L 13 VG 33/02

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 41 VG 35/01
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 VG 33/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 5. August 2002 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig sind Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz ( OEG).

Die 1947 geborene Klägerin wurde am 19. Juni 1998 auf dem Gehweg liegend aufgefunden. Der Strafanzeige vom selben Tag zufolge gaben namentlich nicht ermittelte Kinder den Polizeibeamten gegenüber an, die Klägerin sei gestoßen worden und dadurch vermutlich gefallen. Die Klägerin selbst sei stark alkoholisiert gewesen und habe zum Sachverhalt keine Angaben machen können. Sie erlitt einen Schädelbasisbruch und klagte in der Folgezeit über Drehschwindel.

Am 26. Juni 2000 wurde sie ihren Angaben zufolge von einem Jugendlichen, den sie als mutmaßlichen Straftäter fotografiert habe, gegen den rechten Fuß getreten. Sie habe hierdurch eine Weber B/C-Fraktur des rechten Unterschenkels erlitten. Ein Foto könne sie nicht nachreichen, da sich zur Tatzeit kein Film im Fotoapparat befunden habe.

Für beide Vorfälle beantragte sie im August 2000 Versorgung nach dem OEG. Nach Beiziehung der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten ( und ) lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 30. Oktober 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15. Februar 2001 Leistungen nach dem OEG wegen des Vorfalls vom 19. Juni 1998 ab. Es habe sich nicht der Nachweis ergeben, dass die Klägerin infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs eine gesundheitliche Schädigung erlitten habe, da keine zweifelsfreien Feststellungen über die Ursache des zur Schädigung führenden Vorfalls hätten getroffen werden können.

Durch Bescheid vom 17. Oktober 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28. November 2000 lehnte der Beklagte mit derselben Begründung Leistungen wegen des Vorfalls vom 26. Juni 2000 ab. Hiergegen legte die Klägerin bei dem Beklagten am 20. Dezember 2000 " erneuert ... Widerspruch ... ein". Der Beklagte verwies insoweit mit Schreiben vom 29. Dezember 2000 auf die dem Widerspruchsbescheid beigefügte Rechtsmittelbelehrung.

Einen am 7. März 2001 bei ihm eingegangenen erneuten Widerspruch legte der Beklagte als Klage gegen den Bescheid vom 30. Oktober 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15. Februar 2001 aus und leitete ihn an das Sozialgericht weiter.

Das Sozialgericht hat durch Gerichtsbescheid vom 5. August 2002 die Klage gegen den Bescheid vom 17. August 2000 ( gemeint ist: 17. Oktober 2000) in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28. November 2000 als unzulässig abgewiesen, weil die einmonatige Klagefrist versäumt sei. Im Übrigen sei die Klage unbegründet. Es sei nicht nachgewiesen, dass die Klägerin aufgrund des Vorfalls vom 19. Juni 1998 eine gesundheitliche Schädigung infolge eines rechtswidrigen körperlichen Angriffs anderer Personen erlitten habe. Die Klägerin sei bereits gegen 12.45 Uhr in ihrer Wohnung in erheblich alkoholisiertem Zustand angetroffen worden, bevor sie um 18.55 Uhr in stark alkoholisiertem Zustand auf dem Gehweg aufgefunden worden sei. Sie selbst habe keine Angaben zum Sachverhalt machen können, Zeugen seien nicht vorhanden, so dass die Entscheidung des Beklagten, es hätten keine Feststellungen über die Ursache der Schädigung getroffen werden können, nicht zu beanstanden sei.

Gegen den ihr am 15. August 2002 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die Berufung der Klägerin vom 16. September 2002 ( Montag), die nicht begründet worden ist.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 5. August 2002 sowie den Bescheid vom 17. Oktober 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28. November 2000 und den Bescheid vom 30. Oktober 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15. Februar 2001 aufzuheben, und den Beklagten zu verurteilen, ihr wegen der gesundheitlichen Folgen der gegen sie am 19. Juni 1998 und 26. Juni 2000 verübten Straftaten Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten sich mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben, § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ist auch die Klage gegen den Bescheid vom 17. Oktober 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28. November 2000 zulässig.

Richtig ist, dass bei Eingang der Klage am 7. März 2001 die Klagefrist von einem Monat gegen den am 29. November 2000 zugestellten Widerspruchsbescheid vom 28. November 2000 versäumt war. Da ein als "erneuter Widerspruch" bezeichnetes Rechtsmittel gegen diesen Widerspruchsbescheid jedoch bereits am 20. Dezember 2000 bei dem Beklagten eingegangen war, gilt die Klagefrist gemäß § 91 Abs.1 SGG als gewahrt.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Versorgung gemäß § 1 OEG in Verbindung mit den entsprechend anwendbaren Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Verletzungen, die die Klägerin am 19. Juni 1998 und am 26. Juni 2000 erlitten hat, auf gegen ihre Person gerichtete vorsätzliche, rechtswidrige Angriffe zurückzuführen sind.

Gemäß § 1 Abs.1 S. 1 OEG hat Anspruch auf Versorgung, wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes ...infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine ...Person eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Der vorsätzliche, rechtswidrige Angriff als anspruchsbegründende Tatsache im Sinne des § 1 OEG muss zur Überzeugung des Gerichts erwiesen sein, d. h. es muss von einer an Gewissheit grenzenden Wahrscheinlichkeit oder von einem so hohen Grad der Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden, dass kein vernünftiger Mensch noch zweifelt. Fehlt es daran, geht dies zu Lasten des Antragstellers. Das gilt auch für den erforderlichen Vorsatz des tätlichen Angriffs. Eine fahrlässige Schädigung genügt nicht. Dabei reicht es in Fällen, in denen ein Täter nicht ermittelt werden kann aus, auf die Grundsätze des Beweises des ersten Anscheins zurückzugreifen, im Rahmen dessen von einem bestimmten Erfolg auf eine bestimmte Ursache geschlossen werden kann ( vgl. BSG SozR 3-3800 § 1 Nr. 12).

Hinsichtlich des Vorfalls vom 19. Juni 1998 kann nicht aus der Tatsache, dass die Klägerin einen Schädelbasisbruch erlitten hat, auf einen vorsätzlichen Angriff geschlossen werden. Zwar ist der polizeilichen Anzeige vom 19. Juni 1998 zu entnehmen, dass unbekannt gebliebene Kinder geäußert haben, die Klägerin sei gestoßen worden. Es bleibt jedoch offen, ob die Klägerin durch diesen Stoß gefallen ist und sich die Verletzung zugezogen hat. Vielmehr haben die Zeugen nur eine entsprechende Vermutung geäußert. Auch aus den sonstigen Umständen kann nicht auf eine die Schädigung verursachende Tathandlung geschlossen werden, da die Klägerin bereits zur Mittagszeit alkoholisiert vorgefunden wurde, zur Zeit des Vorgangs "stark alkoholisiert" war und zum Sachverhalt selbst keine Angaben machen konnte (polizeilicher Vermerk vom 30. Juli 1998). Dadurch ist ein Sturz aus innerer Ursache mindestens ebenso wahrscheinlich wie ein durch eine schädigende Handlung verursachter Sturz.

Aus der von der Klägerin am 26. Juni 2000 erlittenen Verletzung kann ebenfalls nicht auf eine vorsätzliche Schädigungshandlung geschlossen werden, da eine entsprechende Fraktur bei vielerlei Verrichtungen des täglichen Lebens (z. B. Sturz, Umknicken) eintreten kann. Die von der Klägerin geschilderten Umstände der Verletzung vom 26. Juni 2000, dass ein Jugendlicher "ausgerastet" sei, als sie ihn fotografiert habe, reichen allein nicht aus, um auf das Vorliegen eines zumindest bedingten Vorsatzes des unbekannt gebliebenen Täters zu schließen. Allerdings sind nach § 15 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, der Entscheidung zugrunde zu legen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen sind, soweit sie nach den Umständen des Falls glaubhaft erscheinen. Daran fehlt es, da die Angaben der Klägerin, den Täter fotografiert zu haben, sich nicht bestätigt haben. Ihre Begründung, es habe sich kein Film im Apparat befunden, kann zwar die Tatsache erklären, warum die Klägerin kein Foto vorlegen konnte, ist jedoch nicht geeignet, einen vorsätzlichen tätlichen Angriff mit hoher Wahrscheinlichkeit zu belegen, da die Klägerin andererseits angegeben hat, den Täter nicht wiederzuerkennen.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved