Land
Bundesrepublik Deutschland
Sozialgericht
Bundessozialgericht
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
9
1. Instanz
SG Rostock (MVP)
Aktenzeichen
S 2 VJ 24/98
Datum
2. Instanz
LSG Mecklenburg-Vorpommern
Aktenzeichen
L 3 VJ 30/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9 VJ 2/02 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Eine Rückwirkung des Leistungsantrags nach § 60 Abs 1 S 2 und 3 BVG verbietet sich wenn im Zeitpunkt der Schädigung eine den Versorgungsanspruch begründende Regelung noch nicht gegolten hat.
2. Beruht eine Entschädigungsregelung die einen begrenzten namentlich bekannten Personenkreis begünstigt auf einem nicht veröffentlichten ministeriellen Übereinkommen zwischen Bund und Ländern so haben die beteiligten Länder in ihrer Eigenschaft als Leistungsträger eine gesteigerte Informationspflicht gegenüber den betroffenen Personen.
2. Beruht eine Entschädigungsregelung die einen begrenzten namentlich bekannten Personenkreis begünstigt auf einem nicht veröffentlichten ministeriellen Übereinkommen zwischen Bund und Ländern so haben die beteiligten Länder in ihrer Eigenschaft als Leistungsträger eine gesteigerte Informationspflicht gegenüber den betroffenen Personen.
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 10. Mai 2001 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe:
I
Der Rechtsstreit betrifft den Beginn einer der Klägerin zuerkannten Versorgungsrente.
Die am 27. Februar 1960 geborene Klägerin wurde am 8. November 1978 zur Anti-D-Prophylaxe mit Immunglobulin behandelt. Durch die dabei verwendete mit Hepatitis-C-Viren kontaminierte Serum-Charge (Nr 08 05 78) wurde die Klägerin infiziert. Laut Auskunft des Landeshygieneinstituts Mecklenburg-Vorpommern in Rostock vom 29. Januar 1996 wurde die Klägerin in einer Liste der früheren Kreishygiene-Inspektion Rostock-Land sowie in einer Liste der Universitäts-Frauenklinik - als nicht anerkannter Impfschadensfall - geführt. Zur Begründung ihres am 8. März 1995 gestellten Antrages auf Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten beim Menschen (Bundes-Seuchengesetz (BSeuchG)) gab die Klägerin ua an, noch im November 1978 sei ihr mitgeteilt worden, dass etwas mit dem Serum nicht stimmen würde und sie sich in ständige ärztliche Behandlung begeben müsse. Mit Bescheid vom 16. Juli 1997 erkannte der Beklagte bei der Klägerin in Anwendung des Einigungsvertrages (EinigVtr) nach dem BSeuchG iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) und dem (DDR-)Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten beim Menschen (GüK-DDR) vom 3. Dezember 1982 sowie der dazu erlassenen Zweiten Durchführungsbestimmung als Schädigungsfolge eine "Chronische Hepatitis C" an und gewährte wegen der dadurch verursachten Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 40 vH Beschädigtengrundrente ab dem Antragsmonat (1. März 1995, seinerzeit monatlich 249 DM).
Das auf einen Rentenbeginn am 1. Januar 1991 gerichtete Begehren der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 13. August 1998; Urteil des Sozialgerichts Rostock (SG) vom 22. Mai 2000; Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern (LSG) vom 10. Mai 2001). Das LSG hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt: Der Klägerin sei die ab 1. März 1995 gewährte Beschädigtenrente nicht schon ab 1. Januar 1991 zu zahlen. Ihr Antrag sei nicht bis zum 31. Dezember 1993 gestellt worden, um entsprechend den Regelungen des EinigVtr den Leistungsbeginn mit dem Monat Januar 1991 herbeiführen zu können. Es könne offen bleiben, ob § 60 Abs 1 Satz 3 BVG neben den Regelungen des EinigVtr vorliegend Anwendung finden könne, weil auch dessen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Die Klägerin sei nicht ohne ihr Verschulden an der Antragstellung bis spätestens 31. Dezember 1993 gehindert gewesen. Die Unkenntnis ihrer Rechtsansprüche bzw des Vorliegens deren tatsächlicher Voraussetzungen begründe keine Verhinderung. Auch unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des § 60 Abs 1 Satz 3 BVG habe bis zum 31. Dezember 1993 eine verlängerte, ausreichende Überlegungsfrist bestanden. Die Wiedereinsetzungsregelung des § 27 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) greife nicht ein, nachdem die Klägerin ihren Antrag mehr als ein Jahr nach Ablauf der am 31. Dezember 1993 endenden Frist gestellt habe. Ebenso wenig könne ein früherer Leistungsbeginn wegen der Verletzung einer allgemeinen Aufklärungspflicht mit Hilfe des sog sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs bewirkt werden. Wenn das Landeshygieneinstitut die Klägerin nicht frühzeitig unterrichtet habe, so müsse die Versorgungsverwaltung mangels organisatorischer Einbindung dafür keinesfalls einstehen. Diese sei über den Gesundheitsschaden der Klägerin nicht unterrichtet gewesen. Aus einer abweichenden Verwaltungspraxis anderer Bundesländer, die die Leistung bereits ab dem 1. Januar 1991 gewährten, erwachse der Klägerin gegenüber dem Beklagten kein Anspruch.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine fehlerhafte Auslegung des § 60 Abs 1 Satz 3 BVG im Rahmen der einschlägigen Fristenregelung des EinigVtr sowie eine Verletzung des § 27 SGB X. Dazu trägt sie vor: Es werde von den Vorinstanzen verkannt, dass gerade ihre Unkenntnis hinsichtlich der leistungsbegründenden Vorschriften und Umstände den gesetzlichen Tatbestand des § 60 Abs 1 Satz 3 BVG erfülle. Die Gerichte hätten sich nicht mit der Frage auseinander gesetzt, wie sich das Wissen der Behörde um die Schädigung in diesem Zusammenhang auswirken müsse. Bei zutreffender Anwendung des § 27 SGB X hätte die Nichtaufklärung über mögliche Entschädigungsansprüche als "höhere Gewalt" berücksichtigt werden müssen.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des LSG Mecklenburg-Vorpommern vom 10. Mai 2001 und des SG Rostock vom 22. Mai 2000 aufzuheben und den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 16. Juli 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. August 1998 zu verurteilen, ihr die Beschädigtengrundrente bereits ab dem 1. Januar 1991 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt unter näherer Darlegung,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision der Klägerin ist im Sinne der Zurückverweisung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz). Ob die Klägerin die Voraussetzungen für eine Gewährung von Beschädigtengrundrente bereits ab dem 1. Januar 1991 erfüllt, lässt sich für den Senat mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des Berufungsgerichts nicht abschließend beantworten. Dazu, ob der frühere Leistungsbeginn unter dem rechtlichen Gesichtspunkt eines sog sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs geboten sein könnte, brauchte das LSG von seinem rechtlichen Standpunkt aus, wonach die Versorgungsverwaltung nicht für Beratungsfehler des Landeshygieneinstituts einzustehen habe, keine weiteren Ermittlungen durchzuführen. Diese Rechtsansicht der Vorinstanz hält indessen einer revisionsgerichtlichen Prüfung nicht stand.
1. SG und LSG sind im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass der Beklagte der Klägerin die Beschädigtenversorgung wegen des im November 1978 erlittenen Gesundheitsschadens dem Grunde nach zu Recht zuerkannt hat.
a) Allerdings erfüllt die Klägerin nicht die Anspruchsvoraussetzungen für die Fortführung einer nach DDR-Recht gezahlten Impfentschädigung.
Gemäß Anl I Kap X Sachgebiet D Abschnitt III Nr 3 Buchst c EinigVtr, der durch Art 1 Einigungsvertragsgesetz vom 23. September 1990 (BGBl II 885) Gesetz geworden ist, gilt:
Das BSeuchG idF der Bekanntmachung vom 18. Dezember 1979 (BGBl I S 2262, 1980 I S 151), zuletzt geändert durch Art 7 des Gesetzes vom 26. Juni 1990 (BGBl I S 1211) tritt im Beitrittsgebiet ua mit folgender Maßgabe in Kraft: Soweit nach den §§ 51 bis 55, 59 bis 61 BSeuchG das BVG und die zu seiner Durchführung erlassenen Vorschriften entsprechend anzuwenden sind, gelten diese Vorschriften mit den in Anl I Kap VIII Sachgebiet K Abschnitt III Nr 1 EinigVtr aufgeführten Maßgaben. Die nach dem bisher in der Deutschen Demokratischen Republik geltenden Recht geleisteten Zahlungen für Impfschäden werden solange weitergewährt, bis Leistungen nach den §§ 51 bis 55, 59 bis 61 BSeuchG iVm dem BVG erbracht werden. Die entsprechenden Vorschriften der Deutschen Demokratischen Republik sind insoweit bis zu diesem Zeitpunkt den Zahlungen zu Grunde zulegen. Die geleisteten Zahlungen sind auf Zahlungen nach dem BSeuchG iVm dem BVG für denselben Zeitraum anzurechnen.
Soweit das SG (ähnlich bereits der Beklagte im Widerspruchsbescheid) ausgeführt hat, die Klägerin komme in den Genuss der vorgenannten Besitzstandsschutzregelungen des EinigVtr, weil ihre gesundheitlichen Schädigungen bereits nach DDR-Recht (GüK-DDR vom 20. Dezember 1965, GBl DDR 1966 I, 29; ab 1. März 1983 ersetzt durch das Gesetz vom 3. Dezember 1982, GBl DDR I, 631) entschädigt worden seien, trifft dies nicht zu; die Klägerin gehört gerade nicht zu den bereits nach DDR-Recht entschädigten Personen. Selbst wenn sie der Sache nach offensichtlich ein Opfer des "Impfskandals" von 1978/79 ist, liegen bei ihr die Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung nach dieser Bestimmung nicht vor, weil es an der tatsächlichen Zahlung einer nach DDR-Recht gewährten Entschädigungsleistung fehlt, auf die der EinigVtr eindeutig und abschließend abstellt.
b) Das LSG hätte seiner Entscheidung auch nicht die Annahme zu Grunde legen dürfen, die Klägerin erfülle den Anspruch auf eine Beschädigtenversorgung unter (unmittelbarer) Anwendung der im BSeuchG genannten Voraussetzungen. Nach § 51 BSeuchG erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen des Impfschadens auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, wer durch eine Impfung, die gesetzlich vorgeschrieben oder auf Grund Gesetzes angeordnet oder von einer zuständigen Behörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen oder auf Grund der Verordnung zur Ausführung der internationalen Gesundheitsvorschriften durchgeführt worden ist, einen Impfschaden erlitten hat.
Ein Impfschaden im Sinne des BSeuchG liegt hier nicht vor, weil die der Klägerin 1978 verabreichte prophylaktische Gabe des Immunglobulins zur Immunisierung der Mutter bei Rhesusunverträglichkeit und damit zur Vermeidung gesundheitlicher Risiken bei weiteren Kindern diente (vgl BT-Drucks 13/2732 vom 24. Oktober 1995), nicht aber zur Verhütung einer Infektionskrankheit. In dem Begriff der "Impfung" ist nämlich nach dem auch der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu Grunde liegenden Verständnis sowohl der technische Vorgang des Einbringens des Impfstoffs in den Körper wie auch der Zweck dieser Maßnahme, nämlich die Immunisierung gegen Infektionen, enthalten (vgl nur BSG vom 26. Juni 1985, SozR 3850 § 51 Nr 8).
c) Der Anspruch auf Impfentschädigung ist unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt begründet. Die mit dem seinerzeit zuständigen Bundesministerium für Gesundheit abgestimmte Rechtspraxis in den Bundesländern - in analoger Anwendung der Übergangsbestimmungen des EinigVtr wurde, um unbillige Härten zu vermeiden, auch der Kreis der noch nicht entschädigten Personen, bei denen erst später die Folgen der damaligen Infektion sichtbar (nachweisbar) geworden sind und die somit nach dem 31. Dezember 1990 erstmalig eine Anerkennung begehren (sog Neufälle), in die Entschädigung nach dem BSeuchG iVm dem BVG einbezogen (vgl BT-Drucks 13/2732 S 31) - hat der Gesetzgeber des Gesetzes über die Hilfe für durch Anti-D-Immunprophylaxe mit dem Hepatitis-C-Virus infizierte Personen (Anti-D-Hilfegesetz) vom 2. August 2000 (BGBl I 1270) im Nachhinein sanktioniert und in seinen Willen aufgenommen. Gemäß § 1 Abs 1 Anti-D-Hilfegesetz erhalten die betroffenen Frauen aus humanitären und sozialen Gründen (Krankenbehandlung und) eine finanzielle Hilfe. Diese belief sich ab dem 1. Januar 2000 als monatliche Rente bei einer MdE um 40 vH (wie bei der Klägerin) auf 800 DM (§ 3 Abs 2 aaO). Gemäß den Übergangsvorschriften in § 13 Anti-D-Hilfegesetz sollten die nach diesem Gesetz zuerkannten Ansprüche die nach Anl I Kap X Sachgebiet D Abschnitt III Nr 3 Buchst c EinigVtr bzw dem BSeuchG festgestellten Ansprüche ablösen. Damit hat der Gesetzgeber unmittelbar an die bis dahin bestehende Rechtspraxis angeknüpft und ihr eine hinreichende Grundlage verschafft. Ausweislich der Gesetzesmaterialien ist er dabei selbst davon ausgegangen, dass es sich in diesen Fällen um die Entschädigung für einen Arzneimittelschaden - vergleichbar mit der Entschädigung für die Conterganopfer - handelt, ein Impfschaden also nicht vorliegt und deshalb die bloße Vereinbarung zwischen Bund und Ländern als Rechtsgrundlage für die Einbeziehung der Neufälle in die Entschädigung nach dem BSeuchG iVm dem BVG problematisch war (vgl BT-Drucks 14/2958 S 7). Soweit gegen diese Vorgehensweise verfassungsrechtliche Bedenken bestehen könnten, greifen diese unter Berücksichtigung der Besonderheiten der deutschen Einigung hier nicht durch.
2. Ein früherer Beginn der der Klägerin demgemäß dem Grunde nach zu Recht zuerkannten Versorgungsrente findet weder im EinigVtr noch in sonstigen gesetzlichen Bestimmungen eine rechtliche Grundlage.
a) Da die Klägerin wie ein Impfopfer zu behandeln ist, richtet sich ihre Versorgung entsprechend § 51 Abs 1 Satz 1 BSeuchG nach den Vorschriften des BVG. Die in Anl I Kap X Sachgebiet D Abschnitt III Nr 3 Buchst c EinigVtr in Bezug genommene Regelung in Anl I Kap VIII Sachgebiet K Abschnitt III Nr 1 EinigVtr setzt das BVG idF der Bekanntmachung vom 22. Januar 1982 (BGBl I S 21), zuletzt geändert durch Art 1 des Gesetzes vom 26. Juni 1990 (BGBl I S 1211), im Beitrittsgebiet mit bestimmten Maßgaben in Kraft; hierzu gehört die in Buchst i wie folgt getroffene Regelung:
Die sich nach diesem Gesetz (BVG) ergebenden neuen Versorgungsansprüche werden auf Antrag festgestellt. Wird der Antrag bis zum 31. Dezember 1993 gestellt, so beginnen die Versorgungsansprüche mit dem Monat, in dem ihre Voraussetzungen erfüllt sind, frühestens mit dem Monat Januar 1991.
Gemäß Buchst m aaO findet das BVG im Beitrittsgebiet vom 1. Januar 1991 an Anwendung.
Unabhängig davon, ob die Klägerin die Voraussetzungen für Versorgungsansprüche im Januar 1991 erfüllt hatte, kommt eine rückwirkende Leistung danach nicht in Betracht, weil die Klägerin ihren Antrag erst nach Ablauf der gesetzlichen Frist, nämlich am 14. März 1995, gestellt hat.
b) Es kann - wie auch schon vom Berufungsgericht ausgeführt - offen bleiben, ob Anl I Kap VIII Sachgebiet K Abschnitt III Nr 1 Buchst i EinigVtr mit seiner bis zum 31. Dezember 1993 verlängerten Antragsfrist als Spezialregelung die Anwendung von § 60 Abs 1 Satz 3 BVG ausschließt (vgl entsprechend für die Frage einer Wiedereinsetzung nach Ablauf der Dreimonatsfrist des § 99 Abs 1 SGB VI: BSG vom 14. November 2002, SozR 3-2600 § 115 Nr 9 mwN). Darauf kommt es hier nicht an, weil die Klägerin - wie das Berufungsgericht zutreffend geurteilt hat - die Voraussetzungen von § 60 Abs 1 Satz 3 BVG nicht erfüllt.
Die einschlägigen Sätze 1 bis 3 des ab 1991 im Beitrittsgebiet anwendbaren § 60 Abs 1 BVG lauten:
Die Beschädigtenversorgung beginnt mit dem Monat, in dem ihre Voraussetzungen erfüllt sind, frühestens mit dem Antragsmonat. Die Versorgung ist auch für Zeiträume vor der Antragstellung zu leisten, wenn der Antrag innerhalb eines Jahres nach Eintritt der Schädigung gestellt wird. War der Beschädigte ohne sein Verschulden an der Antragstellung verhindert, so verlängert sich die Frist um den Zeitraum der Verhinderung.
Der am 1. Januar 1979 in Kraft getretenen (Art 8 Zehntes Gesetz über die Anpassung der Leistungen des Bundesversorgungsgesetzes (10. AnpG-KOV) vom 10. August 1978, BGBl I 1217), um die in den Sätzen 2 und 3 getroffenen Ausnahmebestimmungen ergänzten Fassung des § 60 Abs 1 BVG liegt folgendes Konzept zu Grunde: Im Grundsatz beginnt die Versorgung mit dem Antragsmonat, wenn die materiell-rechtlichen Voraussetzungen vorliegen. Ausnahmsweise eröffnet Satz 2 eine Rückwirkung, wenn der Antrag binnen Jahresfrist nach der Schädigung gestellt wird; ihrer Wirkung nach verschafft die Jahresfrist eine Wiedereinsetzung in den Stand bei Eintritt der Schädigung. Die Jahresfrist wird wiederum erweitert um den Zeitraum, in dem eine unverschuldete Verhinderung vorlag. Der Ausnahmecharakter der erweiterten Rückwirkung des Antrags gebietet eine enge Handhabung. Die durch Art 1 Nr 37 10. AnpG-KOV erfolgte Ergänzung ist im Gesetzgebungsverfahren damit begründet worden, Beschädigten solle allgemein ein Jahr Zeit gegeben werden, den Anspruch auf soziale Entschädigung ohne Nachteile hinsichtlich des Leistungsbeginns erstmals geltend zu machen ("Überlegungsfrist"). Damit sollte namentlich den Belangen von Impfgeschädigten und Opfern von Gewalttaten Rechnung getragen werden (vgl BT-Drucks 8/1735 S 19 Zu Nr 37, § 60 BVG).
Die Regelung erfasste bei ihrem Inkrafttreten nach ihrem zeitlichen Geltungsbereich auch zurückliegende Schadensfälle (vgl BSGE 59, 40 = SozR 3800 § 1 Nr 5). Dieser Senatsentscheidung lag die Fallgestaltung zu Grunde, dass das entschädigungspflichtige Tötungsdelikt am 8. Juni 1977 begangen wurde; damit konnte die Schädigung iS des § 60 Abs 1 Satz 2 BVG bei ihrem Eintritt bereits die Voraussetzungen einer rechtswidrigen vorsätzlichen Gewalttat nach § 1 Abs 1 Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) erfüllen, das am 1. Juni 1976 in Kraft getreten ist.
In Fällen wie dem der Klägerin konnten die Voraussetzungen einer Beschädigtenversorgung erst ab dem 1. Januar 1991 erfüllt werden, da das BVG vor diesem Zeitpunkt im Beitrittsgebiet keine Anwendung fand. Eine zeitliche Erstreckung des § 60 Abs 1 Sätze 2 und 3 BVG auf einen Tatbestand, wie hier den 1978 erlittenen Anti-D-Prophylaxe-Schaden, der die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine Entschädigung nach dem BSeuchG iVm dem BVG schon mangels örtlicher Geltung der entsprechenden Bestimmungen zu diesem Zeitpunkt noch nicht erfüllen konnte, verbietet sich. Eine (ausnahmsweise) Rückwirkung von verspäteten Anträgen auf solche Vorgänge, bei denen Versorgung selbst dann nicht zu gewähren war, wenn der Antrag im Monat des Schadenseintritts gestellt wurde, greift nicht, weil schon dem Grundsatz nach die Voraussetzungen nicht erfüllt werden konnten (vgl auch BSG SozR 2200 § 205 Nr 55: keine Anwendung von § 60 Abs 1 BVG auf in der Vergangenheit abgeschlossene Tatbestände). Unerheblich ist insofern, ob die Klägerin nach damaligem DDR-Recht hätte entschädigt werden können, da dieses nach dem EinigVtr nur für Zahlfälle vorübergehend weiter anzuwenden war.
c) Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 27 SGB X scheidet nach den Tatsachenfeststellungen des LSG ebenfalls aus. Nach Ablauf eines weiteren Jahres seit dem Ende der gesetzlichen Frist (am 31. Dezember 1993) konnte der Antrag (mit der Folge einer rückwirkenden Leistungserbringung) gemäß § 27 Abs 3 SGB X nur dann nachgeholt werden, wenn dies vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war. Davon kann hier nach Lage der Dinge nicht ausgegangen werden, weil bestimmungsgemäß höhere Gewalt ein außergewöhnliches Ereignis voraussetzt, dessen Eintritt nicht vorauszusehen und auch bei äußerster Sorgfalt nicht mit üblichen Mitteln abzuwenden ist; schon das geringste Verschulden schließt höhere Gewalt aus (BSG vom 11. Mai 2000, BSGE 86, 153, 161 = SozR 3-5750 Art 2 § 6 Nr 18 mwN; BSG SozR 3-3100 § 60 Nr 3 S 3, 5 mwN). Die bloße Unkenntnis der Klägerin über anspruchsbegründende Umstände und Rechtsnormen stellt auch dann keinen Umstand höherer Gewalt dar, wenn sie im Wesentlichen auf einer mangelnden Aufklärung der betroffenen Personen durch die zuständigen staatlichen Stellen beruhte (vgl BSGE 86, 153, 161 f = SozR 3-5750 Art 2 § 6 Nr 1 S 65 f).
3. Entgegen der Ansicht des LSG sprechen - insbesondere auf der Grundlage allgemeinkundiger Tatsachen - erhebliche Gesichtspunkte dafür, dass der von der Klägerin begehrte frühere Leistungsbeginn im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs begründet sein kann (vgl dazu allg Senatsurteile vom 15. August 2000, SozR 3-3100 § 60 Nr 3 S 3, 6, und vom 14. Februar 2001, BSGE 87, 280, 283 = SozR 3-1200 § 14 Nr 31; siehe auch BSG SozR 3-4100 § 249e Nr 4 S 34, 37 f, jeweils mit (zahlreichen) Nachweisen; BSG SozR 3-5868 § 85 Nr 8 S 39, 45 f). Der (im wesentlichen dreigliedrige) Tatbestand dieses richterrechtlichen Rechtsinstituts setzt Folgendes voraus: Es muss eine Pflichtverletzung vorliegen, die dem zuständigen Sozialleistungsträger zuzurechnen ist. Dadurch muss beim Berechtigten ein sozialrechtlicher Nachteil oder Schaden eingetreten sein. Durch Vornahme einer Amtshandlung des Trägers muss ein Zustand hergestellt werden können, der bestehen würde, wenn die Pflichtverletzung nicht erfolgt wäre (Senatsurteil vom 15. August 2000 aaO S 6 mwN).
Als zurechenbare Pflichtverletzung kommt hier das Unterlassen einer - ggf noch vor Ablauf der einigungsvertraglichen Antragsfrist am 31. Dezember 1993 möglichen - Unterrichtung der Klägerin durch den Beklagten über die Möglichkeit einer Entschädigung auf Grund der für Neufälle vereinbarten entsprechenden Anwendung des BSeuchG in Betracht.
Eine Beratungspflicht des Beklagten (vgl § 14 Erstes Buch Sozialgesetzbuch) kann sich hier aus folgenden Erwägungen ergeben: Zwar fehlt es hier naturgemäß an einem entsprechenden Begehren, das typischerweise die Beratungspflicht auslöst (vgl nur BSG SozR 3-1200 § 14 Nr 22 S 69, 74 mwN; aaO Nr 9, 12, 16; SozR 3-2600 § 115 Nr 9 S 59); der Leistungsträger ist indessen auch sonst gehalten, bei Vorliegen eines konkreten Anlasses auf klar zu Tage tretende Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen ("Spontanberatung", vgl BSG aaO; zur Abgrenzung der Hinweispflicht des Sozialleistungsträgers gegenüber Ansprüchen auf Beihilfe: BSG vom 6. März 2003 - B 4 RA 15/02 R -, nv). Grundsätzlich ist ein Leistungsträger auch bei bedeutsamen und folgenschweren Rechtsänderungen nicht verpflichtet, die bei ihm geführten Akten daraufhin zu überprüfen, ob sie Anlass für eine spontane Beratung geben (vgl BSG SozR 3-1200 § 14 Nr 12 S 36). Die Besonderheiten der vorliegenden Fallgestaltungen gebieten jedoch aus Gründen des sozialen Schutzes der Betroffenen ausnahmsweise eine andere Beurteilung (vgl dazu allg BSG SozR 1200 § 14 Nr 16). Während ein Leistungsträger sonst davon ausgehen kann, dass mit der Verkündung eines Gesetzes dessen Inhalt als bekannt gilt (vgl BSGE 67, 90, 92 ff = SozR 3-1200 § 13 Nr 1; Urteil vom 21. April 1993 - 5 RJ 58/91 - mwN, nv), ist eine derartige Publizität hier nicht zu verzeichnen, weil die die Klägerin begünstigende Entschädigungsregelung allein auf einem Übereinkommen zwischen dem Bund und den Ländern des Beitrittsgebiets beruhte. Hinzu kommt, dass sich diese Regelung auf einen begrenzten, den betroffenen Ländern namentlich bekannten Personenkreis bezog.
Die Bundesregierung ging davon aus, dass maximal 6773 Frauen mit kontaminierten Chargen behandelt wurden, von denen bis Ende Juni 1979 2533 an Zeichen einer Hepatitis erkrankt waren (Antwort der Bundesregierung vom 24. Oktober 1995, Hepatitis-C-Infektionen durch die "Anti-D"-Impfprophylaxe in der früheren DDR, BT-Drucks 13/2732 S 7). Die Zahl der ohne (deutliche) Krankheitszeichen betroffenen Frauen, zu denen die Klägerin gehört, errechnete man mit 3906 (aaO S 12). Auf Grund des als effektiv angenommenen Meldesystems in der ehemaligen DDR war bekannt, dass Listen zur Erfassung der betroffenen Frauen bei den ehemaligen Kreishygiene-Inspektionen (Zusammenfassungen in den Bezirkshygiene-Inspektionen) vorlagen und damit auch den zuständigen obersten Landesbehörden der neuen Bundesländer verfügbar waren (aaO S 10). Unter diesen Umständen ist eine gesteigerte Informationspflicht des Beklagten gegenüber den listenmäßig erfassten Frauen zu bejahen. Denn auch bei diesen konnte eine bislang unerkannte Hepatitis C-Infektion bestehen. Das Hepatitis-C-Virus wurde erst im Jahre 1989 mit Hilfe gentechnologischer Methoden identifiziert (vgl BT-Drucks 12/8264 S 16; Wiese, MED SACH 1998, 6); auch der Nachweis, dass es sich bei der Infektion 1978/1979 um eine solche mit dem Hepatitis-C-Virus gehandelt hatte, konnte dann erst seit Anfang 1990 geführt werden (vgl BT-Drucks 13/2732 S 8; Rösner, MED SACH 1998, 4).
Nach der grundgesetzlichen Kompetenzordnung war es erklärtermaßen Aufgabe der Länder, geeignete Schritte zur Aufklärung der zunächst unentdeckt gebliebenen, mit dem Hepatitis-C-Virus infizierten Frauen zu unternehmen (aaO S 13). Im Rahmen der Nachuntersuchungen zur Wiedererfassung der Betroffenen stellte bereits im November 1993 der Freistaat Sachsen sein spezielles Nachuntersuchungsprogramm den neuen Ländern vor (BT-Drucks 13/2732 S 13, 23); nach den dem Senat verfügbaren Erkenntnissen konnten im Freistaat Sachsen die betroffenen Frauen in den Jahren 1994/1995 auch vollständig erfasst werden (Oettler/Bigl/Müller/Herbst/Klapper, MED SACH 1998, 11; BT-Drucks 13/2732 S 5). Ein Bericht aus Sachsen-Anhalt gibt Hinweise, dass dort betroffene Frauen noch im Jahre 1993 auf Initiative des zuständigen Ministeriums durch die Gesundheitsämter mittels gezielter Anschreiben in Kenntnis gesetzt wurden (vgl Freundrich/Schmidt, MED SACH 1998, 21). Dementsprechend wäre auch der Beklagte verpflichtet gewesen, unmittelbar nach Zustandekommen der Bund-Länder-Vereinbarung über die Einbeziehung von sog Neufällen in die Anti-D-Prophylaxe-Entschädigung dafür Sorge zu tragen, dass auch die Klägerin persönlich über die gesundheitlichen Fragen und Entschädigungsmöglichkeiten informiert würde. Nachdem er davon ausgehen musste, dass der Beginn einer möglichen Entschädigung von einer frühzeitigen Unterrichtung der Berechtigten abhing, war der Beklagte insofern ua gehalten, die zuständigen Stellen zu veranlassen, die archivierten Listen der betroffenen Frauen unverzüglich zu beschaffen, zu prüfen, ggf die Namen und Anschriften zu aktualisieren und die betreffenden Personen anzuschreiben bzw auf andere Weise zu informieren (vgl dazu allg Senatsurteil in BSGE 87, 280, 285 = SozR 3-1200 § 14 Nr 31, vgl auch BSG SozR 3-2600 § 115 Nr 4 S 23, 29 f; aaO Nr 2 S 11, 18; SozR 3-5868 § 44 Nr 1 S 1, 6 f).
Der Senat trägt - entgegen der vom LSG vertretenen Auffassung - keine Bedenken, dem Beklagten die Kenntnis der diese Pflicht begründenden Tatsachen zuzurechnen. Insbesondere steht hier nicht entgegen, dass das Landeshygieneinstitut nicht in das Verfahren der Versorgungsverwaltung zur Ermittlung bei Anti-D-Prophylaxe-Schäden eingegliedert gewesen ist. Allerdings wird in der Rechtsprechung des BSG eine sog "Funktionseinheit" gefordert (vgl näher BSG SozR 3-2600 § 58 Nr 2 S 1, 5 mwN). Diese setzt voraus, dass die Pflichtverletzung entweder von dem auf Herstellung in Anspruch genommenen Leistungsträger selbst, also durch eigene Organe (Behörden, Stellen oder Beliehene), oder von einem anderen Leistungsträger begangen worden ist, der von ersterem beauftragt oder mit diesem anderweitig arbeitsteilig verbunden ist (vgl zum Verhältnis von Versicherungsamt und Sozialhilfeverwaltung: BSG SozR 3-5910 § 91a Nr 7 S 29, 38 f; s a BSGE 79, 177, 180 = SozR 3-1200 § 45 Nr 6; BSGE 64, 89, 94 = SozR 2200 § 545 Nr 8; BSGE 51, 89 = SozR 2200 § 381 Nr 44; BSG 15. Dezember 1994 - 4 RA 66/93 -, Die Beiträge 1996, 309, jeweils mwN; SozR 3-1200 § 14 Nr 24 S 79, 83; Arbeits- und Ausländerverwaltung: BSG SozR 3-7833 § 1 Nr 27 S 127, 134, jeweils mwN). Darauf kommt es hier nicht an. Entscheidend ist, ab wann die maßgebliche Kenntnis in der Verwaltungsspitze des Beklagten vorhanden gewesen ist: Das beklagte Land Mecklenburg-Vorpommern ist für die verwaltungspraktische Umsetzung der verabredeten Anti-D-Prophylaxe-Entschädigung bei seinen zuständigen Behörden verantwortlich gewesen. Als Landesbehörden des Beklagten wären die Versorgungs- und Gesundheitsämter nach Weisung des zuständigen Ministeriums verpflichtet gewesen, die zwischen Bund und Ländern abgestimmte Verwaltungspraxis in ihren örtlichen und fachlichen Zuständigkeitsbereichen umzusetzen (vgl zur Beratungspflichtverletzung von Jugendämtern über Nachteilsausgleiche für schwerstbehinderte Kinder: LSG für den Freistaat Sachsen, Urteil vom 11. Oktober 2001 - L 2 BL 2/99 -). Dabei war es dem Beklagten überlassen, in welcher Zuständigkeit er seine Kenntnisse und Verpflichtungen umsetzte, die er nach der Wiedervereinigung hinsichtlich des sog "Impfskandals" in der DDR 1978/1979 (vgl Wiese, MED SACH 1998, 6, 9; BT-Drucks 12/8264 S 14; eingehend BT-Drucks 13/2732) gewonnen hatte.
Inwiefern der Beklagte seine Beratungspflicht der Klägerin gegenüber verletzt hat, lässt sich nach den vorliegenden Tatsachenfeststellungen nicht eindeutig beantworten. Weder steht fest, wann das Übereinkommen betreffend die Einbeziehung von Neufällen in die Anti-D-Prophylaxe-Entschädigung zu Stande gekommen ist, noch ist geklärt, was die zuständigen Behörden des Beklagten in der Folgezeit unternommen haben, um die Klägerin zu informieren. Sollte bei pflichtgemäßem Vorgehen eine Unterrichtung der Klägerin in der Zeit vor März 1995 möglich gewesen sein, so könnte dies bereits zu einer Vorverlagerung des Leistungsbeginns führen, denn es liegt nahe, dass die Klägerin dann ihren Versorgungsantrag entsprechend früher gestellt hätte. Im Falle einer Beratungsmöglichkeit bis Dezember 1993 käme sogar eine Leistungsgewährung ab 1. Januar 1991 in Betracht.
Da der Senat die mithin noch erforderliche ergänzende Sachverhaltsaufklärung im Revisionsverfahren nicht selbst erledigen kann (vgl § 163 SGG), ist die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Dem LSG bleibt auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens vorbehalten.
Gründe:
I
Der Rechtsstreit betrifft den Beginn einer der Klägerin zuerkannten Versorgungsrente.
Die am 27. Februar 1960 geborene Klägerin wurde am 8. November 1978 zur Anti-D-Prophylaxe mit Immunglobulin behandelt. Durch die dabei verwendete mit Hepatitis-C-Viren kontaminierte Serum-Charge (Nr 08 05 78) wurde die Klägerin infiziert. Laut Auskunft des Landeshygieneinstituts Mecklenburg-Vorpommern in Rostock vom 29. Januar 1996 wurde die Klägerin in einer Liste der früheren Kreishygiene-Inspektion Rostock-Land sowie in einer Liste der Universitäts-Frauenklinik - als nicht anerkannter Impfschadensfall - geführt. Zur Begründung ihres am 8. März 1995 gestellten Antrages auf Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten beim Menschen (Bundes-Seuchengesetz (BSeuchG)) gab die Klägerin ua an, noch im November 1978 sei ihr mitgeteilt worden, dass etwas mit dem Serum nicht stimmen würde und sie sich in ständige ärztliche Behandlung begeben müsse. Mit Bescheid vom 16. Juli 1997 erkannte der Beklagte bei der Klägerin in Anwendung des Einigungsvertrages (EinigVtr) nach dem BSeuchG iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) und dem (DDR-)Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten beim Menschen (GüK-DDR) vom 3. Dezember 1982 sowie der dazu erlassenen Zweiten Durchführungsbestimmung als Schädigungsfolge eine "Chronische Hepatitis C" an und gewährte wegen der dadurch verursachten Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 40 vH Beschädigtengrundrente ab dem Antragsmonat (1. März 1995, seinerzeit monatlich 249 DM).
Das auf einen Rentenbeginn am 1. Januar 1991 gerichtete Begehren der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 13. August 1998; Urteil des Sozialgerichts Rostock (SG) vom 22. Mai 2000; Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern (LSG) vom 10. Mai 2001). Das LSG hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt: Der Klägerin sei die ab 1. März 1995 gewährte Beschädigtenrente nicht schon ab 1. Januar 1991 zu zahlen. Ihr Antrag sei nicht bis zum 31. Dezember 1993 gestellt worden, um entsprechend den Regelungen des EinigVtr den Leistungsbeginn mit dem Monat Januar 1991 herbeiführen zu können. Es könne offen bleiben, ob § 60 Abs 1 Satz 3 BVG neben den Regelungen des EinigVtr vorliegend Anwendung finden könne, weil auch dessen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Die Klägerin sei nicht ohne ihr Verschulden an der Antragstellung bis spätestens 31. Dezember 1993 gehindert gewesen. Die Unkenntnis ihrer Rechtsansprüche bzw des Vorliegens deren tatsächlicher Voraussetzungen begründe keine Verhinderung. Auch unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des § 60 Abs 1 Satz 3 BVG habe bis zum 31. Dezember 1993 eine verlängerte, ausreichende Überlegungsfrist bestanden. Die Wiedereinsetzungsregelung des § 27 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) greife nicht ein, nachdem die Klägerin ihren Antrag mehr als ein Jahr nach Ablauf der am 31. Dezember 1993 endenden Frist gestellt habe. Ebenso wenig könne ein früherer Leistungsbeginn wegen der Verletzung einer allgemeinen Aufklärungspflicht mit Hilfe des sog sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs bewirkt werden. Wenn das Landeshygieneinstitut die Klägerin nicht frühzeitig unterrichtet habe, so müsse die Versorgungsverwaltung mangels organisatorischer Einbindung dafür keinesfalls einstehen. Diese sei über den Gesundheitsschaden der Klägerin nicht unterrichtet gewesen. Aus einer abweichenden Verwaltungspraxis anderer Bundesländer, die die Leistung bereits ab dem 1. Januar 1991 gewährten, erwachse der Klägerin gegenüber dem Beklagten kein Anspruch.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine fehlerhafte Auslegung des § 60 Abs 1 Satz 3 BVG im Rahmen der einschlägigen Fristenregelung des EinigVtr sowie eine Verletzung des § 27 SGB X. Dazu trägt sie vor: Es werde von den Vorinstanzen verkannt, dass gerade ihre Unkenntnis hinsichtlich der leistungsbegründenden Vorschriften und Umstände den gesetzlichen Tatbestand des § 60 Abs 1 Satz 3 BVG erfülle. Die Gerichte hätten sich nicht mit der Frage auseinander gesetzt, wie sich das Wissen der Behörde um die Schädigung in diesem Zusammenhang auswirken müsse. Bei zutreffender Anwendung des § 27 SGB X hätte die Nichtaufklärung über mögliche Entschädigungsansprüche als "höhere Gewalt" berücksichtigt werden müssen.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des LSG Mecklenburg-Vorpommern vom 10. Mai 2001 und des SG Rostock vom 22. Mai 2000 aufzuheben und den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 16. Juli 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. August 1998 zu verurteilen, ihr die Beschädigtengrundrente bereits ab dem 1. Januar 1991 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt unter näherer Darlegung,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision der Klägerin ist im Sinne der Zurückverweisung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz). Ob die Klägerin die Voraussetzungen für eine Gewährung von Beschädigtengrundrente bereits ab dem 1. Januar 1991 erfüllt, lässt sich für den Senat mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des Berufungsgerichts nicht abschließend beantworten. Dazu, ob der frühere Leistungsbeginn unter dem rechtlichen Gesichtspunkt eines sog sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs geboten sein könnte, brauchte das LSG von seinem rechtlichen Standpunkt aus, wonach die Versorgungsverwaltung nicht für Beratungsfehler des Landeshygieneinstituts einzustehen habe, keine weiteren Ermittlungen durchzuführen. Diese Rechtsansicht der Vorinstanz hält indessen einer revisionsgerichtlichen Prüfung nicht stand.
1. SG und LSG sind im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass der Beklagte der Klägerin die Beschädigtenversorgung wegen des im November 1978 erlittenen Gesundheitsschadens dem Grunde nach zu Recht zuerkannt hat.
a) Allerdings erfüllt die Klägerin nicht die Anspruchsvoraussetzungen für die Fortführung einer nach DDR-Recht gezahlten Impfentschädigung.
Gemäß Anl I Kap X Sachgebiet D Abschnitt III Nr 3 Buchst c EinigVtr, der durch Art 1 Einigungsvertragsgesetz vom 23. September 1990 (BGBl II 885) Gesetz geworden ist, gilt:
Das BSeuchG idF der Bekanntmachung vom 18. Dezember 1979 (BGBl I S 2262, 1980 I S 151), zuletzt geändert durch Art 7 des Gesetzes vom 26. Juni 1990 (BGBl I S 1211) tritt im Beitrittsgebiet ua mit folgender Maßgabe in Kraft: Soweit nach den §§ 51 bis 55, 59 bis 61 BSeuchG das BVG und die zu seiner Durchführung erlassenen Vorschriften entsprechend anzuwenden sind, gelten diese Vorschriften mit den in Anl I Kap VIII Sachgebiet K Abschnitt III Nr 1 EinigVtr aufgeführten Maßgaben. Die nach dem bisher in der Deutschen Demokratischen Republik geltenden Recht geleisteten Zahlungen für Impfschäden werden solange weitergewährt, bis Leistungen nach den §§ 51 bis 55, 59 bis 61 BSeuchG iVm dem BVG erbracht werden. Die entsprechenden Vorschriften der Deutschen Demokratischen Republik sind insoweit bis zu diesem Zeitpunkt den Zahlungen zu Grunde zulegen. Die geleisteten Zahlungen sind auf Zahlungen nach dem BSeuchG iVm dem BVG für denselben Zeitraum anzurechnen.
Soweit das SG (ähnlich bereits der Beklagte im Widerspruchsbescheid) ausgeführt hat, die Klägerin komme in den Genuss der vorgenannten Besitzstandsschutzregelungen des EinigVtr, weil ihre gesundheitlichen Schädigungen bereits nach DDR-Recht (GüK-DDR vom 20. Dezember 1965, GBl DDR 1966 I, 29; ab 1. März 1983 ersetzt durch das Gesetz vom 3. Dezember 1982, GBl DDR I, 631) entschädigt worden seien, trifft dies nicht zu; die Klägerin gehört gerade nicht zu den bereits nach DDR-Recht entschädigten Personen. Selbst wenn sie der Sache nach offensichtlich ein Opfer des "Impfskandals" von 1978/79 ist, liegen bei ihr die Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung nach dieser Bestimmung nicht vor, weil es an der tatsächlichen Zahlung einer nach DDR-Recht gewährten Entschädigungsleistung fehlt, auf die der EinigVtr eindeutig und abschließend abstellt.
b) Das LSG hätte seiner Entscheidung auch nicht die Annahme zu Grunde legen dürfen, die Klägerin erfülle den Anspruch auf eine Beschädigtenversorgung unter (unmittelbarer) Anwendung der im BSeuchG genannten Voraussetzungen. Nach § 51 BSeuchG erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen des Impfschadens auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, wer durch eine Impfung, die gesetzlich vorgeschrieben oder auf Grund Gesetzes angeordnet oder von einer zuständigen Behörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen oder auf Grund der Verordnung zur Ausführung der internationalen Gesundheitsvorschriften durchgeführt worden ist, einen Impfschaden erlitten hat.
Ein Impfschaden im Sinne des BSeuchG liegt hier nicht vor, weil die der Klägerin 1978 verabreichte prophylaktische Gabe des Immunglobulins zur Immunisierung der Mutter bei Rhesusunverträglichkeit und damit zur Vermeidung gesundheitlicher Risiken bei weiteren Kindern diente (vgl BT-Drucks 13/2732 vom 24. Oktober 1995), nicht aber zur Verhütung einer Infektionskrankheit. In dem Begriff der "Impfung" ist nämlich nach dem auch der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu Grunde liegenden Verständnis sowohl der technische Vorgang des Einbringens des Impfstoffs in den Körper wie auch der Zweck dieser Maßnahme, nämlich die Immunisierung gegen Infektionen, enthalten (vgl nur BSG vom 26. Juni 1985, SozR 3850 § 51 Nr 8).
c) Der Anspruch auf Impfentschädigung ist unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt begründet. Die mit dem seinerzeit zuständigen Bundesministerium für Gesundheit abgestimmte Rechtspraxis in den Bundesländern - in analoger Anwendung der Übergangsbestimmungen des EinigVtr wurde, um unbillige Härten zu vermeiden, auch der Kreis der noch nicht entschädigten Personen, bei denen erst später die Folgen der damaligen Infektion sichtbar (nachweisbar) geworden sind und die somit nach dem 31. Dezember 1990 erstmalig eine Anerkennung begehren (sog Neufälle), in die Entschädigung nach dem BSeuchG iVm dem BVG einbezogen (vgl BT-Drucks 13/2732 S 31) - hat der Gesetzgeber des Gesetzes über die Hilfe für durch Anti-D-Immunprophylaxe mit dem Hepatitis-C-Virus infizierte Personen (Anti-D-Hilfegesetz) vom 2. August 2000 (BGBl I 1270) im Nachhinein sanktioniert und in seinen Willen aufgenommen. Gemäß § 1 Abs 1 Anti-D-Hilfegesetz erhalten die betroffenen Frauen aus humanitären und sozialen Gründen (Krankenbehandlung und) eine finanzielle Hilfe. Diese belief sich ab dem 1. Januar 2000 als monatliche Rente bei einer MdE um 40 vH (wie bei der Klägerin) auf 800 DM (§ 3 Abs 2 aaO). Gemäß den Übergangsvorschriften in § 13 Anti-D-Hilfegesetz sollten die nach diesem Gesetz zuerkannten Ansprüche die nach Anl I Kap X Sachgebiet D Abschnitt III Nr 3 Buchst c EinigVtr bzw dem BSeuchG festgestellten Ansprüche ablösen. Damit hat der Gesetzgeber unmittelbar an die bis dahin bestehende Rechtspraxis angeknüpft und ihr eine hinreichende Grundlage verschafft. Ausweislich der Gesetzesmaterialien ist er dabei selbst davon ausgegangen, dass es sich in diesen Fällen um die Entschädigung für einen Arzneimittelschaden - vergleichbar mit der Entschädigung für die Conterganopfer - handelt, ein Impfschaden also nicht vorliegt und deshalb die bloße Vereinbarung zwischen Bund und Ländern als Rechtsgrundlage für die Einbeziehung der Neufälle in die Entschädigung nach dem BSeuchG iVm dem BVG problematisch war (vgl BT-Drucks 14/2958 S 7). Soweit gegen diese Vorgehensweise verfassungsrechtliche Bedenken bestehen könnten, greifen diese unter Berücksichtigung der Besonderheiten der deutschen Einigung hier nicht durch.
2. Ein früherer Beginn der der Klägerin demgemäß dem Grunde nach zu Recht zuerkannten Versorgungsrente findet weder im EinigVtr noch in sonstigen gesetzlichen Bestimmungen eine rechtliche Grundlage.
a) Da die Klägerin wie ein Impfopfer zu behandeln ist, richtet sich ihre Versorgung entsprechend § 51 Abs 1 Satz 1 BSeuchG nach den Vorschriften des BVG. Die in Anl I Kap X Sachgebiet D Abschnitt III Nr 3 Buchst c EinigVtr in Bezug genommene Regelung in Anl I Kap VIII Sachgebiet K Abschnitt III Nr 1 EinigVtr setzt das BVG idF der Bekanntmachung vom 22. Januar 1982 (BGBl I S 21), zuletzt geändert durch Art 1 des Gesetzes vom 26. Juni 1990 (BGBl I S 1211), im Beitrittsgebiet mit bestimmten Maßgaben in Kraft; hierzu gehört die in Buchst i wie folgt getroffene Regelung:
Die sich nach diesem Gesetz (BVG) ergebenden neuen Versorgungsansprüche werden auf Antrag festgestellt. Wird der Antrag bis zum 31. Dezember 1993 gestellt, so beginnen die Versorgungsansprüche mit dem Monat, in dem ihre Voraussetzungen erfüllt sind, frühestens mit dem Monat Januar 1991.
Gemäß Buchst m aaO findet das BVG im Beitrittsgebiet vom 1. Januar 1991 an Anwendung.
Unabhängig davon, ob die Klägerin die Voraussetzungen für Versorgungsansprüche im Januar 1991 erfüllt hatte, kommt eine rückwirkende Leistung danach nicht in Betracht, weil die Klägerin ihren Antrag erst nach Ablauf der gesetzlichen Frist, nämlich am 14. März 1995, gestellt hat.
b) Es kann - wie auch schon vom Berufungsgericht ausgeführt - offen bleiben, ob Anl I Kap VIII Sachgebiet K Abschnitt III Nr 1 Buchst i EinigVtr mit seiner bis zum 31. Dezember 1993 verlängerten Antragsfrist als Spezialregelung die Anwendung von § 60 Abs 1 Satz 3 BVG ausschließt (vgl entsprechend für die Frage einer Wiedereinsetzung nach Ablauf der Dreimonatsfrist des § 99 Abs 1 SGB VI: BSG vom 14. November 2002, SozR 3-2600 § 115 Nr 9 mwN). Darauf kommt es hier nicht an, weil die Klägerin - wie das Berufungsgericht zutreffend geurteilt hat - die Voraussetzungen von § 60 Abs 1 Satz 3 BVG nicht erfüllt.
Die einschlägigen Sätze 1 bis 3 des ab 1991 im Beitrittsgebiet anwendbaren § 60 Abs 1 BVG lauten:
Die Beschädigtenversorgung beginnt mit dem Monat, in dem ihre Voraussetzungen erfüllt sind, frühestens mit dem Antragsmonat. Die Versorgung ist auch für Zeiträume vor der Antragstellung zu leisten, wenn der Antrag innerhalb eines Jahres nach Eintritt der Schädigung gestellt wird. War der Beschädigte ohne sein Verschulden an der Antragstellung verhindert, so verlängert sich die Frist um den Zeitraum der Verhinderung.
Der am 1. Januar 1979 in Kraft getretenen (Art 8 Zehntes Gesetz über die Anpassung der Leistungen des Bundesversorgungsgesetzes (10. AnpG-KOV) vom 10. August 1978, BGBl I 1217), um die in den Sätzen 2 und 3 getroffenen Ausnahmebestimmungen ergänzten Fassung des § 60 Abs 1 BVG liegt folgendes Konzept zu Grunde: Im Grundsatz beginnt die Versorgung mit dem Antragsmonat, wenn die materiell-rechtlichen Voraussetzungen vorliegen. Ausnahmsweise eröffnet Satz 2 eine Rückwirkung, wenn der Antrag binnen Jahresfrist nach der Schädigung gestellt wird; ihrer Wirkung nach verschafft die Jahresfrist eine Wiedereinsetzung in den Stand bei Eintritt der Schädigung. Die Jahresfrist wird wiederum erweitert um den Zeitraum, in dem eine unverschuldete Verhinderung vorlag. Der Ausnahmecharakter der erweiterten Rückwirkung des Antrags gebietet eine enge Handhabung. Die durch Art 1 Nr 37 10. AnpG-KOV erfolgte Ergänzung ist im Gesetzgebungsverfahren damit begründet worden, Beschädigten solle allgemein ein Jahr Zeit gegeben werden, den Anspruch auf soziale Entschädigung ohne Nachteile hinsichtlich des Leistungsbeginns erstmals geltend zu machen ("Überlegungsfrist"). Damit sollte namentlich den Belangen von Impfgeschädigten und Opfern von Gewalttaten Rechnung getragen werden (vgl BT-Drucks 8/1735 S 19 Zu Nr 37, § 60 BVG).
Die Regelung erfasste bei ihrem Inkrafttreten nach ihrem zeitlichen Geltungsbereich auch zurückliegende Schadensfälle (vgl BSGE 59, 40 = SozR 3800 § 1 Nr 5). Dieser Senatsentscheidung lag die Fallgestaltung zu Grunde, dass das entschädigungspflichtige Tötungsdelikt am 8. Juni 1977 begangen wurde; damit konnte die Schädigung iS des § 60 Abs 1 Satz 2 BVG bei ihrem Eintritt bereits die Voraussetzungen einer rechtswidrigen vorsätzlichen Gewalttat nach § 1 Abs 1 Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) erfüllen, das am 1. Juni 1976 in Kraft getreten ist.
In Fällen wie dem der Klägerin konnten die Voraussetzungen einer Beschädigtenversorgung erst ab dem 1. Januar 1991 erfüllt werden, da das BVG vor diesem Zeitpunkt im Beitrittsgebiet keine Anwendung fand. Eine zeitliche Erstreckung des § 60 Abs 1 Sätze 2 und 3 BVG auf einen Tatbestand, wie hier den 1978 erlittenen Anti-D-Prophylaxe-Schaden, der die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine Entschädigung nach dem BSeuchG iVm dem BVG schon mangels örtlicher Geltung der entsprechenden Bestimmungen zu diesem Zeitpunkt noch nicht erfüllen konnte, verbietet sich. Eine (ausnahmsweise) Rückwirkung von verspäteten Anträgen auf solche Vorgänge, bei denen Versorgung selbst dann nicht zu gewähren war, wenn der Antrag im Monat des Schadenseintritts gestellt wurde, greift nicht, weil schon dem Grundsatz nach die Voraussetzungen nicht erfüllt werden konnten (vgl auch BSG SozR 2200 § 205 Nr 55: keine Anwendung von § 60 Abs 1 BVG auf in der Vergangenheit abgeschlossene Tatbestände). Unerheblich ist insofern, ob die Klägerin nach damaligem DDR-Recht hätte entschädigt werden können, da dieses nach dem EinigVtr nur für Zahlfälle vorübergehend weiter anzuwenden war.
c) Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 27 SGB X scheidet nach den Tatsachenfeststellungen des LSG ebenfalls aus. Nach Ablauf eines weiteren Jahres seit dem Ende der gesetzlichen Frist (am 31. Dezember 1993) konnte der Antrag (mit der Folge einer rückwirkenden Leistungserbringung) gemäß § 27 Abs 3 SGB X nur dann nachgeholt werden, wenn dies vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war. Davon kann hier nach Lage der Dinge nicht ausgegangen werden, weil bestimmungsgemäß höhere Gewalt ein außergewöhnliches Ereignis voraussetzt, dessen Eintritt nicht vorauszusehen und auch bei äußerster Sorgfalt nicht mit üblichen Mitteln abzuwenden ist; schon das geringste Verschulden schließt höhere Gewalt aus (BSG vom 11. Mai 2000, BSGE 86, 153, 161 = SozR 3-5750 Art 2 § 6 Nr 18 mwN; BSG SozR 3-3100 § 60 Nr 3 S 3, 5 mwN). Die bloße Unkenntnis der Klägerin über anspruchsbegründende Umstände und Rechtsnormen stellt auch dann keinen Umstand höherer Gewalt dar, wenn sie im Wesentlichen auf einer mangelnden Aufklärung der betroffenen Personen durch die zuständigen staatlichen Stellen beruhte (vgl BSGE 86, 153, 161 f = SozR 3-5750 Art 2 § 6 Nr 1 S 65 f).
3. Entgegen der Ansicht des LSG sprechen - insbesondere auf der Grundlage allgemeinkundiger Tatsachen - erhebliche Gesichtspunkte dafür, dass der von der Klägerin begehrte frühere Leistungsbeginn im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs begründet sein kann (vgl dazu allg Senatsurteile vom 15. August 2000, SozR 3-3100 § 60 Nr 3 S 3, 6, und vom 14. Februar 2001, BSGE 87, 280, 283 = SozR 3-1200 § 14 Nr 31; siehe auch BSG SozR 3-4100 § 249e Nr 4 S 34, 37 f, jeweils mit (zahlreichen) Nachweisen; BSG SozR 3-5868 § 85 Nr 8 S 39, 45 f). Der (im wesentlichen dreigliedrige) Tatbestand dieses richterrechtlichen Rechtsinstituts setzt Folgendes voraus: Es muss eine Pflichtverletzung vorliegen, die dem zuständigen Sozialleistungsträger zuzurechnen ist. Dadurch muss beim Berechtigten ein sozialrechtlicher Nachteil oder Schaden eingetreten sein. Durch Vornahme einer Amtshandlung des Trägers muss ein Zustand hergestellt werden können, der bestehen würde, wenn die Pflichtverletzung nicht erfolgt wäre (Senatsurteil vom 15. August 2000 aaO S 6 mwN).
Als zurechenbare Pflichtverletzung kommt hier das Unterlassen einer - ggf noch vor Ablauf der einigungsvertraglichen Antragsfrist am 31. Dezember 1993 möglichen - Unterrichtung der Klägerin durch den Beklagten über die Möglichkeit einer Entschädigung auf Grund der für Neufälle vereinbarten entsprechenden Anwendung des BSeuchG in Betracht.
Eine Beratungspflicht des Beklagten (vgl § 14 Erstes Buch Sozialgesetzbuch) kann sich hier aus folgenden Erwägungen ergeben: Zwar fehlt es hier naturgemäß an einem entsprechenden Begehren, das typischerweise die Beratungspflicht auslöst (vgl nur BSG SozR 3-1200 § 14 Nr 22 S 69, 74 mwN; aaO Nr 9, 12, 16; SozR 3-2600 § 115 Nr 9 S 59); der Leistungsträger ist indessen auch sonst gehalten, bei Vorliegen eines konkreten Anlasses auf klar zu Tage tretende Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen ("Spontanberatung", vgl BSG aaO; zur Abgrenzung der Hinweispflicht des Sozialleistungsträgers gegenüber Ansprüchen auf Beihilfe: BSG vom 6. März 2003 - B 4 RA 15/02 R -, nv). Grundsätzlich ist ein Leistungsträger auch bei bedeutsamen und folgenschweren Rechtsänderungen nicht verpflichtet, die bei ihm geführten Akten daraufhin zu überprüfen, ob sie Anlass für eine spontane Beratung geben (vgl BSG SozR 3-1200 § 14 Nr 12 S 36). Die Besonderheiten der vorliegenden Fallgestaltungen gebieten jedoch aus Gründen des sozialen Schutzes der Betroffenen ausnahmsweise eine andere Beurteilung (vgl dazu allg BSG SozR 1200 § 14 Nr 16). Während ein Leistungsträger sonst davon ausgehen kann, dass mit der Verkündung eines Gesetzes dessen Inhalt als bekannt gilt (vgl BSGE 67, 90, 92 ff = SozR 3-1200 § 13 Nr 1; Urteil vom 21. April 1993 - 5 RJ 58/91 - mwN, nv), ist eine derartige Publizität hier nicht zu verzeichnen, weil die die Klägerin begünstigende Entschädigungsregelung allein auf einem Übereinkommen zwischen dem Bund und den Ländern des Beitrittsgebiets beruhte. Hinzu kommt, dass sich diese Regelung auf einen begrenzten, den betroffenen Ländern namentlich bekannten Personenkreis bezog.
Die Bundesregierung ging davon aus, dass maximal 6773 Frauen mit kontaminierten Chargen behandelt wurden, von denen bis Ende Juni 1979 2533 an Zeichen einer Hepatitis erkrankt waren (Antwort der Bundesregierung vom 24. Oktober 1995, Hepatitis-C-Infektionen durch die "Anti-D"-Impfprophylaxe in der früheren DDR, BT-Drucks 13/2732 S 7). Die Zahl der ohne (deutliche) Krankheitszeichen betroffenen Frauen, zu denen die Klägerin gehört, errechnete man mit 3906 (aaO S 12). Auf Grund des als effektiv angenommenen Meldesystems in der ehemaligen DDR war bekannt, dass Listen zur Erfassung der betroffenen Frauen bei den ehemaligen Kreishygiene-Inspektionen (Zusammenfassungen in den Bezirkshygiene-Inspektionen) vorlagen und damit auch den zuständigen obersten Landesbehörden der neuen Bundesländer verfügbar waren (aaO S 10). Unter diesen Umständen ist eine gesteigerte Informationspflicht des Beklagten gegenüber den listenmäßig erfassten Frauen zu bejahen. Denn auch bei diesen konnte eine bislang unerkannte Hepatitis C-Infektion bestehen. Das Hepatitis-C-Virus wurde erst im Jahre 1989 mit Hilfe gentechnologischer Methoden identifiziert (vgl BT-Drucks 12/8264 S 16; Wiese, MED SACH 1998, 6); auch der Nachweis, dass es sich bei der Infektion 1978/1979 um eine solche mit dem Hepatitis-C-Virus gehandelt hatte, konnte dann erst seit Anfang 1990 geführt werden (vgl BT-Drucks 13/2732 S 8; Rösner, MED SACH 1998, 4).
Nach der grundgesetzlichen Kompetenzordnung war es erklärtermaßen Aufgabe der Länder, geeignete Schritte zur Aufklärung der zunächst unentdeckt gebliebenen, mit dem Hepatitis-C-Virus infizierten Frauen zu unternehmen (aaO S 13). Im Rahmen der Nachuntersuchungen zur Wiedererfassung der Betroffenen stellte bereits im November 1993 der Freistaat Sachsen sein spezielles Nachuntersuchungsprogramm den neuen Ländern vor (BT-Drucks 13/2732 S 13, 23); nach den dem Senat verfügbaren Erkenntnissen konnten im Freistaat Sachsen die betroffenen Frauen in den Jahren 1994/1995 auch vollständig erfasst werden (Oettler/Bigl/Müller/Herbst/Klapper, MED SACH 1998, 11; BT-Drucks 13/2732 S 5). Ein Bericht aus Sachsen-Anhalt gibt Hinweise, dass dort betroffene Frauen noch im Jahre 1993 auf Initiative des zuständigen Ministeriums durch die Gesundheitsämter mittels gezielter Anschreiben in Kenntnis gesetzt wurden (vgl Freundrich/Schmidt, MED SACH 1998, 21). Dementsprechend wäre auch der Beklagte verpflichtet gewesen, unmittelbar nach Zustandekommen der Bund-Länder-Vereinbarung über die Einbeziehung von sog Neufällen in die Anti-D-Prophylaxe-Entschädigung dafür Sorge zu tragen, dass auch die Klägerin persönlich über die gesundheitlichen Fragen und Entschädigungsmöglichkeiten informiert würde. Nachdem er davon ausgehen musste, dass der Beginn einer möglichen Entschädigung von einer frühzeitigen Unterrichtung der Berechtigten abhing, war der Beklagte insofern ua gehalten, die zuständigen Stellen zu veranlassen, die archivierten Listen der betroffenen Frauen unverzüglich zu beschaffen, zu prüfen, ggf die Namen und Anschriften zu aktualisieren und die betreffenden Personen anzuschreiben bzw auf andere Weise zu informieren (vgl dazu allg Senatsurteil in BSGE 87, 280, 285 = SozR 3-1200 § 14 Nr 31, vgl auch BSG SozR 3-2600 § 115 Nr 4 S 23, 29 f; aaO Nr 2 S 11, 18; SozR 3-5868 § 44 Nr 1 S 1, 6 f).
Der Senat trägt - entgegen der vom LSG vertretenen Auffassung - keine Bedenken, dem Beklagten die Kenntnis der diese Pflicht begründenden Tatsachen zuzurechnen. Insbesondere steht hier nicht entgegen, dass das Landeshygieneinstitut nicht in das Verfahren der Versorgungsverwaltung zur Ermittlung bei Anti-D-Prophylaxe-Schäden eingegliedert gewesen ist. Allerdings wird in der Rechtsprechung des BSG eine sog "Funktionseinheit" gefordert (vgl näher BSG SozR 3-2600 § 58 Nr 2 S 1, 5 mwN). Diese setzt voraus, dass die Pflichtverletzung entweder von dem auf Herstellung in Anspruch genommenen Leistungsträger selbst, also durch eigene Organe (Behörden, Stellen oder Beliehene), oder von einem anderen Leistungsträger begangen worden ist, der von ersterem beauftragt oder mit diesem anderweitig arbeitsteilig verbunden ist (vgl zum Verhältnis von Versicherungsamt und Sozialhilfeverwaltung: BSG SozR 3-5910 § 91a Nr 7 S 29, 38 f; s a BSGE 79, 177, 180 = SozR 3-1200 § 45 Nr 6; BSGE 64, 89, 94 = SozR 2200 § 545 Nr 8; BSGE 51, 89 = SozR 2200 § 381 Nr 44; BSG 15. Dezember 1994 - 4 RA 66/93 -, Die Beiträge 1996, 309, jeweils mwN; SozR 3-1200 § 14 Nr 24 S 79, 83; Arbeits- und Ausländerverwaltung: BSG SozR 3-7833 § 1 Nr 27 S 127, 134, jeweils mwN). Darauf kommt es hier nicht an. Entscheidend ist, ab wann die maßgebliche Kenntnis in der Verwaltungsspitze des Beklagten vorhanden gewesen ist: Das beklagte Land Mecklenburg-Vorpommern ist für die verwaltungspraktische Umsetzung der verabredeten Anti-D-Prophylaxe-Entschädigung bei seinen zuständigen Behörden verantwortlich gewesen. Als Landesbehörden des Beklagten wären die Versorgungs- und Gesundheitsämter nach Weisung des zuständigen Ministeriums verpflichtet gewesen, die zwischen Bund und Ländern abgestimmte Verwaltungspraxis in ihren örtlichen und fachlichen Zuständigkeitsbereichen umzusetzen (vgl zur Beratungspflichtverletzung von Jugendämtern über Nachteilsausgleiche für schwerstbehinderte Kinder: LSG für den Freistaat Sachsen, Urteil vom 11. Oktober 2001 - L 2 BL 2/99 -). Dabei war es dem Beklagten überlassen, in welcher Zuständigkeit er seine Kenntnisse und Verpflichtungen umsetzte, die er nach der Wiedervereinigung hinsichtlich des sog "Impfskandals" in der DDR 1978/1979 (vgl Wiese, MED SACH 1998, 6, 9; BT-Drucks 12/8264 S 14; eingehend BT-Drucks 13/2732) gewonnen hatte.
Inwiefern der Beklagte seine Beratungspflicht der Klägerin gegenüber verletzt hat, lässt sich nach den vorliegenden Tatsachenfeststellungen nicht eindeutig beantworten. Weder steht fest, wann das Übereinkommen betreffend die Einbeziehung von Neufällen in die Anti-D-Prophylaxe-Entschädigung zu Stande gekommen ist, noch ist geklärt, was die zuständigen Behörden des Beklagten in der Folgezeit unternommen haben, um die Klägerin zu informieren. Sollte bei pflichtgemäßem Vorgehen eine Unterrichtung der Klägerin in der Zeit vor März 1995 möglich gewesen sein, so könnte dies bereits zu einer Vorverlagerung des Leistungsbeginns führen, denn es liegt nahe, dass die Klägerin dann ihren Versorgungsantrag entsprechend früher gestellt hätte. Im Falle einer Beratungsmöglichkeit bis Dezember 1993 käme sogar eine Leistungsgewährung ab 1. Januar 1991 in Betracht.
Da der Senat die mithin noch erforderliche ergänzende Sachverhaltsaufklärung im Revisionsverfahren nicht selbst erledigen kann (vgl § 163 SGG), ist die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Dem LSG bleibt auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens vorbehalten.
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