L 2 RA 62/02

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 7 RA 573/01
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 2 RA 62/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 07. Februar 2002 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten Gewährung von Witwenrente nach dem geschiedenen Ehegatten.

Die im ... 1934 geborene Klägerin wohnte bisher ausschließlich im Beitrittsgebiet. Sie war seit 28. Juni 1952 mit G. J. (Versicherter) verheiratet, der bis zu seinem Tod am 26. Oktober 1992 ebenfalls im Beitrittsgebiet wohnhaft war. Die Ehe wurde durch Urteil des Kreisgerichts Fürstenwalde vom 16. Mai 1988 geschieden. Eine dagegen eingelegte Berufung wurde durch Urteil des Bezirksgerichts Frankfurt (Oder) vom 04. Juli 1988 abgewiesen. Die Klägerin hat nach der Scheidung nicht wieder geheiratet. Sie bezieht seit 01. April 1989 Invalidenrente, seit 1994 Altersrente.

Der Versicherte schloss am 23. September 1989 die Ehe mit der Beigeladenen, der nach seinem Tod ab 01. November 1992 große Witwenrente gewährt wird (Bescheid der Beklagten vom 10. März 1994).

Den im Mai 2001 wegen der geringen eigenen Rente gestellten Antrag auf Gewährung von Witwenrente an den geschiedenen Ehegatten wies die Beklagte mit Bescheid vom 11. Juni 2001 zurück. Die Voraussetzungen des § 243 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) seien nicht erfüllt, da die Ehe mit dem Versicherten nicht vor dem 01. Juli 1977 geschieden worden sei.

Den dagegen eingelegten Widerspruch, mit dem die Klägerin auf ihre Schmerzzustände, ihr geringfügiges Einkommen und den nicht durchgeführten Versorgungsausgleich hinwies, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19. November 2001 zurück.

Dagegen hat die Klägerin am 03. Dezember 2001 beim Sozialgericht Neuruppin Klage erhoben.

Sie hat geltend gemacht, im Einigungsvertrag (EV) bestehe insoweit eine Lücke, als der im Westen seit 1977 geltende Versorgungsausgleich nicht übernommen worden sei.

Mit Urteil vom 07. Februar 2002 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung auf das Urteil des erkennenden Senats vom 03. Mai 2001 (L 2 RJ 172/00) verwiesen.

Gegen das an die Klägerin am 21. Februar 2002 als Einschreiben zur Post aufgegebene Urteil richtet sich die von ihr am 27. Februar 2002 eingelegte Berufung, mit der sie ihr Begehren weiter verfolgt.

Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,

das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 07. Februar 2002 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11. Juni 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. November 2001 zu verurteilen, der Klägerin Witwenrente nach dem geschiedenen Ehegatten zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.

Die vom Senat mit Beschluss vom 15. August 2002 beigeladene Witwe stellt keinen Antrag.

Den Beteiligten ist mit Verfügungen vom 16. August 2002 und 23. Dezember 2002 mitgeteilt worden, dass eine Entscheidung nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Betracht kommt; ihnen ist Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 17. Januar 2003 bzw. 28. Januar 2003 gegeben worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des weiteren Vorbringens der Beteiligten auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten ( ...), die bei der Entscheidung vorgelegen haben, Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Da der Senat die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung - insbesondere im Hinblick darauf, dass die Klägerin und die Beklagte bereits ausführlich ihre Argumente vorgebracht haben - nicht für erforderlich hält, hat er nach Anhörung der Beteiligten von der durch § 153 Abs. 4 SGG eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht, durch Beschluss zu entscheiden.

Ein Ruhen des Verfahrens nach § 202 SGG i. V. m. § 251 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) im Hinblick auf die beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) anhängigen Verfahren kommt nicht in Betracht, denn dies hat grundsätzlich zur Voraussetzung, dass sowohl die Klägerin und die Beklagte dieses beantragen. Die Beklagte hat im Schriftsatz vom 11. Dezember 2002 einem Ruhen des Verfahrens jedoch widersprochen.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid vom 11. Juni 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. November 2001 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch auf Witwenrente nach dem geschiedenen Ehegatten.

Nach § 243 Abs. 1 bis 3 SGB VI besteht Anspruch auf kleine bzw. große Witwenrente für geschiedene Ehegatten nur, wenn deren Ehe vor dem 01. Juli 1977 geschieden ist (§ 243 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 1 SGB VI).

Diese Voraussetzung liegt nicht vor, denn die Ehe der Klägerin wurde erst danach, am 16. Mai 1988, rechtskräftig seit 04. Juli 1988, geschieden. Welche Gründe zur Scheidung geführt haben, ist für den Rentenanspruch nicht erheblich. Es kommt auch nicht darauf an, dass kein Versorgungsausgleich erfolgte und die Klägerin deswegen nur eine geringe eigene Rente erhält. Das Gesetz stellt hierauf nicht ab.

Es ist auch keine Erziehungsrente nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI oder eine Unterhaltsrente nach Art. 2 § 14 Rentenüberleitungsgesetz (RÜG) zu gewähren, wie das Sozialgericht ebenfalls zutreffend entschieden hat.

Eine Erziehungsrente steht zwar zu, wenn die Ehe nach dem 30. Juni 1977 geschieden wurde. Erforderlich ist jedoch u. a., dass ein gemeinsames Kind oder ein Kind des geschiedenen Ehegatten von dem Berechtigten seit dem Tod des verstorbenen Ehegatten (§ 47 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI) erzogen wird. Auf die Klägerin trifft letztgenannte Voraussetzung nicht zu.

Einen Anspruch auf Unterhaltsrente haben nur Personen bei Tod des zur Unterhaltszahlung verurteilten geschiedenen Ehegatten für die Dauer der gerichtlich festgelegten Unterhaltszahlung, wenn u. a. der Unterhaltsberechtigte eine Rente der Rentenversicherung nicht erhält.

Die Klägerin bezieht nach ihren Angaben seit 01. April 1989 jedoch eine Rente der Rentenversicherung, nämlich eine Invalidenrente, die zwischenzeitlich als Altersrente gezahlt wird. Im Übrigen ist bereits die Grundvoraussetzung für eine Unterhaltsrente, eine gerichtliche Verurteilung des verstorbenen Ehegatten zur Zahlung von Unterhalt an die Klägerin, nicht gegeben.

Diese Rechtslage verstößt nicht gegen das Grundgesetz (GG), insbesondere nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.

In dem vom Sozialgericht zitierten Urteil des erkennenden Senats, an dem er weiterhin festhält, wird diesbezüglich ausgeführt:

"Die Klägerin wird nicht anders als alle anderen geschiedenen Ehegatten behandelt, deren Ehe nach dem 30. Juni 1977 geschieden wurde. Nach dem genannten Gesetz kann niemandem, unabhängig, ob die Scheidung in den alten oder neuen Bundesländern erfolgte, eine Witwenrente nach § 243 SGB VI gewährt werden. Seit dem 01. Juli 1977 werden Witwenrenten an geschiedene Ehegatten nicht mehr gewährt. Stattdessen stand bzw. steht nach dem Tod des geschiedenen Ehegatten für die Dauer der Erziehung eines Kindes Erziehungsrente zu, wenn die o. g. Voraussetzungen vorliegen.

Hinsichtlich der Unterhaltsrente knüpft die bestehende Rechtslage an die frühere Rechtsordnung der DDR an. Nach § 49 Abs. 1 der Verordnung über die Gewährung und Berechnung von Renten der Sozialpflichtversicherung - Rentenverordnung - vom 23. November 1979 (GBl. DDR I 1979, 401) stand Unterhaltsrente an geschiedene Ehegatten bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen nur für die Dauer der gerichtlich festgelegten Unterhaltszahlung zu, solange keine Rente der Sozialversicherung oder eine Versorgung bezogen wurde. Auch insoweit wird die Klägerin gegenüber anderen geschiedenen Ehegatten des Beitrittsgebiets nicht benachteiligt.

Allerdings wird sie gegenüber dem Personenkreis, deren Ehe nach dem 30. Juni 1977 in den alten Bundesländern geschieden wurde, insoweit anders behandelt, als ein Versorgungsausgleich zwischen ihr und ihrem verstorbenen Ehegatten, weil nach dem Recht der DDR nicht vorgesehen, nicht erfolgte. Nach bundesdeutschem Recht findet seit dem 01. Juli 1977 zwischen den geschiedenen Ehegatten ein Versorgungsausgleich statt, soweit für sie oder einen von ihnen in der Ehezeit Anwartschaften oder Aussichten auf eine Versorgung wegen Alters oder Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit begründet oder aufrecht erhalten worden sind (§ 1587 Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB), welcher u. a. Anwartschaften aus der gesetzlichen Rentenversicherung betrifft (§ 1587 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BGB) und in der Weise durchgeführt wird, dass übersteigende Anwartschaften in Höhe der Hälfte des Wertunterschiedes auf den anderen Ehegatten übertragen werden (§ 1587 b Abs. 1 BGB).

Daraus folgt jedoch kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz, denn der Gesetzgeber berücksichtigt insoweit lediglich die bis dahin gültige Rechtslage der DDR. Die Unterscheidung rechtfertigt sich somit wegen der früheren Rechtsspaltung zwischen der alten Bundesrepublik Deutschland und der DDR; insbesondere brauchte der Gesetzgeber diese Rechtsspaltung nicht rückwirkend aus Gleichheitsgründen zu beseitigen. Vielmehr durfte er die im Scheidungsfolgen- und Rentenrecht zwischen der ehemaligen DDR und der Bundesrepublik Deutschland bestehenden Unterschiede bei der Ausgestaltung der Hinterbliebenenrente an den früheren Ehegatten berücksichtigen und für alle in der DDR geschiedenen Ehen an das seit Juli 1977 in der Bundesrepublik Deutschland geltende Recht anknüpfen (so schon Bundessozialgericht - BSG SozR 3-2600 § 243 a Nr. 1 und Urteil vom 29. August 1996 - 4 RA 73/95).

Die Klägerin wird damit insgesamt nicht in ihrem Vertrauen in eine zum Zeitpunkt der Scheidung geltende Rechtsordnung verletzt. Sie konnte zu diesem Zeitpunkt nicht erwarten, eine der oben bezeichneten Renten zu erhalten. Angesichts dessen kann aus Art. 3 Abs. 1 GG auch kein Recht auf einen solchen Anspruch hergeleitet werden."

Letztlich fühlt sich die Klägerin deshalb benachteiligt, weil ihre Altersrente offensichtlich sehr niedrig ist. Dieser Umstand hat jedoch mit dem dargestellten Scheidungs- und Hinterbliebenenrentenrecht nichts zu tun. Die geringe Höhe der Altersrente liegt ausschließlich darin begründet, dass die Klägerin während ihres Versicherungslebens offenbar nur geringe eigene Rentenanwartschaften erworben hatte. Nach § 63 Abs. 1 SGB VI richtet sich die Höhe einer Rente vor allem nach der Höhe der während des Versicherungslebens durch Beiträge versicherten Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen. Ein verfassungsrechtlicher Grundsatz dahingehend, dass Renten eine bestimmte Mindesthöhe haben müssen, lässt sich aus dem GG nicht herleiten.

Ist eine bestehende Gesetzeslage jedoch nicht verfassungswidrig, so ist der Senat kraft Verfassungsrechts (Art. 20 Abs. 3 GG) daran gebunden.

Eine von den Gerichten im Wege einer analogen Anwendung auszufüllende Gesetzeslücke besteht nicht. Hierfür ist nicht ausreichend, dass ein bestimmter Sachverhalt von einer Gesetzesnorm nicht erfasst wird. Notwendig ist vielmehr eine Lücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit. Es muss sich somit feststellen lassen, dass der Gesetzgeber einen bestimmten Sachverhalt übersehen hat. Erst dann sind die Gerichte befugt, durch eine möglichst enge Anlehnung an geltendes Recht, diese Lücke sachgerecht zu schließen (vgl. Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 54. Auflage, Einleitung Rdnrn. 40, 47 und 48). Eine solche planwidrige Unvollständigkeit kommt vorliegend jedoch nicht in Betracht.

Dies folgt insbesondere aus § 243 a SGB VI. Danach ist § 243 SGB VI über die dort genannten Voraussetzungen hinaus selbst dann nicht anzuwenden, wenn sich der Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten nach dem Recht bestimmt, das im Beitrittsgebiet gegolten hat. Damit hat der Gesetzgeber ganz bewusst den in der DDR geschiedenen Ehegatten keinen Anspruch nach § 243 SGB VI, also auf Witwenrente für geschiedene Ehegatten, einräumen wollen.

Wenn er außerdem in der Anlage I zum EV Kap. III Sachgebiet B Abschnitt II bestimmt hat, dass das Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) um Art. 234 § 6 ergänzt wird, wonach für Ehegatten, die vor dem grundsätzlichen Inkrafttreten der versicherungs- und rentenrechtlichen Vorschriften des SGB VI in dem in Art. 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet geschieden worden sind oder geschieden werden, das Recht des Versorgungsausgleiches nicht gilt, so kann daraus auf ein versehentliches Übergehen dieses Personenkreises bei der Regelung des Versorgungsausgleiches nicht geschlossen werden.

Eine Witwenrente an den geschiedenen Ehegatten kann damit für die Klägerin erst dann in Betracht kommen, wenn das geltende Recht geändert wird. Dies ist jedoch ausschließlich Aufgabe des Gesetzgebers. Der Senat ist als Teil der rechtsprechenden Gewalt an die bestehende Gesetzeslage gebunden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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