L 2 U 70/97

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 68 U 214/96
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 2 U 70/97
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 24. Juni 1997 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Entschädigung eines Verkehrsunfalles des Klägers als Arbeitsunfall.

Der 1931 geborene Kläger war seit März 1974 als Pferdepfleger (Forstwirt) bei der Revierförsterei D. tätig. Er befand sich am 25. März 1995 gegen 17.00 Uhr mit dem Fahrrad auf dem Weg zur Pferdefütterung. Er kam von seiner seinerzeitigen Wohnung in der Dreilindenstraße und befuhr mit dem Fahrziel Stahnsdorfer Damm 80 (Försterei) die Isoldestraße. An der Kreuzung Isoldestraße/Potsdamer Chaussee, an der die Vorfahrtsregelung durch Ampellicht erfolgt, wurde der Kläger auf der Radfahrerfurt der Kreuzung von einem die Potsdamer Chaussee in Richtung Wannsee mit überhöhter Geschwindigkeit fahrenden Personenkraftwagen -Pkw- erfaßt. Der Kläger erlitt dabei u.a. erhebliche Kopfverletzungen, die zu seiner Einlieferung in das Klinikum Benjamin Franklin führten. Die dort vorgenommene Blutalkoholbestimmung zur Entnahmezeit um 19.40 Uhr erbrachte eine Blutalkoholkonzentration -BAK- des Klägers von 1,66 Promille. Im Durchgangsarztbericht der Unfallchirurgie, Klinikum Benjamin Franklin, vom 25. März 1995 lehnte Prof. Dr. R. die Annahme eines Arbeitsunfalles mit der Begründung ab, es spräche ein Alkoholeinfluß von 1,9 Promille dagegen.

In dem zur Anklageerhebung durch die Amtsanwaltschaft Berlin am 24. November 1995 füh-renden Abschlußbericht des Polizeipräsidenten in Berlin zu der Verkehrsunfallsache heißt es u.a., der Kläger sei infolge Alkoholgenusses bei einer BAK von 1,66 Promille zur Zeit der Blutentnahme um 19.40 Uhr mit einem verkehrsunsicheren Fahrrad (Vorderradbremse nicht vorhanden, Hebelbewegung der Rücktrittbremse zu lang) bei rotem Wechsellicht VLZA (Verkehrslichtzeichenanlage) in den Kreuzungsbereich eingefahren. Das gegen den Kläger eingeleitete Strafverfahren ist durch Beschluss vom 15. Mai 1996 gemäß § 153 Abs. 2 Strafprozeßordnung mit der Begründung eingestellt worden, die etwaige Schuld wäre gering und es bestehe kein öffentliches Interesse an einer Verfolgung.

Das Verfahren gegen den Unfallgegner D. wegen fahrlässiger Körperverletzung ist nach Zahlung einer Geldbuße von 1.000,00 DM eingestellt worden, weil eine erhebliche Mitschuld des Verkehrsopfers bestehe.

Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 8. August 1995 eine Entschädigungspflicht ab, weil kein Wegeunfall vorliege. Es müsse nach den polizeilichen Ermittlungen als gesichert gelten, daß der Kläger mit einem Blutalkoholgehalt von 1,66 Promille absolut fahruntüchtig gewesen sei. Es bestehe nach der ständigen Rechtsprechung kein Unfallversicherungsschutz, wenn die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit die rechtlich allein wesentliche Ursache des Unfalls gewesen sei, d.h., wenn nach der Erfahrung des täglichen Lebens davon ausgegangen werden könne, daß ein nicht unter Alkoholeinfluß stehender Verkehrsteilnehmer bei gleicher Sachlage wahr-scheinlich nicht verunglückt wäre. Nach dem vorliegenden Unfallbericht könne als gesichert gelten, daß die auf dem Alkoholeinfluß beruhende Fahruntüchtigkeit allein für den Eintritt des Unfalls verantwortlich gewesen sei. Andere Unfallursachen seien nicht nachweisbar und auch nicht erkennbar.

Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger demgegenüber geltend, bei Radfahrern liege nach der Rechtsprechung die absolute Fahruntüchtigkeit bei 1,65 Promille. Der Grenzwert sei mithin nur geringfügig überschritten. Im übrigen sei Alkohol nicht die allein rechtlich wesentli-che Ursache des Unfalles gewesen. Der Pkw des anderen am Unfall Beteiligten habe laut Un-fallbericht unterschiedliche Felgen und unterschiedliche Reifenbreiten aufgewiesen, sei mithin unvorschriftsmäßig ausgerüstet gewesen. Der Fahrer habe nach seinem Eingeständnis die Pots-damer Chaussee mit überhöhter Geschwindigkeit (70 bis 80 km/h) befahren und nicht beachtet, daß die Fahrbahnoberfläche infolge Schneeregens naß gewesen sei.

In dem den Widerspruch zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 14. März 1996 hielt die Beklagte daran fest, daß dem Kläger eine Entschädigung nicht zustehe. Es habe infolge absolu-ter Fahruntüchtigkeit wegen Alkoholgenusses kein Wegeunfall vorgelegen. Bei Radfahrern sei nach der sozialgerichtlichen Rechtsprechung bei einem Blutalkoholwert von 1,66 Promille von absoluter Fahruntüchtigkeit auszugehen. Nach dem vorliegenden Unfallbericht und den Ermitt-lungen der Staatsanwaltschaft Berlin könne davon ausgegangen werden, daß die alkoholbe-dingte Fahruntüchtigkeit für den Unfall wahrscheinlich allein wesentlich gewesen sei. Nach der Erfahrung des täglichen Lebens wäre ein nicht unter Alkoholeinfluß stehender Radfahrer bei gleicher Sachlage nicht verunglückt. Das gelte insbesondere beim Überqueren einer Kreuzung bei roter Ampel. Die festgestellten Mängel am Fahrrad und an der Bereifung des Unfallgegners sowie dessen überhöhte Geschwindigkeit seien demnach nicht als wesentliche Ursache des Unfalles anzusehen.

Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht durch Gerichtsbescheid vom 24. Juni 1997 abgewiesen. Es stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, daß der Kläger absolut verkehrsun-tüchtig gewesen sei. Bei einer BAK von 1,65 Promille sei bei Radfahrern von absoluter Fahr-untüchtigkeit auszugehen. Bei dem Kläger sei diese unter Rückrechnung des Abbaus des Blut-alkohols mit zumindest 1,76 Promille erreicht gewesen. Bei dieser Sachlage sei es ohne Belang, daß das von ihm benutzte Fahrrad verkehrsuntüchtig gewesen sei oder daß der vom Unfallgeg-ner benutzte Pkw mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren und nicht vorschriftsmäßig ausge-rüstet gewesen sei. Der Zusammenstoß sei einzig und allein darauf zurückzuführen, daß der Kläger alkoholbedingt entgegen dem für ihn rot zeigenden Licht der Ampel auf die Kreuzung gefahren sei und damit dem Unfallgegner die Vorfahrt genommen habe.

Gegen den am 11. Juli 1997 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 8. August 1997 eingelegte Berufung des Klägers. Er macht geltend, der tatsächliche Alkoholwert sei nur von untergeordneter Bedeutung, ein Blutalkoholgutachten sei ohnehin widerlegbar. Er habe auch nicht bei rotem Ampellicht der Lichtzeichenanlage die Radfahrerfurt überquert, sondern noch bei grün. Die Ampel sei erst am Ende der Radfahrerfurt auf rot umgesprungen. Gegenteiliges lasse sich auch nicht den Aussagen der von der Polizei angehörten Zeugen entnehmen. Die Verkehrsunfallanzeige und der Ermittlungsbericht vom 25. März 1995 seien deshalb nicht als Beweismittel gegen ihn verwertbar. Außerdem fänden als rechtserhebliche Umstände bislang keine Beachtung, daß der Unfallgegner mit überhöhter Geschwindigkeit (bis zu 80 km/h) und auf dem linken Fahrbahnstreifen der Potsdamer Chaussee gefahren sei, daß die Fahrbahnoberfläche naß gewesen sei, die Sichtverhältnisse eingeschränkt und daß das Fahrzeug des Unfall-gegners unterschiedliche Felgen und unterschiedliche Reifengrößen aufgewiesen habe. Durch die unterschiedlichen Reifenbreiten lasse sich ein Pkw besonders beim Abbremsen schwerer kontrollieren, die Richtungsstabilität verschlechtere sich, das Fahrzeug komme leichter aus der Spur. Außerdem habe sich durch die überhöhte Geschwindigkeit der Bremsweg erheblich verlängert (schriftliche Stellungnahme des Ingenieurbüros für Fahrzeugtechnik, Dipl.-Ing. K. , vom 20. Oktober 1997). Es seien mithin Ursachen nachgewiesen, die beim Zustandekommen des Unfalls trotz festgestellter - gleich ob absoluter oder relativer - Fahruntüchtigkeit entscheidend zu seinen Lasten mitgewirkt hätten. Deshalb sei auch das Ermittlungsverfahren gegen ihn eingestellt worden.

Zur weiteren Begründung seines Vorbringens stützt sich der Kläger auf einen im Juni 1998 vor dem Landgericht Berlin ausgehandelten Vergleich, in dem sich die Haftpflichtversicherung des Unfallgegners bereit erklärte, dem Kläger zum Ausgleich seiner Ansprüche aus dem Verkehrsunfall vom 25. März 1995 37.500,- (von 50.000,- geltend gemachten) DM zu zahlen. Außer-dem nimmt er Bezug auf die Ausführungen des 12. Zivilsenats des Kammergerichts Berlin in dessen Beschluss vom 8. Januar 1998 betreffend seinen Antrag auf Gewährung von Prozess-kostenhilfe, der Gegenstand der Gerichtsakten ist (Bl. 77 - 78).

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 24. Juni 1997 und den Bescheid der Beklagten vom 8. August 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. März 1996 aufzuheben und diese zu verurteilen, ihm aus Anlaß des Unfallereignisses vom 25. März 1995 Entschädigung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie behauptet, entscheidend sei nicht die Frage der strafrechtlichen Schuld der am Unfall Betei-ligten. Zu beurteilen sei allein die Frage, ob nach allgemeiner Lebenserfahrung und unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse zur Unfallzeit mit Wahrscheinlichkeit ein nicht unter Alkoholeinfluß stehender Radfahrer nicht verunglückt wäre. Selbst wenn beim Kläger ein verlangsamter Alkoholabbau stattgefunden haben sollte, habe zum Entnahmezeitpunkt ein Wert von 1,66 Promille vorgelegen und mithin eine absolute alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit.

Der vor dem Landgericht Berlin geschlossene Vergleich stehe ihrer Aufassung nicht entgegen. Die dortige Haftungsquote sei ohne Bedeutung. Sie gehe aufgrund des Sachverhaltes weiterhin davon aus, daß der Kläger bei rotem Ampellicht in eine Kreuzung, die er seit Jahren gekannt habe, ohne auf den Verkehr zu achten, eingefahren sei. Soweit dem Unfallgegner ein Fehlverhalten vorzuwerfen sei, sei dieses nicht als rechtlich wesentliche Mitursache des Unfalls zu werten.

Der Senat hat zur Klärung der Frage, welche Umstände bei dem Unfall des Klägers eine Rolle gespielt haben, das Gutachten des Verkehrssachverständigen Prof. Dr. Ing. H. R. vom 6. Oktober 1999 eingeholt. Auf dessen Inhalt wird Bezug genommen.

Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genom-men. Verwiesen wird außerdem auf den weiteren Inhalt der Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist unbegründet. Er hat keinen Anspruch darauf, aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen des Unfallereignisses vom 25. März 1995 entschädigt zu werden. Das Sozialgericht hat zutreffend entschieden, dass der Kläger keinen Arbeitsunfall erlitten hat, als er auf der Kreuzung Isoldestraße, Potsdamer Chaussee mit seinem Fahrrad Opfer eines Verkehrsunfalls wurde.

Der Entschädigungsanspruch richtet sich noch nach den Vorschriften der Reichsversicherungs-ordnung -RVO-, da der geltend gemachte Arbeitsunfall vor dem Inkrafttreten des Siebenten Buches des Sozialgesetzbuches -SGB VII- am 1. Januar 1997 eingetreten ist (Art. 36 Unfall-versicherungs-Einordnungsgesetz, § 212 SGBVII).

Nach § 550 Abs. 1 RVO gilt als Arbeitsunfall auch ein Unfall auf einem mit einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten zusammenhängenden Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit. Der Kläger befand sich, als er mit seinem Fahrrad verunglückte, auf dem Hinweg zu seiner Arbeitsstelle, der Revierförsterei D ... Er stand deshalb, weil der Fahrt-weg mit der versicherten Tätigkeit im inneren Zusammenhang stand, grundsätzlich unter Un-fallversicherungsschutz (§ 539 Abs. 1 Satz 1 RVO).

Der Versicherungsschutz des Klägers entfällt nicht allein schon deshalb, weil er den Weg zur Arbeitsstelle unter Alkoholeinfluß angetreten hat. Entsprechend der im Unfallrecht maßgeben-den Kausalitätslehre der wesentlichen Bedingung schließt Alkoholgenuß den Schutz der Un-fallversicherung nicht aus, wenn außer dem Alkoholgenuß auch Umstände, die der betriebli-chen Tätigkeit zuzurechnen sind, den Unfall wesentlich mitbedingt haben ( Bundessozialge-richt -BSGE- 12, 242; 48, 228).

Das Sozialgericht hat bei der Prüfung der Ursachen des Unfalls vom 25. März 1995 zunächst zutreffend die durch Alkoholgenuß beeinträchtigte Fahrtüchtigkeit des Klägers erörtert und ist hierbei zu dem richtigen Ergebnis gelangt, daß er absolut verkehrsuntüchtig gewesen ist. Er hat im Unfallzeitpunkt derartig viel Alkohol im Körper gehabt , daß die erst um 19.40 Uhr erfolgte Blutentnahme noch zu einer BAK von 1,66 Promille geführt hat. Prof. Dr. R. ist im Durch-gangsarztbericht vom 25. März 1995von einer BAK von 1,9 Promille zum Zeitpunkt des Un-falles ausgegangen. Seine Rückrechnung entspricht den naturwissenschaftlich-medizinischen Erkenntnissen eines Abbaus der BAK von 0,1 Promille stündlich ab Ende der Resorptionspha-se. Die ermittelte BAK hat sich auf die Verkehrstüchtigkeit des Klägers mindestens ebenso ausgewirkt, wie wenn die BAK im Unfallzeitpunkt wenigstens 1,66 betragen hätte. Mit der in zwei unterschiedlichen Verfahren in jeweiliger Doppelbestimmung erfolgten Auswertung des im Benjamin Franklin Klinikum entnommenen Blutes, die die BAK von 1,66 Promille erbracht hat, hat der Kläger den für eine absolute Fahruntüchtigkeit von Radfahrern geltenden Grenz-wert überschritten. Es mag zwar zutreffen, daß derartige Blutalkoholgutachten, wie der Kläger meint, widerlegbar sind. Er hat jedoch weder dargetan noch bewiesen, daß seine Behauptung auf die hier erstellte Auswertung zutrifft. Der Senat sieht deshalb keinen Anlaß, sich mit der pauschalen Kritik des Klägers auseinanderzusetzen; er hat keinen Zweifel daran, daß die Er-mittlung der BAK des Klägers sachgerecht erfolgt ist.

Während sich das BSG im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtseinheit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes in Strafsachen (BGH St. 37, 89 ff) angeschlossen hat, wonach bei Kraftfahrern bereits bei einer BAK von 1,1 Promille von einer absoluten Fahruntüchtigkeit auszugehen ist (vgl. Urteil des BSG vom 25. November 1992 zum Az.: 2 RU 40/91), ist eine Korrektur des Grenzwertes bei Radfahrern noch nicht erfolgt. Das BSG hat zunächst bei Rad-fahrern im Anschluß an die damalige Rechtsprechung des BGH erst bei 1,5 Promille eine alko-holbedingte absolute Fahruntüchtigkeit angenommen. Später ist es - wiederum in Überein-stimmung mit dem BGH - davon ausgegangen ist, daß sich für Radfahrer ein absoluter Grenz-wert für die Fahruntauglichkeit nicht feststellen lasse (BSGE 27, 40, 41). Unter Berücksichtigung der Herabsetzung der Promillegrenze bei Kraftfahrern geht der Senat in Übereinstim-mung mit der in Literatur und obergerichtlicher Rechtsprechung überwiegend vertretenen Auf-fassung davon aus, daß bei Radfahrern nunmehr bei einer BAK von 1,6 Promille von absoluter Verkehrsuntüchtigkeit auszugehen ist (u.a. OLG Celle in NJW 1992, S. 2169 f; Hauck/Keller, SGB VII, Rdnr. 349 zu K § 8 und Ricke in Kasseler Kommentar, Band 2, Rdnr. 116 zu § 8 SGB VII sowie Schönke/Schröder/Cramer, Kommentar zum Strafgesetzbuch, 25. Auflage - 1997, Rdnr. 12 zu § 316). Der Grenzwert von 1,6 Promille setzt sich aus einem Grundwert von 1,5 und einem Sicherheitszuschlag von 0,1 zusammen. Letzterer soll ungenauen Messungen bei der Blutalkoholanalyse Rechnung tragen und gilt nun auch als Toleranzgrenze für Radfahrer. Dieser Sicherungszuschlag deckt auch die vom Kläger erwähnten Unsicherheitsfaktoren bei Blutentnahme im traumatisierten Zustand ab.

Für die Beurteilung der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit ist es ohne Einfluß, daß der Kläger - wie er vorträgt - alkoholgewöhnt gewesen ist und damit seinerzeit auch im dienstlichen Bereich „erfolgreich“ umzugehen wußte. Er war nach objektiven Maßstäben im Zeitpunkt des Unfalls hochgradig betrunken und - was versicherungsrechtlich allein relevant ist - verkehrsuntüchtig. Der Feststellung sonstiger Beweisanzeichen der Fahruntüchtigkeit bedurfte es nicht (vgl. BSG-Urteil vom 23. September 1997 zum Az.: 2 RU 40/96, S. 7 des Umdrucks).

Einzuräumen ist dem Kläger lediglich, daß seine Fähigkeit, den Weg von seiner Wohnung zu seinem Arbeitsplatz mit der Fahrrad zurückzulegen, nicht wegen Volltrunkenheit völlig aufgehoben war. Hierfür ergibt sich aus der Verwaltungs- oder Gerichtsakte kein Hinweis. Der Kläger hat sich zielgerichtet auf den ihm bekannten Weg zum Arbeitsplatz gemacht und die Potsdamer Chaussee im Ampelbereich der Isoldestraße, also nicht völlig planlos, zu überqueren versucht.

War der Kläger mithin - wie dargelegt - nicht völlig verkehrsuntüchtig, ist nunmehr zu prüfen, ob sein Unfall wesentlich allein auf seine Trunkenheit zurückzuführen ist.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG, der auch der erkennende Senat folgt, entfällt der Versicherungsschutz, wenn alkoholbedingte Verkehrsuntüchtigkeit des Versicherten die recht-lich allein wesentliche Ursache war (vgl. BSGE 38, 127 f; 43, 110 f; 48, 228 f und BSG-Urteil vom 25. November 1992 zum Az.: 2 RU 40/91 in HVBG-Info 1993, 305) Das gilt sowohl bei festgestellter absoluter wie relativer Fahruntüchtigkeit (BSGE 36, 35). Der Begriff der recht-lich wesentlichen Ursache ist ein Wertbegriff. „Die Frage, ob eine Mitursache für den Erfolg wesentlich ist, beurteilt sich nach dem Wert und der Bedeutung, die ihr die Auffassung des täglichen Lebens für das Zustandekommen des Erfolges gibt. Danach ist eine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit, die bei der Entstehung des Unfalls mitgewirkt hat, gegenüber den betriebs-bedingten Umständen als rechtlich allein wesentliche Ursache zu werten, wenn nach den Erfah-rungen des täglichen Lebens davon auszugehen ist, daß der Versicherte, hätte er nicht unter Alkoholeinfluß gestanden, bei gleicher Sachlage wahrscheinlich nicht verunglückt wäre. Er ist dann nicht einer Betriebsgefahr erlegen, sondern nur bei Gelegenheit einer versicherten Tätig-keit verunglückt. Es muß vergleichend gewertet werden, welcher Umstand gegenüber der al-koholbedingten Fahruntüchtigkeit etwa gleichwertig und welcher demgegenüber derart unbe-deutend ist, daß er außer Betracht bleiben muß. Zu den unternehmensbezogenen Umständen (Mitursachen) gehören auch die mit der Teilnahme am Verkehr verbundenen Gefahren“ (zitiert aus dem Urteil des BSG vom 23. September 1997 zum Az.: 2 RU 40/96, S. 8 des Urteilsumdrucks mit weiteren Hinweisen).

Die rechtliche Wertung des Sozialgerichts, daß nach Lage dieses Falles die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit des Klägers die rechtlich allein wesentliche Ursache des Unfalls gewesen ist, findet auch bei dem Berufungsgericht Zustimmung. Der Senat geht davon aus, daß der Kläger, wenn er nicht unter Alkoholeinfluß gestanden hätte, bei gleicher Sachlage nicht verunglückt wäre. Er hat nach den polizeilichen Feststellungen im Ermittlungsbericht vom 25. März 1995 und nach dem Gutachten des technischen Sachverständigen Prof. Dr. Ing. H. R. vom 6. Oktober 1999 bei für ihn rotem Ampellicht den Versuch unternommen, die drei-spurige Hauptstraße Potsdamer Chaussee mit seinem Fahrrad zu überqueren. Der technische Sachverständige hat in seinem Gutachten überzeugend die Behauptung des Klägers widerlegt, er sei bei grünem Ampellicht, am Anfang der Grünphase, in den Kreuzungsbereich eingefahren. Die nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen auf den Seiten 24 bis 28 seines Gutachtens und die aus seinen Überlegungen gezogenen Schlußfolgerungen über die wahr-scheinliche Lichtzeichenregelung bei der Einfahrt des Klägers in die Kreuzung überzeugen nicht nur den Senat, sondern offensichtlich auch den Kläger selbst, der an seiner Behauptung bei für ihn grüner Ampelphase die Fahrbahn der Potsdamer Chaussee betreten zu haben, nicht mehr festhält. Aufgrund der gutachterlichen Feststellungen kann der Kläger auf keinen Fall bei Grün in die Kreuzung eingefahren sein, selbst dann nicht, wenn er sich nicht an der für ihn speziell geltenden, von einer Induktionsschleife im Radweg gesteuerten Radfahrerampel, son-dern an der Fußgängerampel oder der Ampel für die Hauptfahrbahn orientiert hätte. Die am 29. Juni 1999 zu Protokoll des Landessozialgerichts abgegebene Erklärung des Klägers, er habe an der Bedarfsampel für Radfahrer und Fußgänger gehalten, auf den Knopf gedrückt und sei erst bei grünem Ampellicht losgefahren, ist mithin eindeutig unrichtig. Die in diesem Zu-sammenhang vom technischen Sachverständigen Prof. Dr. H. R. geäußerte Hypothese, der Kläger könne nur dann bei rot/gelb der für ihn geltenden Radfahrerampel in die Kreuzung ein-gefahren sein, wenn er mit einer Fahrgeschwindigkeit von mehr als 23 km/h ohne Halt in die Kreuzung eingefahren sei, bietet dem Senat keinen Anlaß für weitere Überlegungen. Diese Hypothese wird den Angaben des Klägers, er habe zunächst an der Kreuzung gehalten, nicht gerecht. Im übrigen kann ein derartiger hypothetischer unfallbezogener Geschehensverlauf bei Anwendung der in der gesetzlichen Unfallversicherung herrschenden Theorie der wesentlichen Bedingung bei der Entscheidung keine Berücksichtigung finden (vgl. dazu BSGE 63, 277 und BSG a.a.O. mit weiteren Hinweisen).

Der Kläger hat sich nach alledem extrem verkehrswidrig verhalten. Es mag zutreffen, daß der-artige Situationen, wie sie der Kläger durch sein Verhalten ausgelöst hat, nach den Erfahrun-gen des Sachverständigen (in seiner Antwort zur Frage 4 a, S. 35 des Gutachtens) bei Radfah-rern häufiger zu beobachten sind, so daß sich der Unfall in gleicher Weise auch bei einem nichtalkoholisierten Radfahrer hätte ereignen können. Hierbei handelt es sich um eine die all-gemeine Verkehrsmoral charakterisierende Meinungsäußerung des Sachverständigen. Die darin zum Ausdruck kommende hypothetische Kausalität ändert nach den oben gemachten Ausfüh-rungen nichts daran, daß das auf alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit des Klägers zurückzufüh-rende Verkehrsverhalten im Ampelbereich bei vergleichender Abwägung der Unfallursachen die allein wesentliche Bedingung für den Unfall gewesen ist.

Gegenüber dem Verhalten des Klägers wiegt die Tatsache, daß der Unfallgegner D. sowohl nach seinen eigenen Angaben als auch nach den Berechnungen des technischen Sachverständi-gen mit überhöhter Geschwindigkeit (wahrscheinlich 60 bis 66 km/h) in die Kreuzung einge-fahren ist (Antwort des Sachverständigen zur Frage 1 b) und deutlich vor der Kollisionsstelle hätte halten können, wenn er die zulässige Geschwindigkeit von 50 km/h nicht überschritten hätte (Antwort zu Frage 2), nach Auffassung des Senats vergleichsweise nicht so schwer. Auch er hat sich nicht verkehrsgerecht verhalten, jedoch - durch die lange Bremsspur belegt - deutliche Anstrengungen unternommen, den Unfall zu vermeiden. Seine Mitwirkung an dem Zustan-dekommen des Unfalls hält der Senat für nicht erheblich gegenüber dem Umstand, daß der Kläger bei für ihn nicht freigegebenem Ampellicht in die Kreuzung eingefahren ist und daß er, obwohl er das Fahrzeug des Herrn D. nach den Feststellungen des Sachverständigen hätte erkennen müssen, keine Anstalten unternommen hat, den drohenden Zusammenstoß zu vermeiden, sei es durch Anhalten, sei es durch Ausweichen. Durch ein derartiges Verhalten des Klägers hätte sich der Unfall jedoch nach den Angaben des Sachverständigen vermeiden lassen.

Den Umstand, daß sich nicht aufklären ließ, bei welchem Ampellicht der Herr D. in den Kreuzungsbereich des Unfallortes eingefahren ist, hält der Senat bei der zuvor geschilderten Sachlage für unwesentlich. Es steht jedenfalls nicht fest, daß auch er bei für ihn rotem Ampel-licht in den Kreuzungsbereich Potsdamer Chaussee/Isoldestraße eingefahren ist. Das behauptet auch der Kläger nicht. Wollte er behaupten, der Herr D. wäre - wie er selbst - bei für diesen rotem Ampellicht in die Kreuzung eingefahren, so müßte er das beweisen. Für das Vorliegen und die (Mit-)Ursächlichkeit betriebsbezogener Umstände, die bei der vergleichenden Wertung durch den Senat eine Rolle spielen könnten, trifft den Kläger die Beweislast (vgl. BSGE 43, 111, 113). Das vom Gericht eingeholte Gutachten und auch der sonstige Akteninhalt geben jedenfalls nichts dafür her, daß er bei für ihn rotem Ampellicht in den Einmündungsbereich zur Isoldestraße eingefahren ist. Die vom technischen Sachverständigen in diesem Zusammenhang in der Antwort zur Frage 5 angestellten Erwägungen über den Anteil des Herren D. an der Ursächlichkeit des Unfalls sind, weil die Ampelphase für ihn nicht zu klären war, rein hypothe-tisch. Hierfür gilt, wie schon oben ausgeführt, daß diese Überlegungen bei der Entscheidung keine Berücksichtigung finden können, weil hypothetische Ursachen im Rahmen der Ursäch-lichkeit im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne unbeachtlich sind.

Es kann hier deshalb nicht von einer rechtlich wesentlichen Mitverursachung des Unfalls durch Herrn D. ausgegangen werden. Sein Verhalten kann mithin nicht als unternehmensbedingter Umstand gewertet werden, durch den die Auswirkungen der alkoholbedingten Fahruntüchtig-keit des Klägers bis zur rechtlichen Bedeutungslosigkeit zurückgedrängt werden (BSGE 18, 101, 103). Vielmehr war das unter Alkoholeinfluß stehende verkehrswidrige Verhalten des Klägers für seine Kollision mit dem Pkw des Zeugen D. von so überragender Bedeutung, daß dessen Fehlverhalten, das hier allein in einer Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit gelegen hat, rechtlich nicht als Mitursache zu werten ist.

Ohne Einfluß auf die Zusammenhänge des Unfalls ist nach den Feststellungen des technischen Sachverständigen auch die nicht den Vorschriften entsprechende Bereifung des Rades vorn rechts am Pkw des Zeugen D ...

Das Unfallgeschehen hätte bei nüchternem Zustand des Klägers vermieden werden können. Die allgemeine Lebenserfahrung spricht dafür, daß er nüchtern die Ampelschaltung respektiert und sein Verkehrsverhalten entsprechend eingerichtet hätte. Er hätte den Unfall durch eine entsprechende Reaktion nach dem Einfahren in die Kreuzung (Abbremsen, Ausweichen) verhindern können. Sein Verhalten spricht deshalb dafür, daß typisch alkoholbedingte Ausfallerscheinun-gen wesentliche Ursache des Unfalls gewesen sind.

Die vom Kammergericht in dessen Beschluss vom 18. Januar 1998 vorgeschlagene und vom Landgericht Berlin am 25. Juni 1998 ausgehandelte Haftungsquote ist für die Entscheidung des Landessozialgerichts, das allein auf die in der Unfallversicherung maßgebende Kausalitätslehre der wesentlichen Bedingung abzustellen hat, unverbindlich.

Die Kostenfolge der mithin erfolglosen Berufung des Klägers ergibt sich aus § 193 Sozialgerichtsgesetz -SGG-.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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