Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 33 SB 1750/00
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 82/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. Oktober 2001 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist im Neufeststellungsverfahren das Merkzeichen "G" wegen erheblicher Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr.
Nach einer Untersuchung der Klägerin durch den Orthopäden Dr. L. erkannte der Beklagte - der ärztlichen Empfehlung im Gutachten vom 29. Mai 2000 folgend - bei ihr folgende Behinderungen an:
a) Herzleistungsminderung bei Zustand nach 2-maligem Herzinfarkt 5/95 und 3/96,
b) zeitweilige Reizerscheinungen im linken Kniegelenk bei degenerativen Veränderungen, Einschränkung der Streckfähigkeit des rechten Kniegelenks nach arthroskopischer Teilresektion des Meniscus und Knorpelglättung, beginnender Verschleiß der Hüft- und Sprunggelenke, Fußfehlform,
c) Geruchsstörung,
d) beginnende Funktionsstörung der Wirbelsäule.
Die Behinderung zu a) bewertete er im Bescheid vom 8. Juni 2000 mit einem Einzel-Grad der Behinderung (GdB) von 40, die zu b) mit 30, sowie die Behinderungen zu c) und d) mit jeweils 10. Den Gesamt-GdB stellte er mit 50 fest. Soweit die Klägerin darüber hinaus die Zuerkennung des Merkzeichens "G" verlangte, wies der Beklagte ihren Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 14. Juni 2000 zurück.
Vor dem Sozialgericht hielt die Klägerin ihre Forderung auf das Merkzeichen "G" aufrecht. Nach zwei Herzinfarkten sei ihre Belastbarkeit eingeschränkt. Sie sei auf die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel angewiesen.
Der zum medizinischen Sachverständigen ernannte Internist Dr. Sch., der die Klägerin bereits in einem früheren Rechtsstreit untersucht hatte (Gutachten vom 20. Februar 1997) sah in seinem Gutachten vom 9. März 2001 aus seiner fachgebundenen Sicht nach zweimaligem Herzinfarkt 5/95 und 3/96 eine mäßiggradige Besserung der körperlichen Leistungsfähigkeit der Klägerin im Sinne der Heilungsbewährung, die er dem erneut durchgeführten Belastungs-EKG entnehme. Hierfür sei ein GdB von 40 angemessen. Wegen der deutlichen Erniedrigung der absoluten und relativen Sekundenkapazität bei der erneut erhobenen Spirographie bewertete er diese Behinderung mit einem Einzel-GdB von 20, ohne dass sich der GdB für den internistischen Bereich hierdurch erhöhe. Die Veränderungen in beiden Kniegelenken der Klägerin und einen Verschleiß der Hüft- und Sprunggelenke, die Dr. L. mit einem GdB von 30 bewertet habe, sowie beginnende Funktionsstörungen der Wirbelsäule - GdB 10 - könne er bestätigen. Ob der Klägerin aus orthopädischer Sicht das Merkzeichen "G" zustehe, könne er hingegen nicht beurteilen und müsse einem orthopädischen Gutachten überlassen bleiben.
Hierzu erklärte der Internist Dr. D. in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 10. April 2001, dass sich die Klägerin in einer ausführlich dokumentierten Vorgeschichte als pulmonal unauffällig erwiesen habe. Aus einer einmaligen, von der Mitarbeit abhängigen spirometrischen Untersuchung ohne Broncholyseversuch könne keine Behinderung mit einem messbaren GdB abgeleitet werden. Ebenfalls fehle es an einer zur Objektivierung einer obstruktiven Lungenfunktionsstörung erforderlichen Bodyphlethysmographie. Der Versorgungsarzt Dr. Schorsch legte in seiner Stellungnahme vom 19. April 2001 dar, dass er für ein erneutes orthopädisches Gutachten nach der Untersuchung der Klägerin vor gut acht Monaten keine Notwendigkeit sehe. Anhand der mitgeteilten Funktionsausmaße ohne Hinweise auf eine entzündliche Veränderung sei keine Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Klägerin gegenüber dem vorausgegangenen Gutachten erkennbar. Es müsse bei einem GdB von 30 für das Kniegelenksleiden verbleiben. Da der mobilitätsbedingte Behinderungsgrad von 50 an den unteren Extremitäten nicht erreicht werde, fehle es an den medizinischen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G".
Dem schloss sich das Sozialgericht in seinem die Klage abweisenden Urteil vom 19. Oktober 2001 an. Die in den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz 1996 - AHP - unter Randnummer 30, Seite 166 beschriebenen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" seien allesamt nicht erfüllt.
Gegen das am 10. November 2001 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin vom 19. November 2001. Es gehe ihr allein um den Zuschuss zum Erwerb einer Wertmarke für die Freifahrtberechtigung im öffentlichen Nahverkehr. Sie sehe sich am Ende ihrer körperlichen Kräfte und sei deshalb auf das Merkzeichen "G" angewiesen.
Das Sozialgericht habe es insbesondere zu Unrecht abgelehnt, das Vorliegen einer obstruktiven Ventilationsstörung anzuerkennen, die im Zusammenwirken mit der Behinderung "Zustand nach Herzinfarkten" nicht nur zu einem höheren Gesamt-GdB führen müsse, sondern auch für sich allein eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit mit sich bringe.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgericht Berlin vom 19. Oktober 2001 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung der Bescheide vom 1. April 1998 und 8. Juni 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juni 2000 zu verurteilen, bei ihr das Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" anzuerkennen, hilfsweise, den Rechtsstreit zu vertagen und weitere medizinische Ermittlungen zu der geltend gemachten Lungenfunktionsstörung zu führen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat im Zuge weiterer medizinischer Ermittlungen die von der Internistin/Kardiologin Dr. W. durchgeführte Diagnostik (Herzanalyse vom 28. Juni 2002, Belastungs-EKG sowie Ergometrie-Befunde vom 1. Juli 2002) und ein Attest der orthopädischen Gemeinschaftspraxis Dres. M. u.a. vom 6. September 2002 zur Gerichtsakte genommen. Der mit deren Auswertung beauftragte Beklagte hat hierzu Stellungnahmen des Chirurgen Dr. B. vom 10. Oktober 2002 und des Internisten Dr. D. vom 26. November 2002 eingeholt. Diese Ärzte konnten den medizinischen Unterlagen keine Erkenntnisse entnehmen, die eine Neubewertung der bisher anerkannten Behinderungen erforderten. Diesen sei insbesondere nicht zu entnehmen, dass die bisherige Beurteilung der Gesundheitsstörungen des Stütz- und Bewegungsapparates und insbesondere der Kniegelenke unzutreffend seien oder dass zwischenzeitlich eine Verschlimmerung dieser Leiden eingetreten sei.
Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Verwiesen wird außerdem auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte, auf die beigezogene Gerichtsakte zum Az.:. und auf die SB-Akte des Beklagten, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist nicht begründet.
Der Beklagte und das Sozialgericht haben es nach der hier zu beurteilenden medizinischen Aktenlage zutreffend abgelehnt, bei der Klägerin das Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" anzuerkennen.
Die Voraussetzungen des Merkzeichens "G", die früher in §§ 59, 60 des Schwerbehindertengesetzes geregelt waren, definieren nunmehr die §§ 145, 146 des Sozialgesetzbuches, 9. Buch -SGB IX-, im Wesentlichen inhaltsgleich. Für das Merkzeichen "G" wird verlangt, dass der Schwerbehinderte infolge einer Einschränkung des Gehvermögens nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Die Einschränkung kann orthopädisch begründet sein, sie kann aber auch auf innere Leiden, auf ein Anfallsleiden oder auf Störungen der Orientierungsfähigkeit zurückgeführt werden. Die Voraussetzungen für die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr werden insbesondere dann als erfüllt angesehen, wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB um wenigstens 50 bedingen. Darüber hinaus können die Voraussetzungen bei Behinderungen an den unteren Gliedmaßen mit einem GdB unter 50 gegeben sein, wenn diese Behinderungen sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirken, z.B. bei Versteifung des Hüftgelenks, Versteifung des Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung, arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40 (vgl. Anhaltspunkte Ziffer 30 Abs. 3 S. 166).
Bei der Klägerin liegen keine derartigen schwerwiegenden Behinderungen an ihrem Körpergerüst vor. Aufgrund des orthopädischen Gutachtens des Dr. L. vom 29. Mai 2000, das der Beklagte auf Empfehlung des Senats in seinem Vergleichsvorschlag vom 14. März 2000 (Az.:.) eingeholt hat, bestimmen folgende Beschwerden am Körpergerüst deren orthopädisches Bild:
zeitweilige Reizerscheinungen im linken Kniegelenk bei degenerativen Veränderungen, Einschränkung der Streckfähigkeit des rechten Kniegelenks nach arthroskopischer Teilresektion des Meniscus und Knorpelglättung, beginnender Verschleiß der Hüft- und Sprunggelenke, Fußfehlform, beginnende Funktionsstörungen der WS.
Die mit einem Hüftgelenks- und Sprunggelenksverschleiß zu einem Behinderungskomplex zusammengefassten degenerativen Verschleißerscheinungen an den Kniegelenken, die die Orthopäden des Klägers in ihrem Attest vom 6. September 2002 noch einmal bestätigt haben, führen, wie bei einer Chondromalazie II. bis III. Grades die Regel, zu einer verminderten Belastbarkeit. Abhängig ist die hierfür vorzunehmende GdB-Einschätzung von dem Ausmaß der Bewegungseinschränkung und der Belastbarkeit der Gelenke. Der hiermit vertraute Dr. L. hat die erforderlichen Befunde anlässlich seiner Untersuchung der Klägerin am 29. Mai 2000 erhoben und hieraus die erforderlichen Rückschlüsse über das Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen und die hiervon abhängende Höhe des GdB gezogen. Seine Feststellungen überzeugen den Senat, zumal weitergehende Erkenntnisse nicht aktenkundig sind. Bei einem GdB von 30 an den unteren Gliedmaßen lässt sich die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr generell nicht rechtfertigen. Es lässt sich den medizinischen Unterlagen auch nicht entnehmen, dass die Verschleißerscheinungen an den Gelenken der Klägerin bereits zu deren Versteifung geführt haben, so dass eine Gleichstellung mit dem Personenkreis bei dem der GdB an den unteren Gliedmaßen 50 beträgt, nicht in Betracht kommt.
Das Krankheitsbild der Wirbelsäule, mit einem GdB von 10 anerkannt, erfüllt selbst in der Kombination mit den zuvor erörterten Verschleißerscheinungen an den Gelenken nicht das Erfordernis eines Gesamt-GdB von 50.
Die mit einem Einzel-GdB von 40 anerkannten Auswirkungen nach zweimaligem Herzinfarkt im Mai 1995 und im März 1996 sind nicht so schwerwiegend, dass sie zu schweren Dekompensationserscheinungen führen (vgl. AHP, Ziffer 31, Abs. 4, S. 168) und von daher den Anspruch auf den umstrittenen Nachteilsausgleich stützen könnten. So hat der Internist Dr. Sch. in seinem Gerichtsgutachten vom 9. März 2001 der Klägerin eine Besserung der kardialen Leistungsfähigkeit bescheinigt, die die Überlegung, ob das Merkzeichen "G" internistischerseits begründbar sein könnte, von vornherein ausschloss.
Selbst unter Einbeziehung einer vom Beklagten mangels eindeutiger Nachweise (keine Bodyplethysmographie, kein Broncholyseversuch) zu Recht in Zweifel gezogenen obstruktiven Lungenfunktionsstörung in einer geringen Form (hier: GdB 20) würde diese nicht ausreichen, den Anspruch auf das Merkzeichen "G" zu begründen. Erforderlich ist eine Einschränkung der Lungenfunktion mittleren Grades (Nr. 26.8, S. 83 der AHP), die bei der Klägerin nicht zu beobachten ist. Für weitere medizinische Ermittlungen sah der Senat deshalb keinen Anlass.
Soweit die Klägerin auf weitere Krankheitsbilder hinweist (Fersensporn, Adipositas, Fettstoffwechselstörung, Krampfadern), die ihr das Laufen zusätzlich erschweren würden, verkennt sie, dass diese krankhaften Erscheinungen bisher als Behinderungen keine Anerkennung gefunden haben und dass es sich hierbei um Beeinträchtigungen handelt, die vergleichsweise unbedeutend sind. Selbst in ihrer Gesamtheit bewirken sie keine Einschränkung der Gehfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Vorgaben.
Der Anspruch der Klägerin lässt sich auch nicht mit ihrem fortgeschrittenen Alter rechtfertigen. Das ließe unberücksichtigt, dass physiologische Veränderungen im Alter, die sich regelhaft entwickeln und für das Alter nach ihrer Art und ihrem Umfang typisch sind, wie z.B. die allgemeine Verminderung der Leistungsfähigkeit, die eingeschränkte Kraft und Beweglichkeit und sonstige sich im Rahmen des Üblichen haltende Abbauerscheinungen bei der Feststellung von Nachteilsausgleichen außer Betracht bleiben (vgl. AHP, Ziffer 18, S. 29, 30).
Die Berufung der Klägerin musste deshalb erfolglos bleiben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz - SGG -.
Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Tatbestand:
Streitig ist im Neufeststellungsverfahren das Merkzeichen "G" wegen erheblicher Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr.
Nach einer Untersuchung der Klägerin durch den Orthopäden Dr. L. erkannte der Beklagte - der ärztlichen Empfehlung im Gutachten vom 29. Mai 2000 folgend - bei ihr folgende Behinderungen an:
a) Herzleistungsminderung bei Zustand nach 2-maligem Herzinfarkt 5/95 und 3/96,
b) zeitweilige Reizerscheinungen im linken Kniegelenk bei degenerativen Veränderungen, Einschränkung der Streckfähigkeit des rechten Kniegelenks nach arthroskopischer Teilresektion des Meniscus und Knorpelglättung, beginnender Verschleiß der Hüft- und Sprunggelenke, Fußfehlform,
c) Geruchsstörung,
d) beginnende Funktionsstörung der Wirbelsäule.
Die Behinderung zu a) bewertete er im Bescheid vom 8. Juni 2000 mit einem Einzel-Grad der Behinderung (GdB) von 40, die zu b) mit 30, sowie die Behinderungen zu c) und d) mit jeweils 10. Den Gesamt-GdB stellte er mit 50 fest. Soweit die Klägerin darüber hinaus die Zuerkennung des Merkzeichens "G" verlangte, wies der Beklagte ihren Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 14. Juni 2000 zurück.
Vor dem Sozialgericht hielt die Klägerin ihre Forderung auf das Merkzeichen "G" aufrecht. Nach zwei Herzinfarkten sei ihre Belastbarkeit eingeschränkt. Sie sei auf die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel angewiesen.
Der zum medizinischen Sachverständigen ernannte Internist Dr. Sch., der die Klägerin bereits in einem früheren Rechtsstreit untersucht hatte (Gutachten vom 20. Februar 1997) sah in seinem Gutachten vom 9. März 2001 aus seiner fachgebundenen Sicht nach zweimaligem Herzinfarkt 5/95 und 3/96 eine mäßiggradige Besserung der körperlichen Leistungsfähigkeit der Klägerin im Sinne der Heilungsbewährung, die er dem erneut durchgeführten Belastungs-EKG entnehme. Hierfür sei ein GdB von 40 angemessen. Wegen der deutlichen Erniedrigung der absoluten und relativen Sekundenkapazität bei der erneut erhobenen Spirographie bewertete er diese Behinderung mit einem Einzel-GdB von 20, ohne dass sich der GdB für den internistischen Bereich hierdurch erhöhe. Die Veränderungen in beiden Kniegelenken der Klägerin und einen Verschleiß der Hüft- und Sprunggelenke, die Dr. L. mit einem GdB von 30 bewertet habe, sowie beginnende Funktionsstörungen der Wirbelsäule - GdB 10 - könne er bestätigen. Ob der Klägerin aus orthopädischer Sicht das Merkzeichen "G" zustehe, könne er hingegen nicht beurteilen und müsse einem orthopädischen Gutachten überlassen bleiben.
Hierzu erklärte der Internist Dr. D. in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 10. April 2001, dass sich die Klägerin in einer ausführlich dokumentierten Vorgeschichte als pulmonal unauffällig erwiesen habe. Aus einer einmaligen, von der Mitarbeit abhängigen spirometrischen Untersuchung ohne Broncholyseversuch könne keine Behinderung mit einem messbaren GdB abgeleitet werden. Ebenfalls fehle es an einer zur Objektivierung einer obstruktiven Lungenfunktionsstörung erforderlichen Bodyphlethysmographie. Der Versorgungsarzt Dr. Schorsch legte in seiner Stellungnahme vom 19. April 2001 dar, dass er für ein erneutes orthopädisches Gutachten nach der Untersuchung der Klägerin vor gut acht Monaten keine Notwendigkeit sehe. Anhand der mitgeteilten Funktionsausmaße ohne Hinweise auf eine entzündliche Veränderung sei keine Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Klägerin gegenüber dem vorausgegangenen Gutachten erkennbar. Es müsse bei einem GdB von 30 für das Kniegelenksleiden verbleiben. Da der mobilitätsbedingte Behinderungsgrad von 50 an den unteren Extremitäten nicht erreicht werde, fehle es an den medizinischen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G".
Dem schloss sich das Sozialgericht in seinem die Klage abweisenden Urteil vom 19. Oktober 2001 an. Die in den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz 1996 - AHP - unter Randnummer 30, Seite 166 beschriebenen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" seien allesamt nicht erfüllt.
Gegen das am 10. November 2001 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin vom 19. November 2001. Es gehe ihr allein um den Zuschuss zum Erwerb einer Wertmarke für die Freifahrtberechtigung im öffentlichen Nahverkehr. Sie sehe sich am Ende ihrer körperlichen Kräfte und sei deshalb auf das Merkzeichen "G" angewiesen.
Das Sozialgericht habe es insbesondere zu Unrecht abgelehnt, das Vorliegen einer obstruktiven Ventilationsstörung anzuerkennen, die im Zusammenwirken mit der Behinderung "Zustand nach Herzinfarkten" nicht nur zu einem höheren Gesamt-GdB führen müsse, sondern auch für sich allein eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit mit sich bringe.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgericht Berlin vom 19. Oktober 2001 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung der Bescheide vom 1. April 1998 und 8. Juni 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juni 2000 zu verurteilen, bei ihr das Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" anzuerkennen, hilfsweise, den Rechtsstreit zu vertagen und weitere medizinische Ermittlungen zu der geltend gemachten Lungenfunktionsstörung zu führen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat im Zuge weiterer medizinischer Ermittlungen die von der Internistin/Kardiologin Dr. W. durchgeführte Diagnostik (Herzanalyse vom 28. Juni 2002, Belastungs-EKG sowie Ergometrie-Befunde vom 1. Juli 2002) und ein Attest der orthopädischen Gemeinschaftspraxis Dres. M. u.a. vom 6. September 2002 zur Gerichtsakte genommen. Der mit deren Auswertung beauftragte Beklagte hat hierzu Stellungnahmen des Chirurgen Dr. B. vom 10. Oktober 2002 und des Internisten Dr. D. vom 26. November 2002 eingeholt. Diese Ärzte konnten den medizinischen Unterlagen keine Erkenntnisse entnehmen, die eine Neubewertung der bisher anerkannten Behinderungen erforderten. Diesen sei insbesondere nicht zu entnehmen, dass die bisherige Beurteilung der Gesundheitsstörungen des Stütz- und Bewegungsapparates und insbesondere der Kniegelenke unzutreffend seien oder dass zwischenzeitlich eine Verschlimmerung dieser Leiden eingetreten sei.
Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Verwiesen wird außerdem auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte, auf die beigezogene Gerichtsakte zum Az.:. und auf die SB-Akte des Beklagten, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist nicht begründet.
Der Beklagte und das Sozialgericht haben es nach der hier zu beurteilenden medizinischen Aktenlage zutreffend abgelehnt, bei der Klägerin das Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" anzuerkennen.
Die Voraussetzungen des Merkzeichens "G", die früher in §§ 59, 60 des Schwerbehindertengesetzes geregelt waren, definieren nunmehr die §§ 145, 146 des Sozialgesetzbuches, 9. Buch -SGB IX-, im Wesentlichen inhaltsgleich. Für das Merkzeichen "G" wird verlangt, dass der Schwerbehinderte infolge einer Einschränkung des Gehvermögens nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Die Einschränkung kann orthopädisch begründet sein, sie kann aber auch auf innere Leiden, auf ein Anfallsleiden oder auf Störungen der Orientierungsfähigkeit zurückgeführt werden. Die Voraussetzungen für die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr werden insbesondere dann als erfüllt angesehen, wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB um wenigstens 50 bedingen. Darüber hinaus können die Voraussetzungen bei Behinderungen an den unteren Gliedmaßen mit einem GdB unter 50 gegeben sein, wenn diese Behinderungen sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirken, z.B. bei Versteifung des Hüftgelenks, Versteifung des Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung, arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40 (vgl. Anhaltspunkte Ziffer 30 Abs. 3 S. 166).
Bei der Klägerin liegen keine derartigen schwerwiegenden Behinderungen an ihrem Körpergerüst vor. Aufgrund des orthopädischen Gutachtens des Dr. L. vom 29. Mai 2000, das der Beklagte auf Empfehlung des Senats in seinem Vergleichsvorschlag vom 14. März 2000 (Az.:.) eingeholt hat, bestimmen folgende Beschwerden am Körpergerüst deren orthopädisches Bild:
zeitweilige Reizerscheinungen im linken Kniegelenk bei degenerativen Veränderungen, Einschränkung der Streckfähigkeit des rechten Kniegelenks nach arthroskopischer Teilresektion des Meniscus und Knorpelglättung, beginnender Verschleiß der Hüft- und Sprunggelenke, Fußfehlform, beginnende Funktionsstörungen der WS.
Die mit einem Hüftgelenks- und Sprunggelenksverschleiß zu einem Behinderungskomplex zusammengefassten degenerativen Verschleißerscheinungen an den Kniegelenken, die die Orthopäden des Klägers in ihrem Attest vom 6. September 2002 noch einmal bestätigt haben, führen, wie bei einer Chondromalazie II. bis III. Grades die Regel, zu einer verminderten Belastbarkeit. Abhängig ist die hierfür vorzunehmende GdB-Einschätzung von dem Ausmaß der Bewegungseinschränkung und der Belastbarkeit der Gelenke. Der hiermit vertraute Dr. L. hat die erforderlichen Befunde anlässlich seiner Untersuchung der Klägerin am 29. Mai 2000 erhoben und hieraus die erforderlichen Rückschlüsse über das Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen und die hiervon abhängende Höhe des GdB gezogen. Seine Feststellungen überzeugen den Senat, zumal weitergehende Erkenntnisse nicht aktenkundig sind. Bei einem GdB von 30 an den unteren Gliedmaßen lässt sich die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr generell nicht rechtfertigen. Es lässt sich den medizinischen Unterlagen auch nicht entnehmen, dass die Verschleißerscheinungen an den Gelenken der Klägerin bereits zu deren Versteifung geführt haben, so dass eine Gleichstellung mit dem Personenkreis bei dem der GdB an den unteren Gliedmaßen 50 beträgt, nicht in Betracht kommt.
Das Krankheitsbild der Wirbelsäule, mit einem GdB von 10 anerkannt, erfüllt selbst in der Kombination mit den zuvor erörterten Verschleißerscheinungen an den Gelenken nicht das Erfordernis eines Gesamt-GdB von 50.
Die mit einem Einzel-GdB von 40 anerkannten Auswirkungen nach zweimaligem Herzinfarkt im Mai 1995 und im März 1996 sind nicht so schwerwiegend, dass sie zu schweren Dekompensationserscheinungen führen (vgl. AHP, Ziffer 31, Abs. 4, S. 168) und von daher den Anspruch auf den umstrittenen Nachteilsausgleich stützen könnten. So hat der Internist Dr. Sch. in seinem Gerichtsgutachten vom 9. März 2001 der Klägerin eine Besserung der kardialen Leistungsfähigkeit bescheinigt, die die Überlegung, ob das Merkzeichen "G" internistischerseits begründbar sein könnte, von vornherein ausschloss.
Selbst unter Einbeziehung einer vom Beklagten mangels eindeutiger Nachweise (keine Bodyplethysmographie, kein Broncholyseversuch) zu Recht in Zweifel gezogenen obstruktiven Lungenfunktionsstörung in einer geringen Form (hier: GdB 20) würde diese nicht ausreichen, den Anspruch auf das Merkzeichen "G" zu begründen. Erforderlich ist eine Einschränkung der Lungenfunktion mittleren Grades (Nr. 26.8, S. 83 der AHP), die bei der Klägerin nicht zu beobachten ist. Für weitere medizinische Ermittlungen sah der Senat deshalb keinen Anlass.
Soweit die Klägerin auf weitere Krankheitsbilder hinweist (Fersensporn, Adipositas, Fettstoffwechselstörung, Krampfadern), die ihr das Laufen zusätzlich erschweren würden, verkennt sie, dass diese krankhaften Erscheinungen bisher als Behinderungen keine Anerkennung gefunden haben und dass es sich hierbei um Beeinträchtigungen handelt, die vergleichsweise unbedeutend sind. Selbst in ihrer Gesamtheit bewirken sie keine Einschränkung der Gehfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Vorgaben.
Der Anspruch der Klägerin lässt sich auch nicht mit ihrem fortgeschrittenen Alter rechtfertigen. Das ließe unberücksichtigt, dass physiologische Veränderungen im Alter, die sich regelhaft entwickeln und für das Alter nach ihrer Art und ihrem Umfang typisch sind, wie z.B. die allgemeine Verminderung der Leistungsfähigkeit, die eingeschränkte Kraft und Beweglichkeit und sonstige sich im Rahmen des Üblichen haltende Abbauerscheinungen bei der Feststellung von Nachteilsausgleichen außer Betracht bleiben (vgl. AHP, Ziffer 18, S. 29, 30).
Die Berufung der Klägerin musste deshalb erfolglos bleiben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz - SGG -.
Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
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