L 2 U 145/01

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 69 U 350/01
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 2 U 145/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 14. September 2001 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Streitig ist, ob die psychische Erkrankung des Klägers wie eine Berufskrankheit anzuerkennen und zu entschädigen ist.

Der 1959 geborene Kläger war seit seiner Ausbildung von April 1976 bis zum 31. Oktober 1999, seit Mai 1993 als Hauptsachbearbeiter/Abschnittsleiter, bei der B tätig. Seit dem 1. November 1999 bezieht er Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Dauer. Mit Schreiben vom 10. August 2000 bat er die Beklagte um Prüfung, ob ihm wegen seiner Erkrankung, die er auf Mobbing am Arbeitsplatz zurückführe, Leistungen aus der Unfallversicherung zu gewähren seien. Mit Bescheid vom 27. September 2000 lehnte die Beklagte eine Entschädigung wegen der Folgen der Erkrankung an Depressionen und inneren Unruhezuständen ab, weil diese weder als Berufkrankheit noch wie eine Berufskrankheit anzuerkennen seien. Die Erkrankung sei nicht in der Berufskrankheitenliste enthalten und es lägen auch nicht die Voraussetzungen für eine Anerkennung wie eine Berufskrankheit vor, Mobbing am Arbeitsplatz sei nicht nur auf eine bestimmte Personengruppe begrenzt, sondern ziehe sich durch alle beruflichen Gruppen und Berufszweige. Eine besonders gefährdete Personengruppe, wie sie für die Anerkennung nach § 9 Abs. 2 Sozialgesetzbuch, Siebtes Buch (SGB VII) erforderlich sei, lasse sich bei dieser allgemein verbreiteten, der gesamten Arbeitswelt eigentümlichen Belastung nicht feststellen.

Sein hiergegen gerichteter Widerspruch, mit dem der Kläger vortrug, als leitender Angestellter sei er besonderen typischen persönlichen Diskriminierungen ausgesetzt gewesen, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 11. Mai 2001).

Mit seiner Klage hat der Kläger geltend gemacht, es bestehe ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Mobbing und der Gewährung der Erwerbsunfähigkeitsrente. Seine Tätigkeit als Hauptsachbearbeiter/Abschnittsleiter beim Versicherungsträger für die Zusatzversorgungssysteme habe aufgrund der personellen Strukturen und Zuständigkeiten eine besondere Gefahrenlage für Mobbing geborgen. Er hat ein Attest des Facharztes für Nerven- und Gemütskrankheiten Dr. R vom 1. Oktober 1999 und Schriftwechsel mit seiner früheren Arbeitgeberin eingereicht.

Das Sozialgericht Berlin hat die Klage durch Urteil vom 14. September 2001 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die bei dem Kläger bestehende schwere psychische Gesundheitsstörung könne nicht wie eine Berufkrankheit im Sinne des § 9 Abs. 2 SGB VII anerkannt werden, denn der Kläger sei durch seine berufliche Tätigkeit keinen "besonderen" Einwirkungen im Sinne des § 9 Abs. 2 SGB VII ausgesetzt gewesen. Das Phänomen des Mobbing ziehe sich vielmehr durch das gesamte Erwerbsleben und sei nicht, wie vom Kläger behauptet, in besonderer Weise mit der Tätigkeit eines Hauptsachbearbeiters/ Abteilungsleiters bei der B bzw. dem Versorgungsträger für die Zusatzversorgungssysteme verbunden. Die das Mobbing prägenden Gesamtumstände seien nach Auffassung der Kammer noch nicht einmal auf den Bereich des Erwerbslebens zu begrenzen, sondern ebenso in privaten Lebensbereichen zu finden. Beim Mobbing fehle es wegen der Vielfalt der Einwirkungsmöglichkeiten zudem an der für die Anerkennung einer Berufskrankheit erforderlichen Konturengebung für die konkrete Einwirkung im Sinne des § 9 Abs. 2 SGB VII.

Gegen das am 3. November 2001 zugestellte Urteil wendet sich die am 6. November 2001 eingegangene Berufung, mit der der Kläger vorträgt, der Hinweis, Mobbing komme auch in Familien vor, gehe fehl, weil dann keine versicherte Tätigkeit vorliege. Bei ihm sei aber die zur dauerhaften Berentung führende psychische Erkrankung durch den Arbeitgeber verursacht worden und es habe trotz Einschaltung der Geschäftsführung keine Abhilfe geschaffen werden können. Das Fehlen von Forschungsprojekten beweise, dass psychische Erkrankungen nicht ausreichend gewürdigt würden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 14. September 2001 und den Bescheid der Beklagten vom 27. September 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Mai 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, schwere Depressionen und innere Unruhezustände wie eine Berufskrankheit anzuerkennen und ihm eine Verletztenteilrente nach einer MdE von mindestens 20 v. H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil unter Hinweis auf die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. August 2001 -L 7 U 18/01- (HVBG-Info 35/2001, 3261 ff) und des Landessozialgerichts Hamburg vom 23. Juli 1997 -24 U 237/91- für zutreffend.

Der Senat hat zur weiteren Sachaufklärung eine Auskunft des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung vom 12. August 2002 eingeholt und auf Anregung des Klägers eine Kurzfassung des Mobbing-Reports der Sozialforschungsstelle Dortmund beigezogen.

Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Außerdem wird auf den weiteren Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die vorlagen und Gegenstand der Entscheidung waren.

II.

Der Senat konnte gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss entscheiden, weil er die Berufung einstimmig nicht für begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten wurden zu dieser Verfahrensweise angehört (§ 153 Abs. 4 Satz 2 SGG).

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung ist zulässig, sie ist jedoch nicht begründet, denn die angefochtenen Bescheide sind - wie das Sozialgericht zutreffend entschieden hat - rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.

Eine Anerkennung der psychischen Erkrankung als Berufskrankheit im Sinne des § 9 Abs. 1 SGB VII scheidet bereits deshalb aus, weil weder Mobbing noch die aus ihm resultierenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen in der Anlage der Berufskrankheitenverordnung (BKVO) als Berufskrankheiten aufgeführt sind.

Zwar eröffnet § 9 Abs. 2 SGB VII in Abweichung vom Listen- oder Enumerationsprinzip des Abs. 1 die Möglichkeit, ausnahmsweise auch Krankheiten zu entschädigen, die nicht in der BKVO aufgeführt sind. Als Ausnahmeregelung ist sie jedoch keine individuelle Härteklausel, nach der nur deshalb zu entschädigen wäre, weil die Nichtentschädigung für den Betroffenen eine individuelle Härte bedeuten würde. Sie will auch nicht erreichen, dass jede Krankheit, deren ursächlicher Zusammenhang mit der Berufstätigkeit im Einzelfall nachgewiesen oder hinreichend wahrscheinlich ist, wie eine Berufskrankheit entschädigt werden soll. § 9 Abs. 2 SGB VII bezieht sich vielmehr ausschließlich auf solche Krankheiten, die nur deshalb nicht in die Liste aufgenommen worden sind, weil die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die besondere Gefährdung bestimmter Personengruppen in ihrer Arbeit bei der letzten Fassung der Anlage 1 zur BKVO noch nicht vorhanden oder dem Verordnungsgeber nicht bekannt waren oder trotz Nachprüfung noch nicht ausreichten (BSGE 59, 295, 297 m. w. N.). Entsprechende neue medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse über durch Mobbing verursachte psychische Erkrankungen, die zur sog. Verordnungsreife führen könnten, sind jedoch beim gegenwärtigen Stand der Forschung nicht ersichtlich. Dies ergibt sich zum einen aus der Auskunft des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung vom 12. August 2002, derzufolge die Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 SGB VII durch Mobbing überhaupt nicht erfüllt werden können, weil Mobbing je nach Betroffenem eine Vielzahl völlig unterschiedlicher Symptome und Beschwerden auslösen könne und in den unterschiedlichsten Berufen und Betätigungsfeldern auftrete, so dass eine besondere abstrakte Gefährdung bestimmter Personengruppen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung nicht vorliege. Aber auch aus der - auf Anregung des Klägers - beigezogenen Kurzfassung des Mobbing-Reports der Sozialforschungsstelle Dortmund ergeben sich keine abweichenden Erkenntnisse. Nach dem Ergebnis der Untersuchung der Sozialforschungsstelle Dortmund sind jährlich 5,5 % der Erwerbstätigen in der Bundesrepublik von Mobbing betroffen, wobei es keine "mobbingfreie" Zone gibt, sondern sich das Phänomen des Mobbing quer durch alle Berufsgruppen, Branchen und Betriebsgrößen sowie Hierarchiestufen und Tätigkeitsniveaus zieht. Es wird also durch diese Studie bestätigt, dass gerade keine von Mobbing besonders betroffene Personengruppe existiert, sondern es sich um ein im Erwerbsleben - leider - häufig anzutreffendes Problem handelt. Es liegen demzufolge nach wie vor keine neuen Erkenntnisse zur Bedeutung von Mobbing am Arbeitsplatz für bestimmte Berufsgruppen vor, die die Anerkennung der psychischen Erkrankung des Klägers wie eine Berufskrankheit gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII ermöglichen.

Die vom Kläger angeregte Aufklärung der personellen Strukturen und Zuständigkeiten in seinem früheren Arbeitsbereich konnte im Hinblick darauf unterbleiben, dass allgemein keine Berufsgruppen feststellbar sind, die einer gegenüber dem Bevölkerungsdurchschnitt erhöhten Mobbing-Gefahr ausgesetzt sind. Selbst wenn die Verursachung der psychischen Erkrankung des Klägers durch Mobbing am Arbeitsplatz unterstellt wird, scheidet eine Anerkennung wie eine Berufskrankheit im Sinne des § 9 Abs. 2 SGB VII aus, weil die Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 SGB VII - wie zuvor ausgeführt - nicht gegeben sind.

Die Berufung war somit zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten folgt, orientiert am Ergebnis der Hauptsache, aus § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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