L 2 RA 96/02

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Frankfurt (Oder) (BRB)
Aktenzeichen
S 8 RA 52/01
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 2 RA 96/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 06. November 2001 geändert. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander für beide Rechtszüge nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt noch die Anerkennung der Zeit vom 01. Februar 1968 bis zum 31. Dezember 1977 als Zeit der Zugehörigkeit zur Zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz - AVtI -.

Der im ... 1936 geborene Kläger erwarb am 16. Dezember 1958 den akademischen Grad eines Diplomwirtschaftlers. Von Januar 1959 bis Januar 1968 war er als Exportkaufmann beim VVB Chemieanlagen bzw. der Chemieanlagen-E. GmbH tätig. Vom 01. Februar 1968 war er Verkaufsökonom beim Volkseigenen Handelsbetrieb ... E. und vom 01. Januar 1970 bis 31. Dezember 1977 Direktor Import und Leiter des technisch kommerziellen Büros und Sonderbeauftragter des Generaldirektors mit Prokura bei diesem Unternehmen. Vom 01. Januar 1978 bis 31. August 1980 war er Parteisekretär bei der SED. Danach war er bis 30. Juni 1990 stellvertretender Generaldirektor der ... Er gehörte ab dem 01. Juni 1973 der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung - FZR - an. Ein Versicherungsschein vom 28. August weist 1990 mit Wirkung vom 01. April 1990 die Aufnahme in die AVtI aus.

Auf den Antrag des Klägers vom 20. März 1996 hin stellte die Beklagte mit Bescheid vom 12. Mai 1999 Zeiten in der AVtI vom 01. Juli 1983 bis 30. Juni 1990, nicht jedoch für die Zeiten davor fest.

Den Widerspruch des Klägers hiergegen wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15. Juli 1999 mit der Begründung zurück, als Diplomwirtschaftler sei der Kläger nicht Ingenieur oder Techniker im Sinne der Versorgungsordnung gewesen, so dass eine Einbeziehung nicht erfolgen könne. Dieser Bescheid wurde zunächst bestandskräftig.

Am 04. September 2000 beantragte der Kläger die Überprüfung des Bescheides vom 12. Mai 1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Juli 1999. Aus seinem Versicherungsschein vom August 1990 ergebe sich seine Zugehörigkeit für den gesamten Zeitraum.

Die Beklagte lehnte die Rücknahme des Ausgangsbescheides ab und wies den Widerspruch des Klägers hiergegen zurück (Überprüfungsbescheid vom 14. September 2000 und Widerspruchsbescheid vom 24. Januar 2001).

Während des Widerspruchsverfahrens erkannte die Beklagte auch die Zeit vom 01. September 1980 bis zum 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur AVtI an, so dass der genannte Zeitraum (1968-1977) als streitig offen blieb.

Insoweit hat der Kläger am 05. Februar 2001 Klage beim Sozialgericht Frankfurt (Oder) erhoben und im Wesentlichen vorgetragen, er habe tatsächlich Tätigkeiten ausgeübt, die eine Einbeziehung in die AVtI rechtfertigten, auch ohne dass er den Grad eines Ingenieurs oder Technikers erworben habe.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

den Bescheid vom 14.09.2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.01.2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, unter Abänderung des Feststellungsbescheides vom 12.05.1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.07.1999 und des Bescheides vom 27.11.2000 als weitere Zeit der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz die Zeit vom 01.02.1968 bis 31.12.1977 und die entsprechenden Arbeitsentgelte festzustellen.

Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat sich auf die angefochtenen Bescheide berufen.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 06. November 2001 die Beklagte unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide verurteilt, auch die Zeit vom 01. Februar 1968 bis zum 31. Dezember 1977 als solche der AVtI anzuerkennen.

Zur Begründung hat das Sozialgericht im Wesentlichen ausgeführt, zum Kreis der Versorgungsberechtigten nach § 1 Abs. 3 der Zweiten Durchführungsbestimmungsverordnung zur Verordnung über die Zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben - 2. DB - gehörte auch, wer aufgrund eines Einzelvertrages Anspruch auf eine solche Altersversorgung gehabt habe. Dies sei beim Kläger der Fall gewesen. Durch den Vertrag der ... Handel GmbH und dem Kläger vom 19. Juli 1990 sei vereinbart worden, die Betriebszugehörigkeit des Klägers dort beginne am 01. Februar 1968. Da jedoch durch den Arbeitsvertrag zwischen dem Rechtsvorgänger der ... Handel GmbH, dem volkseigenen Außenhandelsbetrieb ... Export die Einbeziehung des Klägers in die AVtI vereinbart gewesen sei, bedeute dies, dass auch die Zugehörigkeit zur AVtI am 01. Februar 1968 beginne. Dieser Vertrag habe auch mit § 1 Abs. 1 der 2. DB im Einklang gestanden, da danach auch Personen, die nicht Ingenieure oder Meister gewesen waren, wenn sie verwaltungstechnische Funktionen bekleideten, in die AVtI aufgenommen werden konnten. Der Kläger habe diesem Personenkreis angehört.

Gegen dieses, der Beklagten am 21. März 2002 zugestellte Urteil richtet sich deren Berufung vom 17. April 2002.

Die Beklagte vertritt die Auffassung, der Kläger habe als Diplomwirtschaftler- Verkaufsökonom nicht die persönlichen Voraussetzungen zur Einbeziehung in die AVtI dergestalt erfüllt, dass er nach der Rechtsprechung des BSG einbezogen werden könne.

Die arbeitsrechtliche Vereinbarung vom 19. Juli 1990 über die Betriebszugehörigkeit ab 01. Februar 1968 könne eine Einbeziehung schon deshalb nicht bewirken, da sie nach Schließung der Zusatzversorgungssysteme getroffen wurde.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 06. November 2001 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie die Leistungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte Berufung ist form - und fristgerecht eingelegt und somit insgesamt zulässig.

Sie auch begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Einbeziehung der Zeit vom 01. Februar 1968 bis 31. Dezember 1977 in die AVtI.

Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren (SGB X) ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.

Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor: Der bestandskräftige Ausgangsbescheid in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15. Juli 1999 war in Bezug auf die hier streitige Zeit rechtmäßig und daher nicht zurückzunehmen, da der Kläger nicht zum Personenkreis der im AVtI Versorgungsberechtigten gehörte. Die Beklagte hat insoweit das geltende Recht zutreffend angewandt.

§ 2 Abs. 2 Satz 1 Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz - AAÜG - sieht vor, dass die in den Versorgungssystemen nach Anlage 1 Nr. 1 bis 22 und Anlage 2 erworbenen Ansprüche und Anwartschaften auf Leistungen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, Alters und Todes zum 31. Dezember 1991 in die Rentenversicherung überführt werden. § 5 AAÜG bestimmt, welche Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem "als Pflichtbeitragszeiten der Rentenversicherung" gelten und damit bei der Überführung zu berücksichtigen sind. Nach Abs. 1 bis § 5 AAÜG gelten als (in die Rentenversicherung zu überführende) Pflichtbeitragszeiten "Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem, in denen eine Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt worden ist".

Da der Gesetzgeber den Begriff der "Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem" im AAÜG nicht näher bestimmt hat, muss davon ausgegangen werden, dass die in den jeweils einschlägigen Versorgungssystemen der DDR hierfür maßgeblich gewesenen Regelungen zur Begriffsbestimmung herangezogen werden sollen. Ob bzw. in welchen Zeiten jemand einem der in den Anlagen 1 und 2 zum AAÜG genannten Versorgungssystemen angehörte, richtet sich, da konkrete Regelungen in bundesgesetzlichen Vorschriften fehlen, ebenso wie die Frage, ob jemand einen Anspruch oder eine Anwartschaft aus einem dieser Versorgungssysteme erworben hatte, nach den für dieses Versorgungssystem in der DDR gültig gewesenen Bestimmungen.

Die wesentlichen Rechtsgrundlagen der DDR für die zusätzliche AVtI waren

die Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben (ZAVO-tech Int) vom 17. August 1950 (GBl. I Nr. 93 S. 844) und

die Zweite Durchführungsbestimmung (2. DB) für ZAVO-tech Int vom 24. Mai 1951 (GBl. I Nr. 62 S. 487).

Letztere konkretisiert den in § 1 ZAVO-tech Int enthaltenen Begriff der Angehörigen der technischen Intelligenz (§ 1 Abs. 1), zu denen u. a. Ingenieure aller Spezialgebiete gehören. Der Kläger war kein Ingenieur und kein Techniker und gehörte somit nicht zu dem Personenkreis, der nach dieser Vorschrift einzubeziehen war. Für diesen Personenkreis kann eine nachträgliche Einbeziehung auch nach dem AAÜG nicht erfolgen, wie das Bundessozialgericht in mehreren Entscheidungen vom 10. April 2002 (z. B. B 4 RA 56/01 R) dargelegt hat, denn davon umfasst sind nur die Berufe, die in § 1 Abs. 1 Satz 2 der 2. DB aufgeführt sind. Ausschlaggebend ist nach der objektiven, am Wortlaut orientierten Auslegung allein die Kraft beruflicher Ausbildung erworbene, in der Versorgungsordnung genannte berufliche Qualifikation bzw. das Berufsbild (vgl. BSG a.a.O. S. 7 2. Abs.). Hierzu zählen Ingenieure und Techniker, nicht jedoch Diplomwirtschaftler.

Nach § 1 Abs. 3 der 2. DB gehörte zum Kreis der Versorgungsberechtigten ferner, wer aufgrund eines Einzelvertrages Anspruch auf eine Altersversorgung hatte. Auch diese Voraussetzungen liegen beim Kläger für den streitigen Zeitraum nicht vor.

Entsprechend dem Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 18. Mai 1990 (BGBl. II S. 537) - Staatsvertrag - waren die Zusatzversorgungssysteme mit Wirkung zum 30. Juni 1990 geschlossen (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 Staatsvertrag). Neue Anwartschaften konnten dementsprechend nach diesem Termin grundsätzlich nicht mehr erworben werden. Insoweit bestimmte § 22 Abs. 1 Satz 1 des Rentenangleichungsgesetzes der DDR - RAG - (GBl. DDR I Nr. 38, S. 495), in Kraft ab 01. Juli 1990 (§ 35 RAG), dass die bestehende Zusatzversorgungssysteme mit Wirkung vom 30. Juni 1990 geschlossen wurden. Satz 2 bestimmt ausdrücklich, dass keine Neueinbeziehungen mehr erfolgen. Eine vertragliche Einbeziehung in ein nicht (mehr) existierendes System ist bereits gedanklich unmöglich, so dass sie durch den Vertrag vom 19. Juli 1990 nicht erfolgen konnte, zumal sie durch § 22 Abs. 1 Satz 2 RAG verboten war. Schließlich bestimmte § 22 Abs. 3 RAG, dass nur bis zum 30. Juni 1990 erworbene Anwartschaft überführt werden konnten. Hier aber sollte die Anwartschaft im Juli 1990 erworben werden.

Dies entspricht auch erkennbar dem Willen der Vertragsparteien des Vertrages über die Herstellung der Wirtschafts- und Sozialunion, die aus Bestands- und Vertrauensschutzgründen alte Anwartschaften im Beitrittsgebiet zumindest teilweise schützen, aber die entsprechenden Zusatzversorgungssysteme, die in der Bundesrepublik Deutschland nicht bestanden, wegen der Angleichung der Lebensverhältnisse schließen wollten. Der Vertrag vom 19. Juli 1990 mag zwar eine Dienstzeit seit Februar 1968 anerkannt haben, er bezieht sich allerdings nur auf das Verhältnis zum Arbeitgeber. Die Verordnung über die Neuregelung des Abschlusses von Einzelverträgen mit Angehörigen der Intelligenz in der DDR vom 23. Juli 1953 regelte insoweit in § 7 Abs. 2, dass die zusätzliche Altersversorgung im Einzelvertrag aufgenommen werden kann; sie regelt sich nach den Bestimmungen über den Abschluss von Versicherungen für zusätzliche AVI. Diese Bestimmungen enthielten jedoch keine Regelungen zur Festlegung der anzurechnenden Dienstzeit, weshalb die entsprechende Vertragsbestimmung für die AVI keine Bedeutung hat. Die nach § 5 AAÜG maßgeblichen Zeiten sind deshalb allein nach den Bestimmungen über die AVI zu ermitteln. Da der Versicherungsschein vom 28. August 1990 eine Einbeziehung nur mit Wirkung vom 01. April 1990 regelt, ist hieraus für die Anrechnung der streitigen Zeiten 1968 - 1977 nichts zu entnehmen. Die Zugehörigkeitszeiten richten sich somit nach den abstrakt-generellen Regelungen der Versorgungsordnung die - wie ausgeführt - für den Kläger in seiner damaligen Tätigkeit eine Einbeziehung nicht vorsahen. Auf die Berufung der Beklagten war das Urteil des Sozialgerichts abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der im Gesetz (§ 160 SGG) hierfür bezeichneten Gründe vorlag.
Rechtskraft
Aus
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