Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 22 RJ 465/99
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 8 RJ 61/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 9. Juni 2000 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger beansprucht eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Der 1944 geborene Kläger besitzt keine abgeschlossene Berufsausbildung. Eine 1960 begonnene Ausbildung zum Flachgraveur musste er eigenen Angaben zu Folge 1963 aus gesundheitlichen Gründen aufgeben. Bis 1968 war er anschließend als Maschinengraveur beschäftigt. Seit 1968 war der Kläger bei der Bundesdruckerei in Berlin beschäftigt (gesundheitliche Gründe für den Arbeitsplatzwechsel verneinte er in einem Fragebogen zum Reha-Antrag am 3. Juli 1997). Er arbeitete dort zuletzt als Papierschneider und seit 1992 als Transportarbeiter. Seit dem 8. Oktober 1996 war er arbeitsunfähig krank und bezog seit dem 19. November 1996 Krankengeld. Seit dem 1. August 1997 bezieht er eine VAP-Rente. Er ist anerkannter Schwerbehinderter mit einem Grad der Behinderung von 50.
Am 2. Juni 1997 beantragte er die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Zur Begründung verwies er auf einen Bandscheibenvorfall, eine Vernarbung an der Netzhaut des rechtes Auges, Depressionen, Kopfschmerzen und chronische Bronchitis, die eine Erwerbstätigkeit nicht mehr zuließen. Vom 10. Juni bis 8. Juli 1997 befand er sich in einem Heilverfahren; nach dem Entlassungsbericht wurde er zwar für die zuletzt verrichtete schwere Arbeit weiterhin als nicht leistungsfähig angesehen, ihm seien aber leichte bis teilweise mittelschwere Arbeiten in wechselnder Körperhaltung ohne Zwangshaltungen möglich. Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 29. August 1997 den Rentenantrag ab, weil der Kläger mit dem verbliebenen Leistungsvermögen noch vollschichtig Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten könne.
Auf den Widerspruch des Klägers wurde dieser allgemeinmedizinisch (Gutachten vom 28. November 1997) sowie neurochirurgisch-orthopädisch (Gutachten vom 19. Dezember 1997) begutachtet. Sodann wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 12. Februar 1999 zurück. Zur Begründung erläuterte sie, dass die festgestellten Gesundheitsstörungen noch leichte bis mittelschwere Arbeiten mit qualitativen Einschränkungen vollschichtig zuließen und der auf alle ungelernten Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbare Kläger damit weder berufs- noch erwerbsunfähig sei.
Dagegen hat sich der Kläger mit seiner zum Sozialgericht (SG) Berlin erhobenen Klage gewandt und weiterhin die Auffassung vertreten, er könne auch körperlich leichte Arbeiten nicht mehr vollschichtig verrichten, so dass ihm die beanspruchte Rente zustehe.
Das SG hat Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte eingeholt und die Schwerbehindertenakte des Klägers beigezogen. Anschließend hat es ein allgemeinmedizinisches Gutachten vom 17. Januar 2000 durch Dr. B erstatten lassen. Dieser hat darin folgende gesundheitliche Beeinträchtigungen genannt:
Degenerative Lendenwirbelsäulen-Erkrankung, anhaltende schmerzhafte Funktionseinbuße, Fehlhaltung und Nervenwurzelreizerscheinungen bei Spinalkanalstenose und Zustand nach Bandscheibenvorfall
Koronare Herzkrankheit, geringgradige pectanginöse Beschwerden ohne kardiopulmonale Leistungseinbuße
Hochgradige Sehschwäche rechtes Auge
Leichte Hörminderung
Leichtere psychovegetative Störungen
Asymptomatische Verkalkungen der Bauchschlagader ohne periphere Durchblutungsminderung
Medikamentös eingestellter Hypertonus sowie Hyperlipidämie
Geringgradiges Krampfaderleiden.
Er hat dazu die Auffassung vertreten, der Kläger könne unter Berücksichtigung der daraus resultierenden Beschwerden noch täglich regelmäßig körperlich leichte Arbeiten im Wechsel der Haltungsarten, möglichst überwiegend im Sitzen vollschichtig unter Beachtung weiterer qualitativer Einschränkungen verrichten.
Sodann hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 9. Juni 2000 nach Anhörung der Beteiligten die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Dem Kläger stehe die begehrte Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nicht zu, denn er sei nicht erwerbsunfähig. Er könne zwar nicht mehr seine letzte körperlich schwere Beschäftigung als Transportarbeiter ausüben, er sei jedoch noch in der Lage, körperlich leichte Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes vollschichtig zu verrichten, wie sich aus dem Ergebnis der medizinischen Beweiserhebung ergebe.
Hiergegen hat sich der Kläger mit seiner Berufung gewandt, mit der er weiterhin einen Rentenanspruch geltend macht und eine unzutreffende Würdigung seines Gesundheitszustandes rügt, weil seine vielfältigen Leistungseinschränkungen nicht hinreichend berücksichtigt worden seien.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 9. Juni 2000 sowie den Bescheid der Beklagten vom 29. August 1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12. Februar 1999 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung, da sie dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen entspreche.
Der Senat hat Befundberichte des den Kläger behandelnden Orthopäden Dr. Mu und des Praktischen Arztes Dr. Mi eingeholt und anschließend von dem gerichtlichen Gutachter Dr. B eine ergänzende gutachterliche Stellungnahme vom 26. März 2001 eingeholt. Der Gutachter sieht darin keinen Anlass zu einer abweichenden Bewertung des Gesundheitszustandes des Klägers. Außerdem hat der Senat einen Befundbericht von Dres. K/v H eingeholt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf die Gerichtsakte sowie die von der Beklagten vorgelegten Renten- und Rehabilitationsakte (Vers.-Nr. 25 090844 O 005), die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach den §§ 43, 44 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI). Der Kläger ist weder berufs- noch erwerbsunfähig.
Berufsunfähig ist nach § 43 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGB VI a.F. der Versicherte, dessen Erwerbsfähigkeit auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit des Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (Satz 4).
Erwerbsunfähig ist demgegenüber der Versicherte, der wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande ist, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße übersteigt (§ 44 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 SGB VI a.F.).
Erwerbsunfähig ist nicht, wer eine selbständige Tätigkeit ausübt oder eine Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (Satz 2).
Der Kläger ist schon nicht berufsunfähig im Sinne des § 43 Abs. 2 SGB VI a.F ... Diese Vorschrift entspricht im Wesentlichen den Bestimmungen über die Berufsunfähigkeit nach dem bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Recht, so dass insoweit auch auf die zu den früheren Regelungen ergangene Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zurückgegriffen werden kann.
Für die Prüfung der Berufsunfähigkeit ist mithin zunächst der „Bisherige Beruf“ zu bestimmen, der sich in der Regel aus der letzten versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit ergibt. Kann ein Versicherter die Leistungsanforderungen seines bisherigen Berufes aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr erfüllen, so ist weiter zu prüfen, welche anderen Tätigkeiten im Rahmen einer Verweisung für den Versicherten unter Beachtung seines verbliebenen Leistungsvermögens noch als sozial zumutbar in Betracht kommen.
Die letzte versicherungspflichtige Tätigkeit des Klägers ist die eines Druckereiarbeiters im Transportbereich, die mit dem Heben und Tragen von schweren Lasten verbunden und ihm aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr zuzumuten ist. Mit dieser Tätigkeit ist der Kläger der Gruppe der Ungelernten, allenfalls der Gruppe der Angelernten im unteren Bereich zuzuordnen, so dass er nach dem von der Rechtsprechung entwickelten sogenannten Mehrstufenschema auf Arbeiten des allgemeinen Arbeitsfeldes verweisbar ist. Berufsschutz im Hinblick auf die (nicht abgeschlossene) Ausbildung zum Flachgraveur und die nachfolgende Beschäftigung als Maschinengraveur steht ihm nicht zu, weil er diese Beschäftigung nach eigenen Angaben im Reha-Verfahren nicht aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben hat, so dass auch eine Prüfung dahinstehen kann, ob der Kläger möglicherweise im Hinblick auf die seit Kindheit bestehende Sehbehinderung mit der Arbeit als Maschinengraveur nur einen Teilbereich des Berufes abgedeckt und demzufolge nicht den vollen Berufsschutz eines Facharbeiters hätte beanspruchen können. Solche ihm sozial zumutbaren Verweisungstätigkeiten des allgemeinen Arbeitsfeldes kann der Kläger mit dem ihm verbliebenen Leistungsvermögen nach Ansicht des Senats auch verrichten.
Nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen ist der Kläger noch in der Lage, körperlich leichte Arbeiten im Wechsel der Haltungsarten, möglichst überwiegend im Sitzen vollschichtig zu verrichten. Zwangshaltungen, Arbeiten auf Leitern oder Gerüsten sowie Heben und Tragen von Lasten über 5 kg sind zu vermeiden. Tätigkeiten unter mäßigem Zeitdruck, an langsam laufenden Maschinen bzw. in Wechselschicht sind dagegen zumutbar; die Belastbarkeit der Arme und die Fingergeschicklichkeit sind regelrecht. Die Einschränkungen ergeben sich, wie der Gutachter Dr. B überzeugend dargelegt hat, vor allem aus der verminderten Belastbarkeit der Wirbelsäule und der Beine. Einschränkungen des Leistungsvermögen ergeben sich darüber hinaus aus dem eingeschränkten Sehvermögen (nur) insofern, als beidäugig räumliches Sehen nicht möglich ist.
Entgegen der Auffassung des SG ist der Kläger trotz der genannten gesundheitlichen Einschränkungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einsatzfähig. Dem Kläger sind insbesondere noch leichte Verrichtungen, wie z.B. Zureichen, Abnehmen, Bedienen von Maschinen, Verpacken von leichten Gegenständen sowie Montagetätigkeiten mit Kunststoff, Plastik, Glas oder Holz möglich, zumal der Kläger nach den Feststellungen des medizinischen Sachverständigen Dr. B noch Tätigkeiten unter mäßigem Zeitdruck, an langsam laufenden Maschinen sowie in Wechselschicht verrichten kann. Für solche Verrichtungen sind Arbeitsplätze auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausreichend vorhanden.
Eine Pflicht zur Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit besteht entgegen der Auffassung des Klägers nicht. Bei Versicherten, die auf das allgemeine Arbeitsfeld verweisbar sind und noch vollschichtig leichte körperliche Arbeiten mit zusätzlichen Einschränkungen verrichten können, bedarf es grundsätzlich der Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit nicht, weil davon auszugehen ist, dass die in der Arbeitswelt tatsächlich vorkommenden vielfältig ausgestalteten Arbeitsplätze ausreichende Einsatzmöglichkeiten bieten. Eine weitergehende Prüfung ist nur dann erforderlich, wenn die Besonderheiten des Einzelfalles ernstliche Zweifel an einer betrieblichen Einsetzbarkeit und damit die Verschlossenheit des Arbeitsmarktes begründen könnten. Ein solcher Sachverhalt liegt hier nicht vor.
Zu der vom Kläger angeführten Einschränkung bezüglich belastender klimatischer Einflüsse ist zunächst festzustellen, dass der gerichtliche Gutachter eine solche - im Verwaltungsverfahren erwähnte - Einschränkung nicht fordert. Diese Frage bedarf jedoch keiner abschließenden Klärung. Der Kläger weist zwar zu Recht auf diese Einschränkung hin. Denn sie ist nicht bereits von der Einschränkung auf körperlich leichte Arbeiten umfasst (vgl. BSG, Urteil vom 11. Mai 1999 - B 13 RJ 71/97 R) und bedarf deshalb gesonderter Würdigung. Es ist allerdings nicht erkennbar, dass diese Einschränkung generell grundsätzliche Zweifel an einer betriebsüblichen Einsetzbarkeit nach sich zieht. Auch der Kläger hat nicht einmal behauptet, dass die gesundheitlich für zumutbar erachteten Verrichtungen in einem erheblichen Umfang (nur) unter belastenden klimatischen Einflüssen zu verrichten seien. Diese Einschränkung ist daher nicht geeignet, das Feld körperlich leichter Arbeiten zusätzlich wesentlich einzuengen (BSG, Urteil vom 19. August 1997 - 13 RJ 87/96; Urteil vom 20. August 1997 - 13 RJ 39/96 = SozR 3-2600 § 43 Nr. 17).
Auch die vom Kläger angeführte Einschränkung des Sehvermögens führt zu keiner anderen Beurteilung. Die seit der Jugend bestehende weitgehende Erblindung des rechten Auges behindert den Kläger dem Gutachter zu Folge nur, soweit ein beidäugiges räumliches Sehen erforderlich wäre. Für andere Tätigkeiten ergeben sich jedoch keine Einschränkungen, wie insbesondere die lange Berufstätigkeit des Klägers belegt. Selbst Arbeiten als Maschinengraveur, die vermutlich durchaus nicht unerhebliche Anforderungen an das Sehvermögen gestellt haben dürften, waren dem Kläger möglich. Dass die nunmehr noch für möglich erachteten Verrichtungen über die für die bisherigen Tätigkeiten ausreichenden Sehleistungen hinaus höhere Anforderungen stellen, vermag der Senat nicht zu erkennen und ist auch vom Kläger nicht dargelegt worden.
Nach alledem ist davon auszugehen, dass dem Kläger noch hinreichende Betätigungsmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt offen stehen. Er ist deshalb nicht berufsunfähig und erst recht nicht erwerbsunfähig im Sinne des § 44 Abs. 2 SGB VI a.F., weil dafür eine noch weitergehendere Einschränkung des Leistungsvermögens erforderlich ist. Da bei dem Kläger noch ein vollschichtiges Leistungsvermögen von 8 Stunden vorliegt, besteht auch nach den seit dem 1. Januar 2001 geltenden §§ 43, 240 SGB VI kein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG); Kosten sind nicht zu erstatten, weil die Berufung keinen Erfolg hat.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Tatbestand:
Der Kläger beansprucht eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Der 1944 geborene Kläger besitzt keine abgeschlossene Berufsausbildung. Eine 1960 begonnene Ausbildung zum Flachgraveur musste er eigenen Angaben zu Folge 1963 aus gesundheitlichen Gründen aufgeben. Bis 1968 war er anschließend als Maschinengraveur beschäftigt. Seit 1968 war der Kläger bei der Bundesdruckerei in Berlin beschäftigt (gesundheitliche Gründe für den Arbeitsplatzwechsel verneinte er in einem Fragebogen zum Reha-Antrag am 3. Juli 1997). Er arbeitete dort zuletzt als Papierschneider und seit 1992 als Transportarbeiter. Seit dem 8. Oktober 1996 war er arbeitsunfähig krank und bezog seit dem 19. November 1996 Krankengeld. Seit dem 1. August 1997 bezieht er eine VAP-Rente. Er ist anerkannter Schwerbehinderter mit einem Grad der Behinderung von 50.
Am 2. Juni 1997 beantragte er die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Zur Begründung verwies er auf einen Bandscheibenvorfall, eine Vernarbung an der Netzhaut des rechtes Auges, Depressionen, Kopfschmerzen und chronische Bronchitis, die eine Erwerbstätigkeit nicht mehr zuließen. Vom 10. Juni bis 8. Juli 1997 befand er sich in einem Heilverfahren; nach dem Entlassungsbericht wurde er zwar für die zuletzt verrichtete schwere Arbeit weiterhin als nicht leistungsfähig angesehen, ihm seien aber leichte bis teilweise mittelschwere Arbeiten in wechselnder Körperhaltung ohne Zwangshaltungen möglich. Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 29. August 1997 den Rentenantrag ab, weil der Kläger mit dem verbliebenen Leistungsvermögen noch vollschichtig Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten könne.
Auf den Widerspruch des Klägers wurde dieser allgemeinmedizinisch (Gutachten vom 28. November 1997) sowie neurochirurgisch-orthopädisch (Gutachten vom 19. Dezember 1997) begutachtet. Sodann wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 12. Februar 1999 zurück. Zur Begründung erläuterte sie, dass die festgestellten Gesundheitsstörungen noch leichte bis mittelschwere Arbeiten mit qualitativen Einschränkungen vollschichtig zuließen und der auf alle ungelernten Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbare Kläger damit weder berufs- noch erwerbsunfähig sei.
Dagegen hat sich der Kläger mit seiner zum Sozialgericht (SG) Berlin erhobenen Klage gewandt und weiterhin die Auffassung vertreten, er könne auch körperlich leichte Arbeiten nicht mehr vollschichtig verrichten, so dass ihm die beanspruchte Rente zustehe.
Das SG hat Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte eingeholt und die Schwerbehindertenakte des Klägers beigezogen. Anschließend hat es ein allgemeinmedizinisches Gutachten vom 17. Januar 2000 durch Dr. B erstatten lassen. Dieser hat darin folgende gesundheitliche Beeinträchtigungen genannt:
Degenerative Lendenwirbelsäulen-Erkrankung, anhaltende schmerzhafte Funktionseinbuße, Fehlhaltung und Nervenwurzelreizerscheinungen bei Spinalkanalstenose und Zustand nach Bandscheibenvorfall
Koronare Herzkrankheit, geringgradige pectanginöse Beschwerden ohne kardiopulmonale Leistungseinbuße
Hochgradige Sehschwäche rechtes Auge
Leichte Hörminderung
Leichtere psychovegetative Störungen
Asymptomatische Verkalkungen der Bauchschlagader ohne periphere Durchblutungsminderung
Medikamentös eingestellter Hypertonus sowie Hyperlipidämie
Geringgradiges Krampfaderleiden.
Er hat dazu die Auffassung vertreten, der Kläger könne unter Berücksichtigung der daraus resultierenden Beschwerden noch täglich regelmäßig körperlich leichte Arbeiten im Wechsel der Haltungsarten, möglichst überwiegend im Sitzen vollschichtig unter Beachtung weiterer qualitativer Einschränkungen verrichten.
Sodann hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 9. Juni 2000 nach Anhörung der Beteiligten die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Dem Kläger stehe die begehrte Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nicht zu, denn er sei nicht erwerbsunfähig. Er könne zwar nicht mehr seine letzte körperlich schwere Beschäftigung als Transportarbeiter ausüben, er sei jedoch noch in der Lage, körperlich leichte Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes vollschichtig zu verrichten, wie sich aus dem Ergebnis der medizinischen Beweiserhebung ergebe.
Hiergegen hat sich der Kläger mit seiner Berufung gewandt, mit der er weiterhin einen Rentenanspruch geltend macht und eine unzutreffende Würdigung seines Gesundheitszustandes rügt, weil seine vielfältigen Leistungseinschränkungen nicht hinreichend berücksichtigt worden seien.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 9. Juni 2000 sowie den Bescheid der Beklagten vom 29. August 1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12. Februar 1999 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung, da sie dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen entspreche.
Der Senat hat Befundberichte des den Kläger behandelnden Orthopäden Dr. Mu und des Praktischen Arztes Dr. Mi eingeholt und anschließend von dem gerichtlichen Gutachter Dr. B eine ergänzende gutachterliche Stellungnahme vom 26. März 2001 eingeholt. Der Gutachter sieht darin keinen Anlass zu einer abweichenden Bewertung des Gesundheitszustandes des Klägers. Außerdem hat der Senat einen Befundbericht von Dres. K/v H eingeholt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf die Gerichtsakte sowie die von der Beklagten vorgelegten Renten- und Rehabilitationsakte (Vers.-Nr. 25 090844 O 005), die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach den §§ 43, 44 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI). Der Kläger ist weder berufs- noch erwerbsunfähig.
Berufsunfähig ist nach § 43 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGB VI a.F. der Versicherte, dessen Erwerbsfähigkeit auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit des Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (Satz 4).
Erwerbsunfähig ist demgegenüber der Versicherte, der wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande ist, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße übersteigt (§ 44 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 SGB VI a.F.).
Erwerbsunfähig ist nicht, wer eine selbständige Tätigkeit ausübt oder eine Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (Satz 2).
Der Kläger ist schon nicht berufsunfähig im Sinne des § 43 Abs. 2 SGB VI a.F ... Diese Vorschrift entspricht im Wesentlichen den Bestimmungen über die Berufsunfähigkeit nach dem bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Recht, so dass insoweit auch auf die zu den früheren Regelungen ergangene Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zurückgegriffen werden kann.
Für die Prüfung der Berufsunfähigkeit ist mithin zunächst der „Bisherige Beruf“ zu bestimmen, der sich in der Regel aus der letzten versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit ergibt. Kann ein Versicherter die Leistungsanforderungen seines bisherigen Berufes aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr erfüllen, so ist weiter zu prüfen, welche anderen Tätigkeiten im Rahmen einer Verweisung für den Versicherten unter Beachtung seines verbliebenen Leistungsvermögens noch als sozial zumutbar in Betracht kommen.
Die letzte versicherungspflichtige Tätigkeit des Klägers ist die eines Druckereiarbeiters im Transportbereich, die mit dem Heben und Tragen von schweren Lasten verbunden und ihm aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr zuzumuten ist. Mit dieser Tätigkeit ist der Kläger der Gruppe der Ungelernten, allenfalls der Gruppe der Angelernten im unteren Bereich zuzuordnen, so dass er nach dem von der Rechtsprechung entwickelten sogenannten Mehrstufenschema auf Arbeiten des allgemeinen Arbeitsfeldes verweisbar ist. Berufsschutz im Hinblick auf die (nicht abgeschlossene) Ausbildung zum Flachgraveur und die nachfolgende Beschäftigung als Maschinengraveur steht ihm nicht zu, weil er diese Beschäftigung nach eigenen Angaben im Reha-Verfahren nicht aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben hat, so dass auch eine Prüfung dahinstehen kann, ob der Kläger möglicherweise im Hinblick auf die seit Kindheit bestehende Sehbehinderung mit der Arbeit als Maschinengraveur nur einen Teilbereich des Berufes abgedeckt und demzufolge nicht den vollen Berufsschutz eines Facharbeiters hätte beanspruchen können. Solche ihm sozial zumutbaren Verweisungstätigkeiten des allgemeinen Arbeitsfeldes kann der Kläger mit dem ihm verbliebenen Leistungsvermögen nach Ansicht des Senats auch verrichten.
Nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen ist der Kläger noch in der Lage, körperlich leichte Arbeiten im Wechsel der Haltungsarten, möglichst überwiegend im Sitzen vollschichtig zu verrichten. Zwangshaltungen, Arbeiten auf Leitern oder Gerüsten sowie Heben und Tragen von Lasten über 5 kg sind zu vermeiden. Tätigkeiten unter mäßigem Zeitdruck, an langsam laufenden Maschinen bzw. in Wechselschicht sind dagegen zumutbar; die Belastbarkeit der Arme und die Fingergeschicklichkeit sind regelrecht. Die Einschränkungen ergeben sich, wie der Gutachter Dr. B überzeugend dargelegt hat, vor allem aus der verminderten Belastbarkeit der Wirbelsäule und der Beine. Einschränkungen des Leistungsvermögen ergeben sich darüber hinaus aus dem eingeschränkten Sehvermögen (nur) insofern, als beidäugig räumliches Sehen nicht möglich ist.
Entgegen der Auffassung des SG ist der Kläger trotz der genannten gesundheitlichen Einschränkungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einsatzfähig. Dem Kläger sind insbesondere noch leichte Verrichtungen, wie z.B. Zureichen, Abnehmen, Bedienen von Maschinen, Verpacken von leichten Gegenständen sowie Montagetätigkeiten mit Kunststoff, Plastik, Glas oder Holz möglich, zumal der Kläger nach den Feststellungen des medizinischen Sachverständigen Dr. B noch Tätigkeiten unter mäßigem Zeitdruck, an langsam laufenden Maschinen sowie in Wechselschicht verrichten kann. Für solche Verrichtungen sind Arbeitsplätze auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausreichend vorhanden.
Eine Pflicht zur Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit besteht entgegen der Auffassung des Klägers nicht. Bei Versicherten, die auf das allgemeine Arbeitsfeld verweisbar sind und noch vollschichtig leichte körperliche Arbeiten mit zusätzlichen Einschränkungen verrichten können, bedarf es grundsätzlich der Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit nicht, weil davon auszugehen ist, dass die in der Arbeitswelt tatsächlich vorkommenden vielfältig ausgestalteten Arbeitsplätze ausreichende Einsatzmöglichkeiten bieten. Eine weitergehende Prüfung ist nur dann erforderlich, wenn die Besonderheiten des Einzelfalles ernstliche Zweifel an einer betrieblichen Einsetzbarkeit und damit die Verschlossenheit des Arbeitsmarktes begründen könnten. Ein solcher Sachverhalt liegt hier nicht vor.
Zu der vom Kläger angeführten Einschränkung bezüglich belastender klimatischer Einflüsse ist zunächst festzustellen, dass der gerichtliche Gutachter eine solche - im Verwaltungsverfahren erwähnte - Einschränkung nicht fordert. Diese Frage bedarf jedoch keiner abschließenden Klärung. Der Kläger weist zwar zu Recht auf diese Einschränkung hin. Denn sie ist nicht bereits von der Einschränkung auf körperlich leichte Arbeiten umfasst (vgl. BSG, Urteil vom 11. Mai 1999 - B 13 RJ 71/97 R) und bedarf deshalb gesonderter Würdigung. Es ist allerdings nicht erkennbar, dass diese Einschränkung generell grundsätzliche Zweifel an einer betriebsüblichen Einsetzbarkeit nach sich zieht. Auch der Kläger hat nicht einmal behauptet, dass die gesundheitlich für zumutbar erachteten Verrichtungen in einem erheblichen Umfang (nur) unter belastenden klimatischen Einflüssen zu verrichten seien. Diese Einschränkung ist daher nicht geeignet, das Feld körperlich leichter Arbeiten zusätzlich wesentlich einzuengen (BSG, Urteil vom 19. August 1997 - 13 RJ 87/96; Urteil vom 20. August 1997 - 13 RJ 39/96 = SozR 3-2600 § 43 Nr. 17).
Auch die vom Kläger angeführte Einschränkung des Sehvermögens führt zu keiner anderen Beurteilung. Die seit der Jugend bestehende weitgehende Erblindung des rechten Auges behindert den Kläger dem Gutachter zu Folge nur, soweit ein beidäugiges räumliches Sehen erforderlich wäre. Für andere Tätigkeiten ergeben sich jedoch keine Einschränkungen, wie insbesondere die lange Berufstätigkeit des Klägers belegt. Selbst Arbeiten als Maschinengraveur, die vermutlich durchaus nicht unerhebliche Anforderungen an das Sehvermögen gestellt haben dürften, waren dem Kläger möglich. Dass die nunmehr noch für möglich erachteten Verrichtungen über die für die bisherigen Tätigkeiten ausreichenden Sehleistungen hinaus höhere Anforderungen stellen, vermag der Senat nicht zu erkennen und ist auch vom Kläger nicht dargelegt worden.
Nach alledem ist davon auszugehen, dass dem Kläger noch hinreichende Betätigungsmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt offen stehen. Er ist deshalb nicht berufsunfähig und erst recht nicht erwerbsunfähig im Sinne des § 44 Abs. 2 SGB VI a.F., weil dafür eine noch weitergehendere Einschränkung des Leistungsvermögens erforderlich ist. Da bei dem Kläger noch ein vollschichtiges Leistungsvermögen von 8 Stunden vorliegt, besteht auch nach den seit dem 1. Januar 2001 geltenden §§ 43, 240 SGB VI kein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG); Kosten sind nicht zu erstatten, weil die Berufung keinen Erfolg hat.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
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