worden, daß es in einem solchen Fall an der nach dem Gesetzeswortlaut erforderlichen Unterbrechung des laufenden Bezuges einer Lohnersatzleistung fehle. Erst mit dem Urteil vom 3. August 1995 (SozR 3-4100 § 107 Nr 9) hat das BSG die einschlägige Vorschrift anders ausgelegt und im Wege teleologischer Reduktion die anwartschaftsbegründende Wirkung des Erzg-Bezuges bei gleichzeitigem Alhi-Bezug bejaht, weil die Alhi in solchen Fällen nicht als Lohnersatzleistung zu werten sei. Der Ablehnung des Alg liegt danach eine generelle und grundsätzlich in allen gleichgelagerten Fällen praktizierte Handhabung der maßgeblichen Vorschrift zugrunde, nicht die Handhabung nur eines Arbeitsamtes oder in einem Einzelfall, die dem Anwendungsbereich des § 152 Abs 1 AFG bzw des § 330 Abs 1 SGB III wohl nicht unterfällt (anders Gagel, SGB III, § 330 RdNr 17). Die einheitliche Praxis der BA läßt sich aus dem betreffenden Runderlaß (RdErl) bzw der Dienstanweisung (DA) nachvollziehen (vgl Dienstblatt-RdErl 165/85 vom 23. Dezember 1985, 3.3 Abs 5; DA zu § 107 AFG, 2.3 Abs 7, Stand 5/1995).

Entgegen der Auffassung des LSG ist mit dem Urteil des BSG vom 8. August 1995 "ständige Rechtsprechung" iS des § 152 AFG entstanden. Insoweit ist zwar der Wortlaut des Gesetzes nicht eindeutig. Jedoch wird die Auffassung des LSG, es müßten mehrere Entscheidungen vorliegen, Sinn und Zweck der Vorschrift nicht gerecht. Zwar ist, wie der Senat schon entschieden hat, Rechtsprechung der Instanzgerichte nicht ausreichend, vielmehr davon auszugehen, daß "ständige Rechtsprechung" erst entstehen kann, wenn das Revisionsgericht eine Rechtsfrage in einem bestimmten Sinne beantwortet hat (BSG SozR 3-4100 § 152 Nr 5). Da § 152 Abs 1 AFG hinsichtlich der Unvereinbarkeit einer Rechtsnorm mit dem Grundgesetz (GG) als auch hinsichtlich der Unvereinbarkeit der Auslegung einer Rechtsnorm durch die BA mit der Rechtsnorm darauf abstellt, wann eine Klärung durch Gerichte erfolgt ist, genügt nach Sinn und Zweck zur Entstehung einer ständigen Rechtsprechung schon eine Entscheidung des Revisionsgerichts, wenn die zu beurteilende Rechtsfrage damit hinreichend geklärt ist; weitere Entscheidungen sind dann entbehrlich, zumal es zu ihnen ggf nicht mehr kommen kann. Hinreichend geklärt ist eine Rechtsfrage, wenn die vom Revisionsgericht getroffene Entscheidung nicht mit gewichtigen Gründen in Frage gestellt wird, wenn also die Rechtslage danach nicht mehr umstritten ist (so zutreffend Gagel aaO RdNr 18; sinngemäß ebenso Wagner in GK-AFG, § 152 RdNr 15). Insbesondere ist dann von "ständiger Rechtsprechung" iS der hinreichenden Klärung einer bislang zweifelhaften Rechtsfrage auszugehen, wenn die betroffenen Verwaltungen - im Bereich des AFG also allein die BA - eine höchstrichterliche Entscheidung als auch für andere gleichgelagerte Fälle verbindlich akzeptieren und nicht etwa annehmen, es handele sich um eine Einzelfallentscheidung, der in anderen Fällen zunächst nicht zu folgen sei (vgl Fichte NZS 1998, 1, 4 mwN). Da sich die höchstrichterliche Rechtsprechung im Bereich des Arbeitsförderungsrechts an die BA und damit nur an eine Behörde richtet, läßt sich in der Regel auch unschwer feststellen, ob die Entscheidung akzeptiert wird oder nicht.

Dieses Begriffsverständnis entspricht nicht nur der Rechtsprechung des BSG zu den Begriffen der "festen", "gefestigten" oder "gesicherten" Rechtsprechung (vgl BSGE 28, 141, 142 = SozR Nr 6 zu § 1300 RVO; SozR 2200 § 627 Nr 4; USK 77236), sondern ist auch durch den Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) geboten, der ua die Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage voraussetzt. Nicht mehr klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, die bereits höchstrichterlich - auch nur in einer Entscheidung - geklärt ist; bejaht werden kann die Klärungsbedürftigkeit trotz Vorliegens einer Entscheidung nur, wenn dieser Entscheidung in nicht geringem Umfang widersprochen wird und gegen sie nicht von vornherein abwegige Einwendungen vorgebracht werden (BSG SozR 1500 § 160a Nr 13; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, RdNr 119; Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl, § 160 RdNr 7a). Entscheidend für die Klärungsbedürftigkeit ist also wiederum nicht die Zahl vorliegender Entscheidungen, sondern der Gesichtspunkt, inwieweit einer Entscheidung widersprochen wird. Daß für "ständige Rechtsprechung" iS des § 152 Abs 1 AFG ein nicht in Frage gestelltes Urteil des BSG ausreicht, bestätigt die Überlegung, daß eine über Jahre akzeptierte höchstrichterliche Entscheidung in der Regel mehr allgemeine Anerkennung gefunden hat als eine in wiederholten Entscheidungen "gefestigte" Rechtsprechung, da letztere häufig nur deshalb zustande kommt, weil immer wieder Versuche unternommen werden, sie zu ändern (so zutreffend Fichte aaO S 6 mit Hinweis auf Arndt JZ 1974, 52, 54).

Entgegen der Auffassung des LSG ist eine andere Beurteilung nicht etwa aufgrund von Sinn und Zweck des § 152 AFG bzw der Vorgeschichte der Norm geboten. Der in den Gesetzesmaterialien zum 1. SKWPG erwähnte Gesichtspunkt der Berücksichtigung der besonderen Belastung der Arbeitsverwaltung (BT-Drucks 12/5502 S 37) und die für die Schaffung einer verfahrensrechtlichen Sonderregelung im Arbeitsförderungsrecht maßgebende Absicht der Verminderung des mit einer obligatorischen Rücknahme für die Vergangenheit verbundenen Verwaltungsaufwandes (vgl die Begründung zu § 42 des Regierungsentwurfs zum SGB X, BT-Drucks 8/2034 S 37) werden durch eine Praxis, die es der BA ermöglicht, bei Anerkennung eines höchstrichterlichen Urteils von "ständiger Rechtsprechung" auszugehen, nicht in Frage gestellt. Dagegen würde die Auffassung des LSG zu kaum mit dem Gesetzeszweck zu vereinbarenden Ergebnissen führen: In den Fällen, in denen einem Urteil des BSG aufgrund allgemeiner Anerkennung keine weitere Entscheidung folgt, ginge die Regelung des § 152 Abs 1 AFG bzw nunmehr des § 330 Abs 1 SGB III ins Leere. Versuche der BA, durch Leistungsablehnung in einem gleichgelagerten Fall eine weitere höchstrichterliche Entscheidung herbeizuführen, um dann § 152 Abs 1 AFG/§ 330 Abs 1 SGB III anwenden zu können, hätten kaum Aussicht auf Erfolg, da das mit der Sache befaßte LSG im Hinblick auf die bereits vorliegende BSG-Rechtsprechung keinen Anlaß zu einer abweichenden Entscheidung oder zur Revisionszulassung hätte. Nicht nachvollziehbar wäre auch, inwiefern die BA in der Zeit nach dem Vorliegen nur einer BSG-Entscheidung einerseits verpflichtet sein sollte, bestimmte Fälle entgegen der gesetzgeberischen Absicht (Abbau von Verwaltungsaufwand) für die Vergangenheit positiv zu verbescheiden, und andererseits sich veranlaßt sähe, in anderen gleichgelagerten Fällen entgegen ihrer eigenen Auffassung Leistungen abzulehnen.

Für den vorliegenden Fall bedeutet dies: Die BA hat die Entscheidung des 7. Senats des BSG vom 3. August 1995, SozR 3-4100 § 107 Nr 9, von Anfang an akzeptiert; sie hat sofort nach Bekanntwerden der Entscheidung die maßgebliche DA geändert (vgl DA zu § 107 AFG, 2.3 Abs 7, einerseits Stand 5/1995 und andererseits Stand 12/1995). Dem Urteil des 7. Senats wird auch im Schrifttum übereinstimmend gefolgt (vgl etwa Wagner SGb 1996, 392 ff; Henke in Hennig, AFG, § 107 RdNr 9a; Marschner in GK-AFG, § 107 RdNr 19; Brand in Niesel, AFG, 2. Aufl, § 107 RdNr 9); Einwendungen gegen das Urteil sind nicht ersichtlich. Gefolgt wird dem Urteil des 7. Senats offensichtlich auch in der Rechtsprechung der Instanzgerichte, wie die hier zu beurteilenden Entscheidungen von SG und LSG zeigen. Gewichtige Einwendungen sind auch in Zukunft nicht zu erwarten, da das SGB III keine § 107 Satz 1 Nr 5 Buchst c AFG entsprechende Regelung enthält (vgl Radüge in Gagel, SGB III, § 123 RdNr 9). Es ist deshalb unerheblich, daß neben dem 7. Senat auch der erkennende Senat mit Arbeitslosenversicherung befaßt ist (vgl BSG SozR 2200 § 627 Nr 4). Es ist somit von "ständiger Rechtsprechung" iS des § 152 Abs 1 AFG auszugehen, weshalb die Verwaltungsakte aus 1993/1994 nicht mit Wirkung für die Zeit vor dem "Entstehen" dieser Rechtsprechung, also vor dem 3. August 1995 (vgl Wagner in GK-AFG § 152 RdNr 15), zurückgenommen werden können.

Gegen die Anwendung des § 152 Abs 1 AFG auf den Fall der Klägerin bestehen auch keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Bei § 152 Abs 1 AFG handelt es sich um eine Vorschrift mit verfahrensrechtlichem Einschlag, die unter Einschränkung des § 44 Abs 1 SGB X insbesondere Grenzen der Bindungswirkung von Verwaltungsakten (§ 77 SGG) regelt (vgl BSG SozR 3-4100 § 152 Nr 7). Verfahrensrechtliche Bestimmungen sind an den rechtsstaatlichen Grundsätzen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes zu messen (vgl BVerfGE 63, 343, 358 f). § 152 Abs 1 AFG beruht ähnlich wie § 79 Abs 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz auf der verfassungsrechtlich zulässigen - wenn auch nicht gebotenen - Entscheidung des Gesetzgebers, bei der Behandlung von nicht mehr anfechtbaren Verwaltungsakten dem Gedanken der Rechtssicherheit Vorrang vor dem des Rechtsschutzes des einzelnen iS der Herstellung der materiell richtigen Rechtslage zu geben (vgl BSGE 64, 62, 66 = SozR 4100 § 152 Nr 18; BVerfGE 11, 263, 265; 20, 230, 235; 32, 287, 289 f; 53, 230, 231). Dies begegnet auch unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes keinen Bedenken, denn dieser verfassungsrechtliche Grundsatz gewährleistet nicht etwa die Unabänderlichkeit einmal gegebener Verhältnisse und Rechtspositionen (BSGE 54, 223, 229 = SozR 1300 § 44 Nr 3 mwN). Schließlich verstößt § 152 Abs 1 AFG nicht dadurch gegen Art 3 Abs 1 GG, daß die Klägerin anders behandelt wird als die Versicherte, die das die Rechtslage klärende Urteil erwirkt hat. Insofern wirkt sich die Vorschrift in ähnlicher Weise aus wie eine Stichtagsregelung, die als zeitliche Differenzierung in der Form der Typisierung grundsätzlich hinzunehmen ist, sofern sie sich als notwendig erweist, sich am gegebenen Sachverhalt orientiert und sachlich vertretbar ist (BVerfGE 13, 31, 38; 58, 81, 126; 75, 78, 106). Hiervon ist unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung (Abbau von Verwaltungsaufwand) sowie der Tatsache, daß es jeder Versicherte grundsätzlich in der Hand hat, durch Einlegung von Rechtsmitteln die Bestandskraft eines Verwaltungsaktes zu verhindern, auszugehen.

Das Urteil des LSG kann somit keinen Bestand haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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