L 13 V 3/02

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 45 V 59/01
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 V 3/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. November 2001 wird zurückgewiesen. Der Beklagte hat dem Kläger auch dessen Kosten für das Berufungsverfahren zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Entziehung von Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Der 1914 geborene Kläger war seit 1. April 1934 Polizeibeamter und bis zum Ausbruch des Krieges im Revier-Einzeldienst eingesetzt. Vom 6. September 1939 bis zum 5. Juni 1942 gehörte er der 2. Kompanie des Polizei-Bataillons 320 als Zugwachtmeister an. Dieses Bataillon wurde im Februar 1941 in das damalige Protektorat Böhmen-Mähren verlegt. Nach Beginn des Russlandfeldzuges rückte es am 26. Juni 1941 über Polen in das Gebiet der Sowjetunion ein und wurde dem Höheren SS- und Polizeiführer Russland-Süd für besondere Einsätze unmittelbar unterstellt. Vom 28. bis 31. August 1941 wurde das Polizei-Bataillon in K-Pzu der Massenerschießung von etwa 23.000 jüdischen Männern, Frauen und Kindern herangezogen. In der Folgezeit war es vom 6. bis 8. November 1941 an einer weiteren Massenerschießung von etwa 15.000 Juden in Rbeteiligt. Eine Gruppe der 2. Kompanie war an der Erschießung von etwa 200 Juden aus einem Dorf südlich von L im Februar 1942 beteiligt.

Der Kläger wurde am 5. Juni 1942 verwundet und verrichtete ab Oktober 1943 in Berlin erneut Polizeidienst. Im Frühjahr 1945 erlitt er durch russische Soldaten einen Gesichtsschuss.

Durch Bescheid vom 2. April 1957 erkannte der Beklagte als Schädigungsfolgen

1. Streckbehinderung im rechten Ellenbogengelenk, Aufhebung der Drehbewegungen des rechten Unterarmes, Fehlstellung der Unterarmknochen nach Unterarmschussbruch. Schwäche des rechten Arms und der rechten Hand. Narben am Kinn, an der rechten Halsseite und an beiden Unterschenkeln, Granatsplitter in den Weichteilen der Wange,

2. belanglose Narbe an der Nasenwurzel, chronische Schleimhautverdickung in der rechten Kieferhöhle mit Wandzerstörungen an der Medialseite, Neigung zu Rezidiven einer Kieferhöhleneiterung rechts und eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 50 v.H. an.

Durch Ausführungsbescheid vom 10. März 1975 wurde die MdE nach § 30 Abs. 2 BVG wegen besonderer beruflicher Betroffenheit um 10 v.H. auf insgesamt 60 v.H. erhöht und die Bezeichnung der Schädigungsfolgen geändert. Der Kläger bezog zuletzt ab Juli 1998 eine monatliche Rente in Höhe von 543,- DM und hatte einen Anspruch auf Heilbehandlung auch für Gesundheitsstörungen, die nicht als Folgen einer Schädigung anerkannt waren.

Nach Einfügung des § 1 a BVG (durch Gesetz vom 14. Januar 1998 - BGBl. I S. 66) zog der Beklagte die Einstellungsverfügung des Leitenden Oberstaatsanwaltes bei dem Landgericht Dortmund im Verfahren gegen die ehemaligen Angehörigen des Polizei-Bataillons 320 und der 1. Kompanie des Polizei-Reservebataillons 33 vom 28. Februar 1962 sowie die Protokolle der Vernehmungen des Klägers am 16. Januar 1961 und 9. Februar 1962 in diesem Ermittlungsverfahren und das Vernehmungsprotokoll vom 16. Januar 1961 im Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Kiel gegen J u.a. bei. Darin hatte der Kläger u.a. angegeben, lediglich bei der Vernichtungsaktion in K-P zur Bewachung von Juden eingesetzt gewesen zu sein. Er habe, nachdem die Juden sich aufgestellt hätten mit seiner Gruppe von einem SD-Angehörigen den Auftrag erhalten, den Abschluss des Zuges der Juden zu bilden und später die Straßensicherung zu übernehmen. Von seinem Standort aus habe er die Erschießungsstätte nicht einsehen können. Bei Eintritt der Dunkelheit sei die Exekution beendet worden. Ihm sei nicht bekannt, dass es bei den Erschießungen zu einzelnen Fluchtversuchen jüdischer Personen gekommen sei. Es habe für ihn keine Möglichkeit bestanden, der Teilnahme an der Aktion auszuweichen. Sie hätten der Höheren SS-Führung unterstanden. Für sie seien somit die SS-Gerichte zuständig gewesen. Sie seien ständig über die schweren Folgen einer Befehlsverweigerung und anderer militärischer Delikte belehrt worden. Teilweise hätten diese Belehrungen durch Unterschrift bestätigt werden müssen. Es seien auch wiederholt Urteile von SS-Gerichten verlesen worden, in denen auf harte Strafen erkannt worden sei. Selbst wenn er im Fall einer Befehlsverweigerung nicht vor ein SS-Gericht gestellt worden wäre, hätte durchaus die Möglichkeit bestanden, dass er vom Sicherheitsdienst belangt worden wäre. In jedem Fall sei sein Leben ernsthaft gefährdet gewesen.

Mit Schreiben vom 27. Mai 1999 hörte der Beklagte den Kläger zur Entziehung der Versorgungsrente ab 1. Juli 1999 wegen der Beteiligung an Massenerschießungen und sonstigen Exekutionen an Juden bei dem Polizei-Bataillon 320 an.

Daraufhin verwies der Kläger auf ein Schreiben des Leitenden Oberstaatsanwaltes bei dem Landgericht Dortmund vom 5. März 1962, nach dem das Verfahren - soweit es ihn betreffe - eingestellt werde.

Nach Rückfrage beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung hörte der Beklagte den Kläger am 29. November 2000 persönlich an. Dem hierüber gefertigten Gesprächsprotokoll zufolge gab der Kläger zu der Frage, was in ihm anlässlich der Exekution vorgegangen sei, an, es sei ein Gräuel gewesen, innerlich hätten sie sich gesträubt, "aber was sollte man tun, SS-Leute haben getobt". Abgesehen von dem Einsatz in K habe er nur Leute ausgebildet und nichts mit der Kompanie zu tun gehabt. Auf die Frage, dass er doch Polizist werden wollte und sich etwas ganz anderes vorgestellt habe, gab der Kläger an, er habe nicht gewusst, was er machen sollte, als die Abteilung nach Warschau gekommen sei. Er habe mitgehen müssen. Er habe Familie gehabt. Auf die Frage, welche Versuche er unternommen habe, nach dem Vorfall im August 1941 aus der Situation herauszukommen, hat er angegeben, er wäre vor ein Gericht gekommen, wenn er ein Versetzungsgesuch eingereicht hätte. Hinsichtlich einer Befehlsverweigerung sei er belehrt worden, dass sie der SS-Gerichtsbarkeit unterstellt seien und sich zu unterwerfen hätten.

Durch Bescheid vom 3. Januar 2001 entzog der Beklagte dem Kläger den Anspruch auf Versorgung ab 1. Februar 2001 und stellte die Zahlung der Grundrente ein. Nach § 1 a Abs. 2 BVG seien Leistungen mit Wirkung für die Zukunft ganz oder teilweise zu entziehen, wenn der Berechtigte während der Herrschaft des Nationalsozialismus gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen habe. Es genüge eine vorwerfbare Verantwortlichkeit dahingehend, dass dem Betroffenen die Unmenschlichkeit seines Verhaltens bewusst gewesen sei oder bei einer zumutbaren Anspannung seines Gewissens hätte bewusst sein müssen. Obwohl man davon habe ausgehen können, dass der Einsatz in K-P kein einmaliger Einsatz des Bataillons 320 gewesen sei, habe der Kläger unter Hinweis auf die Folgen einer Befehlsverweigerung und mögliche Verfahren vor dem SS- und Polizeigericht keine Versuche unternommen, in den Polizeidienst in der Heimat zurückversetzt zu werden. Dies habe er damit begründet, dass es aus rechtlichen Gründen nicht möglich gewesen sei, da er Befehle zu befolgen gehabt habe. Außerdem habe er sich darauf berufen, dass er eine Familie zu ernähren hatte. Gleichwohl seien Pflichtbewusstsein, Ehrgeiz, blinder Gehorsam und Rechtsblindheit um jeden Preis nicht geeignet, den Kläger von seiner persönlichen Verantwortlichkeit für die Teilnahme an den Exekutionen zu befreien. Unabhängig von der strafrechtlichen Verantwortlichkeit stelle sich das Verhalten als unwürdig hinsichtlich des weiteren Bezugs von Versorgungsleistungen dar. Das Vertrauen auf eine Fortgewährung der Gesamtversorgungsleistung einschließlich der Heil- und Krankenbehandlung sei nicht schutzwürdig. Die sofortige Einstellung führe unter Berücksichtigung des dem Kläger vom Landesverwaltungsamt Berlin gewährten Ruhegehalts nicht zu einer unbilligen Härte.

Mit dem Widerspruch machte der Kläger geltend, die Alternative, er habe seine Versetzung beantragen sollen, sei angesichts der Kriegsumstände und der Gegebenheiten der Befehlsstrukturen einer Polizeieinheit unrealistisch. Es habe nicht in seiner Verfügungsmacht gestanden, dass die Polizeieinheit, in der er beschäftigt gewesen sei, in der Kriegszeit zu Diensten in Osteuropa herangezogen worden sei. Es fehle eine Auseinandersetzung mit der Frage eines Befehlsnotstands, wie er in der Abschlussverfügung der Staatsanwaltschaft Dortmund angenommen worden sei. Auch habe die Einstellung des Ermittlungsverfahrens einen erheblichen Vertrauensschutz bei ihm geschaffen, der durch den immensen Zeitablauf noch verstärkt werde. Jedenfalls überwiege sein Interesse am Fortbestand der ihm seit 30 Jahren gewährten freien Heilbehandlung, da deren Entziehung eine unbillige Härte bedeute. Angesichts seines hohen Alters habe er keine Möglichkeit, die 30 %, die nicht durch Beihilfeansprüche abgedeckt seien, privat zu versichern.

Durch Widerspruchsbescheid vom 2. Mai 2001 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Der Versagungsgrund des § 1 a BVG setze keine strafrechtliche Verurteilung voraus. Es genüge die unabhängig vom Strafrecht getroffene Feststellung eines individuellen Verstoßes gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit. Weder ein langer Leistungsbezug noch ein hohes Lebensalter schlössen die Entziehung oder Minderung des Rechts auf Entschädigung mit Wirkung für die Zukunft aus. Nach der Literatur hätten die Angehörigen der Polizei-Bataillone Mittel und Wege finden können, sich von den belastenden Aufgaben zu befreien.

Der dagegen gerichteten Klage hat das Sozialgericht durch Urteil vom 22. November 2001 stattgegeben und die angefochtenen Bescheide aufgehoben. Der Entzug von Leistungen könne nur erfolgen, wenn dem Versorgungsberechtigten im Rahmen einer Einzelfallprüfung eine individuelle Schuld nachgewiesen werden könne. Dies ergebe sich schon daraus, dass auch bei einem Berechtigten, der aufgrund freiwilliger Mitgliedschaft in der SS gedient habe, auf sein individuelles Verhalten abzustellen sei. Eine individuelle Schuld sei nicht zu erkennen. Die Einlassung des Klägers, dass er erst später erfahren habe, dass sein Bewachungsauftrag in dem genannten Zusammenhang mit einer Massenerschießung stattgefunden habe, sei glaubhaft, da das Polizei-Bataillon 320 lediglich zur Absperrung eingesetzt worden sei. Für die spätere Zeit habe der Kläger angegeben, dass er an den Einsätzen des Polizei-Bataillons nicht mehr teilgenommen habe. Aus dem Akteninhalt lasse sich ein Schuldvorwurf nicht begründen. Der Verfügung des Leitenden Oberstaatsanwaltes bei dem Landgericht Dortmund vom 5. März 1962 zufolge hätten die Angehörigen des Polizei-Bataillons 320 nicht die Möglichkeit gehabt, aus ihren Einheiten auszuscheiden, weil Gesuche um Entlassung aus der Polizei oder um Versetzung an die Front erfolglos gewesen seien. Sie hätten aufgrund der Verordnung vom 17. Oktober 1939 der SS-Gerichtsbarkeit unterstanden. Eine Befehlsverweigerung hätte - da im Felde begangen - mit der Todesstrafe geahndet werden können. Diese Feststellungen seien bislang nicht im geringsten widerlegt worden. Vielmehr könne den tatsächlichen und rechtlichen Einschätzungen der Staatsanwaltschaft Dortmund auch nach heutigen Erkenntnissen in vollem Umfang gefolgt werden. Die Härte und Abschreckungspraxis der Kriegsgerichte werde in der neuesten Literatur ausdrücklich hervorgehoben. Es könne auch nicht festgestellt werden, dass der Kläger die Möglichkeit gehabt habe, in den Polizeidienst in der Heimat zurückversetzt zu werden. So seien keine konkreten Fälle dafür benannt worden, in denen Soldaten oder Angehörigen von Einsatzgruppen der Wunsch erfüllt worden wäre, in die Heimat versetzt zu werden. Vielmehr müsse darauf hingewiesen werden, dass selbst die Oberste Heeresführung die Verfolgung von Juden gebilligt habe und auch Vernichtungsaktionen keineswegs als Unrecht angesehen habe. Der Kläger habe auf keinerlei Verständnis hoffen dürfen, wenn er Befehle verweigert oder Versetzungsgesuche gestellt hätte.

Gegen das ihm am 5. Februar 2002 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Beklagten vom 12. Februar 2002. Er macht geltend, in einem ähnlich gelagerten Fall habe ein Zeuge ausgesagt, dass er auf seine Bitte nicht mehr zu derartigen Kommandos (anderweitige Massenerschießung) eingeteilt worden sei, da er den Anblick der Opfer bei den Exekutionen nicht habe ertragen können. Dies zeige, dass es dem Kläger durchaus zuzumuten gewesen sei, mit allen Kräften, z.B. auch durch eine Krankmeldung oder einen simulierten Nervenzusammenbruch, das Unrechtsverhalten zu vermeiden.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. November 2001 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten des Beklagten (2 Bände Versorgungsakten und 3 Bände Heil- und Kurakten) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat zu Recht den Bescheid vom 3. Januar 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 2. Mai 2001 aufgehoben, da diese Bescheide rechtswidrig sind und den Kläger in seinen Rechten verletzen.

Nach § 1 a Abs. 1 Satz 1 BVG sind Leistungen zu versagen, wenn der Berechtigte während der Herrschaft des Nationalsozialismus gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen hat und er nach dem 13. November 1997 einen Antrag auf Leistungen gestellt hat. Anhaltspunkte, die eine besonders intensive Überprüfung erforderlich machen, ob ein Berechtigter durch sein individuelles Verhalten gegen Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen hat, können sich insbesondere aus einer freiwilligen Mitgliedschaft des Berechtigten in der SS ergeben.

Nach § 1 a Abs. 2 BVG sind Leistungen mit Wirkung für die Zukunft ganz oder teilweise zu entziehen, wenn ein Versagungsgrund im Sinne des Abs. 1 vorliegt und das Vertrauen des Berechtigten auf eine fortwährende Gewährung der Leistungen im Einzelfall auch angesichts der Schwere der begangenen Verstöße nicht überwiegend schutzbedürftig ist. Ein Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit erfordert ein konkretes, räumlich und zeitlich eingegrenztes Verhalten, das einem Beweis zugänglich ist (vgl. BSG, SozR 3-8850 § 5 Nr. 2 Entschädigungsrentengesetz). Konkretes Verhalten in diesem Sinne ist die Teilnahme des Klägers an den Massenerschießungen in K-P. Der Kläger hat objektiv gegen die Grundsätze der Menschlichkeit verstoßen, indem er den Zug gesichert hat. Er hat dadurch die Haupttat - die heimtückische Ermordung von ca. 23.000 Menschen - objektiv gefördert. Ihm war auch - jedenfalls am 2. Tag der Exekutionen - bewusst, die Erschießung zu fördern. Das allein reicht jedoch nicht aus.

Ein Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit setzt darüber hinaus ein zurechenbares, vorwerfbares Verhalten voraus. Ein vorwerfbares Verhalten liegt nur vor, wenn der Betroffene auch schuldhaft gehandelt hat. Dies entspricht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu § 3 Satz 1 Nr. 3 a G 131 (vgl. BVerfGE 12, 264, 270). Vorwerfbar ist ein Verstoß gegen die genannten Grundsätze nur dann, wenn nicht besondere Gründe seine Schuld ausschließen (vgl. BVerwGE 31, 337, 342). Dieser Auffassung ist auch das Bundessozialgericht gefolgt (vgl. BSG a.a.O.).

Anhaltspunkte dafür, dass abweichend hiervon zum Leistungsausschluss nach § 1 a Abs. 1 BVG schon der objektive Verstoß gegen Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit genügt, liegen nicht vor. Schon der Wortlaut des § 1 a Abs. 1 Satz 2 BVG, der auf das individuelle Verhalten des Berechtigten abstellt, weist auf das Erfordernis des Verschuldens hin. Auch lässt sich den Gesetzesmaterialien kein entgegenstehender Wille entnehmen. Vielmehr finden sich in der Beschlussfassung und dem Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung vom 12. November 1997 (BT-Drucksache 13/8980) mehrfach Hinweise darauf, dass sowohl in der öffentlichen Anhörung vom 14. Mai 1997 von den dort gehörten Sachverständigen der Nachweis einer individuellen Schuld gefordert wurde (vgl. unter III S. 6, 7) als auch in den Ausschussberatungen diese Auffassung vertreten wurde (vgl. IV S. 7).

Besondere Gründe schließen die Schuld des Klägers vorliegend aus. Hierzu kann nicht allein auf die Einstellungsverfügung des Leitenden Oberstaatsanwaltes bei dem Landgericht Dortmund vom 28. Februar 1962 abgestellt werden. Danach ist es lediglich nicht ausgeschlossen, dass die Voraussetzungen des Befehlsnotstandes vorgelegen haben. Ergänzend wird ausgeführt, dass selbst dann, wenn die objektiven Voraussetzungen des Notstandes nicht vorgelegen haben sollten, das Verfahren einzustellen sei, weil den Beschuldigten nicht zu widerlegen sei, dass sie sich jedenfalls in einem vermeintlichen Notstand (Putativnotstand) befunden hätten. Ein Putativnotstand stellt jedoch keinen Schuldausschließungsgrund dar. Abgesehen davon handelt es sich bei der Einstellungsverfügung um allgemeine Erörterungen, während es im vorliegenden Verfahren um die Beurteilung des individuellen Verhaltens des Klägers geht.

Auf der Grundlage der Anhörung des Klägers durch den Beklagten steht zur Überzeugung des Senats fest, dass ihm der Schuldausschließungsgrund "Befehlsnotstand" zuzuerkennen ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für Strafsachen (BGHSt) gelten auch bei der Durchführung verbrecherischer Befehle die allgemeinen Notstandsbestimmungen uneingeschränkt (vgl. BGH NJW 1964, 730 f.). Danach ist ein Täter nur entschuldigt, wenn ihm nicht nur objektiv eine Gefahr für Leib oder Leben drohte, sondern ihm die Handlung durch die Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben abgenötigt wird. Sein Wille muss durch diese Drohung gebeugt werden (vgl. BGHSt 3, 271, 275). Hierzu hat der Kläger sowohl in seiner Vernehmung vor dem Staatsanwalt im Jahre 1962 als auch bei seiner Anhörung vom 29. November 2000 angegeben, dass er unter dem Eindruck gestanden habe, eine Befehlsverweigerung werde durch ein SS-Gericht geahndet. Er hat diese Gefahr konkret dahingehend beschrieben, dass das Bataillon wiederholt eindrücklich auf die Folgen einer Befehlsverweigerung hingewiesen worden sei.

Des Weiteren kann sich nach der Rechtsprechung des BGH nur auf einen Nötigungsnotstand berufen, wer sich nach allen Kräften bemüht hat, der Gefahr oder vermeintlichen Gefahr auf eine Straftat vermeidende Weise zu entgehen (vgl. BGH, NJW 1972, 832 f und BGH NJW 63, 258 f). Der Handelnde darf nicht die für ihn einfachste und bequemste Lösung wählen, wenn ein möglicher Ausweg aus der Zwangslage für ihn zumutbar ist. In der konkreten Situation, in der der Kläger mit seiner Gruppe zur Sicherung des Zuges eingesetzt war, hatte er keine Möglichkeit, der Gefahr auf eine die Straftat vermeidende Weise zu entgehen. Die einzige Alternative, die sich ihm bot, war die Befehlsverweigerung, die - wie das Sozialgericht bereits umfassend dargelegt hat - mit der Gefahr für Leib und Leben verbunden war.

Soweit der Beklagte demgegenüber eingewendet hat, ein Zeuge habe sich geweigert, an der Exekution teilzunehmen, folgt daraus nichts anderes. Denn für die Teilnahme an der Exekution selbst hat ein Betroffener ausgesagt, der Hauptmann der 3. Kompanie, die an den Erschießungen selbst beteiligt war, habe in seiner Ansprache erwähnt, dass er dem Einzelnen nicht den Befehl geben könne, mitzuschießen (Zitat nach Klaus Michael Mallmann "Der qualitative Sprung im Vernichtungsprozess, Das Massaker von Kamenez-Podolsk Ende August 1941" im Jahrbuch für Antisemitismusforschung 10, 2001, S. 239, 253). Dem Zeugen, der sich nach seinen Angaben auf die Haager Landkriegsordnung bezogen hatte, wurde attestiert, dass er "krank sei und schon aus diesem Grunde an der Judenaktion nicht teilzunehmen brauche". Dafür, dass dem Kläger ein derartiges "legales Schlupfloch" eröffnet worden wäre, ergibt sich kein Anhaltspunkt, zumal der Kläger nicht zur Exekution selbst eingeteilt worden war.

Die fehlende Versetzungsbemühung in der Folgezeit ist nicht als Beweisanzeichen dafür geeignet, dass der Kläger nicht alles ihm Zumutbare getan hat, Straftaten zu vermeiden. Vielmehr ist in der Einstellungsverfügung vom 5. März 1962 nachvollziehbar dargelegt, dass die Angehörigen des Polizei-Bataillons nicht die Möglichkeit hatten, aus ihren Einheiten auszuscheiden, weil Gesuche um Entlassungen aus der Polizei oder um Versetzung an die Front erfolglos gewesen wären. Dies folgt schon daraus, dass das Bataillon dem Höheren SS- und Polizeiführer Russland-Süd für besondere Einsätze unmittelbar unterstellt worden war.

Die Tatsache, dass der Kläger sich auch nicht in der Folgezeit um eine Versetzung bemühte, stellt als solche ebenfalls keinen Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit dar. Zum einen handelt es sich hierbei nicht um ein konkretes, räumlich und zeitlich eingegrenztes Verhalten (vgl. BSG a.a.O.), sondern um einen Zustand über 12 Monate. Zum anderen macht auch § 1 a Abs. 1 Satz 2 BVG deutlich, dass selbst die freiwillige Mitgliedschaft in der SS als solche nicht zum Leistungsausschluss führt, sondern lediglich eine besonders intensive Überprüfung dahingehend erforderlich macht, ob durch ein individuelles Verhalten gegen die Grundsätze verstoßen worden ist. Ein derartiger individueller Verstoß in der Folgezeit konnte dem Kläger nicht nachgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und entspricht dem Ergebnis in der Hauptsache.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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