L 6 RA 29/02

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 29 RA 991/99
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 6 RA 29/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 9. Juli 2001 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist ein Anspruch auf Altersrente.

Der 1918 in L/Polen geborene Kläger ist US-amerikanischer Staatsbürger und nach seinen Angaben rassisch Verfolgter des Nationalsozialismus im Sinne von § 1 Bundesentschädigungsgesetz (BEG). Entsprechend seiner Schilderung im Verwaltungsverfahren unterlag er von September 1940 bis Juni 1945 freiheitsentziehenden Verfolgungsmaßnahmen (Aufenthalt im Ghetto L bis September 1943, danach im Zwangsarbeitslager in C/H-P) und kam im November 1945 nach Deutschland, wo er sich bis zu seiner Auswanderung in die Vereinigten Staaten von Amerika (USA) am 18. Januar 1948 in Lagern für Displaced Persons (DP) in F und B aufhielt. Er entrichtete nach seinen Angaben ab 1948 Beiträge zur US-amerikanischen Sozialversicherung.

Im Oktober 1996 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Altersrente und die Zulassung zur Nachentrichtung von Beiträgen nach § 17a des Fremdrentengesetzes (FRG) i.V.m. dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika über Soziale Sicherheit vom 7. Januar 1976, in Kraft getreten am 1. Dezember 1979, in der Fassung des Zusatzabkommens vom 2. Oktober 1996, in Kraft getreten am 1. März 1988, und des 2. Zusatzabkommens vom 6. März 1995, in Kraft getreten am 1. Mai 1996 (DASVA). Hierbei trug er vor, er habe von 1924 bis 1932 die Volksschule besucht und anschließend bis 1939 zunächst als Lehrbursche, dann als Verkäufer bei der Textil-Firma P in /Polen rentenversicherungspflichtig gearbeitet. Zur Glaubhaftmachung des Beschäftigungsverhältnisses legte er schriftliche Zeugenerklärungen von Herrn A S vom 9. Mai 1997 und Herrn H E vom 26. April 1997 vor. Weiterhin machte er geltend, dem deutschen Sprach- und Kulturkreis (dSK) anzugehören. Im dSK-Fragebogen vom 15. Mai 1997 gab er an, Polnisch und Jiddisch in Wort und Schrift beherrscht und überwiegend außerhalb der Familie und im Berufsleben benutzt zu haben. Er habe vorwiegend Jiddisch gesprochen. Deutsche Schulen oder Schulen mit deutscher Unterrichtssprache habe er nicht besucht. Seine Eltern hätten beide Deutsch gesprochen. Im Elternhaus habe es deutschsprachige Lektüre gegeben, jedoch sei nicht überwiegend Deutsch gesprochen worden. Von 1940 bis 1945 sei er den zuvor geschilderten Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt gewesen.

Mit Bescheid vom 3. Juni 1997 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Altersrente mangels Wartezeiterfüllung und den Nachentrichtungsantrag mit der Begründung ab, der Kläger habe zu dem Zeitpunkt, in dem sich der nationalsozialistische Einflussbereich auf sein Heimatgebiet erstreckt habe, nicht dem dSK angehört. Dies ergebe sich aus seinen Angaben zum Gebrauch der deutschen Sprache. Die für den Zeitraum von 1932 bis 1939 geltend gemachten Fremdbeitragszeiten könnten daher nicht berücksichtigt werden. Auch unter Anwendung der Regelungen des DASVA könnten die Ersatzzeiten wegen nationalsozialistischer Verfolgung nicht berücksichtigt werden, da die amerikanischen Versicherungszeiten insoweit den deutschen Beitragszeiten nicht gleich ständen, so dass allein aus den Ersatzzeiten keine Rente zahlbar sei.

Im folgenden Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, in L sei viel Deutsch gesprochen worden. Auch habe sein Onkel S A, ein bekannter Schreiber, seine Bücher in deutscher Sprache verfasst. Zur Glaubhaftmachung seiner Beschäftigung in L legte er weitere Zeugenerklärungen von Herrn H E vom 31. März 1998 und von Herrn A S vom 21. August 1998 vor. Ermittlungen der Beklagten zum Vorliegen von Nachkriegsbeitragszeiten bei der AOK München sowie der LVA Oberbayern wie auch Kontensuchaktionen blieben erfolglos. Der Internationale Suchdienst (ITS) teilte auf Nachfrage der Beklagten mit (Auskunft vom 3. November 1998), der Kläger sei mit einem abweichenden Geburtsdatum (11.7.1920) zu einem nicht genannten Zeitpunkt vor dem 9. Juli 1947 im DP-Lager F registriert worden und am 18. Januar 1948 von B in die USA ausgewandert. Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 16. Dezember 1998 den Widerspruch des Klägers aus den bereits genannten Gründen zurück. Sie führte weiter aus, die persönlichen Voraussetzungen für die Anerkennung von Beitragszeiten nach dem FRG seien mangels Zugehörigkeit zum dSK nicht erfüllt. Der Kläger sei der Aufforderung, hierzu Zeugenerklärungen beizubringen, nicht nachgekommen. Im Übrigen seien Bundesgebiets-Beitragszeiten nicht zu ermitteln gewesen.

Mit seiner vor dem Sozialgericht (SG) Berlin erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren unter Vorlage von Zeugenerklärungen der Herren G B vom 16. August 1999 und M W vom 9. August 1999 zum Gebrauch der deutschen Sprache weiterverfolgt: Er habe der Fußballmannschaft eines deutschen Turnvereins angehört. L sei eine deutsch-polnische Stadt gewesen. In L, wie auch in seiner Familie, hätten sie Polnisch, Deutsch und Jiddisch gesprochen.

Das SG hat mit Beweisbeschluss vom 20. Dezember 1999 die Vernehmung der Zeugen B und Wim Wege der Rechtshilfe durch das deutsche Generalkonsulat in M angeordnet. Unter dem 8. März 2000 hat das Generalkonsulat mitgeteilt, der Zeuge B sei verstorben. Am 20. März 2000 ist die Anhörung des Zeugen Werfolgt, hinsichtlich dessen Angaben wird auf das Protokoll des Generalkonsulats der Bundesrepublik Deutschland in M Bezug genommen.

Durch Urteil vom 9. Juli 2001 hat das SG Berlin die Klage mit der Begründung abgewiesen, der Kläger habe keinen Anspruch auf Altersrente, da er die allgemeine Wartezeit auch in Verbindung mit dem DASVA nicht erfülle. Die geltend gemachten Fremdrentenzeiten von 1932 bis 1939 könnten schon deshalb nicht anerkannt werden, weil nicht glaubhaft gemacht sei, dass der Kläger bei Verlassen seines Heimatgebietes im Jahre 1945 oder bereits zu dem Zeitpunkt, in der sich der nationalsozialistische Einflussbereich auf sein Heimatgebiet erstreckt habe, dem dSK angehört habe. Schon nach seinen eigenen Angaben im Verwaltungsverfahren, sei die deutsche Sprache weder im Elternhaus noch von ihm außerhalb der Familie oder im Berufsleben überwiegend gebraucht worden, er habe vielmehr überwiegend Jiddisch gesprochen. Seine allgemeinen Einlassungen zu den Verhältnissen in L könnten keine andere rechtliche Einschätzung begründen. Auch die Bekundungen des Zeugen W würden zu keiner anderen Beurteilung führen. Dieser habe den Kläger erst im Herbst 1941 im Ghetto L kennen gelernt und sich daher nicht zum Sprachgebrauch des Klägers beim Beginn der allgemeinen Verfolgungsmaßnahmen äußern können. Der Beweiswert seiner Aussage sei auch im Hinblick auf die eigenen Einlassungen des Klägers als gering anzusehen. Hinsichtlich der DP-Zeiten von 1945 bis Januar 1948 sei vom Kläger weder ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis behauptet, noch seien Beitragszeiten nachgewiesen oder glaubhaft gemacht worden. Im Übrigen werde gemäß § 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen und auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden verwiesen.

Mit seiner Berufung trägt der Kläger vor, er habe in der Schule auch Deutsch gelernt und bei der Arbeit mit den Kunden Deutsch gesprochen. 1947 habe er in W eine deutschsprechende Frau geheiratet.

Der Kläger beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 9. Juli 2001 sowie den Bescheid vom 3. Juni 1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Dezember 1998 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab dem 1. Juli 1990 Altersrente aus der deutschen Rentenversicherung unter Berücksichtigung einer Fremdbeitragszeit von 1932 bis September 1939 sowie einer Ersatzzeit von September 1940 bis Juni 1945 zu zahlen und ihn zur Nachentrichtung von Beiträgen nach Ziffer 8 des Schlussprotokolls zum DASVA (SP/DASVA) zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Senat hat den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme zur beabsichtigten Entscheidung im Beschlussverfahren nach § 153 Abs. 4 SGG gegeben.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten, die bei der Entscheidungsfindung vorgelegen haben, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte nach § 153 Abs. 4 Satz 1 SGG über die Berufung des Klägers durch Beschluss entscheiden. Gemäß § 153 Abs. 4 Satz 1 SGG kann das Landessozialgericht die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Diese Voraussetzungen waren im vorliegenden Fall gegeben, da die frist- und formgerecht eingelegte (§ 151 SGG) Berufung des Klägers nach übereinstimmender Auffassung der Berufsrichter des Senats zwar zulässig (§ 143 SGG), jedoch unbegründet ist.

Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Zahlung einer Altersrente aus der deutschen Rentenversicherung nach § 35 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) i.V.m. dem Abkommensrecht (dazu unter 1.) noch auf Zulassung zur Nachentrichtung von Beiträgen nach Ziffer 8 SP/DASVA (dazu unter 2.).

1. Ein nach den USA zahlbarer Rentenanspruch des Klägers ist bereits deshalb nicht begründet, weil er weder die für die Berechnung einer Rente aus der deutschen Rentenversicherung von Artikel 7 Abs. 2 DASVA geforderte Mindestversicherungszeit von 18 Monaten an deutschen Beitrags- und Ersatzzeiten (Artikel 1 Ziffer 7 DASVA) noch die Voraussetzungen der §§ 110 Abs. 2 und 3, 113 Abs. 1, 114 Abs. 1, 272 Abs. 1 SGB VI erfüllt. Zwar könnte die für einen Anspruch auf Altersrente gemäß § 35 SGB VI erforderliche allgemeine Wartezeit (§§ 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 51 Abs. 1 und 4 SGB VI) von fünf Jahren (60 Kalendermonaten) an Beitrags- und Ersatzzeiten im Falle des Klägers, der bereits 1983 das 65. Lebensjahr vollendet hatte, auf Grund nach Artikel 7 Abs. 1 DASVA zu berücksichtigender Beitragszeiten in der US-amerikanischen Sozialversicherung (ein entsprechender Nachweis liegt bisher nicht vor) erfüllt sein. Jedoch fehlen zum einen die nach Artikel 7 Abs. 1 und 2 DASVA erforderlichen Beitrags- und Ersatzzeiten in der deutschen Rentenversicherung. Hierbei sind Beitragszeiten nicht nur Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind, sowie Zeiten für die Pflichtbeiträge als gezahlt gelten (§ 55 Abs.1 SGB VI), sondern auch die Fremdbeitragszeiten nach § 15 Abs. 1 Satz 1 und 2 FRG, da sie den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleichstehen (siehe BSG Urteil vom 23. August 2001 -B 13 RJ 59/00 R- bisher nicht veröffentlicht). Zum anderen sind bei der Berechnung (§§ 63, 64 ff SGB VI i.V.m. Artikel 8 Ziffer 3 DASVA) einer ins Ausland zu zahlenden Rente Entgeltpunkte für Fremdbeitrags- und Ersatzzeiten nur zu berücksichtigen, wenn zusätzlich Entgeltpunkte aus Beitragszeiten, für die Beiträge nach Bundesrecht nach dem 8. Mai 1945 gezahlt worden sind, in einem bestimmten Umfang vorhanden sind (§§ 110 Abs. 2 und 3, 113 Abs. 1, 114 Abs. 1, 272 Abs. 1 SGB VI). Zwar wäre nach der in Artikel 5 DASVA vorgenommenen Gleichstellung der Staatsgebiete der Kläger so zu behandeln, als ob er nicht im Ausland sondern in der Bundesrepublik Deutschland leben würde. Jedoch steht die in Artikel 5 DASVA vorgenommene allgemeine Gebietsgleichstellung ausdrücklich unter dem Vorbehalt einer anderweitigen Regelung im Sozialversicherungsabkommen. Eine soIche anderweitige Regelung haben die Vertragsstaaten in Ziffer 4 Buchst. a) SP/DASVA getroffen. Nach Ziffer 4 Buchst. a) SP/DASVA werden die deutschen Rechtsvorschriften über Geldleistungen aus Versicherungszeiten, die nicht nach Bundesrecht zurückgelegt werden sind, von Artikel 5 DASVA nicht berührt. Daher finden die Auslandszahlungsvorschriften (§§ 110 Abs. 2 und 3, 113 Abs. 1, 114 Abs. 1, 272 Abs. 1 SGB VI) hier Anwendung. Dies führt dazu, dass eine Altersrente an den Kläger nicht gezahlt werden kann, weil für ihn weder Beitragszeiten, für die Beiträge nach Bundesrecht nach dem 8. Mai 1945 entrichtet worden sind, noch Fremdbeitragszeiten vorliegen und er auch nicht berechtigt ist, freiwillige Beiträge nach zu entrichten (dazu unter 2.).

Hinsichtlich seines Aufenthaltes in DP-Lagern im Bundesgebiet in den Jahren 1945 bis 1948 hat der Kläger die Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung und die Entrichtung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung, mithin anrechnungsfähiger Bundesgebietsbeitragszeiten, in diesem Zeitraum nicht behauptet. Dementsprechend ist die von der Beklagten dennoch vorsorglich angestrengte Suche nach Versicherungsunterlagen erfolglos geblieben.

Soweit der Kläger unter Vorlage von Zeugenerklärungen für die Zeit von 1932 bis September 1939 die Entrichtung von Beiträgen zur polnischen Angestelltenversicherung wegen einer versicherungspflichtigen Beschäftigung als Lehrbursche und Verkäufer in einer Textil-Firma in L behauptet, ist eine Fremdbeitragszeit nach § 15 FRG nicht zu berücksichtigen. Nach § 15 Abs. 1 FRG stehen Beitragszeiten, die bei einem nichtdeutschen ... Träger der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegt sind, den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleich. Voraussetzung für die Gleichstellung ist aber, dass der Kläger zu dem Personenkreis gehört, auf den das FRG Anwendung findet. Dies ist nicht der Fall.

Der Kläger ist nicht Vertriebener im Sinne des § 1 Bundesvertriebenengesetzes -BVFG- (vgl. § 1 Buchst. a FRG) und erfüllt auch keinen der anderen in § 1 FRG genannten Tatbestände. Er ist auch nicht einem Vertriebenen nach § 20 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) gleichgestellt und damit in den Geltungsbereich des FRG einbezogen.

Die Gleichstellung nach § 20 WGSVG hat zur Voraussetzung, dass die Vertriebeneneigenschaft eines Verfolgten lediglich deshalb nicht anerkannt werden kann, weil er sich nicht ausdrücklich zum deutschen Volkstum bekannt hat. Im Hinblick auf die deutsche Volkszugehörigkeit (§ 6 BVFG) genügt es, wenn er im Zeitraum des Verlassens des Vertreibungsgebietes dem dSK angehört hat (§ 20 Abs. 1 Satz 2 WGSVG i.V.m. § 19 Abs. 2 Buchst. a) 2. Halbsatz WGSVG). Darüber hinaus kann § 15 FRG nach § 17a FRG auch auf Personen jüdischer Abstammung Anwendung finden, die zu dem Zeitpunkt, in dem sich der nationalsozialistische Einflussbereich auf ihr Heimatgebiet erstreckt hat (für L der 8. September 1939, an dem dann auch die allgemeinen Verfolgungsmaßnahmen begannen), dem dSK angehört haben, sofern sie das 16. Lebensjahr bereits vollendet hatten.

Für die Zugehörigkeit zum dSK, die nach beiden Bestimmungen bezogen auf den Verfolgungsbeginn bzw. den Zeitpunkt des Verlassens des Heimatgebietes entscheidend ist, kommt dem Gebrauch der deutschen Sprache ausschlaggebende Bedeutung zu. Denn wer eine Sprache im persönlichen Bereich ständig gebraucht, gehört nicht nur zu diesem Sprach-, sondern auch zu dem durch die Sprache vermittelten Kulturkreis, weil sie ihm den Zugang zu dessen Weltbild und Denkwelt erschließt. Die Zugehörigkeit zum dSK ergibt sich daher „im Regelfall“ aus dem zumindest überwiegenden Gebrauch der deutschen Muttersprache im persönlichen Bereich, der in erster Linie die Sphäre von Ehe und Familie, aber auch den Freundeskreis umfasst. Eine Mehrsprachigkeit steht der Zugehörigkeit zum dSK dann nicht entgegen, wenn der Verfolgte (bzw. die Person jüdischer Abstammung) die deutsche Sprache wie eine Muttersprache beherrscht und sie im persönlichen Bereich überwiegend gebraucht hat (vgl. BSG, Urteil vom 16. August 1990 -4 RA 18/89- nicht veröffentlicht, BSG in SozR 3-5070 § 20 WGSVG Nrn. 1 und 2). Die danach maßgeblichen Tatsachen müssen nicht zur vollen Überzeugung des Gerichts feststehen, sondern nur überwiegend wahrscheinlich - glaubhaft - im Sinne des § 3 Abs. 1 WGSVG bzw. des § 4 Abs. 1 FRG sein. Dies gilt auch für die Tatsachen, die der Versicherungszeit als solcher zu Grunde liegen.

Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens ist nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Kläger zu Beginn der nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen im September 1939 (§ 17a FRG) oder bei Verlassen des Heimatgebietes im Jahre 1945 (§§ 20 Abs. 1 Satz 2, 19 Abs. 2 Buchst. a 2. Halbsatz WGSVG) die deutsche Sprache zumindest wie eine Muttersprache beherrscht und im persönlichen Bereich überwiegend gebraucht hat.

Der Kläger ist nach seinen Angaben mehrsprachig aufgewachsen. Als Sprachen, die er in Wort und Schrift beherrschte, hat er Polnisch und Jiddisch, nicht aber Deutsch angegeben. Nach seiner Darstellung im Verwaltungsverfahren (Fragebogen u.a. zur dSK-Zugehörigkeit, vom Kläger ausgefüllt und unterschrieben am 15. Mai 1997) sind von ihm auch Polnisch und Jiddisch außerhalb der Familie sowie im Berufsleben überwiegend benutzt worden. Daneben ist dem Kläger die deutsche Sprache geläufig gewesen, denn nach seinen Angaben haben beide Eltern Deutsch gesprochen und die deutsche Sprache ist (als Fremdsprache) in der Schule unterrichtet worden. Der Gebrauch der deutschen Sprache durch den Kläger und dessen Eltern ist von dem Zeugen W, der den Kläger im Herbst 1941 im Ghetto Lkennen gelernt hatte, in der Anhörung vor dem deutschen Generalkonsulat in M bestätigt worden. Die entscheidende Gewichtung des Sprachgebrauchs hat der Kläger jedoch im Verwaltungsverfahren selbst vorgenommen, wo er angegeben hatte, überwiegend Jiddisch gesprochen zu haben und dass in seinem Elternhaus nicht überwiegend Deutsch gesprochen worden sei. Demnach hat nach den eigenen Einlassungen des Klägers in dem hier maßgebenden Zeitraum bis 1945 der Gebrauch der deutschen Sprache nicht den persönlichen Lebensbereich dominiert, so dass das entscheidende Merkmal für die Zughörigkeit zum dSK nicht vorgelegen hat. Der weitere Vortrag des Klägers im gerichtlichen Verfahren gibt kein Anlass, von dieser Beurteilung der Sachlage abzuweichen. Der Umstand, dass in seiner Heimatstadt neben Polnisch und Jiddisch auch Deutsch gesprochen worden ist, wie auch die vom Kläger geschilderten sportlichen Aktivitäten in einem deutschen Turnverein erklären nur seine deutschen Sprachkenntnisse. Die Ehe mit einer deutschsprachigen Frau, die der Kläger nach Verlassen seines Heimatgebietes kennen gelernt hatte, ist erst 1947, d.h. zu einem späteren als dem hier maßgeblichen Zeitpunkt, in Wien geschlossen worden. Auch aus den Angaben des vom deutschen Generalkonsulat in M gehörten Zeugen W, den der Kläger von Herbst 1941 bis September 1943 im Ghetto L getroffen hatte, kann lediglich auf dessen Kenntnisse der deutschen Sprache geschlossen werden. Nach den Bekundungen des aus Wien stammenden, deutschsprachigen Zeugen haben der Kläger wie auch dessen Eltern sich mit ihm bzw. in seiner Gegenwart auf Deutsch verständigt. Zu den Lebensumständen des Klägers wie auch dessen Familie vor dem Herbst 1941 vermochte er keine Angaben zu machen. Ebenso wenig konnte er mitteilen, welche Sprache vom Kläger und dessen Familie überwiegend benutzt worden ist. Die knappe schriftliche Erklärung des zwischenzeitlich verstorbenen Zeugen B vom 16. August 1999 enthält nur die Bestätigung, dass der Kläger und dessen Eltern die deutsche Sprache gut beherrschten. Zur entscheidenden Frage der Gewichtung des Gebrauchs der einzelnen Sprachen bei Mehrsprachigkeit, hat der Zeuge keinerlei Angaben gemacht. Da der Kläger wegen der fehlenden Zugehörigkeit zum dSK bereits nicht zu dem Personenkreis gehört, auf den das FRG Anwendung findet, bedarf es keiner Entscheidung, ob im Weiteren die Glaubhaftmachung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung in der Zeit von 1932 bis 1939 gelungen ist.

Für den Kläger sind Ersatzzeiten wegen freiheitsentziehender bzw. -einschränkender Verfolgungsmaßnahmen (nach seinem Vortrag von September 1940 bis Juni 1945) nicht festzustellen. Solche Zeiten werden nur zu Gunsten von Versicherten (§ 250 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI) berücksichtigt. Versicherter in der deutschen Rentenversicherung ist der Kläger nicht, denn zum Erwerb der Versicherteneigenschaft ist die Entrichtung zumindest eines Pflichtbeitrages (wobei auch eine gleichgestellte Fremdrentenzeit im Sinne des FRG ausreichen würde) oder eines freiwilligen Beitrages in der deutschen Rentenversicherung erforderlich. Die bei der für einen Rentenanspruch erforderlichen Wartezeit (Vorversicherungszeit) nach Artikel 7 DASVA zu berücksichtigenden US-amerikanischen Versicherungszeiten begründen dagegen die Versicherteneigenschaft in der deutschen Rentenversicherung nicht; insoweit fehlt es an einer Gleichstellung im Abkommensrecht.

2. Dem Kläger steht auch nicht das Recht zu, nach Ziffer 8 Buchst. a) Satz 1 SP/DASVA freiwillige Beiträge zur deutschen Rentenversicherung nach zu entrichten. Nach dieser Regelung können die in Artikel 3 Buchst. a) bis c) des Abkommens bezeichneten Personen, die bis zu dem Zeitpunkt, in dem der nationalsozialistische Einflussbereich sich auf ihr jeweiliges Heimatgebiet erstreckt hat,

- dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört haben,

- das 16. Lebensjahr bereits vollendet hatten und

- sich wegen ihrer Zugehörigkeit zum Judentum nicht zum deutschen Volkstum bekannt hatten

und die Vertreibungsgebiete im Sinne von § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG verlassen haben, auf Antrag freiwillige Beiträge zur deutschen Rentenversicherung nachentrichten, sofern für sie durch die Anwendung des § 17a FRG erstmals Beitragszeiten oder Beschäftigungszeiten nach dem FRG zu berücksichtigen sind.

Die Nachentrichtung ist zwar vom Kläger im Oktober 1996 fristgerecht, d.h. innerhalb von 24 Kalendermonaten nach In-Kraft-Treten dieser, durch das 2. Zusatzabkommen zum DASVA vom 6. März 1995 eingefügten Vorschrift (Ziffer 8 Buchst. h) Satz 1 SP/DASVA), beantragt worden. Auch hatte der Kläger zu dem Zeitpunkt, in dem sich der nationalsozialistische Einflussbereich auf sein Heimatgebiet L/Polen erstreckt hat, d.h. am 8. September 1939, das 16. Lebensjahr bereits vollendet. Jedoch fehlt es - wie unter 1. bereits dargelegt - an der Zugehörigkeit zum dSK, da nicht glaubhaft gemacht worden ist, dass der Kläger im September 1939 die deutsche Sprache im persönlichen Lebensbereich überwiegend gebraucht hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe im Sinne von Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Saved