Land
Bundesrepublik Deutschland
Sozialgericht
Bundessozialgericht
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
9
1. Instanz
SG Koblenz (RPF)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
-
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9 VG 3/99 R
Datum
Kategorie
Urteil
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. Juni 1999 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I
Der Kläger erstrebt Versorgungsleistungen nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz (OEG)) iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Der im Januar 1976 geborene Kläger wurde nach dem Besuch einer Jugenddisko in der Ortschaft N. bei B. am 23. Oktober 1993 um 6.00 Uhr morgens in bewußtlosem Zustand auf der Kreisstraße K 108 in Richtung H. aufgefunden. Er hatte eine blutende Kopfwunde, einen gedeckten Bruch im Bereich der rechten Schädelkalotte und lebensgefährliche Hirnverletzungen erlitten. Nachdem er aus seinem wochenlangen Koma erwacht war, litt er an retrograder Amnesie und einem hirnorganischen Psychosyndrom. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Koblenz blieben erfolglos. Die Einstellungsverfügung vom 16. Juni 1995 enthält - gestützt auf ein vor Abschluß der medizinischen Ermittlungen niedergelegtes "Ermittlungsergebnis" eines Kriminalhauptmeisters vom 16. Dezember 1993 - die Bemerkung, daß ein Verkehrsunfall oder ein Sturz nahezu auszuschließen und ein versuchtes Tötungsdelikt aufgrund fehlender Abwehrverletzungen unwahrscheinlich sei. Dagegen könnten die Verletzungen dadurch entstanden sein, daß der Kläger seinen Kopf in die geöffnete Tür eines Pkw gehalten habe und diese Autotür dann kräftig zugeschlagen worden sei.
Der Beklagte hat den am 20. April 1994 gestellten Antrag des Klägers auf Gewaltopferentschädigung mit Bescheid vom 17. Januar 1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Juli 1997 abgelehnt, da kein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff iS des § 1 OEG nachgewiesen sei. Klage und Berufung des Klägers sind erfolglos geblieben (Urteile des Sozialgerichts Koblenz vom 30. Oktober 1998 und des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz (LSG) vom 24. Juni 1999).
Das LSG hat zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen ausgeführt: Auch unter Ausschöpfung aller denkbaren Beweismittel könne nicht aufgeklärt werden, wie die Verletzung verursacht worden sei. Der Akteninhalt lasse verschiedene Geschehensabläufe zu, zB eine fahrlässige Verletzung oder eine Verletzung ohne Fremdverschulden oder eine vom Kläger nunmehr als wahrscheinlich angesehene Verletzung durch Zuschlagen einer Kfz-Tür. Selbst wenn man diesen möglichen Geschehensablauf als mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehend ansähe, wäre ein Anspruch nach dem OEG durch § 1 Abs 11 OEG ausgeschlossen. Nach dieser Bestimmung sei das OEG nicht auf Schäden aus einem tätlichen Angriff anzuwenden, die ein Angreifer durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeuges verursacht habe.
Mit der - vom Senat zugelassenen - Revision macht der Kläger geltend, angesichts des Umstandes, daß er an retrograder Amnesie leide und somit gerade wegen der an ihm möglicherweise begangenen Straftat keine Angaben machen könne, müsse für das Vorliegen der Straftat der Beweismaßstab der Glaubhaftmachung, dh der überwiegenden Wahrscheinlichkeit, ausreichen. Dafür spreche insbesondere die Entscheidung des Senats vom 3. Februar 1999 (BSGE 83, 279 = SozR 3-3900 § 15 Nr 2). In ihr sei ausgesprochen worden, daß die Vorschrift des § 15 KOV-Verfahrensgesetz Hinterbliebene von Personen, die durch einen Schädigungstatbestand der §§ 1 ff BVG getötet worden seien, "ohnehin strukturell belaste". Das gleiche habe für Verbrechensopfer zu gelten, die infolge einer Gewalttat das Erinnerungsvermögen verloren hätten. Außerdem liege bei ihm, dem Kläger, nach dem Ergebnis der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen entweder ein Gewaltgeschehen oder aber eine Verletzung durch das Zuschlagen einer Autotür vor. Es stehe also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest, daß er Opfer eines vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden sei. Es sei nur fraglich geblieben, ob dieser Angriff mit Hilfe eines Kraftfahrzeuges (Zuschlagen einer Autotür) oder in anderer Weise verübt worden sei. In diesem Fall habe entweder der Beklagte oder aber - gemäß § 12 Abs 1 Nr 3 des Pflichtversicherungsgesetzes (PflVG) - die "Verkehrsopferhilfe" Leistungen zu erbringen. Wenn - wie hier - die "Verkehrsopferhilfe Leistungen abgelehnt habe, müsse der Träger der Gewaltopferversorgung eintreten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. Juni 1999 und das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 30. Oktober 1998 sowie den Bescheid des Versorgungsamtes Koblenz vom 17. Januar 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Juli 1997 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger Versorgung nach dem OEG wegen der Folgen der Gewalttat vom 23. Oktober 1993 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. Juni 1999 zurückzuweisen.
Eine Gewalttat nach dem OEG sei, wie das Landessozialgericht zu Recht entschieden habe, nicht nachgewiesen. § 15 Satz 1 KOV-Verfahrensgesetz führe hier zu keiner Beweiserleichterung, weil der Kläger selbst keine Angaben machen könne. Die vom erkennenden Senat in seiner Entscheidung vom 3. Februar 1999 ausnahmsweise eingeräumte Beweiserleichterung beziehe sich nicht auf einen vergleichbaren Fall. Selbst wenn das LSG die Beweismaßstäbe gesenkt hätte, würde - unter Zugrundelegung der nach Auffassung der Ermittlungsbehörden nächstliegenden Möglichkeit - ein Anspruch nach dem OEG an der Regelung des § 1 Abs 11 OEG scheitern.
II
Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Zu Recht haben die Vorinstanzen und der Beklagte einen Anspruch nach § 1 OEG verneint. Gemäß § 1 Abs 1 Satz 1 OEG hat Anspruch auf Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes ... infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine ... Person eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff läßt sich nach den Feststellungen des LSG nicht zur vollen richterlichen Überzeugung ("Vollbeweis", dh zur Überzeugung des Gerichts von einer an Gewißheit grenzenden Wahrscheinlichkeit oder eines so hohen Grades an Wahrscheinlichkeit, daß kein vernünftiger Mensch noch zweifelt - Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl, RdNr 6a zu § 103 und RdNr 5 zu § 118 Sozialgerichtsgesetz (SGG) mwN) ermitteln. Zu Recht hat das LSG daher - nach den Grundsätzen der sog objektiven Beweislast - (vgl Meyer-Ladewig aaO RdNr 19a zu § 103 mwN) zu Lasten des Klägers entschieden.
Entgegen der Meinung der Revision hat das LSG den zutreffenden, für soziale Leistungsansprüche allgemein geltenden (vgl Meyer-Ladewig aaO RdNr 6a und 196 zu § 103) Beweismaßstab angelegt (vgl BSGE 63, 270 = SozR 1500 § 128 Nr 34 sowie die unveröffentlichte Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 6. September 1989 - 9 RVg 4/88 - "Moselbrückenfall"). Wie das LSG zu Recht ausführt, folgt aus § 15 KOV-Verfahrensgesetz hier keine Beweiserleichterung. Diese Bestimmung ist zwar grundsätzlich auch im Verfahren über Ansprüche nach dem OEG anwendbar (vgl die vorzitierten Urteile des Senats sowie Urteil vom 31. Mai 1989, SozR 1500 § 128 Nr 39), und zwar nicht nur im Verwaltungsverfahren, sondern auch im Gerichtsverfahren (BSG aaO; BSGE 83, 279, 282 f). Sie erfordert jedoch, wie der Senat wiederholt entschieden hat (vgl BSGE Band 83, aaO mwN), daß der Antragsteller Angaben aus eigenem Wissen, jedenfalls aber überhaupt Angaben machen kann. § 15 KOV-Verfahrensgesetz läßt erkennen, daß die Verwaltungsbehörde bzw die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit Tatsachen, die lediglich glaubhaft oder überwiegend wahrscheinlich sind, seiner Entscheidung grundsätzlich nur dann zugrunde legen darf, wenn zugleich der Antragsteller die strafrechtliche Verantwortung dafür übernimmt, daß seine Angaben - zumindest subjektiv - den Tatsachen entsprechen. Das macht insbesondere die Bestimmung des § 15 Satz 2 KOV-Verfahrensgesetz deutlich, wonach die Verwaltungsbehörde in besonderen Fällen von dem Antragsteller die eidesstattliche Versicherung verlangen kann, daß er bei seinen Angaben nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen habe. Aber auch wenn eine eidesstattliche Versicherung nicht abgegeben wurde, so würde sich der Antragsteller, der bewußt falsche Angaben macht, möglicherweise des Betruges (§ 263 Strafgesetzbuch) schuldig machen. Diese zusätzliche, über die Glaubhaftigkeit aus sonstigen Gründen hinausgehende Gewähr für die Richtigkeit des von der Verwaltungsbehörde oder vom Gericht zugrunde gelegten Sachverhalts würde fehlen, wenn die Behörde oder das Gericht auch schon solche glaubhaften Sachverhalte der Entscheidung zugrunde legen würde, zu denen der Antragsteller keine Angaben aus eigenem Wissen oder - wie hier - überhaupt keine Angaben machen kann.
Allerdings hat der Senat in seinem Urteil vom 3. Februar 1999 (B 9 V 33/97 R - BSGE 83, 279 = SozR 3-3900 § 15 Nr 2) von den vorstehend dargestellten Grundsätzen für den Fall eine Ausnahme anerkannt, daß die Hinterbliebenen einer wahrscheinlich durch Angehörige einer Besatzungsmacht getöteten Person aus eigenem Wissen keine Angaben über die Umstände der Tötung machen können, wenn ihre Beweisnot noch dadurch verstärkt worden ist, daß die Aufklärung der Tat in den Händen eben der (russischen) Besatzungsmacht lag, deren Angehörige unter Tatverdacht standen. Der Senat hat die Beweiserleichterung in diesem Ausnahmefall aus den Besonderheiten des Kriegsopferverfahrensrechts und des Kriegsopferrechts hergeleitet. Es braucht hier nicht entschieden zu werden, ob grundsätzlich eine Übertragung der damals entwickelten Gesichtspunkte auf das Gewaltopferrecht und das für seine Anwendung geltende Verfahrensrecht sowie auf den Fall in Betracht kommt, daß sich das Gewaltopfer - wie hier - an den schädigenden Vorgang nicht mehr erinnern kann. Denn einer Übertragung der Grundsätze des genannten Urteils B 9 V 33/97 R aaO stehen hier zwei Gesichtspunkte entgegen: Einerseits konnte seinerzeit aufgrund der Umstände des Falls kein Zweifel daran bestehen, daß der Getötete durch eine Straftat ums Leben gekommen war. Andererseits war bei dem seinerzeit entschiedenen Fall für den Senat ausschlaggebend, daß die Hinterbliebenen des Getöteten nicht nur der in § 15 KOV-Verfahrensgesetz strukturell angelegten und vom Gesetzgeber bewußt in Kauf genommenen Beweisnot ausgesetzt waren, aus eigenem Wissen keine Angaben machen zu können, sondern ihre Beweislage zusätzlich noch dadurch beeinträchtigt war, daß die Ermittlungen in der Hand von Institutionen (seinerzeit dem NKWD) lagen, die nicht rechtsstaatlich zu arbeiten pflegten und in gewisser Weise dem Umfeld der mutmaßlichen Täter angehörten. Eine vergleichbare Konstellation liegt hier offensichtlich nicht vor. Im übrigen hat der Senat in der zitierten Entscheidung keinen Zweifel daran gelassen, daß die dort eingeräumte Beweiserleichterung Ausnahmecharakter trägt.
Die von der Revision aufgeworfene Frage, was zu gelten hätte, wenn nach den Feststellungen des LSG zweifelsfrei eine Gewalttat vorläge und nur zweifelhaft wäre, ob diese mittels eines Kraftfahrzeugs (vgl dazu Entscheidung des Senats SozR 3-3800 § 10a Nr 1) oder in sonstiger Weise begangen worden war, so daß eine Entschädigung entweder nach dem OEG oder nach § 12 Abs 1 Nr 3 Pflichtversicherungsgesetz durch die Verkehrsopferhilfe zu leisten wäre, bedarf keiner Entscheidung. Denn ein entsprechender Fall liegt nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG nicht vor. Das LSG hat eine Gewalttat, auch eine mittels eines Kraftfahrzeugs begangene, gerade nicht für feststellbar erachtet. Nur hypothetisch setzt es sich mit der Frage auseinander, ob ein Anspruch nach dem OEG dann bestünde, wenn der von den Ermittlungsbehörden der Staatsanwaltschaft noch als am wahrscheinlichsten angesehene Fall vorläge, und verweist insofern auf § 1 Abs 11 OEG. Es handelt sich insoweit also um eine Hilfserwägung, welche die Entscheidung nicht trägt. Dessen ungeachtet ist das LSG auch bei seiner hypothetischen Erwägung nicht von dem Fall ausgegangen, den die Revision zugrunde legt, nämlich daß - mit gleicher Wahrscheinlichkeit oder Gewißheit - die vorsätzliche Begehung einer Gewalttat mit oder ohne Verwendung eines Kraftfahrzeugs in Betracht käme, sondern es hat Ausführungen nur für den Fall gemacht, daß eine Verletzung des Klägers mittels eines Kraftfahrzeugs herbeigeführt war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe:
I
Der Kläger erstrebt Versorgungsleistungen nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz (OEG)) iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Der im Januar 1976 geborene Kläger wurde nach dem Besuch einer Jugenddisko in der Ortschaft N. bei B. am 23. Oktober 1993 um 6.00 Uhr morgens in bewußtlosem Zustand auf der Kreisstraße K 108 in Richtung H. aufgefunden. Er hatte eine blutende Kopfwunde, einen gedeckten Bruch im Bereich der rechten Schädelkalotte und lebensgefährliche Hirnverletzungen erlitten. Nachdem er aus seinem wochenlangen Koma erwacht war, litt er an retrograder Amnesie und einem hirnorganischen Psychosyndrom. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Koblenz blieben erfolglos. Die Einstellungsverfügung vom 16. Juni 1995 enthält - gestützt auf ein vor Abschluß der medizinischen Ermittlungen niedergelegtes "Ermittlungsergebnis" eines Kriminalhauptmeisters vom 16. Dezember 1993 - die Bemerkung, daß ein Verkehrsunfall oder ein Sturz nahezu auszuschließen und ein versuchtes Tötungsdelikt aufgrund fehlender Abwehrverletzungen unwahrscheinlich sei. Dagegen könnten die Verletzungen dadurch entstanden sein, daß der Kläger seinen Kopf in die geöffnete Tür eines Pkw gehalten habe und diese Autotür dann kräftig zugeschlagen worden sei.
Der Beklagte hat den am 20. April 1994 gestellten Antrag des Klägers auf Gewaltopferentschädigung mit Bescheid vom 17. Januar 1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Juli 1997 abgelehnt, da kein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff iS des § 1 OEG nachgewiesen sei. Klage und Berufung des Klägers sind erfolglos geblieben (Urteile des Sozialgerichts Koblenz vom 30. Oktober 1998 und des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz (LSG) vom 24. Juni 1999).
Das LSG hat zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen ausgeführt: Auch unter Ausschöpfung aller denkbaren Beweismittel könne nicht aufgeklärt werden, wie die Verletzung verursacht worden sei. Der Akteninhalt lasse verschiedene Geschehensabläufe zu, zB eine fahrlässige Verletzung oder eine Verletzung ohne Fremdverschulden oder eine vom Kläger nunmehr als wahrscheinlich angesehene Verletzung durch Zuschlagen einer Kfz-Tür. Selbst wenn man diesen möglichen Geschehensablauf als mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehend ansähe, wäre ein Anspruch nach dem OEG durch § 1 Abs 11 OEG ausgeschlossen. Nach dieser Bestimmung sei das OEG nicht auf Schäden aus einem tätlichen Angriff anzuwenden, die ein Angreifer durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeuges verursacht habe.
Mit der - vom Senat zugelassenen - Revision macht der Kläger geltend, angesichts des Umstandes, daß er an retrograder Amnesie leide und somit gerade wegen der an ihm möglicherweise begangenen Straftat keine Angaben machen könne, müsse für das Vorliegen der Straftat der Beweismaßstab der Glaubhaftmachung, dh der überwiegenden Wahrscheinlichkeit, ausreichen. Dafür spreche insbesondere die Entscheidung des Senats vom 3. Februar 1999 (BSGE 83, 279 = SozR 3-3900 § 15 Nr 2). In ihr sei ausgesprochen worden, daß die Vorschrift des § 15 KOV-Verfahrensgesetz Hinterbliebene von Personen, die durch einen Schädigungstatbestand der §§ 1 ff BVG getötet worden seien, "ohnehin strukturell belaste". Das gleiche habe für Verbrechensopfer zu gelten, die infolge einer Gewalttat das Erinnerungsvermögen verloren hätten. Außerdem liege bei ihm, dem Kläger, nach dem Ergebnis der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen entweder ein Gewaltgeschehen oder aber eine Verletzung durch das Zuschlagen einer Autotür vor. Es stehe also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest, daß er Opfer eines vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden sei. Es sei nur fraglich geblieben, ob dieser Angriff mit Hilfe eines Kraftfahrzeuges (Zuschlagen einer Autotür) oder in anderer Weise verübt worden sei. In diesem Fall habe entweder der Beklagte oder aber - gemäß § 12 Abs 1 Nr 3 des Pflichtversicherungsgesetzes (PflVG) - die "Verkehrsopferhilfe" Leistungen zu erbringen. Wenn - wie hier - die "Verkehrsopferhilfe Leistungen abgelehnt habe, müsse der Träger der Gewaltopferversorgung eintreten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. Juni 1999 und das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 30. Oktober 1998 sowie den Bescheid des Versorgungsamtes Koblenz vom 17. Januar 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Juli 1997 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger Versorgung nach dem OEG wegen der Folgen der Gewalttat vom 23. Oktober 1993 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. Juni 1999 zurückzuweisen.
Eine Gewalttat nach dem OEG sei, wie das Landessozialgericht zu Recht entschieden habe, nicht nachgewiesen. § 15 Satz 1 KOV-Verfahrensgesetz führe hier zu keiner Beweiserleichterung, weil der Kläger selbst keine Angaben machen könne. Die vom erkennenden Senat in seiner Entscheidung vom 3. Februar 1999 ausnahmsweise eingeräumte Beweiserleichterung beziehe sich nicht auf einen vergleichbaren Fall. Selbst wenn das LSG die Beweismaßstäbe gesenkt hätte, würde - unter Zugrundelegung der nach Auffassung der Ermittlungsbehörden nächstliegenden Möglichkeit - ein Anspruch nach dem OEG an der Regelung des § 1 Abs 11 OEG scheitern.
II
Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Zu Recht haben die Vorinstanzen und der Beklagte einen Anspruch nach § 1 OEG verneint. Gemäß § 1 Abs 1 Satz 1 OEG hat Anspruch auf Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes ... infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine ... Person eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff läßt sich nach den Feststellungen des LSG nicht zur vollen richterlichen Überzeugung ("Vollbeweis", dh zur Überzeugung des Gerichts von einer an Gewißheit grenzenden Wahrscheinlichkeit oder eines so hohen Grades an Wahrscheinlichkeit, daß kein vernünftiger Mensch noch zweifelt - Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl, RdNr 6a zu § 103 und RdNr 5 zu § 118 Sozialgerichtsgesetz (SGG) mwN) ermitteln. Zu Recht hat das LSG daher - nach den Grundsätzen der sog objektiven Beweislast - (vgl Meyer-Ladewig aaO RdNr 19a zu § 103 mwN) zu Lasten des Klägers entschieden.
Entgegen der Meinung der Revision hat das LSG den zutreffenden, für soziale Leistungsansprüche allgemein geltenden (vgl Meyer-Ladewig aaO RdNr 6a und 196 zu § 103) Beweismaßstab angelegt (vgl BSGE 63, 270 = SozR 1500 § 128 Nr 34 sowie die unveröffentlichte Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 6. September 1989 - 9 RVg 4/88 - "Moselbrückenfall"). Wie das LSG zu Recht ausführt, folgt aus § 15 KOV-Verfahrensgesetz hier keine Beweiserleichterung. Diese Bestimmung ist zwar grundsätzlich auch im Verfahren über Ansprüche nach dem OEG anwendbar (vgl die vorzitierten Urteile des Senats sowie Urteil vom 31. Mai 1989, SozR 1500 § 128 Nr 39), und zwar nicht nur im Verwaltungsverfahren, sondern auch im Gerichtsverfahren (BSG aaO; BSGE 83, 279, 282 f). Sie erfordert jedoch, wie der Senat wiederholt entschieden hat (vgl BSGE Band 83, aaO mwN), daß der Antragsteller Angaben aus eigenem Wissen, jedenfalls aber überhaupt Angaben machen kann. § 15 KOV-Verfahrensgesetz läßt erkennen, daß die Verwaltungsbehörde bzw die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit Tatsachen, die lediglich glaubhaft oder überwiegend wahrscheinlich sind, seiner Entscheidung grundsätzlich nur dann zugrunde legen darf, wenn zugleich der Antragsteller die strafrechtliche Verantwortung dafür übernimmt, daß seine Angaben - zumindest subjektiv - den Tatsachen entsprechen. Das macht insbesondere die Bestimmung des § 15 Satz 2 KOV-Verfahrensgesetz deutlich, wonach die Verwaltungsbehörde in besonderen Fällen von dem Antragsteller die eidesstattliche Versicherung verlangen kann, daß er bei seinen Angaben nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen habe. Aber auch wenn eine eidesstattliche Versicherung nicht abgegeben wurde, so würde sich der Antragsteller, der bewußt falsche Angaben macht, möglicherweise des Betruges (§ 263 Strafgesetzbuch) schuldig machen. Diese zusätzliche, über die Glaubhaftigkeit aus sonstigen Gründen hinausgehende Gewähr für die Richtigkeit des von der Verwaltungsbehörde oder vom Gericht zugrunde gelegten Sachverhalts würde fehlen, wenn die Behörde oder das Gericht auch schon solche glaubhaften Sachverhalte der Entscheidung zugrunde legen würde, zu denen der Antragsteller keine Angaben aus eigenem Wissen oder - wie hier - überhaupt keine Angaben machen kann.
Allerdings hat der Senat in seinem Urteil vom 3. Februar 1999 (B 9 V 33/97 R - BSGE 83, 279 = SozR 3-3900 § 15 Nr 2) von den vorstehend dargestellten Grundsätzen für den Fall eine Ausnahme anerkannt, daß die Hinterbliebenen einer wahrscheinlich durch Angehörige einer Besatzungsmacht getöteten Person aus eigenem Wissen keine Angaben über die Umstände der Tötung machen können, wenn ihre Beweisnot noch dadurch verstärkt worden ist, daß die Aufklärung der Tat in den Händen eben der (russischen) Besatzungsmacht lag, deren Angehörige unter Tatverdacht standen. Der Senat hat die Beweiserleichterung in diesem Ausnahmefall aus den Besonderheiten des Kriegsopferverfahrensrechts und des Kriegsopferrechts hergeleitet. Es braucht hier nicht entschieden zu werden, ob grundsätzlich eine Übertragung der damals entwickelten Gesichtspunkte auf das Gewaltopferrecht und das für seine Anwendung geltende Verfahrensrecht sowie auf den Fall in Betracht kommt, daß sich das Gewaltopfer - wie hier - an den schädigenden Vorgang nicht mehr erinnern kann. Denn einer Übertragung der Grundsätze des genannten Urteils B 9 V 33/97 R aaO stehen hier zwei Gesichtspunkte entgegen: Einerseits konnte seinerzeit aufgrund der Umstände des Falls kein Zweifel daran bestehen, daß der Getötete durch eine Straftat ums Leben gekommen war. Andererseits war bei dem seinerzeit entschiedenen Fall für den Senat ausschlaggebend, daß die Hinterbliebenen des Getöteten nicht nur der in § 15 KOV-Verfahrensgesetz strukturell angelegten und vom Gesetzgeber bewußt in Kauf genommenen Beweisnot ausgesetzt waren, aus eigenem Wissen keine Angaben machen zu können, sondern ihre Beweislage zusätzlich noch dadurch beeinträchtigt war, daß die Ermittlungen in der Hand von Institutionen (seinerzeit dem NKWD) lagen, die nicht rechtsstaatlich zu arbeiten pflegten und in gewisser Weise dem Umfeld der mutmaßlichen Täter angehörten. Eine vergleichbare Konstellation liegt hier offensichtlich nicht vor. Im übrigen hat der Senat in der zitierten Entscheidung keinen Zweifel daran gelassen, daß die dort eingeräumte Beweiserleichterung Ausnahmecharakter trägt.
Die von der Revision aufgeworfene Frage, was zu gelten hätte, wenn nach den Feststellungen des LSG zweifelsfrei eine Gewalttat vorläge und nur zweifelhaft wäre, ob diese mittels eines Kraftfahrzeugs (vgl dazu Entscheidung des Senats SozR 3-3800 § 10a Nr 1) oder in sonstiger Weise begangen worden war, so daß eine Entschädigung entweder nach dem OEG oder nach § 12 Abs 1 Nr 3 Pflichtversicherungsgesetz durch die Verkehrsopferhilfe zu leisten wäre, bedarf keiner Entscheidung. Denn ein entsprechender Fall liegt nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG nicht vor. Das LSG hat eine Gewalttat, auch eine mittels eines Kraftfahrzeugs begangene, gerade nicht für feststellbar erachtet. Nur hypothetisch setzt es sich mit der Frage auseinander, ob ein Anspruch nach dem OEG dann bestünde, wenn der von den Ermittlungsbehörden der Staatsanwaltschaft noch als am wahrscheinlichsten angesehene Fall vorläge, und verweist insofern auf § 1 Abs 11 OEG. Es handelt sich insoweit also um eine Hilfserwägung, welche die Entscheidung nicht trägt. Dessen ungeachtet ist das LSG auch bei seiner hypothetischen Erwägung nicht von dem Fall ausgegangen, den die Revision zugrunde legt, nämlich daß - mit gleicher Wahrscheinlichkeit oder Gewißheit - die vorsätzliche Begehung einer Gewalttat mit oder ohne Verwendung eines Kraftfahrzeugs in Betracht käme, sondern es hat Ausführungen nur für den Fall gemacht, daß eine Verletzung des Klägers mittels eines Kraftfahrzeugs herbeigeführt war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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