B 6 KA 12/99 R

Land
Bundesrepublik Deutschland
Sozialgericht
Bundessozialgericht
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
6
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 6 KA 12/99 R
Datum
Kategorie
Urteil
Auf die Revision des Beigeladenen zu 2) wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Brandenburg vom 21. Oktober 1998 aufgehoben. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 10. Dezember 1997 wird zurückgewiesen. Die Klägerin hat der Beklagten ihre außergerichtlichen Kosten auch für das Berufungsver- fahren zu erstatten. Im übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Gründe:

I

Streitig ist, ob die physikalisch-medizinischen Leistungen zu vergüten sind, die die Klägerin im Jahr 1996 durchführte.

Die Klägerin ist als Ärztin für Allgemeinmedizin zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Sie erbrachte in ihrer Praxis in den Quartalen I bis IV/1996 auch selbst physikalisch-medizinische Leistungen (Krankengymnastik und Massagen). Die Qualifikationsvoraussetzungen, die für diese Leistungen zum 1. Januar 1996 durch die Aufnahme von Abrechnungsbestimmungen in den Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (BMÄ) und in die Ersatzkassen-Gebührenordnung (E-GO) eingeführt wurden, erfüllte sie nicht. Seit Juni 1997 hat sie die Berechtigung zur Führung der Zusatzbezeichnung "Physikalische Therapie".

Die beklagte Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) versagte ihr in den streitigen Quartalen die Vergütung für die physikalisch-medizinischen Leistungen Geb-Nrn 507, 509 und 524 BMÄ und E-GO mit einer Vergütungssumme von ca 6.200,- DM.

Die von der Klägerin nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) abgewiesen (Urteil vom 10. Dezember 1997). Das Landessozialgericht (LSG) hat ihrer Berufung stattgeben und das Urteil des SG sowie die ablehnenden Bescheide aufgehoben (Urteil vom 21. Oktober 1998). Es hat zur Begründung ausgeführt, die zum 1. Januar 1996 eingeführten Qualifikationsanforderungen seien im Grundsatz rechtmäßig. Die Abrechenbarkeit der Geb-Nrn 503, 504, 507, 509 und 524 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes für die ärztlichen Leistungen (EBM-Ä) habe auf solche Leistungen beschränkt werden dürfen, die von Ärzten für Orthopädie, Chirurgie, Physiotherapie, Physikalische oder Rehabilitative Medizin oder von Ärzten mit der Zusatzbezeichnung Physikalische Therapie erbracht würden oder im Falle der Nr 524 von staatlich geprüften Masseuren bzw im Falle der Nrn 503, 504, 507 und 509 von Krankengymnasten oder Physiotherapeuten, sofern diese auf Veranlassung und unter der Verantwortung eines Arztes tätig würden. Die Regelungen seien allerdings insoweit rechtswidrig, als eine Übergangsbestimmung für solche Ärzte fehle, die wie die Klägerin die Leistungen in der Vergangenheit schon geraume Zeit in erlaubter Weise erbracht hätten und daher in diesem Bereich über qualitativ ausreichende Erfahrungen verfügten. Die Übergangsfrist hätte mindestens bis Ende 1996 bemessen werden müssen, damit sie die Zusatzbezeichnung "Physikalische Therapie" hätten erwerben können.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision macht der zu 2) beigeladene AOK-Bundesverband geltend, die Gerichte hätten die Qualifikationsvoraussetzungen zutreffend als rechtmäßig angesehen. Einer Übergangsfrist für sog Altberechtigte habe es entgegen der Auffassung des LSG nach den Maßstäben der Rechtsprechung nicht bedurft. Nur ein Randbereich des Leistungsspektrums der Allgemeinmedizin sei betroffen. Dem Abrechnungsausschluß lägen Ziele der Qualitätssicherung und der Verhinderung weiterer Kostensteigerungen und damit Gesichtspunkte zugrunde, denen großes Gewicht zukomme.

Der Beigeladene zu 2) und die Beklagte beantragen,
das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Brandenburg vom 21. Oktober 1998 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 10. Dezember 1997 zurückzuweisen.

Die Beklagte schließt sich den Ausführungen des Beigeladenen zu 2) an.

Die zu 1), 3), 5), 6) und 7) beigeladenen weiteren Krankenkassenverbände schließen sich ebenfalls den Ausführungen des Beigeladenen zu 2) an, stellen aber keine Anträge. Die zu 1) beigeladene Kassenärztliche Bundesvereinigung (KÄBV) führt zusätzlich aus, daß zugleich mit der im Deutschen Ärzteblatt (DÄ) vom 29. September 1995 bekanntgegebenen Änderung der Leistungsinhalte und Punktbeträge die Partner der Bundesmantelverträge auch die Qualifikationserfordernisse abgesprochen hätten. Die förmliche schriftliche Beschlussfassung sei aber erst nachgefolgt und im DÄ vom 10. November 1995 bekanntgegeben worden.

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend. Das Inkrafttreten des Abrechnungsausschlusses schon zum 1. Januar 1996 verstoße gegen Art 12 Abs 1 Grundgesetz (GG) iVm den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes. Ihre Interessen und diejenigen der anderen sog Altrechtsinhaber seien nicht angemessen berücksichtigt worden. Diejenigen, die die künftig unzulässige Tätigkeit in der Vergangenheit erlaubtermaßen ausgeübt hätten, hätten in so kurzer Frist die Zusatzbezeichnung "Physikalische Therapie" nicht erlangen können, wie sich zB an ihr - der Klägerin - zeige. Sie habe im physikalisch-medizinischen Bereich schon früh Kenntnisse erworben, sich auch fortgebildet und schon längere Zeit eine sog Osteoporosegruppe betreut. Nach dem Bekanntwerden der Neuregelungen habe sie sich um die Zusatzbezeichnung "Physikalische Therapie" bemüht und diese im Juni 1997 erhalten. Der Fall liege anders als der am 20. Januar 1999 vom Bundessozialgericht (BSG) entschiedene (BSG SozR 3-2500 § 72 Nr 8). Dieses Urteil habe Leistungen betroffen, die nur im Grundsatz in bestimmter Weise qualifizierten Ärzten vorbehalten worden seien. Die KÄVen hätten Abrechnungsberechtigungen auch anderen, die entsprechende Praxisschwerpunkte und Befähigungen hätten, zuerkennen können. Die Möglichkeit, durch eine Fortbildung bzw Zusatzbezeichnung die Abrechnungsberechtigung zu erlangen, habe es in jenem Fall nicht gegeben, so daß keine Übergangsregelung erforderlich gewesen sei. Im vorliegenden Fall bestehe dagegen eine solche Chance, zu deren Wahrnehmung eine Übergangsfrist hätte eingeräumt werden müssen. Gemeinwohlinteressen von Gewicht stünden nicht entgegen. Bei Vertragsärzten, die insoweit Kenntnisse und hinreichende praktische Erfahrungen hätten, sei der Gesundheitsschutz nicht berührt. Finanzielle Gesichtspunkte könnten als Gemeinwohlinteresse ebenfalls nicht angeführt werden, wenn es nur um eine Übergangsfrist für eine kleine Gruppe gehe und lediglich wenig relevante Beträge wie hier in Frage stünden. Im Gegenteil führe der sofortige Ausschluß von der Leistungserbringung zu Mehrkosten wegen der dann nötigen Überweisungen bzw Verordnungen. Die für die Allgemeinheit wenig bedeutsamen Honorarbeträge seien dagegen für die Altrechtsinhaber selbst durchaus von Gewicht. Bei der Abwägung sei nicht ausschlaggebend, ob die Leistungen zum Kern des Fachgebiets gehörten oder nicht. Eine Übergangsregelung sei unabhängig davon erforderlich gewesen, ob die Qualifikationsregelung erst im DÄ vom 10. November oder vom 25. Dezember 1995 oder schon in dem vom 29. September 1995 wirksam bekanntgegeben worden sei. Auch seit diesem früheren Zeitpunkt habe die Zusatzbezeichnung "Physikalische Therapie" nicht bis zum 1. Januar 1996 erlangt werden können. Auf die Frage inhaltlicher Änderungen der Leistungsbeschreibungen, die ohnehin nicht vorgenommen worden seien, komme es nicht an. Schließlich sei zu beachten, daß die Vertragspartner des Bundesmantelvertrages-Ärzte (BMV-Ä) in vielen anderen Qualitätssicherungs-Vereinbarungen für sog Altberechtigte Übergangsregelungen getroffen hätten.

II

Die Revision des zu 2) beigeladenen AOK-Bundesverbandes hat Erfolg.

Die für die Zulässigkeit der Revision von Beigeladenen erforderliche materielle Beschwer ist gegeben. Der Beigeladene zu 2) ist in seiner Regelungshoheit betroffen. Das LSG hat Bestimmungen als (teil-)unwirksam angesehen, die die Vertragspartner des BMV-Ä gemäß § 72 Abs 2 iVm § 82 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch V (SGB V) und damit auch der Beigeladene zu 2) vereinbart haben (vgl - betr EBM-Ä - BSG SozR 3-2500 § 87 Nr 17 S 82; s auch BSGE 78, 98, 99 f = SozR 3-2500 § 87 Nr 12 S 34 f; BSGE 81, 86, 87 = SozR 3-2500 § 87 Nr 18 S 82).

Die Revision ist auch begründet, denn die von der Klägerin angefochtenen Honorarbescheide für das Jahr 1996 sind rechtmäßig. Sie hat keinen Anspruch auf Vergütung der von ihr erbrachten Leistungen nach den Geb-Nrn 507, 509 und 524 BMÄ/E-GO. Die zum 1. Januar 1996 eingeführten Qualifikationsanforderungen sind weder insgesamt rechtswidrig noch - wie das LSG meint - hinsichtlich ihrer Geltung schon ab dem 1. Januar 1996 zu beanstanden.

Die Abrechenbarkeit der Leistungen nach den Nrn 507, 509 und 524 BMÄ/E-GO wurde zum 1. Januar 1996 neu geregelt (DÄ, Heft 45 vom 10. November 1995, C-2013 ff, C-2015 f) und auf solche Leistungen beschränkt, die von Ärzten für Orthopädie, Chirurgie, Physiotherapie, Physikalische oder Rehabilitative Medizin oder von Ärzten mit der Zusatzbezeichnung Physikalische Therapie - bei Atemgymnastik auch Pneumologen - erbracht werden oder im Falle der Nr 524 von staatlich geprüften Masseuren bzw im Falle der Nrn 503, 504, 507 und 509 von Krankengymnasten und Physiotherapeuten, sofern diese auf Veranlassung und unter der Verantwortung eines Arztes tätig werden. Diese Qualifikationsanforderungen haben die Spitzenverbände der Krankenkassen und die KÄBV durch ergänzende Vereinbarung zum EBM-Ä gemäß § 72 Abs 2 iVm § 82 Abs 1 Satz 1 SGB V als allgemeinen Inhalt der Gesamtverträge beschlossen und in den BMÄ und die E-GO aufgenommen (siehe die "Ergänzende Vereinbarung zur Reform des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes" vom 14. September 1995, DÄ 1995, C-1719 unter 3., iVm der Erweiterung vom 11. Dezember 1995, DÄ 1995, C-2323 unter 5.). Bei solchen Vereinbarungen handelt es sich, wie der Senat in seinem Urteil vom 20. Januar 1999 ausgeführt hat (BSG SozR 3-2500 § 72 Nr 8 S 17 f), nicht um Änderungen des EBM-Ä auf der Grundlage des § 87 Abs 2 Satz 1 SGB V. Sie betreffen nicht den Inhalt der abrechenbaren Leistungen und auch nicht ihr wertmäßiges, in Punkten ausgedrücktes Verhältnis zueinander, was festzulegen dem Bewertungsausschuß vorbehalten ist. Sie machen vielmehr die Abrechenbarkeit bestimmter Leistungen davon abhängig, daß die sie erbringenden Ärzte bestimmte Qualifikationen aufweisen, um unter dem Gesichtspunkt der Qualität die Leistungshäufigkeit und das Vergütungsvolumen je Arztpraxis zu steuern (zu diesem Ziel siehe die Ergänzende Vereinbarung aaO, DÄ 1995, C-1719 unter 3.). Damit werden durch Vereinbarung der KÄBV mit den Spitzenverbänden der Krankenkassen iS der § 72 Abs 2, § 82 Abs 1 Satz 1 SGB V Regelungen zur Gewährleistung einer ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung unter Berücksichtigung medizinischer Erkenntnisse als allgemeiner Inhalt der Gesamtverträge getroffen (BSG SozR 3-2500 § 72 Nr 8 S 18 f). Es handelt sich um Verträge mit normativer Wirkung, die auch am Vertragsschluß nicht beteiligte Dritte binden (BSG SozR 3-2500 § 72 Nr 8 S 19).

Der Befugnis, auf diesen gesetzlichen Grundlagen qualitätssichernde Maßnahmen zu vereinbaren, steht nicht entgegen, daß andere Vorschriften des SGB V Regelungen der Qualitätssicherung für spezielle Fälle ermöglichen. So ermächtigt zB § 135 Abs 2 SGB V zur Einführung besonderer Fachkundeprüfungen (vgl hierzu zB BSGE 82, 55, 57 ff = SozR 3-2500 § 135 Nr 9 S 39 ff). Aufgrund des § 135 Abs 1 SGB V ist zur Sicherung der Qualität der Leistungserbringung über die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in die vertragsärztliche Versorgung zu entscheiden; dazu gehört, daß Anforderungen an die Qualifikation der Ärzte festgelegt werden (§ 135 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB V). Derartige Kompetenzen für besondere Konstellationen stehen aber nicht der Befugnis der Partner der Bundesmantelverträge entgegen, entsprechend ihren allgemeinen Verpflichtungen nach § 72 Abs 2 iVm § 82 Abs 1 Satz 1 SGB V qualitätssichernde Maßnahmen zu vereinbaren (BSG SozR 3-2500 § 72 Nr 8 S 19 f).

Die vorliegend zu beurteilenden Qualifikationsregelungen für die Erbringung physikalisch-medizinischer Leistungen nach den Geb-Nrn 507, 509 und 524 BMÄ/E-GO, die sich in dem vorgegebenen Ermächtigungsrahmen der § 72 Abs 2, § 82 Abs 1 SGB V halten, gründen sich von ihren inhaltlichen Anforderungen her auf die zulässige typisierende und generalisierende Erwägung, daß entsprechend weitergebildete Leistungserbringer besonders qualifiziert sind. Sie sind weder insgesamt noch - wie das LSG und die Klägerin meinen - wegen ihrer Geltung schon ab dem 1. Januar 1996 verfassungswidrig.

Die Qualifikationsanforderungen begrenzen nicht die stärker geschützte Freiheit der Berufswahl iS des Art 12 Abs 1 GG, sondern lediglich die Berufsausübung. Zur Legitimation von Berufsausübungsregelungen bedarf es je nach Gewicht des Eingriffs unterschiedlich gewichtiger rechtfertigender Gründe. Dabei sind an sog berufswahlnahe Ausübungsregelungen erhöhte Anforderungen zu stellen (hierzu s BSGE 82, 41, 43 = SozR 3-2500 § 103 Nr 2 S 12) und an statusrelevante höhere als an nicht statusrelevante (zur Frage der Statusrelevanz vgl zusammenfassend die Beispiele im Senatsurteil vom 1. Juli 1998 - B 6 KA 27/97 R -, MedR 1999, 476, 478). Wird eine Arztgruppe durch neue Regelungen von der Erbringung und Abrechnung bestimmter, zu dem Fachgebiet gehörender Leistungen ausgeschlossen, so liegt eine statusrelevante Ausübungsregelung nur dann vor, wenn diese Leistungen für das Fachgebiet wesentlich sind (vgl BSG SozR 3-2500 § 72 Nr 8 S 20).

Während bei statusrelevanten Berufsausübungsregelungen die für die Grundrechte wesentlichen Entscheidungen im Gesetz selbst zu treffen sind, erfordert die Normierung nicht statusrelevanter Berufsausübungsregelungen keine besonderen Vorgaben im förmlichen Gesetz. Diese sind in weiterem Umfang dem untergesetzlichen Normsetzer überlassen. Diesem ist eine weitgehende Gestaltungsfreiheit eingeräumt. Dementsprechend ist es nicht zu beanstanden, daß die Partner der Bundesmantelverträge als Normgeber auf der Grundlage der Ermächtigungsregelung der § 72 Abs 2, § 82 Abs 1 SGB V einen Entscheidungsspielraum bei der Einführung qualitätssichernder Maßnahmen haben (BSG SozR 3-2500 § 72 Nr 8 S 21 mit Hinweis auf die Rechtsprechung des BVerfG).

Auch nicht statusrelevante Berufsausübungsregelungen untergesetzlicher Normgeber müssen aber wie alle Eingriffe in das Grundrecht des Art 12 Abs 1 GG durch ausreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt sein. Dabei sind die Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu beachten. Das gewählte Mittel muß zur Erreichung des verfolgten Zwecks geeignet sowie erforderlich sein, und bei der Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe muß die Grenze der Zumutbarkeit für die Betroffenen gewahrt werden. Es ist vorrangig die Aufgabe des Normsetzers, zu entscheiden, ob und welche Maßnahme er im Interesse des Gemeinwohls ergreifen will. Ihm ist ein Beurteilungsspielraum sowohl bei der Gewichtung widerstreitender Belange als auch bei deren Abwägung eingeräumt. Ein gewisser "Überschuß" an Qualifikationsanforderungen ist hinzunehmen (vgl BSGE 82, 55, 61 f = SozR 3-2500 § 135 Nr 9 S 44, mit BVerfG-Nachweisen). Daraus folgt, daß die Gerichte erst einschreiten können, wenn die Rechtsnorm bezogen auf das ihr zugrunde liegende Gemeinwohlziel schlechthin ungeeignet, eindeutig nicht erforderlich oder auch bei Anerkennung eines Beurteilungsspielraums unzumutbar ist (vgl BVerfGE 99, 341, 353), so also insbesondere dann, wenn die der Rechtsnorm zugrunde liegenden Einschätzungen und/oder Prognosen so offensichtlich fehlerhaft sind, daß sie vernünftigerweise keine Grundlage für normative Maßnahmen abgeben können (BSGE 82, 41, 44 = SozR 3-2500 § 103 Nr 2 S 13; BSGE 82, 55, 60 f = SozR 3-2500 § 135 Nr 9 S 43; BSG SozR 3-2500 § 72 Nr 8 S 22; - jeweils mwN).

Nach diesen Grundsätzen sind die Regelungen, die ab 1. Januar 1996 für die Abrechenbarkeit der physikalisch-medizinischen Leistungen nach den Geb-Nrn 503, 504, 507, 509 und 524 BMÄ/E-GO gelten, nicht zu beanstanden.

Die neuen Qualifikationsanforderungen stellen lediglich nicht statusrelevante Berufsausübungsregelungen von geringer Eingriffsintensität dar. Bei den betroffenen Leistungen handelt es sich, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, nicht um für das Fachgebiet des Allgemeinarztes wesentliche oder es prägende Leistungen. Zwar erstreckt sich die allgemeinmedizinische Weiterbildung auch auf "Eingehende Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten in ... der physikalischen Therapie einschließlich der Gerätekunde" (Anlage Abschnitt I Nr 1 der Weiterbildungsordnung der Landesärztekammer Brandenburg (WBO Brandenburg) vom 11. November 1995, Brandenburgisches Ärzteblatt, 6. Jahrgang, Sonderausgabe S 52, 67; ebenso Anlage Abschnitt I Nr 1 der Muster-WBO des 95. Deutschen Ärztetages 1992, Beiheft zum DÄ 1992, S 13). Das führt aber nicht zur Qualifizierung als für das Fachgebiet wesentliche Leistungen; denn diese erfassen nur einen kleinen Bereich unter zahlreichen Tätigkeitsfeldern, in denen der Allgemeinarzt über eingehende Erkenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten verfügen muß.

Den neuen Qualifikationsbestimmungen liegen entsprechend den Anforderungen an Berufsausübungsregelungen ausreichende Gründe des Gemeinwohls zugrunde, und sie sind auch verhältnismäßig. Sie dienen der Sicherstellung der ärztlichen Versorgung der versicherten Bevölkerung mit qualitativ hochwertigen Leistungen, somit der Gesundheit von Menschen und damit einem besonders wichtigen Gemeinschaftsgut (vgl BSGE 82, 55, 61 = SozR 3-2500 § 135 Nr 9 S 43; BSG SozR 3-2500 § 72 Nr 8 S 22; - jeweils mit BVerfG-Angaben). Anhaltspunkte dafür, daß die neuen Regelungen, bezogen auf das maßgebliche Gemeinwohlziel des Gesundheitsschutzes, schlechthin ungeeignet oder eindeutig nicht erforderlich sein könnten, sind nicht erkennbar. Sie können auch nicht als unzumutbar angesehen werden. Im Rahmen der Abwägung der Schwere des Eingriffs gegenüber den der Regelung zugrunde liegenden Gemeinwohlinteressen konnte der Normsetzer diesen Belangen den Vorrang einräumen, zumal - wie dargelegt - ein "Überschuß" an Qualifikationsanforderungen hinzunehmen ist. Zudem kam diesen Leistungen, die bis zur Neuregelung nicht besonders hoch bewertet waren (vgl die damalige Bewertung der Geb-Nrn 507, 509, 520, 521, 521 EBM-Ä mit 80, 110, 50, 70, 80 Punkten), für das Honoraraufkommen der Arztgruppe keine wesentliche Bedeutung zu. Abweichende besondere Konstellationen bei einzelnen Allgemeinärzten brauchte der Normsetzer nicht zu berücksichtigen (sog generalisierende - auf die Arztgruppe als Ganze abstellende - Betrachtungsweise, vgl BVerfGE 68, 193, 219; 70, 1, 30; 77, 84, 105; 101, 331, 354). Das Gewicht des Eingriffs ist auch deswegen gering, weil die Ärzte nicht auf Dauer von der Erbringung und Abrechnung solcher Leistungen ausgeschlossen wurden. Sie können die neuen Qualifikationsanforderungen durch Erlangung der Zusatzbezeichnung "Physikalische Therapie" erfüllen. Außerdem können Vertragsärzte diese Leistungen auch ohne entsprechende ärztliche Qualifikation in ihrer Praxis anbieten, indem sie einen staatlich geprüften Masseur, einen Krankengymnasten und/oder einen Physiotherapeuten unter ihrer ärztlichen Verantwortung arbeiten lassen (vgl die Präambel zum Kapitel E des EBM-Ä). Schließlich - und davon ist als Regelfall auszugehen - können sie solche Leistungen ihren Patienten als Heilmittel verordnen und außerhalb ihrer Praxis von Masseuren, Krankengymnasten bzw Physiotherapeuten erbringen lassen.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts mußte auch keine Übergangsregelung eingeräumt werden, um Ärzten Gelegenheit zur Erlangung der Zusatzbezeichnung "Physikalische Therapie" zu geben. Das fordert der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht. Zwar konnten Allgemeinärzte seit der ersten Bekanntmachung der geplanten neuen Qualifikationsanforderungen (im DÄ Heft 39 vom 29. September 1995, Beilage zur Ausgabe A; erneut DÄ Heft 45 vom 10. November 1995, C-2013 ff, 2015; ferner DÄ Heft 51/52 vom 25. Dezember 1995, C-2323) in aller Regel nicht bis zum 1. Januar 1996 die Qualifikation erlangen. Denn für die Zusatzbezeichnung ist nach der WBO ein mindestens vierwöchiger Kurs von insgesamt 160 Stunden Dauer erforderlich (WBO Brandenburg, Anlage, Abschnitt II, 2.12 unter 4., Brandenburgisches Ärzteblatt, 6. Jahrgang, Sonderausgabe, S 52, 111; ebenso Muster-WBO, Anlage, Abschnitt II Nr 13 unter 4., Beiheft zum DÄ 1992, S 60). Dennoch bestand keine Verpflichtung, für sie eine Übergangsregelung zu schaffen, weil dem Eingriff aus den dargestellten Gründen nur geringes Gewicht zukam. Insoweit liegt es anderes als in dem Fall, der der Entscheidung des BVerfG vom 27. Oktober 1998 zugrunde lag. Hier gründete sich die Forderung nach einer Übergangsregelung darauf, daß eine ins Gewicht fallende Zahl von Allgemeinärzten ihren Praxisschwerpunkt gerade auf die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen gelegt und dafür erhebliche Investitionen getätigt hatte (vgl BVerfGE 98, 265, 309-311).

Das Erfordernis einer Übergangsregelung ergibt sich ebensowenig aus anderen Entscheidungen des Senats. Ihnen lagen anders gelagerte Fälle zugrunde. Das von der Klägerin angeführte Urteil BSGE 82, 55 (= SozR 3-2500 § 135 Nr 9) betraf Gynäkologen, die aufgrund einer zusätzlichen Ausbildung zytodiagnostische Leistungen erbringen und abrechnen durften. Der Senat hat im übrigen nicht seinerseits eine Übergangsregelung gefordert, sondern lediglich die bereits vom Normsetzer geschaffene für ausreichend erklärt (BSGE 82, 55 = SozR 3 2500 § 135 Nr 9 S 45). Im Falle kinder- und jugendpsychiatrischer Leistungen (BSG SozR 3 2500 § 72 Nr 8), die bis dahin ohne ausdrückliche Genehmigung erbracht und abgerechnet werden konnten und nur einen Randbereich der eigentlichen beruflichen Tätigkeit betrafen, war dem etwaigen Erfordernis einer Übergangsbestimmung jedenfalls deshalb Genüge getan, weil die Ärzte unter bestimmten Voraussetzungen Ausnahmegenehmigungen erhalten konnten (SozR aaO S 24). Dem Urteil läßt sich nicht entnehmen, daß immer dann, wenn eine Nachqualifikation möglich ist, eine Übergangsregelung notwendig sei. Ebenso erfolglos ist der Hinweis der Klägerin auf die Übergangsvorschriften in anderen Qualitätssicherungs-Vereinbarungen. Die Vertragspartner des BMV-Ä sind in weitem Umfang befugt, die Einführung neuer Qualifikationsanforderungen durch solche Regelungen abzumildern; eine entsprechende Verpflichtung besteht aber lediglich nach Maßgabe der oben angeführten verfassungsrechtlichen Maßstäbe, die hier - wie dargelegt - nicht erfüllt sind.

Die dargestellten Grundsätze entsprechen auch derjenigen Rechtsprechung des BVerfG, die bei Personen, die eine künftig unzulässige Tätigkeit in der Vergangenheit in erlaubter Weise ausgeübt haben, das Erfordernis von Übergangsregelungen nach den Grundsätzen zur sog unechten Rückwirkung bzw sog tatbestandlichen Rückanknüpfung beurteilt (vgl hierzu BVerfGE 97, 67, 79; s auch BVerfGE 68, 272, 284; 75, 246, 279; 98, 265, 309). Danach ist bei Sachverhalten, die bereits vor der Neuregelung "ins Werk gesetzt" worden sind, aber durch diese eine neue rechtliche Bewertung erfahren haben, abzuwägen, ob den schutzwürdigen Interessen der Betroffenen größeres Gewicht zukommt als dem öffentlichen Interesse an der Neuregelung (vgl zB BVerfGE 75, 246, 280; 88, 384, 406 f; 89, 48, 66; 92, 277, 344). Bei dieser Abwägung hat der Normsetzer eine Gestaltungsfreiheit sowie einen Bewertungs- und Abwägungsspielraum, der ein gerichtliches Eingreifen nur im Falle deutlicher Verkennung der schutzwürdigen Interessen der Betroffenen zuläßt (in diesem Sinne BVerfGE 76, 256, 359 f). Die Anwendung dieser Grundsätze führt grundsätzlich zu keinem anderen Ergebnis als die oben vorgenommene Verhältnismäßigkeitsprüfung, wie auch der vorliegende Fall zeigt. Der Eingriff wiegt aus den oben dargestellten Gründen selbst im Falle der sog Altberechtigten nicht schwer und durfte vom Normsetzer geringer als das öffentliche Interesse an der Neuregelung und an dem damit verfolgten Gesundheitsschutz gewertet werden.

Nach alledem war eine Übergangsregelung mit vorübergehend geduldeter weiterer Abrechenbarkeit nicht erforderlich. Die Betroffenen konnten sich auch rechtzeitig auf die Neuregelung einstellen, denn diese waren erstmals im DÄ vom 29. September 1995 (Heft 39, Beilage zur Ausgabe A) und nach der förmlichen schriftlichen Fixierung der Ergänzenden Vereinbarung im DÄ vom 10. November 1995 (Heft 45, C-2013 ff, 2015 f; - ferner DÄ Heft 51/52 vom 25. Dezember 1995, C-2323 unter 5) nochmals bekannt gemacht worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG. Der Senat hat davon abgesehen, eine Kostenerstattung für das Revisionsverfahren anzuordnen. Die Klägerin hat im Verhältnis zum Beklagten infolge dessen Revisionsrücknahme zwar obsiegt, im Verhältnis zum Beigeladenen zu 2) ist sie aber unterlegen. Diesem hat der Senat - trotz seines Obsiegens - deshalb keine Kosten zugesprochen, weil gemäß § 193 Abs 4 SGG öffentlich-rechtliche Institutionen nur dann Kosten erstattet erhalten können, wenn sie als Kläger oder Beklagter beteiligt sind (BSGE 78, 284, 290 f = SozR 3-2500 § 311 S 29 ff).
Rechtskraft
Aus
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