Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 11 RJ 394/98
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 2 RJ 179/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 29. August 2000 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosen haben die Beteiligten einander auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Der am ... 1942 geborene Kläger erlernte zunächst den Beruf des Fachverkäufers für Rundfunk- und Fernsehgeräte und später den des Funk- und Fernsehmechanikers. Als solcher arbeitete er bis 1983. Diese Tätigkeit gab er nach seinen Angaben auf, da er im Auftrag des MfS gehalten war, Abhörgeräte in zu reparierende Fernsehapparate einzusetzen. Von 1984 bis 1990 war er fünf Stunden täglich Verkäufer in einem Konsum-Geschäft in O. und setzte diese Tätigkeit im Lebensmittelgeschäft seiner Ehefrau bis Juni 1994 fort. Danach war er von Juli 1994 bis September 1995 bei der Firma TKS O. als Kurierfahrer tätig. In letzterer Arbeitsstelle erkrankte er am 12. Juli 1995 arbeitsunfähig. Im August 1994 hatte der Kläger bereits einen Rentenantrag wegen Erwerbsminderung gestellt, der bestandskräftig mit Bescheid vom 06. März 1995 und Widerspruchsbescheid vom 06. September 1995 abgelehnt worden war.
Am 08. Januar 1997 beantragte der Kläger erneut Rente wegen Erwerbsminderung und begründete dies mit "Drehschwindel bis zum Umfallen und durch Schmerzen eingeschränkter Rücken- und Halsbeweglichkeit".
Die Beklagte ließ den Kläger durch den Nervenarzt Dr. R. untersuchen, der in seinem Gutachten vom 12. Mai 1997 beim Kläger eine neurotische Fehlentwicklung, ein Cervikalsyndrom und ein Schwindelsyndrom unklarer Genese diagnostizierte. Die neurotische Fehlentwicklung äußere sich auch bei der Begutachtung dergestalt, dass eine histrionisch-dissoziative Störung ohne Hinweise auf organische oder psychotische Abweichungen auffalle. Die operativ nachgewiesenen degenerativen Halswirbelsäulenveränderungen ließen die geklagten schmerzhaften Beschwerden nachvollziehbar erscheinen, jedoch entstehe auch hier der Eindruck einer Aggravation. Der geschilderte Schwindel sei nicht objektivierbar, die erkennbaren Bewegungsabläufe sprächen eher für eine psychogene Überlagerung. Insgesamt sei aus nervenärztlicher Sicht das Leistungsvermögen vollschichtig. Wegen des unklaren Schwindelsyndroms jedoch sollte die Tätigkeit als Kraftfahrer sowie eine solche auf Leitern und Gerüsten unterbleiben.
Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 30. Mai 1997 den erneuten Rentenantrag des Klägers ab.
Auf dessen Widerspruch hin ließ die Beklagte ihn erneut, diesmal durch dem Prüfarzt Dr. H., untersuchen. Dieser fand bei seiner Untersuchung am 18. September 1997 ein Cervikalsyndrom, ein Schwindelsyndrom - wahrscheinlich auf dem Boden degenerativer HWS-Veränderungen - sowie eine neurotische Fehlentwicklung vor. Beim Kläger bestünden zweifellos osteochondrotische Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule mit Einengung der Neuroforamina, wobei jedoch keine wesentlichen Funktionseinschränkungen festzustellen seien. Dem Kläger seien daher mittelschwere körperliche Tätigkeiten mit nur geringen qualitativen Leistungseinschränkungen vollschichtig zumutbar.
Gestützt hierauf wies die Beklagte den Widerspruch mit Bescheid vom 08. Juli 1998 zurück.
Hiergegen hat sich die am 07. August 1998 beim Sozialgericht Neuruppin erhobene Klage gerichtet, mit der der Kläger gerügt hat, die Beklagte habe seine Leiden nicht vollständig gewürdigt. Er könne keinerlei vollschichtige Tätigkeit verrichten und allenfalls täglich bis zu drei Stunden leichte Arbeiten durchführen.
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 30. Mai 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08. Juli 1998 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit, zu gewähren.
Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat sich auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide berufen.
Das Sozialgericht hat zunächst Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt und sodann den Orthopäden Dr. R. zum Sachverständigen ernannt. Dr. R. hat beim Kläger folgende Diagnosen gestellt:
1. Wiederkehrende Schwindelsymptomatik und Kopfschmerzen bei degenerativen Halswirbelsäulenveränderungen mit zeitweiser pseudoradikulärer Ausstrahlung
2. Kopfgelenkblockierung sowie Blockierung C 2/3 rechts und C 3/4 links
3. Statisch muskuläre Wirbelsäulenfehlhaltung
4. Degenerative LWS-Veränderungen
Die im Vordergrund stehenden Schwindelanfälle und migräneartigen Kopfschmerzen sowie Verspannungen der Rückenmuskulatur mit Ausstrahlung in den Schulternackenbereich seien trotz intensiver konservativer physikalischer Maßnahmen keiner Besserung zugänglich gewesen, sondern hätten sich im Gegenteil verschlechtert. Die bei der Untersuchung erhobenen Befunde konnten durch die Schilderungen des Klägers und die zur Verfügung stehenden Untersuchungen objektiviert werden.
Der Kläger könne keine Lasten von mehr als 10 kg mehr heben und tragen. Er könne keine Überkopfarbeiten und Arbeiten mit Zwangshaltungen der Wirbelsäule verrichten. Auch könne er nicht extremen Umwelteinflüssen ausgesetzt werden oder in starker Rumpfbeugung arbeiten. Zu vermeiden seien Tätigkeiten mit häufigen raschen Drehbewegungen im Hals- und Lendenwirbelsäulenbereich, Einwirkungen von Beschleunigungs-, Stauchungs- oder Rüttelungskräften sowie Arbeiten auf Leitern und Gerüsten oder in größerer Höhe. Auch könnten Tätigkeiten mit einseitiger Wirbelsäulenbelastung nicht zugemutet werden. Unter Beachtung dieser Einschränkungen jedoch könnten leichte bis mittelschwere Arbeiten vollschichtig, das heißt 8 Stunden täglich bis 40 Stunden wöchentlich, verrichtet werden. Die Wegefähigkeit sei nicht beeinträchtigt.
Mit einer weiteren Beweisanordnung hat das Sozialgericht den Internisten und Psychotherapeuten Dr. S. H. aus der Psychosomatischen Abteilung der B. Klinik in B. zum Sachverständigen ernannt. Dieser stellte in dem Gutachten vom 16. Februar 2000 die Diagnosen:
1. Generalisierte Angststörung bei zwanghafter Persönlichkeitsstruktur
2. Phobie
3. Somatisierungsstörung
4. Schwindelsymptomatik bei degenerativen Halswirbelsäulenveränderungen und Kopfblockierungen
5. Fehlhaltung der körperlichen Statik
6. Degenerative Lendenwirbelsäulenveränderungen
7. Anamnestisch bekannter Leberschaden, Leberkapselschmerz und Nierenzyste
8. Adipositas
9. Hörminderung links
10. Fettstoffwechselstörung
11. Schmerzmittelabusus
Beim Kläger hätten sich aufgrund seiner frühkindlichen Entwicklung die in der Diagnose genannten psychischen Störungen entwickelt, die ihm völlig unbewusst seien. Der Kläger könne diese seelischen Zusammenhänge in keiner Weise erkennen und ordne die auf die körperliche Ebene verlagerten Angstsymptome wie Herzbeschwerden, Zittern, Schweißausbrüche und Luftnot einer unbekannten körperlichen Ursache zu. Auch die Entwicklung der Schmerzsymptomatik sei durch eine Wechselwirkung zwischen körperlichen und degenerativen Veränderungen und seelischen Prozessen zu erklären. Es liege bei ihm eine Angsterkrankung vor, die bisher noch nicht diagnostiziert und entsprechend berücksichtigt worden sei. In der Folgezeit hätten sich Angst und Schmerzsymptomatik wechselseitig verstärkt und jedes hinzutretende Ereignis habe zur Verunsicherung und Zustandsverschlimmerung des Klägers beigetragen. Die Arbeitslosigkeit nach einem vom Kläger nicht verschuldeten Verkehrsunfall sei hier einschneidend gewesen, da die Arbeitstätigkeit die finanzielle Sicherheit und Selbstbestätigung des Klägers darstellte. Die jetzigen Beschwerden seien Ausdruck der verfestigten Angstsymptomatik, wobei es sich um eine neurotische Störung handele, die bis tief in die Charakterstruktur hineinreiche und eine psychotherapeutische Aufarbeitung erschwere. Zusammenzufassen sei, dass die vom Kläger geschilderten und in der Untersuchung festgestellten objektiven Gesundheitsstörungen das Leistungsvermögen qualitativ beeinträchtigten, jedoch nicht aufhöben. Die psychischen und körperlichen Beschwerden bestünden seit einem längeren Zeitraum. Dennoch habe der Kläger arbeiten können. In Bezug auf die Leistungseinschätzung könne er sich den Vorgutachtern mit der Einschränkung anschließen, dass nur noch leichte Tätigkeiten, diese aber vollschichtig, zurückzulegen seien. Der Kläger sei körperlich wegefähig, jedoch aufgrund der Phobie sei es nicht vorstellbar, dass er öffentliche Verkehrsmittel benutze. Mit dem eigenen Pkw bestünden insoweit jedoch keine Einschränkungen.
Auf berufskundlichem Gebiet hat das Gericht eine Arbeitgeberauskunft der TKS O. eingeholt. Der Kläger sei dort als Kurierfahrer mit der Lieferung von Druckerzeugnissen betraut gewesen, wozu Voraussetzung der Beisitz des Führerscheines der Klasse III gewesen war. Dies habe eine Anlernzeit von drei Tagen erfordert. Der Kläger sei als ungelernter Arbeiter eingruppiert gewesen. Über einen verminderten Gesundheitszustand sei nichts bekannt. Aus einer im Verwaltungsverfahren beigebrachten Bescheinigung des Arbeitgebers hatte sich bereits ergeben, dass die Kündigung betriebsbedingt seitens des Arbeitgebers nach dem Unfall des Klägers erfolgte.
Mit Urteil vom 29. August 2000 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen.
Zur Begründung hat es ausgeführt, Ausgangsberuf des Klägers sei die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Kurierfahrer, wobei es sich um eine Anlerntätigkeit gehandelt habe. Der Kläger sei dementsprechend auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar, ohne dass ein konkreter Verweisungsberuf zu benennen wäre.
Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt jedoch könne er, ausgehend von den Feststellungen der medizinischen Sachverständigen, noch vollschichtig leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten verrichten, so dass nicht Berufsunfähigkeit und dementsprechend erst recht nicht Erwerbsunfähigkeit vorliege.
Gegen dieses an den Kläger am 18. Oktober 2000 abgesandte Urteil richtet sich dessen Berufung vom 08. November 2000.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 29. August 2000 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 30. Mai 1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08. Juli 1998 zu verurteilen, ihm Rente wegen Erwerbs- und wegen Berufsunfähigkeit, hilfsweise wegen Erwerbsminderung ab 01. Januar 2001 zu gewähren und die höchste Leistung zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat zunächst Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte sowie die ihn betreffenden Unterlagen des Amtes für Soziales und Versorgung Cottbus beigezogen und die Berufsinformationskarten der Bundesanstalt für Arbeit zu den Berufen Bürohilfskraft, Telefonist, Funk-, Tongerätemechaniker, Verkäufer und Kraftfahrer in das Verfahren eingeführt.
Sodann hat der Senat mit Beweisbeschluss vom 15. Oktober 2001 den Chirurgen und Sozialmediziner Dr. B. zum Sachverständigen ernannt und mit der Erstellung eines Gutachtens über das dem Kläger verbliebene Leistungsvermögen beauftragt.
In dem Gutachten vom 02. Januar 2002 diagnostiziert Dr. B. degenerative Veränderungen und eine Fehlhaltung der Wirbelsäule mit Neigung zu cervikalen und lumbalen Reizerscheinungen bei Ausschluss einer Nervenwurzelreizsymptomatik sowie Somatisierungsstörungen mit gleichzeitig bestehenden Angststörungen und phobischen Zuständen. Die anderen in der Akte dokumentierten Befunde seien für die Beurteilung des Leistungsvermögens irrelevant. Zusammenfassend könne gesagt werden, dass die im Berufungsverfahren nachgereichten medizinischen Unterlagen und die erneut durchgeführte Untersuchung die Auffassung der Gutachter der Dres. R. und H. bestätigten, dass der Kläger körperlich leichte Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig verrichten könne.
Bei Durchsicht der zur Akte genommenen berufskundlichen Unterlagen und der dort dargelegten Leistungsprofile an die einzelnen Tätigkeiten sei festzustellen, dass der Kläger als Bürohilfskraft und als Telefonist ohne jeden Zweifel arbeiten könne. Eine Tätigkeit als Rundfunk- und Tongerätemechaniker oder als Verkäufer sowie als Kraftfahrzeugführer sei nicht zuzumuten. Nach Auffassung von Dr. B. bestehe beim Kläger keine Einschränkungen der Wegefähigkeit. Er könne Fußwege viermal arbeitstäglich zurücklegen, wobei er für die Bewältigung von 500 Metern ca. 7,5 Minuten benötige. Er sei in der Lage, sowohl öffentliche Verkehrsmittel zweimal täglich während der Hauptverkehrszeiten zu benutzen als auch sein eigenes Kraftfahrzeug zu steuern.
Schließlich hat der Senat den neurologischen Sachverständigen Dr. H. nochmals dazu befragt, ob der Kläger Ende 1983 in der Lage war, die Arbeit als Fernsehmechaniker vollwertig zu verrichten oder ob er sie aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben habe.
Der Sachverständige hat sich zusammenfassend hierzu dahingehend geäußert, dass der Kläger seine letzte Tätigkeit im Facharbeiterberuf als Fernsehmechaniker Ende 1983 zwar aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben habe, dabei seien jedoch nicht die körperlichen Ursachen ausschlaggebend gewesen, sondern es spielten die psychische Belastung und ihre psychodynamischen Auswirkungen die entscheidende Rolle. Die Aufgabe der Tätigkeit im Facharbeiterberuf habe einer individuellen Lösungsmöglichkeit entsprochen, wäre jedoch nicht die einzige Alternative gewesen, die konflikthafte Situation zu ändern. Mit Unterstützung durch eine adäquat Psychotherapie hätte der Kläger auch andere Lösungsmöglichkeiten finden können. Trotz der schwierigen gesellschaftlichen Situation einer Diktatur bestanden zum damaligen Zeitpunkt reelle Alternativen zur Aufgabe der Tätigkeit im Facharbeiterberuf und waren trotz der persönlichen Einschränkungen aus neurosenpsychologischer Sicht dem Kläger auch zumutbar gewesen.
Die Beklagte hat dazu ausgeführt, der Kläger genieße keinen Berufsschutz als Facharbeiter mehr. Er sei aber in der Lage, Bürotätigkeiten der Anlernebene zu verrichten, da er eine kaufmännische Ausbildung habe.
Seit 01. Januar 2003 bezieht der Kläger Altersrente von der Beklagten.
Wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie die Leistungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und somit insgesamt zulässig.
Sie ist jedoch nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit gemäß § 43 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - in der Fassung vor dem 01. Januar 2001 (SGB VI a. F.). Danach haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit, wenn sie berufsunfähig sind und weitere - beitragsbezogene - Voraussetzungen erfüllen. Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (§ 43 Abs. 2 SGB VI a. F.). Der Kläger ist hiernach nicht berufsunfähig. Er kann Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes, die ihm sozial und medizinisch zumutbar sind, noch vollschichtig ausüben.
Ausgangspunkt der Beurteilung der Berufsunfähigkeit ist der bisherige Beruf. Dies ist in der Regel die letzte, nicht nur vorübergehend vollwertig ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit (Bundessozialgericht - BSG - SozR 2200 § 1246 Nrn. 53, 94, 130). Maßgeblicher Beruf des Klägers ist hiernach derjenige eines Kraftfahrers mit dem Führerschein Klasse III in der Ausübungsform eines Kurierfahrers von Druckerzeugnissen. Der Kläger hat sich von seinen beiden Ausbildungsberufen als Fachverkäufer und Rundfunkmechaniker abgewandt und sich zunächst dem Beruf des Lebensmittelverkäufers zugewandt, der wegen des kaufmännischen Anteils noch eine deutliche Nähe zum Beruf des Rundfunk- und Fernsehgeräteverkäufers zeigt. Wie sich aus den Darlegungen des Dr. H. ergibt, war die Abwendung vom Beruf des Fernsehmechanikers im Jahre 1983 nicht gesundheitlich, sondern politisch-sozial begründet. Der Kläger wollte - ehrenhaft - nicht länger seine Kunden bespitzeln. Er litt unter der Spitzeltätigkeit, ohne dass dies Krankheitswert hatte. Tatsächlich war es aus gesundheitlichen Gründen allenfalls notwendig, die konkrete Tätigkeit (Hausbesuche mit Spitzelmöglichkeit) als Fernsehmechaniker aufzugeben, nicht jedoch den Beruf insgesamt. Diesen hätte er etwa in einer Werkstatt ohne Kundenkontakt oder in der Industrie beibehalten können. Nach dem Konkurs des Lebensmittelgeschäfts der Ehefrau des Klägers im Jahre 1994 jedoch hat der Kläger dann als Kraftfahrer gearbeitet, ohne dass hierfür gesundheitliche Gründe maßgebend waren. Bei der Tätigkeit in der Firma TKS O. jedoch hat es sich um eine ungelernte Tätigkeit, allenfalls um eine Anlerntätigkeit der unteren Ebene, gehandelt.
Nach § 43 Abs. 2 SGB VI a. F. können Versicherten grundsätzlich solche Tätigkeiten zugemutet werden, die in ihrer Wertigkeit dem bisherigen Beruf nicht zu fern stehen (BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr. 50 m. w. N.).
Nach dem vom BSG zur Bestimmung dieser Wertigkeit entwickelten Mehrstufenschema werden die Arbeiterberufe in vier Gruppen eingeteilt, nämlich die des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw. des besonders qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren), des "angelernten" Arbeiters (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildung von drei Monaten bis zu zwei Jahren) und des "ungelernten" Arbeiters (Einarbeitung bzw. Einweisung von weniger als drei Monaten). Im Rahmen dieses Mehrstufenschemas dürfen Versicherte, ausgehend von einer hiernach erfolgten Einstufung des bisherigen Berufes, nur auf die nächst niedrigere Gruppe verwiesen werden. Da die letzte Tätigkeit des Klägers eine solche des allgemeinen Arbeitsmarktes war, ist ihm der gesamte Arbeitsmarkt zumutbar. Die jeweilige Arbeitsmarktlage ist dabei nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 2 Satz 4 2. Halbsatz SGB VI a. F.). Demgemäß ist der Kläger nicht berufsunfähig. Denn er kann, ausgehend von dem Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme, leichte Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes noch vollschichtig verrichten. Der Senat folgt insoweit den Ausführungen der Sachverständigen Dr. R. und Dr. H. aus der ersten Instanz, die in der zweiten Instanz durch Dr. B. nochmals bestätigt wurden. Es gibt keinerlei Veranlassung, an den Angaben dieser Sachverständigen, die in sich schlüssig sind, zu zweifeln. Danach kann der Kläger unter gewissen Einschränkungen noch vollschichtig leichte Arbeiten verrichten. Insbesondere überzeugt die Schlussfolgerung von Dr. B., dass der Kläger, ausgehend von den bei ihm bestehenden Leiden und Gebrechen, als Bürohilfskraft noch vollschichtig arbeiten kann.
Der Kläger ist auch wegefähig. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob, wie Dr. B. annimmt, ihm die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel zu den Hauptverkehrszeiten zumutbar ist oder ob dies, wie der Sachverständige Dr. H. meint, nicht zugemutet werden kann. Denn der Kläger hat die Sachverständigen jeweils mit einem Pkw aufgesucht und damit die Einschätzung des Dr. B. bestätigt, dass er in der Lage ist, sich auf diese Art und Weise zu bewegen, also auch Arbeitsstätten aufzusuchen. Der Kläger kann somit Arbeitsplätze, die ihm sozial zumutbar sind, sowohl ausfüllen als auch erreichen und ist daher nicht berufsunfähig.
Daher kann dem Kläger auch keine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gemäß § 44 SGB VI a. F. gewährt werden, da hierfür noch weitere Leistungseinschränkungen Voraussetzung sind. Erwerbsunfähig gemäß § 44 Abs. 2 SGB VI a. F. nämlich sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelte oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße übersteigt.
Dem Kläger kann auch keine Rente wegen Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI in der seit 01. Januar 2001 geltenden Fassung gewährt werden, denn er ist noch nicht einmal teilweise erwerbsgemindert.
Nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI sind Versicherte teilweise erwerbsgemindert, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Diese Voraussetzung kann notwendigerweise bei einem vollschichtigen Leistungsvermögen nicht vorliegen.
Die Berufung musste daher erfolglos bleiben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG - und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) nicht vorliegen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Der am ... 1942 geborene Kläger erlernte zunächst den Beruf des Fachverkäufers für Rundfunk- und Fernsehgeräte und später den des Funk- und Fernsehmechanikers. Als solcher arbeitete er bis 1983. Diese Tätigkeit gab er nach seinen Angaben auf, da er im Auftrag des MfS gehalten war, Abhörgeräte in zu reparierende Fernsehapparate einzusetzen. Von 1984 bis 1990 war er fünf Stunden täglich Verkäufer in einem Konsum-Geschäft in O. und setzte diese Tätigkeit im Lebensmittelgeschäft seiner Ehefrau bis Juni 1994 fort. Danach war er von Juli 1994 bis September 1995 bei der Firma TKS O. als Kurierfahrer tätig. In letzterer Arbeitsstelle erkrankte er am 12. Juli 1995 arbeitsunfähig. Im August 1994 hatte der Kläger bereits einen Rentenantrag wegen Erwerbsminderung gestellt, der bestandskräftig mit Bescheid vom 06. März 1995 und Widerspruchsbescheid vom 06. September 1995 abgelehnt worden war.
Am 08. Januar 1997 beantragte der Kläger erneut Rente wegen Erwerbsminderung und begründete dies mit "Drehschwindel bis zum Umfallen und durch Schmerzen eingeschränkter Rücken- und Halsbeweglichkeit".
Die Beklagte ließ den Kläger durch den Nervenarzt Dr. R. untersuchen, der in seinem Gutachten vom 12. Mai 1997 beim Kläger eine neurotische Fehlentwicklung, ein Cervikalsyndrom und ein Schwindelsyndrom unklarer Genese diagnostizierte. Die neurotische Fehlentwicklung äußere sich auch bei der Begutachtung dergestalt, dass eine histrionisch-dissoziative Störung ohne Hinweise auf organische oder psychotische Abweichungen auffalle. Die operativ nachgewiesenen degenerativen Halswirbelsäulenveränderungen ließen die geklagten schmerzhaften Beschwerden nachvollziehbar erscheinen, jedoch entstehe auch hier der Eindruck einer Aggravation. Der geschilderte Schwindel sei nicht objektivierbar, die erkennbaren Bewegungsabläufe sprächen eher für eine psychogene Überlagerung. Insgesamt sei aus nervenärztlicher Sicht das Leistungsvermögen vollschichtig. Wegen des unklaren Schwindelsyndroms jedoch sollte die Tätigkeit als Kraftfahrer sowie eine solche auf Leitern und Gerüsten unterbleiben.
Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 30. Mai 1997 den erneuten Rentenantrag des Klägers ab.
Auf dessen Widerspruch hin ließ die Beklagte ihn erneut, diesmal durch dem Prüfarzt Dr. H., untersuchen. Dieser fand bei seiner Untersuchung am 18. September 1997 ein Cervikalsyndrom, ein Schwindelsyndrom - wahrscheinlich auf dem Boden degenerativer HWS-Veränderungen - sowie eine neurotische Fehlentwicklung vor. Beim Kläger bestünden zweifellos osteochondrotische Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule mit Einengung der Neuroforamina, wobei jedoch keine wesentlichen Funktionseinschränkungen festzustellen seien. Dem Kläger seien daher mittelschwere körperliche Tätigkeiten mit nur geringen qualitativen Leistungseinschränkungen vollschichtig zumutbar.
Gestützt hierauf wies die Beklagte den Widerspruch mit Bescheid vom 08. Juli 1998 zurück.
Hiergegen hat sich die am 07. August 1998 beim Sozialgericht Neuruppin erhobene Klage gerichtet, mit der der Kläger gerügt hat, die Beklagte habe seine Leiden nicht vollständig gewürdigt. Er könne keinerlei vollschichtige Tätigkeit verrichten und allenfalls täglich bis zu drei Stunden leichte Arbeiten durchführen.
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 30. Mai 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08. Juli 1998 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit, zu gewähren.
Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat sich auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide berufen.
Das Sozialgericht hat zunächst Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt und sodann den Orthopäden Dr. R. zum Sachverständigen ernannt. Dr. R. hat beim Kläger folgende Diagnosen gestellt:
1. Wiederkehrende Schwindelsymptomatik und Kopfschmerzen bei degenerativen Halswirbelsäulenveränderungen mit zeitweiser pseudoradikulärer Ausstrahlung
2. Kopfgelenkblockierung sowie Blockierung C 2/3 rechts und C 3/4 links
3. Statisch muskuläre Wirbelsäulenfehlhaltung
4. Degenerative LWS-Veränderungen
Die im Vordergrund stehenden Schwindelanfälle und migräneartigen Kopfschmerzen sowie Verspannungen der Rückenmuskulatur mit Ausstrahlung in den Schulternackenbereich seien trotz intensiver konservativer physikalischer Maßnahmen keiner Besserung zugänglich gewesen, sondern hätten sich im Gegenteil verschlechtert. Die bei der Untersuchung erhobenen Befunde konnten durch die Schilderungen des Klägers und die zur Verfügung stehenden Untersuchungen objektiviert werden.
Der Kläger könne keine Lasten von mehr als 10 kg mehr heben und tragen. Er könne keine Überkopfarbeiten und Arbeiten mit Zwangshaltungen der Wirbelsäule verrichten. Auch könne er nicht extremen Umwelteinflüssen ausgesetzt werden oder in starker Rumpfbeugung arbeiten. Zu vermeiden seien Tätigkeiten mit häufigen raschen Drehbewegungen im Hals- und Lendenwirbelsäulenbereich, Einwirkungen von Beschleunigungs-, Stauchungs- oder Rüttelungskräften sowie Arbeiten auf Leitern und Gerüsten oder in größerer Höhe. Auch könnten Tätigkeiten mit einseitiger Wirbelsäulenbelastung nicht zugemutet werden. Unter Beachtung dieser Einschränkungen jedoch könnten leichte bis mittelschwere Arbeiten vollschichtig, das heißt 8 Stunden täglich bis 40 Stunden wöchentlich, verrichtet werden. Die Wegefähigkeit sei nicht beeinträchtigt.
Mit einer weiteren Beweisanordnung hat das Sozialgericht den Internisten und Psychotherapeuten Dr. S. H. aus der Psychosomatischen Abteilung der B. Klinik in B. zum Sachverständigen ernannt. Dieser stellte in dem Gutachten vom 16. Februar 2000 die Diagnosen:
1. Generalisierte Angststörung bei zwanghafter Persönlichkeitsstruktur
2. Phobie
3. Somatisierungsstörung
4. Schwindelsymptomatik bei degenerativen Halswirbelsäulenveränderungen und Kopfblockierungen
5. Fehlhaltung der körperlichen Statik
6. Degenerative Lendenwirbelsäulenveränderungen
7. Anamnestisch bekannter Leberschaden, Leberkapselschmerz und Nierenzyste
8. Adipositas
9. Hörminderung links
10. Fettstoffwechselstörung
11. Schmerzmittelabusus
Beim Kläger hätten sich aufgrund seiner frühkindlichen Entwicklung die in der Diagnose genannten psychischen Störungen entwickelt, die ihm völlig unbewusst seien. Der Kläger könne diese seelischen Zusammenhänge in keiner Weise erkennen und ordne die auf die körperliche Ebene verlagerten Angstsymptome wie Herzbeschwerden, Zittern, Schweißausbrüche und Luftnot einer unbekannten körperlichen Ursache zu. Auch die Entwicklung der Schmerzsymptomatik sei durch eine Wechselwirkung zwischen körperlichen und degenerativen Veränderungen und seelischen Prozessen zu erklären. Es liege bei ihm eine Angsterkrankung vor, die bisher noch nicht diagnostiziert und entsprechend berücksichtigt worden sei. In der Folgezeit hätten sich Angst und Schmerzsymptomatik wechselseitig verstärkt und jedes hinzutretende Ereignis habe zur Verunsicherung und Zustandsverschlimmerung des Klägers beigetragen. Die Arbeitslosigkeit nach einem vom Kläger nicht verschuldeten Verkehrsunfall sei hier einschneidend gewesen, da die Arbeitstätigkeit die finanzielle Sicherheit und Selbstbestätigung des Klägers darstellte. Die jetzigen Beschwerden seien Ausdruck der verfestigten Angstsymptomatik, wobei es sich um eine neurotische Störung handele, die bis tief in die Charakterstruktur hineinreiche und eine psychotherapeutische Aufarbeitung erschwere. Zusammenzufassen sei, dass die vom Kläger geschilderten und in der Untersuchung festgestellten objektiven Gesundheitsstörungen das Leistungsvermögen qualitativ beeinträchtigten, jedoch nicht aufhöben. Die psychischen und körperlichen Beschwerden bestünden seit einem längeren Zeitraum. Dennoch habe der Kläger arbeiten können. In Bezug auf die Leistungseinschätzung könne er sich den Vorgutachtern mit der Einschränkung anschließen, dass nur noch leichte Tätigkeiten, diese aber vollschichtig, zurückzulegen seien. Der Kläger sei körperlich wegefähig, jedoch aufgrund der Phobie sei es nicht vorstellbar, dass er öffentliche Verkehrsmittel benutze. Mit dem eigenen Pkw bestünden insoweit jedoch keine Einschränkungen.
Auf berufskundlichem Gebiet hat das Gericht eine Arbeitgeberauskunft der TKS O. eingeholt. Der Kläger sei dort als Kurierfahrer mit der Lieferung von Druckerzeugnissen betraut gewesen, wozu Voraussetzung der Beisitz des Führerscheines der Klasse III gewesen war. Dies habe eine Anlernzeit von drei Tagen erfordert. Der Kläger sei als ungelernter Arbeiter eingruppiert gewesen. Über einen verminderten Gesundheitszustand sei nichts bekannt. Aus einer im Verwaltungsverfahren beigebrachten Bescheinigung des Arbeitgebers hatte sich bereits ergeben, dass die Kündigung betriebsbedingt seitens des Arbeitgebers nach dem Unfall des Klägers erfolgte.
Mit Urteil vom 29. August 2000 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen.
Zur Begründung hat es ausgeführt, Ausgangsberuf des Klägers sei die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Kurierfahrer, wobei es sich um eine Anlerntätigkeit gehandelt habe. Der Kläger sei dementsprechend auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar, ohne dass ein konkreter Verweisungsberuf zu benennen wäre.
Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt jedoch könne er, ausgehend von den Feststellungen der medizinischen Sachverständigen, noch vollschichtig leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten verrichten, so dass nicht Berufsunfähigkeit und dementsprechend erst recht nicht Erwerbsunfähigkeit vorliege.
Gegen dieses an den Kläger am 18. Oktober 2000 abgesandte Urteil richtet sich dessen Berufung vom 08. November 2000.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 29. August 2000 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 30. Mai 1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08. Juli 1998 zu verurteilen, ihm Rente wegen Erwerbs- und wegen Berufsunfähigkeit, hilfsweise wegen Erwerbsminderung ab 01. Januar 2001 zu gewähren und die höchste Leistung zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat zunächst Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte sowie die ihn betreffenden Unterlagen des Amtes für Soziales und Versorgung Cottbus beigezogen und die Berufsinformationskarten der Bundesanstalt für Arbeit zu den Berufen Bürohilfskraft, Telefonist, Funk-, Tongerätemechaniker, Verkäufer und Kraftfahrer in das Verfahren eingeführt.
Sodann hat der Senat mit Beweisbeschluss vom 15. Oktober 2001 den Chirurgen und Sozialmediziner Dr. B. zum Sachverständigen ernannt und mit der Erstellung eines Gutachtens über das dem Kläger verbliebene Leistungsvermögen beauftragt.
In dem Gutachten vom 02. Januar 2002 diagnostiziert Dr. B. degenerative Veränderungen und eine Fehlhaltung der Wirbelsäule mit Neigung zu cervikalen und lumbalen Reizerscheinungen bei Ausschluss einer Nervenwurzelreizsymptomatik sowie Somatisierungsstörungen mit gleichzeitig bestehenden Angststörungen und phobischen Zuständen. Die anderen in der Akte dokumentierten Befunde seien für die Beurteilung des Leistungsvermögens irrelevant. Zusammenfassend könne gesagt werden, dass die im Berufungsverfahren nachgereichten medizinischen Unterlagen und die erneut durchgeführte Untersuchung die Auffassung der Gutachter der Dres. R. und H. bestätigten, dass der Kläger körperlich leichte Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig verrichten könne.
Bei Durchsicht der zur Akte genommenen berufskundlichen Unterlagen und der dort dargelegten Leistungsprofile an die einzelnen Tätigkeiten sei festzustellen, dass der Kläger als Bürohilfskraft und als Telefonist ohne jeden Zweifel arbeiten könne. Eine Tätigkeit als Rundfunk- und Tongerätemechaniker oder als Verkäufer sowie als Kraftfahrzeugführer sei nicht zuzumuten. Nach Auffassung von Dr. B. bestehe beim Kläger keine Einschränkungen der Wegefähigkeit. Er könne Fußwege viermal arbeitstäglich zurücklegen, wobei er für die Bewältigung von 500 Metern ca. 7,5 Minuten benötige. Er sei in der Lage, sowohl öffentliche Verkehrsmittel zweimal täglich während der Hauptverkehrszeiten zu benutzen als auch sein eigenes Kraftfahrzeug zu steuern.
Schließlich hat der Senat den neurologischen Sachverständigen Dr. H. nochmals dazu befragt, ob der Kläger Ende 1983 in der Lage war, die Arbeit als Fernsehmechaniker vollwertig zu verrichten oder ob er sie aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben habe.
Der Sachverständige hat sich zusammenfassend hierzu dahingehend geäußert, dass der Kläger seine letzte Tätigkeit im Facharbeiterberuf als Fernsehmechaniker Ende 1983 zwar aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben habe, dabei seien jedoch nicht die körperlichen Ursachen ausschlaggebend gewesen, sondern es spielten die psychische Belastung und ihre psychodynamischen Auswirkungen die entscheidende Rolle. Die Aufgabe der Tätigkeit im Facharbeiterberuf habe einer individuellen Lösungsmöglichkeit entsprochen, wäre jedoch nicht die einzige Alternative gewesen, die konflikthafte Situation zu ändern. Mit Unterstützung durch eine adäquat Psychotherapie hätte der Kläger auch andere Lösungsmöglichkeiten finden können. Trotz der schwierigen gesellschaftlichen Situation einer Diktatur bestanden zum damaligen Zeitpunkt reelle Alternativen zur Aufgabe der Tätigkeit im Facharbeiterberuf und waren trotz der persönlichen Einschränkungen aus neurosenpsychologischer Sicht dem Kläger auch zumutbar gewesen.
Die Beklagte hat dazu ausgeführt, der Kläger genieße keinen Berufsschutz als Facharbeiter mehr. Er sei aber in der Lage, Bürotätigkeiten der Anlernebene zu verrichten, da er eine kaufmännische Ausbildung habe.
Seit 01. Januar 2003 bezieht der Kläger Altersrente von der Beklagten.
Wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie die Leistungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und somit insgesamt zulässig.
Sie ist jedoch nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit gemäß § 43 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - in der Fassung vor dem 01. Januar 2001 (SGB VI a. F.). Danach haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit, wenn sie berufsunfähig sind und weitere - beitragsbezogene - Voraussetzungen erfüllen. Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (§ 43 Abs. 2 SGB VI a. F.). Der Kläger ist hiernach nicht berufsunfähig. Er kann Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes, die ihm sozial und medizinisch zumutbar sind, noch vollschichtig ausüben.
Ausgangspunkt der Beurteilung der Berufsunfähigkeit ist der bisherige Beruf. Dies ist in der Regel die letzte, nicht nur vorübergehend vollwertig ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit (Bundessozialgericht - BSG - SozR 2200 § 1246 Nrn. 53, 94, 130). Maßgeblicher Beruf des Klägers ist hiernach derjenige eines Kraftfahrers mit dem Führerschein Klasse III in der Ausübungsform eines Kurierfahrers von Druckerzeugnissen. Der Kläger hat sich von seinen beiden Ausbildungsberufen als Fachverkäufer und Rundfunkmechaniker abgewandt und sich zunächst dem Beruf des Lebensmittelverkäufers zugewandt, der wegen des kaufmännischen Anteils noch eine deutliche Nähe zum Beruf des Rundfunk- und Fernsehgeräteverkäufers zeigt. Wie sich aus den Darlegungen des Dr. H. ergibt, war die Abwendung vom Beruf des Fernsehmechanikers im Jahre 1983 nicht gesundheitlich, sondern politisch-sozial begründet. Der Kläger wollte - ehrenhaft - nicht länger seine Kunden bespitzeln. Er litt unter der Spitzeltätigkeit, ohne dass dies Krankheitswert hatte. Tatsächlich war es aus gesundheitlichen Gründen allenfalls notwendig, die konkrete Tätigkeit (Hausbesuche mit Spitzelmöglichkeit) als Fernsehmechaniker aufzugeben, nicht jedoch den Beruf insgesamt. Diesen hätte er etwa in einer Werkstatt ohne Kundenkontakt oder in der Industrie beibehalten können. Nach dem Konkurs des Lebensmittelgeschäfts der Ehefrau des Klägers im Jahre 1994 jedoch hat der Kläger dann als Kraftfahrer gearbeitet, ohne dass hierfür gesundheitliche Gründe maßgebend waren. Bei der Tätigkeit in der Firma TKS O. jedoch hat es sich um eine ungelernte Tätigkeit, allenfalls um eine Anlerntätigkeit der unteren Ebene, gehandelt.
Nach § 43 Abs. 2 SGB VI a. F. können Versicherten grundsätzlich solche Tätigkeiten zugemutet werden, die in ihrer Wertigkeit dem bisherigen Beruf nicht zu fern stehen (BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr. 50 m. w. N.).
Nach dem vom BSG zur Bestimmung dieser Wertigkeit entwickelten Mehrstufenschema werden die Arbeiterberufe in vier Gruppen eingeteilt, nämlich die des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw. des besonders qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren), des "angelernten" Arbeiters (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildung von drei Monaten bis zu zwei Jahren) und des "ungelernten" Arbeiters (Einarbeitung bzw. Einweisung von weniger als drei Monaten). Im Rahmen dieses Mehrstufenschemas dürfen Versicherte, ausgehend von einer hiernach erfolgten Einstufung des bisherigen Berufes, nur auf die nächst niedrigere Gruppe verwiesen werden. Da die letzte Tätigkeit des Klägers eine solche des allgemeinen Arbeitsmarktes war, ist ihm der gesamte Arbeitsmarkt zumutbar. Die jeweilige Arbeitsmarktlage ist dabei nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 2 Satz 4 2. Halbsatz SGB VI a. F.). Demgemäß ist der Kläger nicht berufsunfähig. Denn er kann, ausgehend von dem Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme, leichte Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes noch vollschichtig verrichten. Der Senat folgt insoweit den Ausführungen der Sachverständigen Dr. R. und Dr. H. aus der ersten Instanz, die in der zweiten Instanz durch Dr. B. nochmals bestätigt wurden. Es gibt keinerlei Veranlassung, an den Angaben dieser Sachverständigen, die in sich schlüssig sind, zu zweifeln. Danach kann der Kläger unter gewissen Einschränkungen noch vollschichtig leichte Arbeiten verrichten. Insbesondere überzeugt die Schlussfolgerung von Dr. B., dass der Kläger, ausgehend von den bei ihm bestehenden Leiden und Gebrechen, als Bürohilfskraft noch vollschichtig arbeiten kann.
Der Kläger ist auch wegefähig. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob, wie Dr. B. annimmt, ihm die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel zu den Hauptverkehrszeiten zumutbar ist oder ob dies, wie der Sachverständige Dr. H. meint, nicht zugemutet werden kann. Denn der Kläger hat die Sachverständigen jeweils mit einem Pkw aufgesucht und damit die Einschätzung des Dr. B. bestätigt, dass er in der Lage ist, sich auf diese Art und Weise zu bewegen, also auch Arbeitsstätten aufzusuchen. Der Kläger kann somit Arbeitsplätze, die ihm sozial zumutbar sind, sowohl ausfüllen als auch erreichen und ist daher nicht berufsunfähig.
Daher kann dem Kläger auch keine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gemäß § 44 SGB VI a. F. gewährt werden, da hierfür noch weitere Leistungseinschränkungen Voraussetzung sind. Erwerbsunfähig gemäß § 44 Abs. 2 SGB VI a. F. nämlich sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelte oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße übersteigt.
Dem Kläger kann auch keine Rente wegen Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI in der seit 01. Januar 2001 geltenden Fassung gewährt werden, denn er ist noch nicht einmal teilweise erwerbsgemindert.
Nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI sind Versicherte teilweise erwerbsgemindert, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Diese Voraussetzung kann notwendigerweise bei einem vollschichtigen Leistungsvermögen nicht vorliegen.
Die Berufung musste daher erfolglos bleiben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG - und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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