L 2 U 28/01

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 25 U 322/00
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 2 U 28/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 7. Dezember 2000 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig sind die Auswirkungen eines Arbeitsunfalls vom 27. Oktober 1971 und - hiervon abhängend - die Gewährung einer Verletztenteilrente.

Der 1948 geborene Kläger zog sich am 27. Oktober 1971 eine Luxation der rechten Hand mit Frakturen im Radiusende und Hautwunden zu. Die Beklagte gewährte ihm seinerzeit durch Bescheid vom 3. August 1972 Heilbehandlung und eine vorläufige Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit -MdE- von 20 vom Hundert -v.H.-, die mit dem 31. Oktober 1973 wegfiel, weil eine wesentliche Behinderung der Handfunktion nicht mehr festgestellt werden konnte. In dem vom Kläger nicht beanstandeten Bescheid vom 6. September 1973 wurden die verbliebenen Unfallfolgen wie folgt bezeichnet:

Streckhemmung im Endgelenk des ersten und zweiten Fingers rechts, leichte Einschränkung der Handgelenksbewegungen rechts, leichte Abmagerung der rechten Hand und die im Röntgenbild erkennbaren, unfallbedingten Veränderungen.

In dem diesem Bescheid zugrundeliegenden Gutachten vom 31. September 1973 war der Chirurg Dr. Dr. G. zu dem Ergebnis gelangt, dass die MdE nur noch 10 v.H. betrage.

Am 16. Juni 1995 begab sich der Kläger in die Behandlung des Durchgangsarztes Dr. B., um sich über Schmerzen im rechten Handgelenk als Folgen seines früheren Arbeitsunfalls zu beklagen. Deretwegen sei er bereits seit 4 Wochen durch den Orthopäden H. arbeitsunfähig krankgeschrieben. Dr. B. stellte eine Hebeschwäche des rechten Daumens sowie beginnende arthrotische Veränderungen des rechten Handgelenks fest. Er empfahl nach Einsichtnahme in die medizinischen Unterlagen des Unfalls aus den Jahren 1971 ff. eine Konsilliaruntersuchung durch einen Handchirurgen (Durchgangsarztberichte vom 19. und 23. Juni 1995).

In seinem handchirurgischen Gutachten vom 9. April 1999 beschrieb Dr. W. die Folgen des Unfalls vom 27. Oktober 1971 als

1. Einschränkung der Unterarmauswärtsdrehfähigkeit rechts.
2. Einschränkung der Beweglichkeit im rechten Handgelenk.
3. Minderung der Kraft der rechten Hand und des rechten Daumens.
4. Die beschriebenen röntgenologischen Veränderungen.
5. Glaubhafte subjektive Beschwerden.

Die daraus resultierende MdE betrage 10 v.H ... Eine Änderung gegenüber den Feststellungen im Bescheid des Jahres 1973 ergebe sich nicht.

Eine außerdem veranlasste neurologische Untersuchung durch Prof. Dr. E. erbrachte keine neurologischen Unfallfolgen. Es hätten sich insbesondere keine Hinweise auf eine Läsion motorischer Fasern des Nervus medianus, Nervus radialis oder des Nervus ulnaris ergeben (Gutachten vom 22. Juni 1999).

Aus den im Verlaufe des Verwaltungsverfahrens zur Verwaltungsakte gelangten Unterlagen der Bau-Berufsgenossenschaft (BG)-Hannover ergibt sich außerdem, dass der Kläger am 28. Juli 1997 einen Arbeitsunfall erlitten hat, als er sich beim Holzsägen an der Kreissäge in den rechten Daumen schnitt. Ein weiterer Unfall ereignete sich am 11. Mai 1998, als sich eine Bohrmaschine beim Bohren im Holz verkantete und dem Kläger den rechten Arm verdrehte. Die Bemühungen des Klägers, aus diesen Unfällen Rentenansprüche herzuleiten, scheiterten. Die Bau-BG Hannover erkannte als Folgen des Unfalls vom 28. Juli 1997 an Geringe Bewegungseinschränkungen im Daumenend- und Grundgelenk, geringe Kraftminderung in der rechten Hand und Sensibilisierung des Daumengrundgliedes im Narbenbereich nach Kreissägenverletzung des rechten Daumens.

Eine MdE ergebe sich hieraus nicht (Bescheid vom 8. April 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juni 1999). Aus dem Unfall vom 11. Mai 1998 wurde ein Rentenanspruch abgelehnt, weil die Verstauchung und Verdrehung des rechten Handgelenks sowie die Verdrehung des rechten Ellenbogens folgenlos ausgeheilt seien (Bescheid vom 7. September 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Dezember 1998). Die Bescheide sind bindend geworden.

Der mit diesen Unterlagen und einem Schreiben des Klägers vom 21. Juni 1999 um eine Stellungnahme ersuchte Dr. W. teilte am 8. Oktober 1999 mit, er halte es für wahrscheinlich, dass die jetzt bestehende Einschränkung der Beweglichkeit im Daumengrund- und endgelenk des Klägers auf den Unfall vom 28. Juli 1997 zurückzuführen sei und dass die krankhaften Veränderungen an der Daumenstrecksehne, die im Jahre 1973 und auch später noch bestanden hätten, zum Zeitpunkt des neuen Unfalls vom 28. Juli 1997 nicht mehr nachweisbar gewesen seien. Die Bewegungseinschränkung im rechten Handgelenk sei so gering, dass das für eine höhere Einstufung der MdE als 10 v.H. nicht ausreiche.

Durch Bescheid vom 19. Oktober 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. März 2000 lehnte es die Beklagte daraufhin ab, dem Kläger aus dem Unfall vom 27. Oktober 1971 eine Rente zu gewähren, weil die verbliebenen Unfallfolgen keine MdE in einem rentenberechtigenden Grade bedingten.

Das hiergegen vom Kläger angerufene Sozialgericht wies dessen Klage durch Urteil vom 7. Dezember 2000 ab. Seine Erwerbsfähigkeit sei wegen der Folgen des Unfalls vom 27. Oktober 1971 nicht um wenigstens 20 v.H. reduziert. Die Kammer folgte der Einschätzung des im Verwaltungsverfahren angehörten, als erfahren bezeichneten, Handchirurgen Dr. W., der klar zwischen den Unfallfolgen des Jahres 1971 und denen des Unfalls vom 28. Juli 1997 differenziert habe. Hiernach sei dem ersten Unfall zuzurechnen die Einschränkung der Unterarmauswärtsdrehfähigkeit rechts, Einschränkung der Beweglichkeit im rechten Handgelenk, Minderung der Kraft der rechten Hand und des rechten Daumens sowie röntgenologische Veränderungen und subjektive Beschwerden. Hingegen sei die bestehende Einschränkung der Beweglichkeit im Daumengrund- und -endgelenk der rechten Hand wahrscheinlich auf den von ihm erlittenen Arbeitsunfall vom 28. Juli 1997 zurückzuführen. Die MdE-Einschätzung entspreche den in der gesetzlichen Unfallversicherung üblichen Regelsätzen.

Gegen das am 26. Januar 2001 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Klägers vom 24. Februar 2001, mit der er daran festhält, die Auswirkungen des Unfalls vom 27. Oktober 1971 bedingten eine MdE von wenigstens 20 v.H.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 7. Dezember 2000 aufzuheben und den Bescheid vom 19. Oktober 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. März 2000 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 27. Oktober 1971 eine Verletztenteilrente nach einer MdE von wenigstens 20 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Senat hat im Zuge weiterer medizinischer Ermittlungen einen Befund- und Behandlungsbericht des Chirurgen Dr. B. vom 26. Juli 2001 eingeholt, dem u.a. ein Bericht des Neurologen St. vom 22. Januar 1999 beilag.

Auf den Antrag des Klägers hat eine Begutachtung gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz -SGG- durch den Orthopäden I. J. stattgefunden. In seinem Gutachten vom 29. August 2002 hat der medizinische Sachverständige die unfallbedingten Funktionseinschränkungen im Bereich des rechten Handgelenkes wie folgt beschrieben:

- Einschränkung der Beweglichkeit im rechten Handgelenk
- Minderung der Kraft der rechten Hand und des rechten Daumens
- Einschränkung der Unterarm-Auswärtsdrehfähigkeit rechts

Wesentliche muskuläre Defizite im Bereich des rechten Armes - verglichen mit dem linken Arm - fand er nicht. Die MdE betrage nach der einschlägigen unfallmedizinischen Literatur keinesfalls mehr als 10 v.H ...

Der Kläger meint, das Gutachten trage mit dem gefundenen Ergebnis den Feststellungen im Bescheid der Beklagten vom 3. August 1972 nicht angemessen Rechnung, als seine MdE unter Anerkennung der Unfallfolgen Teileinsteifung rechtes Handgelenk nach Radiusbruch/Luxation. Streckhemmung des rechten Daumengrund- und endgliedes. Belastungsschwäche rechte Hand. Reizlose verschiebliche Narbe zwischen Daumen- und Fingerrücken II in Höhe der Schwimmhautfalte. Röntgenologische Veränderungen mit 20 v.H. festgestellt worden sei.

Auf die schriftlichen Ausführungen der Beteiligten wird Bezug genommen. Verwiesen wird außerdem auf den weiteren Inhalt der Gerichtsakte und 2 Bände Verwaltungsakten der Beklagten, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Ihm steht aufgrund der (Spät-) Folgen des Unfalls vom 27. Oktober 1971 keine Verletztenteilrente wegen einer MdE von wenigstens 20 v.H. zu.

Nach § 581 Abs. 1 Nr. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO), der hier zur Anwendung kommt, weil der Versicherungsfall vor dem Außerkrafttreten des Dritten Buches der RVO am 31. Dezember 1996 eingetreten ist (§ 212 Sozialgesetzbuch - Siebentes Buch) wird, solange infolge des Arbeitsunfalles die Erwerbsfähigkeit des Verletzten um wenigstens ein Fünftel gemindert ist, als Verletztenrente der Teil der Vollrente gewährt, der dem Grad der MdE entspricht (Teilrente).

Der Senat hat nach der medizinischen Aktenlage und aufgrund des im Berufungsverfahren eingeholten Befundberichtes des Dr. B. vom 26. Juli 2001 keinen Zweifel daran, dass das Sozialgericht die verbliebenen Folgen des Unfalls vom 27. Oktober 1971 richtig beurteilt und insbesondere deren Auswirkungen auf die körperliche Belastbarkeit des Klägers richtig eingeschätzt hat. Die Einschränkungen des rechten Handgelenkes sind so gering, dass sie die Feststellung einer MdE von wenigstens 20 v.H. nicht zulassen.

Dr. B., der den Kläger letztmalig am 28. Januar 1999 gesehen hatte, hat dem Senat auf dessen Anfrage in seinem Befundbericht vom 26. Juli 2001 mitgeteilt, dass sich bei seiner Untersuchung reizlose Weichteilverhältnisse am Handgelenk rechts fanden und eine Kapselschwellung nicht vorgelegen habe, die Muskulatur beider Arme sei symmetrisch entwickelt gewesen und der Faustschluss der rechten Hand vollständig. Der Daumen rechts im Grund- und Endgelenk habe nicht aktiv gestreckt werden können. Es bestehe ein geringer Mehrumfang des rechten Handgelenkes. Die Handgelenksbewegungen sind nach seinen Messungen nur unwesentlich eingeschränkt und beeinträchtigen die Beweglichkeit und Gebrauchsfähigkeit des Handgelenks nur in geringem Ausmaße. Seine Messungen entsprechen den von Dr. W. anlässlich der körperlichen Untersuchung des Klägers am 7. April 1999 festgestellten Bewegungsausmaßen, die er auf Seite 7 seines Gutachtens vom 9. April 1999 beschrieben und auf Seite 12 ausgewertet hat. Derartige Messungen hatte auch der Orthopäde J. als Arzt des Vertrauens des Klägers durchgeführt und diese ausgewertet. Sein Gutachten bestätigte die Erkenntnisse des Dr. W., auch wenn bei ihm die Einschränkungen etwas ausgeprägter ausfielen. Beide Gutachter sind sich in der Beurteilung der Funktionseinschränkungen der rechten Hand des Klägers - soweit es um die Folgen des Unfalles vom 27. Oktober 1971 geht - einig, die sie übereinstimmend als Einschränkung der Beweglichkeit im rechten Handgelenk. Minderung der Kraft der rechten Hand und des rechten Daumens. Einschränkung der Unterarm-Auswärtsdrehfähigkeit rechts beschreiben.

Wenn diese Unfallfolgen im vorläufigen Rentenbescheid vom 3. August 1972 noch anders beschrieben worden waren, so vor allem deshalb, weil der Heilungsprozess seinerzeit, unmittelbar nach dem Unfallereignis, noch nicht abgeschlossen war. Erst im Gutachten des Dr. Dr. G. vom 31. August 1973, das zum Wegfall der bisher gezahlten Verletztenteilrente führte, wurde eine wesentliche Behinderung der Handfunktion bei Streckhemmung im Endgelenk des 1. und 2. Fingers rechts sowie leichte Einschränkung der Handgelenksbewegungen rechts ausgeschlossen.

Ob die Bewegungseinschränkung des rechten Daumens aufgrund der Zerreißung der langen Daumenstrecksehne, die später zu einer operativen Korrektur geführt hatte, auf den Unfall aus dem Jahre 1971 zurückzuführen ist oder auf einen der späteren - nicht in die Zuständigkeit der Beklagten fallenden - Unfälle, ist hier bedeutungslos. Sowohl Dr. W. als auch Herr J. schließen allerdings einen Zusammenhang aus, weil sich am 28. Juli 1997 bei einer Untersuchung durch den Durchgangsarzt Dr. D. keine Einschränkung der Streckung im rechten Daumengrund- und endgelenk gefunden habe. Selbst unter Einbeziehung der Einschränkung der Beweglichkeit im rechten Daumengrund- und -endgelenk in die Bewertung lässt sich für die rechte Hand eine höhere MdE als 10 v.H. nicht rechtfertigen, weil die Funktion der rechten Hand hierdurch nicht wesentlich behindert wird. Es liegt nach Dr. B. lediglich eine Hebeschwäche des rechten Daumens vor.

Dass sich mit einer MdE von 10 v.H. ein Rentenanspruch des Klägers nicht begründen lässt, bedarf keiner weiteren Ausführungen.

Ob die Folgen der Unfälle des Klägers in den Jahren 1997 und 1998 als mittelbare Folgen der Auswirkungen des Unfalls vom 27. Oktober 1971 angesehen werden können, ist hier nicht streitbefangen und bedurfte auch keiner medizinischen Aufklärung.

Die Berufung des Klägers musste nach alledem erfolglos bleiben.

Sie war mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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