Land
Bundesrepublik Deutschland
Sozialgericht
Bundessozialgericht
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Stralsund (MVP)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 RA 13/04 R
Datum
Kategorie
Urteil
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stralsund vom 21. Januar 2004 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten auch des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I
Streitig ist, ob der beklagte Zusatzversorgungsträger für den Zeitraum 16. Juni 1966 bis 30. Juni 1990 für den Kläger Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech) nach Nr 1 der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) und die in diesem Zeitraum erzielten Arbeitsentgelte festzustellen hat.
Nach einem Studium an der Seefahrtsschule W. in der Fachrichtung Handelsschifffahrt erwarb der Kläger am 15. Juni 1966 die Berechtigung, die Berufsbezeichnung "Kapitän auf großer Fahrt" zu führen. Vom 16. Juni 1966 bis 30. Juni 1990 war er als Kapitän beim VEB Deutsche Seereederei in R. beschäftigt. Seinen Antrag auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 2. Juni 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. September 2003). Der Kläger sei am 30. Juni 1990 weder in ein Versorgungssystem einbezogen gewesen, noch habe er einen Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt. Er habe nicht zum Kreis der obligatorisch Versorgungsberechtigten gehört. Als "Kapitän auf großer Fahrt" sei er nicht berechtigt gewesen, den Titel eines Ingenieurs zu führen.
Das SG Stralsund hat die dagegen erhobene Klage durch Urteil vom 21. Januar 2004 abgewiesen und ausgeführt: Die Beklagte habe zu Recht einen Anspruch auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz verneint. Denn der Kläger falle nicht unter den Anwendungsbereich des § 1 Abs 1 AAÜG. Ihm sei weder eine Versorgungszusage erteilt worden, noch habe er auf Grund der am 30. Juni 1990 gegebenen Sachlage einen bundesrechtlich fingierten Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt. Letzterer hänge gemäß § 1 der Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben (VO-AVItech) iVm § 1 Abs 1 Satz 1 der Zweiten Durchführungsbestimmung (2. DB) zu dieser Verordnung von drei Voraussetzungen ab. Der Kläger erfülle die persönliche Voraussetzung nicht. Denn er sei nicht berechtigt gewesen, den in Satz 1 der 2. DB genannten Titel eines Ingenieurs zu führen. Die von ihm vorgelegte Urkunde habe lediglich die Berechtigung verliehen, die Berufsbezeichnung "Kapitän auf großer Fahrt" zu führen. Diese Berechtigung ergebe sich auch nicht aus § 2 Abs 2 der 2. DB zur Verordnung über die Führung der Berufsbezeichnung "Ingenieur" vom 10. Mai 1963. Diese Vorschrift sei allein eine Durchführungsbestimmung zu § 2 Buchstabe d der Verordnung über die Führung der Berufsbezeichnung "Ingenieur" vom 12. April 1962. Sie ermögliche eine Gleichsetzung von Personen, die vor 1945 ein mindestens 4-semestriges, in sich abgeschlossenes Studium an einer staatlich anerkannten deutschen mittleren oder höheren technischen Lehranstalt nachweisen könnten und seither überwiegend Ingenieurtätigkeiten ausübten. Auch der Vermerk der Abteilung 2 des Ministeriums der Finanzen vom 28. Mai 1962 für die Deutsche Versicherungs-Anstalt, mit dem im Rahmen der AVItech Patentinhaber der Stufen 5 und 6 den Ingenieuren gleichgestellt wurden, führe zu keinem anderen Ergebnis. Dieser habe lediglich den Charakter einer nicht hinreichend veröffentlichten internen Anweisung, die bei der Anwendung des AAÜG unbeachtlich sei, weil es nicht darauf ankomme, wie die Regelungen der Versorgungsordnungen ausgelegt und praktiziert worden seien. Es komme auch nicht darauf an, dass ausweislich von § 11 der Seeschiffsbesetzungsordnung vom 25. November 1974 die Befähigungszeugnisse A 6 (Kapitän auf großer Fahrt) vom Seefahrtsamt der DDR nur an Hochschulingenieure erteilt worden seien. Dem Kläger sei das Befähigungszeugnis A 6 bereits vor dem Inkrafttreten dieser Anordnung verliehen worden. Diese Befähigungszeugnisse seien nach § 17 Abs 2 der Seeschiffsbesetzungsordnung von 1974 den Befähigungszeugnissen nach dieser Anordnung nur gleichgestellt worden.
Das SG hat die Sprungrevision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Es sei bislang höchstrichterlich nicht entschieden, ob Absolventen der Seefahrtsschule W. , denen die Berechtigung zum Führen der Berufsbezeichnung "Kapitän auf großer Fahrt" verliehen worden sei, auch nach § 1 der Verordnung über die Führung der Berufsbezeichnung "Ingenieur" vom 12. April 1962 die Berechtigung gehabt hätten, die Berufsbezeichnung "Ingenieur" zu führen. Bei den Sozialgerichten des Landes Mecklenburg-Vorpommern sei eine Vielzahl von Rechtssachen mit gleichem Streitgegenstand anhängig.
Der Kläger hat mit Zustimmung der Beklagten die Revision eingelegt. Er rügt eine Verletzung von §§ 1 Abs 1 Satz 1, 8 Abs 2, 3 Satz 4 und 4 Nr 1 AAÜG. Das AAÜG sei auf ihn anwendbar. Er habe zwar mangels Versorgungszusage am 1. August 1991 keine Versorgungsanwartschaft besessen. Er hätte jedoch auf Grund der am 30. Juni 1990 gegebenen Sachlage nach der am 31. Juli 1991 gegebenen bundesgesetzlichen Rechtslage einen Anspruch auf Versorgungszusage nach den bundesrechtlichen leistungsrechtlichen Regelungen der AVItech gehabt. Danach hänge dieser von drei Voraussetzungen ab, die er erfülle. Ihm sei mit Urkunde vom 15. Juni 1966 durch besonderen Staatsakt die Berufsbezeichnung "Kapitän auf großer Fahrt" - die seemännische Bezeichnung für einen Ingenieur für Schiffsführung - verliehen worden. Ihm sei außerdem das Befähigungszeugnis (Patent) als Kapitän auf großer Fahrt A 6 nach der Schiffsbesetzungsordnung vom 29. Oktober 1965 verliehen worden. Dieses sei nach § 17 Abs 2 der Seeschiffsbesetzungsordnung vom 25. November 1974 den Befähigungszeugnissen nach dieser Anordnung gleichgestellt worden. Befähigungszeugnisse A 6 würden ausweislich des § 11 der Seeschiffsbesetzungsordnung vom 25. November 1974 ausschließlich an Hochschulingenieure erteilt. Es sei daher davon auszugehen, dass er am 30. Juni 1990 als Inhaber eines Patentes A 6 auch berechtigt gewesen sei, den Titel eines Ingenieurs zu führen. Die Seefahrtsschule W. sei nach dem Verständnis der DDR eine technische Schule gewesen; sie gehörte zu den Ingenieur- und Fachschulen, die zu Ingenieurhochschulen umgewandelt worden seien. Zur Erlangung des Titels "Kapitän auf großer Fahrt" hätte eine Ingenieurabschlussarbeit angefertigt werden müssen. Der Abschluss "Kapitän auf großer Fahrt" entspreche dem Ingenieurtitel nach der Verordnung über die Führung der Berufsbezeichnung "Ingenieur" vom 12. April 1962. Es liege die Schlussfolgerung nahe, dass die Seefahrtsschulabsolventen bereits nach DDR-Verständnis von § 1 Buchst c der Verordnung vom 12. April 1962 erfasst gewesen seien. Außerdem könnten andere Texte im Zusammenhang mit der historischen Auslegung ergänzende Bedeutung erlangen. Eine solche Auslegungshilfe sei die Anweisung des Ministeriums der Finanzen vom 28. Mai 1962. Sie enthalte im Rahmen der Gewährung der Altersversorgung der Intelligenz eine Gleichstellung der Patentinhaber in den Stufen 5 und 6 mit den Ingenieuren. Der Kläger sei demnach mit der Verleihungsurkunde "Kapitän auf großer Fahrt" auch berechtigt gewesen, den Titel eines Ingenieurs zu führen. Er habe vom 16. Juni 1966 bis zum 30. Juni 1990 eine Tätigkeit ausgeübt, die seiner Ausbildung zum "Kapitän auf großer Fahrt" entsprochen habe. Der VEB D. /Seereederei sei als Betrieb der Schifffahrt nach § 1 Abs 2 der 2. DB den volkseigenen Produktionsbetrieben gleichgestellt gewesen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Stralsund vom 21. Januar 2004 sowie den Bescheid der Beklagten vom 2. Juni 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. September 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, seine Beschäftigung vom 16. Juni 1966 bis 30. Juni 1990 als Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (Anlage 1 Nr 1 AAÜG) und die tatsächlich in dieser Zeit erzielten Arbeitsverdienste festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die (Sprung)Revision zurückzuweisen.
Sie hält die Ausführungen des SG für zutreffend. Der Kläger erfülle nicht die persönliche Voraussetzung der AVItech, denn er sei nicht berechtigt gewesen, den Titel "Ingenieur" zu führen. Dieser Titel sei nicht durch Staatsakt verliehen worden. Der Erwerb der Befähigungszeugnisse habe nicht den Titel "Ingenieur" ersetzt. Auch die Anweisung des Ministeriums der Finanzen sei unbeachtlich, weil es auf die Handhabung der Regelungen der Versorgungsordnungen in der Verwaltungspraxis der DDR nicht ankomme.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).
II
Die Revision des Klägers ist unbegründet.
Das SG und die Beklagte haben zu Recht entschieden, dass der Kläger keinen mit der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG) durchsetzbaren Anspruch auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zur AVItech vom 16. Juni 1966 bis 30. Juni 1990 hat, während der er nach den Feststellungen des SG als Kapitän beim VEB Deutsche Seereederei in R. beschäftigt war. Ebenso wenig hat er einen Anspruch auf Feststellung der in diesem Zeitraum erzielten Arbeitsentgelte. Denn auf Grund der tatsächlichen Feststellungen des SG, die mit Verfahrensrügen nicht angreifbar (§ 161 Abs 4 SGG) und damit für den Senat bindend (§ 163 SGG) sind, steht fest, dass der Kläger schon nicht unter den persönlichen Anwendungsbereich des § 1 AAÜG fällt.
Erst wenn das AAÜG nach § 1 Abs 1 AAÜG auf den Kläger anwendbar wäre, ist in einem weiterem Schritt zu prüfen, ob Tatbestände von Zugehörigkeitszeiten iS von § 5 Abs 1 AAÜG und damit Tatbestände von gleichgestellten Pflichtbeitragszeiten iS des SGB VI vorliegen, auf deren Feststellung der Kläger nach § 8 Abs 1 iVm Abs 2 und 3 AAÜG einen Anspruch gegen die Beklagte hätte.
1. Vom persönlichen Anwendungsbereich werden nach der Maßstabsnorm des § 1 Abs 1 AAÜG die Versorgungsberechtigungen (Ansprüche oder Anwartschaften) erfasst, die auf Grund der Zugehörigkeit zu Versorgungssystemen im Beitrittsgebiet erworben worden sind und beim Inkrafttreten dieses Gesetzes am 1. August 1991 bestanden haben (§ 1 Abs 1 Satz 1 AAÜG). War ein Verlust der Versorgungsanwartschaften deswegen eingetreten, weil die Regelungen des Versorgungssystems ihn bei einem Ausscheiden vor dem Leistungsfall vorsahen, gilt dieser Anwartschaftsverlust nach Satz 2 dieser Vorschrift als nicht eingetreten. Geht man vom Wortlaut der Vorschrift aus, erfüllt der Kläger beide Tatbestände nicht.
Der Kläger war nach den für den Senat bindenden Feststellungen des SG nicht Inhaber einer bei Inkrafttreten des AAÜG am 1. August 1991 bestehenden Versorgungsanwartschaft. Eine Einzelfallentscheidung, durch die ihm zum 1. August 1991 eine Versorgungsanwartschaft zuerkannt worden ist, liegt nicht vor. Weder hatte er eine positive Statusentscheidung der Beklagten erlangt noch hatte er eine frühere Versorgungszusage in Form eines nach Art 19 Satz 1 Einigungsvertrag (EV) bindend gebliebenen Verwaltungsakts. Der Kläger war auch nicht auf Grund eines Einzelvertrags oder einer späteren Rehabilitationsentscheidung in ein Versorgungssystem (hier: AVItech) einbezogen worden.
Für den Kläger greift auch nicht § 1 Abs 1 Satz 2 AAÜG, denn er hatte nach den bindenden Feststellungen des LSG vor dem 30. Juni 1990 keine Rechtsposition inne, die er hätte verlieren können. Nur in diesen Fällen wird kraft Gesetzes eine Anwartschaft nach § 1 Abs 1 Satz 2 AAÜG fingiert (vgl ua Urteile des Senats vom 9. April 2002 - B 4 RA 31/01 R, SozR 3-8570 § 1 Nr 2 S 15 und vom 10. April 2002 - B 4 RA 34/01 R, SozR 3-8570 § 1 Nr 3 S 20 f).
2. Bei Personen, die am 30. Juni 1990 nicht einbezogen waren und auch nicht nachfolgend auf Grund originären Bundesrechts (Art 17 EV) einbezogen wurden, ist allerdings auf Grund einer vom Senat vorgenommenen erweiternden verfassungskonformen Auslegung des § 1 Abs 1 AAÜG zu prüfen, ob die Nichteinbezogenen aus der Sicht des am 1. August 1991 gültigen Bundesrechts nach der am 30. Juni 1990 gegebenen Sachlage einen Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt hätten (vgl BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 2 S 12 f; BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 3 S 20; BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 4 S 26 f; BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 5 S 32; BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 6 S 39; BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 7 S 59 f; BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 8 S 73). Dieser fiktive bundesrechtliche Anspruch auf Erteilung einer Zusage hängt von der Ausgestaltung der zu Bundesrecht gewordenen leistungsrechtlichen Regelungen der Versorgungssysteme ab.
Im Blick auf die AVItech ergeben sich diese Regelungen aus der Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben (VO-AVItech) vom 17. August 1950 (GBl S 844) und die dazu ergangene Zweite Durchführungsbestimmung (2. DB) vom 24. Mai 1951 (GBl S 487). Ein derartiger - fiktiver - bundesrechtlicher Anspruch auf Erteilung einer Zusage hängt gemäß § 1 der VO-AVItech iVm § 1 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 der 2. DB von folgenden Voraussetzungen ab (vgl hierzu BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 2 S 14, Nr 5 S 33, Nr 6 S 40 f, Nr 7 S 60, Nr 8 S 74), nämlich von
der Berechtigung, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen (persönliche Voraussetzung), und der Ausübung einer entsprechenden Tätigkeit (sachliche Voraussetzung), und zwar in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens (§ 1 Abs 1 der 2. DB) oder in einen durch § 1 Abs 2 der 2. DB gleichgestellten Betrieb (betriebliche Voraussetzung). 3. Mit der Beschäftigung als Kapitän beim VEB Deutsche Seereederei in R. erfüllte der Kläger am 30. Juni 1990 schon nicht die persönliche Voraussetzung für einen fiktiven bundesrechtlichen Anspruch auf Erteilung einer Zusage nach der AVItech; denn die vom Kläger erworbene berufliche Qualifikation als "Kapitän auf großer Fahrt" wurde von der AVItech nicht erfasst.
a) Nach den Feststellungen des SG hat der Kläger nach einem Studium in der Fachrichtung Handelsschifffahrt an der Seefahrtsschule W. am 15. Juni 1966 die Berechtigung erworben, die Berufsbezeichnung "Kapitän auf großer Fahrt" zu führen. Wie der Senat bereits wiederholt entschieden hat (vgl stellvertr: BSG Urteile vom 10. April 2002 - B 4 RA 18/01 R, SozR 3-8570 § 1 Nr 8 S 75 f und vom 31. Juli 2002 - B 4 RA 62/01 R) konkretisiert die VO-AVItech zwar selbst nicht, welcher Ausschnitt der Berufe der technischen Intelligenz in einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens durch das Zusatzversorgungssystem begünstigt werden sollte. § 1 Abs 1 Satz 1 der 2. DB macht jedoch deutlich, dass die "technische Intelligenz" nicht insgesamt erfasst war, sondern innerhalb dieser sozialen Gruppe nur ganz bestimmte Professionen. Die Berufsgruppe "Kapitäne auf großer Fahrt" benennt § 1 Abs 1 Satz 1 der 2. DB nicht.
Als "Kapitän auf großer Fahrt" ist der Kläger auch kein Ingenieur iS des § 1 Abs 1 Satz 1 der 2. DB. Darunter sind nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl BSG aaO) nur solche Personen zu verstehen, die nach der Verordnung über die Führung der Berufsbezeichnung "Ingenieur" vom 12. April 1962 (GBl II S 278) das Recht zur Führung dieses Titels hatten. Dem Kläger war weder durch besonderen Staatsakt die Berufsbezeichnung "Ingenieur" iS des § 1 der Verordnung zuerkannt worden, noch gehörte er zum gleichgesetzten Personenkreis des § 2 der Verordnung. Im Übrigen gibt auch § 2 der Zweiten Durchführungsbestimmung zu dieser Verordnung vom 10. Mai 1963 (GBl II S 365, berichtigt S 621) keinen Hinweis auf eine Gleichsetzung der beruflichen Qualifikation des "Kapitäns auf großer Fahrt" mit Personen, die zur Führung der Berufsbezeichnung "Ingenieur" berechtigt sind.
b) Entgegen der Ansicht des Klägers kommt es auf den Vermerk der Abteilung 2 des Ministeriums der Finanzen vom 28. Mai 1962, der Ausdruck der Verwaltungspraxis der DDR sein mag, nicht an (vgl stellvertr BSG Urteil vom 9. April 2002 - B 4 RA 39/01 R). Denn nach dem AAÜG bundesrechtlich bedeutsam können von der DDR verlautbarte Äußerungen nur geworden sein, wenn es sich ua um abstrakt-generelle Regelungen handelt, die von dem zuständigen Rechtsetzungsorgan in der vorgesehenen Form getroffen worden sind und die Gegenstände betreffen, auf die zu Bundesrecht gewordene Versorgungsordnungen sich beziehen.
Soweit sich der Kläger darauf beruft, dass ihm das Befähigungszeugnis als "Kapitän auf großer Fahrt" A 6 nach der Schiffsbesetzungsordnung vom 29. Oktober 1965 (GBl II S 805) verliehen worden sei, das nach § 17 Abs 2 der Seeschiffsbesetzungsordnung vom 25. November 1974 (GBl Sonderdruck Nr 787) denjenigen Befähigungszeugnissen gleichgestellt worden sei, die nach § 11 der Seeschiffsbesetzungsordnung vom 25. November 1974 nur Hochschulingenieuren erteilt würden, so ist dies versorgungsrechtlich ohne Bedeutung. Die Schiffsbesetzungsordnung vom 29. Oktober 1965 regelte ebenso wie die Seeschiffsbesetzungsordnung vom 25. November 1974, welche Anforderungen in der DDR an die Befugnis zum Führen eines (Wasser-)Fahrzeugs (zB eines Fahrgastschiffes oder eines Frachtschiffes) und an die Besetzung eines (Wasser-)Fahrzeugs gestellt wurden.
4. Ausgehend von den Gegebenheiten am 30. Juni 1990 hatte der Kläger somit bei Inkrafttreten des AAÜG am 1. August 1991 keine fiktive Versorgungsanwartschaft in der AVItech erworben. Das SG hat deshalb zu Recht die ablehnende Entscheidung der Beklagten bestätigt. Die Revision des Klägers ist mithin zurückzuweisen.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Gründe:
I
Streitig ist, ob der beklagte Zusatzversorgungsträger für den Zeitraum 16. Juni 1966 bis 30. Juni 1990 für den Kläger Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech) nach Nr 1 der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) und die in diesem Zeitraum erzielten Arbeitsentgelte festzustellen hat.
Nach einem Studium an der Seefahrtsschule W. in der Fachrichtung Handelsschifffahrt erwarb der Kläger am 15. Juni 1966 die Berechtigung, die Berufsbezeichnung "Kapitän auf großer Fahrt" zu führen. Vom 16. Juni 1966 bis 30. Juni 1990 war er als Kapitän beim VEB Deutsche Seereederei in R. beschäftigt. Seinen Antrag auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 2. Juni 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. September 2003). Der Kläger sei am 30. Juni 1990 weder in ein Versorgungssystem einbezogen gewesen, noch habe er einen Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt. Er habe nicht zum Kreis der obligatorisch Versorgungsberechtigten gehört. Als "Kapitän auf großer Fahrt" sei er nicht berechtigt gewesen, den Titel eines Ingenieurs zu führen.
Das SG Stralsund hat die dagegen erhobene Klage durch Urteil vom 21. Januar 2004 abgewiesen und ausgeführt: Die Beklagte habe zu Recht einen Anspruch auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz verneint. Denn der Kläger falle nicht unter den Anwendungsbereich des § 1 Abs 1 AAÜG. Ihm sei weder eine Versorgungszusage erteilt worden, noch habe er auf Grund der am 30. Juni 1990 gegebenen Sachlage einen bundesrechtlich fingierten Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt. Letzterer hänge gemäß § 1 der Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben (VO-AVItech) iVm § 1 Abs 1 Satz 1 der Zweiten Durchführungsbestimmung (2. DB) zu dieser Verordnung von drei Voraussetzungen ab. Der Kläger erfülle die persönliche Voraussetzung nicht. Denn er sei nicht berechtigt gewesen, den in Satz 1 der 2. DB genannten Titel eines Ingenieurs zu führen. Die von ihm vorgelegte Urkunde habe lediglich die Berechtigung verliehen, die Berufsbezeichnung "Kapitän auf großer Fahrt" zu führen. Diese Berechtigung ergebe sich auch nicht aus § 2 Abs 2 der 2. DB zur Verordnung über die Führung der Berufsbezeichnung "Ingenieur" vom 10. Mai 1963. Diese Vorschrift sei allein eine Durchführungsbestimmung zu § 2 Buchstabe d der Verordnung über die Führung der Berufsbezeichnung "Ingenieur" vom 12. April 1962. Sie ermögliche eine Gleichsetzung von Personen, die vor 1945 ein mindestens 4-semestriges, in sich abgeschlossenes Studium an einer staatlich anerkannten deutschen mittleren oder höheren technischen Lehranstalt nachweisen könnten und seither überwiegend Ingenieurtätigkeiten ausübten. Auch der Vermerk der Abteilung 2 des Ministeriums der Finanzen vom 28. Mai 1962 für die Deutsche Versicherungs-Anstalt, mit dem im Rahmen der AVItech Patentinhaber der Stufen 5 und 6 den Ingenieuren gleichgestellt wurden, führe zu keinem anderen Ergebnis. Dieser habe lediglich den Charakter einer nicht hinreichend veröffentlichten internen Anweisung, die bei der Anwendung des AAÜG unbeachtlich sei, weil es nicht darauf ankomme, wie die Regelungen der Versorgungsordnungen ausgelegt und praktiziert worden seien. Es komme auch nicht darauf an, dass ausweislich von § 11 der Seeschiffsbesetzungsordnung vom 25. November 1974 die Befähigungszeugnisse A 6 (Kapitän auf großer Fahrt) vom Seefahrtsamt der DDR nur an Hochschulingenieure erteilt worden seien. Dem Kläger sei das Befähigungszeugnis A 6 bereits vor dem Inkrafttreten dieser Anordnung verliehen worden. Diese Befähigungszeugnisse seien nach § 17 Abs 2 der Seeschiffsbesetzungsordnung von 1974 den Befähigungszeugnissen nach dieser Anordnung nur gleichgestellt worden.
Das SG hat die Sprungrevision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Es sei bislang höchstrichterlich nicht entschieden, ob Absolventen der Seefahrtsschule W. , denen die Berechtigung zum Führen der Berufsbezeichnung "Kapitän auf großer Fahrt" verliehen worden sei, auch nach § 1 der Verordnung über die Führung der Berufsbezeichnung "Ingenieur" vom 12. April 1962 die Berechtigung gehabt hätten, die Berufsbezeichnung "Ingenieur" zu führen. Bei den Sozialgerichten des Landes Mecklenburg-Vorpommern sei eine Vielzahl von Rechtssachen mit gleichem Streitgegenstand anhängig.
Der Kläger hat mit Zustimmung der Beklagten die Revision eingelegt. Er rügt eine Verletzung von §§ 1 Abs 1 Satz 1, 8 Abs 2, 3 Satz 4 und 4 Nr 1 AAÜG. Das AAÜG sei auf ihn anwendbar. Er habe zwar mangels Versorgungszusage am 1. August 1991 keine Versorgungsanwartschaft besessen. Er hätte jedoch auf Grund der am 30. Juni 1990 gegebenen Sachlage nach der am 31. Juli 1991 gegebenen bundesgesetzlichen Rechtslage einen Anspruch auf Versorgungszusage nach den bundesrechtlichen leistungsrechtlichen Regelungen der AVItech gehabt. Danach hänge dieser von drei Voraussetzungen ab, die er erfülle. Ihm sei mit Urkunde vom 15. Juni 1966 durch besonderen Staatsakt die Berufsbezeichnung "Kapitän auf großer Fahrt" - die seemännische Bezeichnung für einen Ingenieur für Schiffsführung - verliehen worden. Ihm sei außerdem das Befähigungszeugnis (Patent) als Kapitän auf großer Fahrt A 6 nach der Schiffsbesetzungsordnung vom 29. Oktober 1965 verliehen worden. Dieses sei nach § 17 Abs 2 der Seeschiffsbesetzungsordnung vom 25. November 1974 den Befähigungszeugnissen nach dieser Anordnung gleichgestellt worden. Befähigungszeugnisse A 6 würden ausweislich des § 11 der Seeschiffsbesetzungsordnung vom 25. November 1974 ausschließlich an Hochschulingenieure erteilt. Es sei daher davon auszugehen, dass er am 30. Juni 1990 als Inhaber eines Patentes A 6 auch berechtigt gewesen sei, den Titel eines Ingenieurs zu führen. Die Seefahrtsschule W. sei nach dem Verständnis der DDR eine technische Schule gewesen; sie gehörte zu den Ingenieur- und Fachschulen, die zu Ingenieurhochschulen umgewandelt worden seien. Zur Erlangung des Titels "Kapitän auf großer Fahrt" hätte eine Ingenieurabschlussarbeit angefertigt werden müssen. Der Abschluss "Kapitän auf großer Fahrt" entspreche dem Ingenieurtitel nach der Verordnung über die Führung der Berufsbezeichnung "Ingenieur" vom 12. April 1962. Es liege die Schlussfolgerung nahe, dass die Seefahrtsschulabsolventen bereits nach DDR-Verständnis von § 1 Buchst c der Verordnung vom 12. April 1962 erfasst gewesen seien. Außerdem könnten andere Texte im Zusammenhang mit der historischen Auslegung ergänzende Bedeutung erlangen. Eine solche Auslegungshilfe sei die Anweisung des Ministeriums der Finanzen vom 28. Mai 1962. Sie enthalte im Rahmen der Gewährung der Altersversorgung der Intelligenz eine Gleichstellung der Patentinhaber in den Stufen 5 und 6 mit den Ingenieuren. Der Kläger sei demnach mit der Verleihungsurkunde "Kapitän auf großer Fahrt" auch berechtigt gewesen, den Titel eines Ingenieurs zu führen. Er habe vom 16. Juni 1966 bis zum 30. Juni 1990 eine Tätigkeit ausgeübt, die seiner Ausbildung zum "Kapitän auf großer Fahrt" entsprochen habe. Der VEB D. /Seereederei sei als Betrieb der Schifffahrt nach § 1 Abs 2 der 2. DB den volkseigenen Produktionsbetrieben gleichgestellt gewesen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Stralsund vom 21. Januar 2004 sowie den Bescheid der Beklagten vom 2. Juni 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. September 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, seine Beschäftigung vom 16. Juni 1966 bis 30. Juni 1990 als Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (Anlage 1 Nr 1 AAÜG) und die tatsächlich in dieser Zeit erzielten Arbeitsverdienste festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die (Sprung)Revision zurückzuweisen.
Sie hält die Ausführungen des SG für zutreffend. Der Kläger erfülle nicht die persönliche Voraussetzung der AVItech, denn er sei nicht berechtigt gewesen, den Titel "Ingenieur" zu führen. Dieser Titel sei nicht durch Staatsakt verliehen worden. Der Erwerb der Befähigungszeugnisse habe nicht den Titel "Ingenieur" ersetzt. Auch die Anweisung des Ministeriums der Finanzen sei unbeachtlich, weil es auf die Handhabung der Regelungen der Versorgungsordnungen in der Verwaltungspraxis der DDR nicht ankomme.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).
II
Die Revision des Klägers ist unbegründet.
Das SG und die Beklagte haben zu Recht entschieden, dass der Kläger keinen mit der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG) durchsetzbaren Anspruch auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zur AVItech vom 16. Juni 1966 bis 30. Juni 1990 hat, während der er nach den Feststellungen des SG als Kapitän beim VEB Deutsche Seereederei in R. beschäftigt war. Ebenso wenig hat er einen Anspruch auf Feststellung der in diesem Zeitraum erzielten Arbeitsentgelte. Denn auf Grund der tatsächlichen Feststellungen des SG, die mit Verfahrensrügen nicht angreifbar (§ 161 Abs 4 SGG) und damit für den Senat bindend (§ 163 SGG) sind, steht fest, dass der Kläger schon nicht unter den persönlichen Anwendungsbereich des § 1 AAÜG fällt.
Erst wenn das AAÜG nach § 1 Abs 1 AAÜG auf den Kläger anwendbar wäre, ist in einem weiterem Schritt zu prüfen, ob Tatbestände von Zugehörigkeitszeiten iS von § 5 Abs 1 AAÜG und damit Tatbestände von gleichgestellten Pflichtbeitragszeiten iS des SGB VI vorliegen, auf deren Feststellung der Kläger nach § 8 Abs 1 iVm Abs 2 und 3 AAÜG einen Anspruch gegen die Beklagte hätte.
1. Vom persönlichen Anwendungsbereich werden nach der Maßstabsnorm des § 1 Abs 1 AAÜG die Versorgungsberechtigungen (Ansprüche oder Anwartschaften) erfasst, die auf Grund der Zugehörigkeit zu Versorgungssystemen im Beitrittsgebiet erworben worden sind und beim Inkrafttreten dieses Gesetzes am 1. August 1991 bestanden haben (§ 1 Abs 1 Satz 1 AAÜG). War ein Verlust der Versorgungsanwartschaften deswegen eingetreten, weil die Regelungen des Versorgungssystems ihn bei einem Ausscheiden vor dem Leistungsfall vorsahen, gilt dieser Anwartschaftsverlust nach Satz 2 dieser Vorschrift als nicht eingetreten. Geht man vom Wortlaut der Vorschrift aus, erfüllt der Kläger beide Tatbestände nicht.
Der Kläger war nach den für den Senat bindenden Feststellungen des SG nicht Inhaber einer bei Inkrafttreten des AAÜG am 1. August 1991 bestehenden Versorgungsanwartschaft. Eine Einzelfallentscheidung, durch die ihm zum 1. August 1991 eine Versorgungsanwartschaft zuerkannt worden ist, liegt nicht vor. Weder hatte er eine positive Statusentscheidung der Beklagten erlangt noch hatte er eine frühere Versorgungszusage in Form eines nach Art 19 Satz 1 Einigungsvertrag (EV) bindend gebliebenen Verwaltungsakts. Der Kläger war auch nicht auf Grund eines Einzelvertrags oder einer späteren Rehabilitationsentscheidung in ein Versorgungssystem (hier: AVItech) einbezogen worden.
Für den Kläger greift auch nicht § 1 Abs 1 Satz 2 AAÜG, denn er hatte nach den bindenden Feststellungen des LSG vor dem 30. Juni 1990 keine Rechtsposition inne, die er hätte verlieren können. Nur in diesen Fällen wird kraft Gesetzes eine Anwartschaft nach § 1 Abs 1 Satz 2 AAÜG fingiert (vgl ua Urteile des Senats vom 9. April 2002 - B 4 RA 31/01 R, SozR 3-8570 § 1 Nr 2 S 15 und vom 10. April 2002 - B 4 RA 34/01 R, SozR 3-8570 § 1 Nr 3 S 20 f).
2. Bei Personen, die am 30. Juni 1990 nicht einbezogen waren und auch nicht nachfolgend auf Grund originären Bundesrechts (Art 17 EV) einbezogen wurden, ist allerdings auf Grund einer vom Senat vorgenommenen erweiternden verfassungskonformen Auslegung des § 1 Abs 1 AAÜG zu prüfen, ob die Nichteinbezogenen aus der Sicht des am 1. August 1991 gültigen Bundesrechts nach der am 30. Juni 1990 gegebenen Sachlage einen Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt hätten (vgl BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 2 S 12 f; BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 3 S 20; BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 4 S 26 f; BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 5 S 32; BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 6 S 39; BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 7 S 59 f; BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 8 S 73). Dieser fiktive bundesrechtliche Anspruch auf Erteilung einer Zusage hängt von der Ausgestaltung der zu Bundesrecht gewordenen leistungsrechtlichen Regelungen der Versorgungssysteme ab.
Im Blick auf die AVItech ergeben sich diese Regelungen aus der Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben (VO-AVItech) vom 17. August 1950 (GBl S 844) und die dazu ergangene Zweite Durchführungsbestimmung (2. DB) vom 24. Mai 1951 (GBl S 487). Ein derartiger - fiktiver - bundesrechtlicher Anspruch auf Erteilung einer Zusage hängt gemäß § 1 der VO-AVItech iVm § 1 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 der 2. DB von folgenden Voraussetzungen ab (vgl hierzu BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 2 S 14, Nr 5 S 33, Nr 6 S 40 f, Nr 7 S 60, Nr 8 S 74), nämlich von
der Berechtigung, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen (persönliche Voraussetzung), und der Ausübung einer entsprechenden Tätigkeit (sachliche Voraussetzung), und zwar in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens (§ 1 Abs 1 der 2. DB) oder in einen durch § 1 Abs 2 der 2. DB gleichgestellten Betrieb (betriebliche Voraussetzung). 3. Mit der Beschäftigung als Kapitän beim VEB Deutsche Seereederei in R. erfüllte der Kläger am 30. Juni 1990 schon nicht die persönliche Voraussetzung für einen fiktiven bundesrechtlichen Anspruch auf Erteilung einer Zusage nach der AVItech; denn die vom Kläger erworbene berufliche Qualifikation als "Kapitän auf großer Fahrt" wurde von der AVItech nicht erfasst.
a) Nach den Feststellungen des SG hat der Kläger nach einem Studium in der Fachrichtung Handelsschifffahrt an der Seefahrtsschule W. am 15. Juni 1966 die Berechtigung erworben, die Berufsbezeichnung "Kapitän auf großer Fahrt" zu führen. Wie der Senat bereits wiederholt entschieden hat (vgl stellvertr: BSG Urteile vom 10. April 2002 - B 4 RA 18/01 R, SozR 3-8570 § 1 Nr 8 S 75 f und vom 31. Juli 2002 - B 4 RA 62/01 R) konkretisiert die VO-AVItech zwar selbst nicht, welcher Ausschnitt der Berufe der technischen Intelligenz in einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens durch das Zusatzversorgungssystem begünstigt werden sollte. § 1 Abs 1 Satz 1 der 2. DB macht jedoch deutlich, dass die "technische Intelligenz" nicht insgesamt erfasst war, sondern innerhalb dieser sozialen Gruppe nur ganz bestimmte Professionen. Die Berufsgruppe "Kapitäne auf großer Fahrt" benennt § 1 Abs 1 Satz 1 der 2. DB nicht.
Als "Kapitän auf großer Fahrt" ist der Kläger auch kein Ingenieur iS des § 1 Abs 1 Satz 1 der 2. DB. Darunter sind nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl BSG aaO) nur solche Personen zu verstehen, die nach der Verordnung über die Führung der Berufsbezeichnung "Ingenieur" vom 12. April 1962 (GBl II S 278) das Recht zur Führung dieses Titels hatten. Dem Kläger war weder durch besonderen Staatsakt die Berufsbezeichnung "Ingenieur" iS des § 1 der Verordnung zuerkannt worden, noch gehörte er zum gleichgesetzten Personenkreis des § 2 der Verordnung. Im Übrigen gibt auch § 2 der Zweiten Durchführungsbestimmung zu dieser Verordnung vom 10. Mai 1963 (GBl II S 365, berichtigt S 621) keinen Hinweis auf eine Gleichsetzung der beruflichen Qualifikation des "Kapitäns auf großer Fahrt" mit Personen, die zur Führung der Berufsbezeichnung "Ingenieur" berechtigt sind.
b) Entgegen der Ansicht des Klägers kommt es auf den Vermerk der Abteilung 2 des Ministeriums der Finanzen vom 28. Mai 1962, der Ausdruck der Verwaltungspraxis der DDR sein mag, nicht an (vgl stellvertr BSG Urteil vom 9. April 2002 - B 4 RA 39/01 R). Denn nach dem AAÜG bundesrechtlich bedeutsam können von der DDR verlautbarte Äußerungen nur geworden sein, wenn es sich ua um abstrakt-generelle Regelungen handelt, die von dem zuständigen Rechtsetzungsorgan in der vorgesehenen Form getroffen worden sind und die Gegenstände betreffen, auf die zu Bundesrecht gewordene Versorgungsordnungen sich beziehen.
Soweit sich der Kläger darauf beruft, dass ihm das Befähigungszeugnis als "Kapitän auf großer Fahrt" A 6 nach der Schiffsbesetzungsordnung vom 29. Oktober 1965 (GBl II S 805) verliehen worden sei, das nach § 17 Abs 2 der Seeschiffsbesetzungsordnung vom 25. November 1974 (GBl Sonderdruck Nr 787) denjenigen Befähigungszeugnissen gleichgestellt worden sei, die nach § 11 der Seeschiffsbesetzungsordnung vom 25. November 1974 nur Hochschulingenieuren erteilt würden, so ist dies versorgungsrechtlich ohne Bedeutung. Die Schiffsbesetzungsordnung vom 29. Oktober 1965 regelte ebenso wie die Seeschiffsbesetzungsordnung vom 25. November 1974, welche Anforderungen in der DDR an die Befugnis zum Führen eines (Wasser-)Fahrzeugs (zB eines Fahrgastschiffes oder eines Frachtschiffes) und an die Besetzung eines (Wasser-)Fahrzeugs gestellt wurden.
4. Ausgehend von den Gegebenheiten am 30. Juni 1990 hatte der Kläger somit bei Inkrafttreten des AAÜG am 1. August 1991 keine fiktive Versorgungsanwartschaft in der AVItech erworben. Das SG hat deshalb zu Recht die ablehnende Entscheidung der Beklagten bestätigt. Die Revision des Klägers ist mithin zurückzuweisen.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
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