Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 7 RJ 158/99
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 2 RJ 130/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 12. April 2001 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt von der Beklagten Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Der im ... 1950 geborene Kläger, der eine Ausbildung nicht absolviert hat, war als Transportarbeiter (Juli 1965 bis Mai 1968), Bauarbeiter (Mai 1968 bis April 1973), Holzarbeiter (Mai 1973 bis Oktober 1973) und Lagerarbeiter bzw. Möbeltransporteur (Oktober 1973 bis Februar 1990) tätig. Zuletzt arbeitete er von März 1990 bis Juni 1990 als Warenbegleiter (Beifahrer). Seither ist er arbeitslos. Zum 29. Juli 1999 erkrankte er arbeitsunfähig.
Einen im Februar 1996 gestellten Rentenantrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 21. Mai1996 ab.
Im Juli 1998 beantragte der Kläger wegen zweier Leistenbruchoperationen und Gicht erneut Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Die Beklagte holte verschiedene ärztliche Unterlagen bei und veranlasste das Gutachten der Ärztin für Innere Medizin, Sozialmedizin und Rehabilitationswesen Dr. H. vom 23. September 1998.
Mit Bescheid vom 30. September 1998 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ab. Trotz chronischer Schmerzen in der rechten Leistenregion bei Zustand nach Operation einer Scrotalhernie rechts bei Hernia inguinalis lateralis dextra mit Revisionsoperation wegen postoperativer Sanguinatio im Oktober 1989, Adipositas, einer Hyperuricämie und einer intellektuellen Minderbegabung - Analphabetismus könne der Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch vollschichtig tätig sein.
Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, er habe starke Schmerzen im Bereich der rechten Leistenregion und der Kniegelenke. Gehen sei für ihn ein großes Problem. Durch die Gichtanfälle bestünden Beschwerden im Bereich der Oberschenkel, Kniegelenke und Füße. Jede Belastung bzw. Bewegung falle ihm schwer. Die Schmerzen seien unerträglich. Auf dem Arbeitsmarkt habe er keine Chance. Die Beklagte zog weitere ärztliche Unterlagen bei und holte das Gutachten des Facharztes für Chirurgie Dr. S. vom 16. Dezember 1998 ein.
Mit Widerspruchsbescheid vom 18. März 1999 wies die Beklagte den Widerspruch zurück: Trotz der festgestellten Gesundheitsstörungen sei der Kläger noch in der Lage, leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten im Wechsel der Haltungsarten bzw. in allen Haltungsarten ohne häufiges Heben, Tragen und Bewegen von Lasten, häufiges Bücken, besondere Anforderungen an das geistige Leistungsvermögen, die Umstellungs-, Anpassungsfähigkeit und die Verantwortung vollschichtig auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten.
Dagegen hat der Kläger am 31. März 1999 beim Sozialgericht Neuruppin Klage erhoben und vorgetragen, es sei eine Verschlimmerung eingetreten. Er hat verschiedene ärztliche Unterlagen beigefügt.
Das Sozialgericht hat die Befundberichte der Fachärztin für Chirurgie Dr. K. vom 17. August 1999 und des Praktischen Arztes Dr. S. vom 23. September 1999 sowie das Arbeitsamtsgutachten der Fachärztin für Allgemeinmedizin A. vom 21. April 1999 eingeholt. Außerdem hat es Beweis erhoben durch das schriftliche Sachverständigengutachten des Arztes für Orthopädie und Rheumatologie Prof. Dr. S. vom 18. Dezember 2000.
Der Kläger hat vorgetragen, er halte das Gutachten nicht für richtig.
Mit Urteil vom 12. April 2001 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen: Der Kläger habe keinen Beruf erlernt, so dass ihm alle Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zumutbar seien. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme könne er dort vollschichtig leichte körperliche Arbeiten ohne Heben und Tragen von Lasten von mehr als 10 kg und ohne überwiegend oder ausschließliche Arbeit in Zwangshaltungen verrichten, so dass er weder berufs- noch erwerbsunfähig sei.
Gegen das an ihn am 10. Mai 2001 als Übergabeeinschreiben zur Post aufgegebene Urteil richtet sich die am 08. Juni 2001 eingelegte Berufung des Klägers, mit der er vorträgt:
Er leide seit 1972 an Gicht in den Kniegelenken. 1989 seien zwei Hodenoperationen durchgeführt worden, wobei auf der einen Seite der Hoden entfernt worden sei. Seither habe er ständige Schmerzen in der Leistengegend. Beim Arbeitsamt werde er als schwer vermittelbar geführt und sei für die Tätigkeit als Pförtner registriert. Ob er jedoch 8 Stunden täglich arbeiten könne, sei zu bezweifeln. Sein Gesundheitszustand habe sich verschlechtert.
Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,
das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 12. April 2001 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 30. September 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. März 1999 zu verurteilen, dem Kläger Rente wegen Berufsunfähigkeit und wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Erwerbsminderung ab 01. Januar 2001, zu gewähren und die höhere Rente zu leisten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Sie gehe davon aus, dass es bundesweit in ausreichender Zahl Arbeitsplätze gebe, auf denen körperlich leichte bis zeitweise mittelschwere Sortierarbeiten auszuführen seien, bei denen Schreib- sowie Lesekenntnisse nicht erforderlich seien.
Der Senat hat die Auskünfte des Praktischen Arztes Dr. S. vom 28. Februar 2003 und der Fachärztin für Chirurgie Dr. K. eingeholt und, nachdem er Auszüge aus den Berufsinformationskarten (BIK) zum Pförtner (BO 793) und zu Warenprüfer, -sortierer (BO 521) sowie die berufskundliche Stellungnahme des M. L. vom 14. Februar 2000 zum Pförtner beigezogen hatte, mit Beweisanordnung vom 18. April 2002 den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. Cuypers mit der Erstattung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens beauftragt. Trotz zweimaliger Aufforderung durch den Sachverständigen und den Hinweis des Senats, dass im Falle der Weigerung auf der Grundlage des bisherigen Beweisergebnisses entschieden werden müsste, hat sich der Kläger nicht zur Untersuchung eingefunden. Der Senat hat daraufhin Beweis erhoben durch das schriftliche berufskundliche Gutachten des M. L. vom 17. Januar 2003.
Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird u. a. auf Blatt 58 bis 75 und 149 bis 152 der Gerichtsakten verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten ( ...), die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid vom 30. September 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. März 1999 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat weder Anspruch auf Rente wegen Berufs- noch wegen Erwerbsunfähigkeit. Ihm steht auch Rente wegen Erwerbsminderung nicht zu.
Als Anspruchsgrundlagen kommen auch weiterhin die §§ 43 und 44 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der Fassung vor dem am 01. Januar 2001 in Kraft getretenen Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (EM-Reformgesetz) vom 20. Dezember 2000 (BGBl. I 2000, 1827) in Betracht. Nach § 300 Abs. 2 SGB VI sind aufgehobene Vorschriften dieses Gesetzbuches auch nach dem Zeitpunkt ihrer Aufhebung noch auf den bis dahin bestehenden Anspruch anzuwenden, wenn der Anspruch bis zum Ablauf von drei Kalendermonaten nach der Aufhebung geltend gemacht wird. Dies ist vorliegend der Fall, denn der maßgebende Antrag wurde bereits im Juli 1998 gestellt.
Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit, wenn sie berufsunfähig sind und weitere - beitragsbezogene - Voraussetzungen erfüllen. Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfanges ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (§ 43 Abs. 2 SGB VI).
Der Kläger ist hiernach nicht berufsunfähig. Er kann zwar nicht mehr den Beruf eines Warenbegleiters (Beifahrers) ausüben. Er ist jedoch noch in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt als Warenprüfer (Warensortierer) vollschichtig zu arbeiten.
Ausgangspunkt der Beurteilung der Berufsunfähigkeit ist der bisherige Beruf. Dies ist in der Regel die letzte, nicht nur vorübergehend vollwertig ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit, jedenfalls dann, wenn diese zugleich die qualitativ höchste ist (Bundessozialgericht - BSG - SozR 2200 § 1246 Nrn. 53, 94, 130).
Der Beruf des Warenbegleiters (Beifahrers) ist hiernach maßgeblicher Beruf.
Die beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen schließen eine weitere Beschäftigung in diesem Beruf aus. Dies folgt aus dem medizinischen Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. S. und des berufskundlichen Gutachtens des M. L.
Nach Prof. Dr. S. bestehen eine degenerative Erkrankung der Wirbelsäule, eine Osteoporose mit gering- bis mittelgradigen Nervenwurzelreizerscheinungen, eine Übergewichtigkeit, eine Fußfehlform, eine Alkoholkrankheit, ein Zustand nach zweimal operiertem Leistenbruch und Hemikastration und ein geringgradiges Leistenbruchrezidiv. Dies ist unzweifelhaft, denn die vorliegenden Befundberichte und Gutachten anderer Ärzte stimmen hiermit im Wesentlichen überein. Es handelt sich um dieselben Gesundheitsstörungen, auch wenn diese dort teilweise anders bezeichnet werden.
Das Vorliegen von Gicht ist nach diesem Sachverständigen nicht eindeutig nachgewiesen. Bei seiner klinischen Untersuchung hat er keine Befunde erhoben, die für eine manifeste Gichterkrankung sprechen. Röntgenologisch ist dafür ebenfalls kein Hinweis vorhanden gewesen.
Im Gutachten der Ärztin für Innere Medizin, Sozialmedizin und Rehabilitationswesen Dr. H. vom 23. September 1998 wird zwar eine Hyperuricämie erwähnt. Die Laboruntersuchung erbrachte jedoch keine erhöhten Gichtwerte, worauf der Sachverständige Prof. Dr. S. hingewiesen hat. Die Harnsäure lag mit einem Messwert von 4,5 mg/dl im Normalbereicht (3,0 bis 7,0 mg/dl). Der Kläger gab seinerzeit an, maximal einmal im Jahr einen Gichtanfall zu erleiden.
Im Arbeitsamtsgutachten der Fachärztin für Allgemeinmedizin A. vom 21. April 1999 findet sich ebenfalls die Diagnose einer Arthritis urica. Es bleibt jedoch offen, aufgrund welcher Befunde diese festgestellt wurde. Laboruntersuchungen fanden jedenfalls nicht statt. Offensichtlich beruht die Angabe dieses Leidens auf der Mitteilung des Klägers, wonach er ca. zwei- bis dreimal jährlich einen Gichtanfall erleide.
Im Übrigen teilte noch der Praktische Arzt Dr. S. im Befundbericht vom 23. September 1999 mit, der Kläger habe sich vom 29. Juli bis 10. September 1999 bei ihm in Behandlung wegen Gicht befunden. Konkrete Befunde oder Laborergebnisse gab jedoch auch dieser Arzt nicht an.
Allerdings findet sich in den Verwaltungsakten der Beklagten ein von der Fachärztin für Chirurgie Dr. K. übersandter Laborbericht vom 02. Juli 1998, in dem eine erhöhte Harnsäure mit 554 m mol/l bei Normwert bis 482 m mol/l dokumentiert ist. Das einmalige vorübergehende Auftreten eines Gichtanfalles kann daher als belegt gelten.
Angesichts dessen ist nicht mit Sicherheit belegt, dass beim Kläger eine andauernde Gichterkrankung vorliegt. Ungeachtet dessen schließt der Senat ein solches Leiden allerdings auch nicht aus. Im Hinblick auf die Angaben des Klägers über die Anzahl der Gichtanfälle kommt dieser Gesundheitsstörung jedoch keine wesentliche Bedeutung bei der Beurteilung des Leistungsvermögens zu. Das zeitweise Bestehen einer Gesundheitsstörung, auch wenn dadurch die Erwerbsfähigkeit vorübergehend beeinflusst wird, begründet noch keine Minderung des Leistungsvermögens im Sinne des Rechts der gesetzlichen Rentenversicherung. Die Erwerbsfähigkeit muss vielmehr nicht nur vorübergehend - worunter ein Zeitraum von mehr als sechs Monaten verstanden wird - herabgesunken sein (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, S. 670 f. VI; Hauck/Haines, Sozialgesetzbuch SGB VI, gesetzliche Rentenversicherung, Kommentar, 60. Ergänzungslieferung, K § 43 Rdnr. 22, K § 44 Rdnr. 15; BSG SozR 2200 § 1247 Nr. 16), so dass kurzzeitige Erkrankungen außer Betracht zu bleiben haben. Diese bedingen allenfalls Arbeitsunfähigkeit. Außerhalb der vorübergehenden Zeiten eines Gichtanfalles lassen sich, wie sich aus dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. S., aber auch dem Gutachten der Ärztin für Innere Medizin, Sozialmedizin und Rehabilitationswesen Dr. H. vom 23. September 1998 ergibt, diesbezüglich keine Funktions- oder Leistungseinschränkungen feststellen. Nach beiden Gutachten waren die Gelenke frei beweglich. Dem Gutachten des Facharztes für Chirurgie Dr. S. vom 16. Dezember 1998 sind, auch bezüglich der unteren Extremitäten, keine wesentlich abweichenden Bewegungsmaße zu entnehmen. Es werden in diesen Gutachten auch keinerlei Rötungen oder Schwellungen der Gelenke genannt.
Wenn der Sachverständige Prof. Dr. S. aufgrund der festgestellten Gesundheitsstörungen zu der Auffassung gelangt ist, der Kläger könne noch leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten ohne überwiegende oder ausschließliche Zwangshaltungen und ohne ständiges Tragen von Lasten über 5 kg, wobei das Tragen von Lasten bis 10 kg zeitweilig zumutbar sei, verrichten, ist dies nachvollziehbar. Die Minderung der Leistungsfähigkeit ist nach Prof. Dr. S. nur gering. Sie rührt einerseits aus der verminderten Belastbarkeit des Stütz- und Bewegungsapparates und andererseits aus dem Zustand nach zweimal operiertem Leistenbruch bei geringgradigem Leistenbruchrezidiv.
Der Sachverständige Prof. Dr. S. hat bis auf einen Rundrücken im Bereich der Brustwirbelsäule keine krankhaften klinischen Befunde im Bereich der Wirbelsäule festgestellt. Röntgenologisch hat die Halswirbelsäule u. a. deutliche Erniedrigungen der Zwischenwirbelräume, eine so genannte Uncarthrose und verplumpte sowie sklerosierte Bogengelenke gezeigt. In der Röntgenaufnahme der Lendenwirbelsäule sind eine leichte Verdrehung der Wirbelkörper untereinander, wahrscheinlich projektionsbedingt, ein gering erniedrigter Kalksalzgehalt, vereinzelte Osteophyten, eine Verplumpung und Sklerosierung der Bogengelenke und zentrale Impressionen im Sinne von Fischwirbelbildungen als Hinweis auf ein Osteoporose deutlich geworden.
Prof. Dr. S. hat im Bereich der oberen Extremitäten eine gering herabgesetzte Feinmotorik beider Hände und einen leichten Tremor vorgefunden. Dies sowie eine blasse Haut und gerötete Augen hat er als Hinweise auf eine chronische Alkoholkrankheit gewertet, die ausgeprägt sei, obwohl der Kläger nicht nach Alkohol gerochen haben. Insgesamt habe er einen sehr ungepflegten Eindruck gemacht; die übliche mitteleuropäische Hygiene sei am Körper bereits seit längerer Zeit nicht mehr verrichtet worden. Prof. Dr. S. hat im Bereich der Hohlhand jedoch auch leichte Schwielenbildungen als Ausdruck für körperliche Belastungen erkennen können. Bereits im Gutachten des Facharztes für Chirurgie Dr. S. vom 16. Dezember 1998 werden derb beschwielte Handflächen erwähnt, die der Kläger seinerzeit mit dem Abstützen beim Aus-dem-Fenster-schauen begründete.
Im Bereich der unteren Extremitäten hat der Sachverständige Prof. Dr. S. eine erhebliche X-Bein-Stellung beidseits, vereinzelte endgradige Hüftgelenksbewegungsbeschwerden, am rechten Kniegelenk geringe Knackgeräusche und ein geringgradiges Kniescheibenreiben sowie einen geringgradigen Senk-Spreiz-Knick-Fuß vorgefunden. Bei der Gangprüfung hat sich ein etwas plumper Gangablauf feststellen lassen. Die Schrittlängen sind etwas verkürzt gewesen. Der Abrollvorgang ist nicht vollständig ausgeführt worden. Die Füße sind in Außendrehfehlstellung aufgesetzt worden. Die Röntgenunterlassung des rechten Kniegelenkes hat allerdings lediglich vereinzelt zystische Veränderungen offenbart.
Die dargestellten Befunde lassen die nur geringe Minderung der Leistungsfähigkeit nachvollziehbar werden. Gleichwohl wird deutlich, dass der Kläger stärkere Belastungen vermeiden muss. Prof. Dr. S. hat beurteilt, dass sich als Folge der ausgeprägten Alkoholkrankheit eine Osteoporose gebildet hat, die zu gering- bis mittelgradigen Nervenwurzelreizerscheinungen führt, die die Beschwerden des Klägers erklären. Die von diesem Sachverständigen genannten Leistungseinschränkungen tragen der verminderten Belastbarkeit des Stütz- und Bewegungsapparates hinreichend Rechnung, insbesondere wegen der Beschränkung auf leichte körperliche Arbeit. Zur Vermeidung eines größeren Leistenbruchsrezidivs ist zudem schlüssig, dass größere Tragebelastungen ausscheiden müssen.
Wenn eine Tätigkeit den dargestellten qualitativen Leistungseinschränkungen gerecht wird, ist, ohne dass zusätzliche Befunde oder Gesichtspunkte hinzutreten, aber zugleich auch ein vollschichtiges Leistungsvermögen, wie dies der Sachverständige Prof. Dr. S. insoweit in Übereinstimmung mit den Gutachten der Ärztin für Innere Medizin, Sozialmedizin und Rehabilitationswesen Dr. H. vom 23. September 1998, des Facharztes für Chirurgie Dr. S. vom 16. Dezember 1998 und des Arbeitsamtsgutachtens der Fachärztin für Allgemeinmedizin A. vom 21. April 1999 angenommen hat, folgerichtig. Die Gesundheitsstörungen sind nicht so schwerwiegend, dass sie eine Reduzierung des Leistungsvermögens in zeitlicher Hinsicht rechtfertigen könnten.
Mit den festgestellten Leistungseinschränkungen kann der Kläger allerdings nicht mehr als Warenbegleiter (Beifahrer) arbeiten.
Nach seinen Angaben hatte er als Warenbegleiter Milchkästen vom Fahrzeug zu nehmen und zu verteilen. Dieser Aufgabe ist er nicht mehr gewachsen, wie der berufskundliche Sachverständige L. eingeschätzt hat. Danach erfordert die Tätigkeit als Warenbegleiter (Beifahrer) das regelmäßige Heben und Tragen von Lasten über 5 bzw. 10 kg.
Damit ist der Kläger jedoch noch nicht berufsunfähig. Ausgehend von seinem Beruf muss er sich auf alle Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisen lassen. Dies begründet für ihn keinen unzumutbaren sozialen Abstieg und ist ihm auch gesundheitlich noch möglich.
Nach § 43 Abs. 2 SGB VI können Versicherten grundsätzlich solche Tätigkeiten zugemutet werden, die in ihrer Wertigkeit dem bisherigen Beruf nicht zu fern stehen (BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr. 50 m. w. N.). Nach dem vom BSG zur Bestimmung der Wertigkeit eines Berufes entwickelten Mehrstufenschema werden die Arbeiterberufe in vier Gruppen eingeteilt, nämlich die des Facharbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw. des besonders qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren), des angelernten Arbeiters (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildung von drei Monaten bis zu zwei Jahren) und des ungelernten Arbeiters (Einarbeitung bzw. Einweisung von weniger als drei Monaten). Im Rahmen dieses Mehrstufenschemas dürfen Versicherte, ausgehend von einer hiernach erfolgten Einstufung ihres bisherigen Berufes, nur auf die jeweils nächst niedrigere Gruppe verwiesen werden (BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 132; BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr. 45).
Davon ausgehend ist die Tätigkeit eines Warenbegleiters (Beifahrers) in die Gruppe des ungelernten Arbeiters einzuordnen, denn für die vom Kläger geschilderten Aufgaben ist eine Einarbeitungs- bzw. Einweisungszeit von wenigstens drei Monaten nicht ersichtlich. Der Kläger ist daher auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar. Dem steht nicht entgegen, dass er Analphabet ist. Daraus folgt lediglich, dass die Beklagte eine konkrete Verweisungstätigkeit benennen muss (vgl. Urteil des BSG vom 04. November 1998 - B 13 RJ 13/98 R = SozR 3-2200 § 1246 Nr. 62). Die Beklagte ist dem mit der Benennung der Tätigkeit eines Warenprüfers bzw. Warensortierers nachgekommen. Für diesen Beruf kommt der Kläger nach dem Gutachten des berufskundlichen Sachverständigen L. noch in Betracht.
Die Aufgaben eines Warenprüfers bzw. Warensortierers bestehen danach in einfachen Sortierarbeiten an Laufbändern. Als Beispiele hat der Sachverständige L. die Flaschensortierung, Wertstoffsortierung oder Eiersortierung sowie die Überwachung automatisierter Abpackvorgänge genannt. Hierbei wird das Verpacken bzw. Einfüllen flüssiger oder loser Erzeugnisse in Flaschen, Dosen, Beutel, Tuben oder ähnliches kontrolliert. Es werden Füllstandmengen überwacht, Einzelteile herausgenommen, die nicht den Qualitätsvorgaben entsprechen, Aufkleber nachgelegt und insgesamt der Lauf der Maschine überwacht.
Diese Aufgaben setzen keine Kenntnisse oder Fähigkeiten voraus. Alle notwendigen Erfordernisse werden im Rahmen einer Kurzeinweisung vermittelt, die den Zeitraum von drei Monaten nicht überschreitet. Insbesondere ist für die Ausführung der Aufgaben eines Warenprüfers bzw. Warensortierers weder Lesen, Schreiben noch Rechnen erforderlich. Damit kommt dieser Beruf auch für Analphabeten wie den Kläger in Betracht. Die Sortierung erfolgt nach wenigen Kriterien, bei der Flaschensortierung nach Art, Größe und Beschädigungen, bei der Wertstoffsortierung nach Metall, Kunststoff, Papier und Verunreinigungen sowie bei der Eiersortierung nach Größe, Beschaffenheit und ggf. nach Farbe.
Nach der Beurteilung des Sachverständigen L. gibt es in der Bundesrepublik Deutschland frei zugängliche Arbeitsplätze als Warenprüfer bzw. Warensortierer von deutlich mehr als dreihundert.
Dem Beruf eines Warenprüfers bzw. Warensortierers ist der Kläger auch gesundheitlich gewachsen. Nach dem Sachverständigen L. werden die Arbeiten im Stehen verrichtet, wobei ggf. auch das Heranziehen einer Stehhilfe möglich ist. Wirbelsäulen- oder gelenkbelastende Körperhaltungen müssen nicht eingenommen werden. Das Heben und Tragen von Lasten über 5 kg fällt ebenfalls nicht an.
Mithin können die vom Sachverständigen Prof. Dr. S. genannten Leistungseinschränkungen berücksichtigt werden. Es ist daher nachvollziehbar, wenn der Sachverständige L. den Beruf eines Warenprüfers bzw. Warensortierers für gesundheitlich möglich erachtet hat.
Der Sachverständige L. hat zwar betont, dass alle Arbeiten eines Warenprüfers bzw. Warensortierers an Maschinen oder Anlagen verrichtet werden und dass eine Alkoholkrankheit ggf. einer solchen Arbeitsausführung entgegenstehen könnte. Alkoholgenuss führe allerdings nicht zwangsläufig zu nennenswerten Leistungseinschränkungen. Dies hänge vielmehr vom Umfang und der Dauer der Alkoholeinwirkung ab.
Ob der Kläger infolge einer Alkoholkrankheit gehindert ist, als Warenprüfer bzw. Warensortierer zu arbeiten, ist auf der Grundlage der bisherigen Beweiserhebung nicht nachgewiesen. Der Sachverständige Prof. Dr. S. hat dazu keinen näheren Befunde erhoben. Einen aktuellen Alkoholkonsum hat er bei seiner Untersuchung nicht feststellen können. Auch die vorliegenden sonstigen ärztlichen Unterlagen bieten dafür keinen Anhaltspunkt. Der Kläger befand sich zwar vom 26. Mai bis 06. Juni 1994 in einer stationären Behandlung zur Entgiftung bei chronischem Alkoholabusus (Bericht der Krankenhäuser O. GmbH vom 15. Juni 1994). Im Rahmen von Begutachtungen gab er bisher jedoch immer an, seither abstinent zu sein (vgl. das Arbeitsamtsgutachten des Facharztes für Arbeitsmedizin und Sozialmedizin Dr. H. vom 06. Februar 1996, Gutachten der Ärztin für Innere Medizin, Sozialmedizin und Rehabilitationswesen Dr. H. vom 23. September 1998 und Gutachten des Facharztes für Chirurgie Dr. S. vom 16. Dezember 1998). Ein aktueller Alkoholkonsum konnte zudem jeweils nicht festgestellt werden. Den Befundberichten der behandelnden Ärzte ist dazu nichts zu entnehmen. Der Beweisanordnung vom 18. April 2002 ist der Kläger nicht nachgekommen, so dass eine weitere Beurteilung des Leistungsvermögens nicht möglich ist.
Dass sich der Kläger aufgrund der subjektiv als erheblich empfundenen Schmerzen und Beschwerden nicht mehr in der Lage sieht, einer Beschäftigung nachzugehen, mag aus seiner Sicht verständlich sein. Für den Senat kann dies jedoch nicht Entscheidungsgrundlage sein, denn er darf sich für seine Entscheidung allein auf objektiv - durch Sachverständige - nachweisbare Feststellungen stützen. Schmerzen und Beschwerden werden, wenn es dafür an objektiven Befunden fehlt, nach außen nicht sichtbar. Dies stellt eine in gerichtlichen Verfahren, wie auch hier, häufig anzutreffende Situation dar. Es dürfte aber auch für den Kläger einsichtig sein, dass eine gerichtliche Entscheidung nicht ausschließlich auf seine subjektive Leistungseinschätzung gestützt werden kann.
Ob der Kläger einen Arbeitgeber findet, der ihn für eine entsprechende Tätigkeit einstellt, ist für den Rentenanspruch nicht von Bedeutung. Diese Frage betrifft allein die Vermittelbarkeit. Das Risiko eines Versicherten, der eine Tätigkeit vollschichtig verrichten kann, einen entsprechenden Arbeitsplatz auch zu erhalten, fällt grundsätzlich in den Bereich der Arbeitslosenversicherung (BSG in SozR 2200 § 1246 Nr. 139). Durch das Zweite Gesetz zur Änderung des SGB VI vom 02. Mai 1996 (BGBl. I 1996, 659) hat der Gesetzgeber klar gestellt, dass die Arbeitsmarktlage bei der Beurteilung der Berufsunfähigkeit jedenfalls eines vollschichtig einsetzbaren Versicherten außer Betracht zu bleiben hat (vgl. auch Urteil des BSG vom 18. Juli 1996 - 4 RA 33/94).
Berufsunfähigkeit liegt damit nicht vor.
Dem Kläger ist auch keine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach § 44 Abs. 1 SGB VI zu gewähren.
Nach § 44 Abs. 2 SGB VI sind Versicherte erwerbsunfähig, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben und Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße übersteigt. Bei dem bereits dargelegten vollschichtigen Leistungsvermögen liegen diese Voraussetzungen, die noch weitergehende Leistungseinschränkungen als bei der Berufsunfähigkeit erfordern, nicht vor.
Schließlich kann dem Kläger auch keine Rente wegen Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI in der Fassung des EM-Reformgesetzes (SGB VI n. F.) gewährt werden, denn er ist noch nicht einmal teilweise erwerbsgemindert.
Nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI n. F. sind Versicherte teilweise erwerbsgemindert, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Diese Voraussetzung kann notwendigerweise bei einem sogar noch vollschichtigen Leistungsvermögen nicht vorliegen.
Die Berufung muss daher erfolglos bleiben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) nicht vorliegen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt von der Beklagten Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Der im ... 1950 geborene Kläger, der eine Ausbildung nicht absolviert hat, war als Transportarbeiter (Juli 1965 bis Mai 1968), Bauarbeiter (Mai 1968 bis April 1973), Holzarbeiter (Mai 1973 bis Oktober 1973) und Lagerarbeiter bzw. Möbeltransporteur (Oktober 1973 bis Februar 1990) tätig. Zuletzt arbeitete er von März 1990 bis Juni 1990 als Warenbegleiter (Beifahrer). Seither ist er arbeitslos. Zum 29. Juli 1999 erkrankte er arbeitsunfähig.
Einen im Februar 1996 gestellten Rentenantrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 21. Mai1996 ab.
Im Juli 1998 beantragte der Kläger wegen zweier Leistenbruchoperationen und Gicht erneut Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Die Beklagte holte verschiedene ärztliche Unterlagen bei und veranlasste das Gutachten der Ärztin für Innere Medizin, Sozialmedizin und Rehabilitationswesen Dr. H. vom 23. September 1998.
Mit Bescheid vom 30. September 1998 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ab. Trotz chronischer Schmerzen in der rechten Leistenregion bei Zustand nach Operation einer Scrotalhernie rechts bei Hernia inguinalis lateralis dextra mit Revisionsoperation wegen postoperativer Sanguinatio im Oktober 1989, Adipositas, einer Hyperuricämie und einer intellektuellen Minderbegabung - Analphabetismus könne der Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch vollschichtig tätig sein.
Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, er habe starke Schmerzen im Bereich der rechten Leistenregion und der Kniegelenke. Gehen sei für ihn ein großes Problem. Durch die Gichtanfälle bestünden Beschwerden im Bereich der Oberschenkel, Kniegelenke und Füße. Jede Belastung bzw. Bewegung falle ihm schwer. Die Schmerzen seien unerträglich. Auf dem Arbeitsmarkt habe er keine Chance. Die Beklagte zog weitere ärztliche Unterlagen bei und holte das Gutachten des Facharztes für Chirurgie Dr. S. vom 16. Dezember 1998 ein.
Mit Widerspruchsbescheid vom 18. März 1999 wies die Beklagte den Widerspruch zurück: Trotz der festgestellten Gesundheitsstörungen sei der Kläger noch in der Lage, leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten im Wechsel der Haltungsarten bzw. in allen Haltungsarten ohne häufiges Heben, Tragen und Bewegen von Lasten, häufiges Bücken, besondere Anforderungen an das geistige Leistungsvermögen, die Umstellungs-, Anpassungsfähigkeit und die Verantwortung vollschichtig auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten.
Dagegen hat der Kläger am 31. März 1999 beim Sozialgericht Neuruppin Klage erhoben und vorgetragen, es sei eine Verschlimmerung eingetreten. Er hat verschiedene ärztliche Unterlagen beigefügt.
Das Sozialgericht hat die Befundberichte der Fachärztin für Chirurgie Dr. K. vom 17. August 1999 und des Praktischen Arztes Dr. S. vom 23. September 1999 sowie das Arbeitsamtsgutachten der Fachärztin für Allgemeinmedizin A. vom 21. April 1999 eingeholt. Außerdem hat es Beweis erhoben durch das schriftliche Sachverständigengutachten des Arztes für Orthopädie und Rheumatologie Prof. Dr. S. vom 18. Dezember 2000.
Der Kläger hat vorgetragen, er halte das Gutachten nicht für richtig.
Mit Urteil vom 12. April 2001 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen: Der Kläger habe keinen Beruf erlernt, so dass ihm alle Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zumutbar seien. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme könne er dort vollschichtig leichte körperliche Arbeiten ohne Heben und Tragen von Lasten von mehr als 10 kg und ohne überwiegend oder ausschließliche Arbeit in Zwangshaltungen verrichten, so dass er weder berufs- noch erwerbsunfähig sei.
Gegen das an ihn am 10. Mai 2001 als Übergabeeinschreiben zur Post aufgegebene Urteil richtet sich die am 08. Juni 2001 eingelegte Berufung des Klägers, mit der er vorträgt:
Er leide seit 1972 an Gicht in den Kniegelenken. 1989 seien zwei Hodenoperationen durchgeführt worden, wobei auf der einen Seite der Hoden entfernt worden sei. Seither habe er ständige Schmerzen in der Leistengegend. Beim Arbeitsamt werde er als schwer vermittelbar geführt und sei für die Tätigkeit als Pförtner registriert. Ob er jedoch 8 Stunden täglich arbeiten könne, sei zu bezweifeln. Sein Gesundheitszustand habe sich verschlechtert.
Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,
das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 12. April 2001 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 30. September 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. März 1999 zu verurteilen, dem Kläger Rente wegen Berufsunfähigkeit und wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Erwerbsminderung ab 01. Januar 2001, zu gewähren und die höhere Rente zu leisten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Sie gehe davon aus, dass es bundesweit in ausreichender Zahl Arbeitsplätze gebe, auf denen körperlich leichte bis zeitweise mittelschwere Sortierarbeiten auszuführen seien, bei denen Schreib- sowie Lesekenntnisse nicht erforderlich seien.
Der Senat hat die Auskünfte des Praktischen Arztes Dr. S. vom 28. Februar 2003 und der Fachärztin für Chirurgie Dr. K. eingeholt und, nachdem er Auszüge aus den Berufsinformationskarten (BIK) zum Pförtner (BO 793) und zu Warenprüfer, -sortierer (BO 521) sowie die berufskundliche Stellungnahme des M. L. vom 14. Februar 2000 zum Pförtner beigezogen hatte, mit Beweisanordnung vom 18. April 2002 den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. Cuypers mit der Erstattung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens beauftragt. Trotz zweimaliger Aufforderung durch den Sachverständigen und den Hinweis des Senats, dass im Falle der Weigerung auf der Grundlage des bisherigen Beweisergebnisses entschieden werden müsste, hat sich der Kläger nicht zur Untersuchung eingefunden. Der Senat hat daraufhin Beweis erhoben durch das schriftliche berufskundliche Gutachten des M. L. vom 17. Januar 2003.
Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird u. a. auf Blatt 58 bis 75 und 149 bis 152 der Gerichtsakten verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten ( ...), die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid vom 30. September 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. März 1999 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat weder Anspruch auf Rente wegen Berufs- noch wegen Erwerbsunfähigkeit. Ihm steht auch Rente wegen Erwerbsminderung nicht zu.
Als Anspruchsgrundlagen kommen auch weiterhin die §§ 43 und 44 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der Fassung vor dem am 01. Januar 2001 in Kraft getretenen Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (EM-Reformgesetz) vom 20. Dezember 2000 (BGBl. I 2000, 1827) in Betracht. Nach § 300 Abs. 2 SGB VI sind aufgehobene Vorschriften dieses Gesetzbuches auch nach dem Zeitpunkt ihrer Aufhebung noch auf den bis dahin bestehenden Anspruch anzuwenden, wenn der Anspruch bis zum Ablauf von drei Kalendermonaten nach der Aufhebung geltend gemacht wird. Dies ist vorliegend der Fall, denn der maßgebende Antrag wurde bereits im Juli 1998 gestellt.
Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit, wenn sie berufsunfähig sind und weitere - beitragsbezogene - Voraussetzungen erfüllen. Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfanges ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (§ 43 Abs. 2 SGB VI).
Der Kläger ist hiernach nicht berufsunfähig. Er kann zwar nicht mehr den Beruf eines Warenbegleiters (Beifahrers) ausüben. Er ist jedoch noch in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt als Warenprüfer (Warensortierer) vollschichtig zu arbeiten.
Ausgangspunkt der Beurteilung der Berufsunfähigkeit ist der bisherige Beruf. Dies ist in der Regel die letzte, nicht nur vorübergehend vollwertig ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit, jedenfalls dann, wenn diese zugleich die qualitativ höchste ist (Bundessozialgericht - BSG - SozR 2200 § 1246 Nrn. 53, 94, 130).
Der Beruf des Warenbegleiters (Beifahrers) ist hiernach maßgeblicher Beruf.
Die beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen schließen eine weitere Beschäftigung in diesem Beruf aus. Dies folgt aus dem medizinischen Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. S. und des berufskundlichen Gutachtens des M. L.
Nach Prof. Dr. S. bestehen eine degenerative Erkrankung der Wirbelsäule, eine Osteoporose mit gering- bis mittelgradigen Nervenwurzelreizerscheinungen, eine Übergewichtigkeit, eine Fußfehlform, eine Alkoholkrankheit, ein Zustand nach zweimal operiertem Leistenbruch und Hemikastration und ein geringgradiges Leistenbruchrezidiv. Dies ist unzweifelhaft, denn die vorliegenden Befundberichte und Gutachten anderer Ärzte stimmen hiermit im Wesentlichen überein. Es handelt sich um dieselben Gesundheitsstörungen, auch wenn diese dort teilweise anders bezeichnet werden.
Das Vorliegen von Gicht ist nach diesem Sachverständigen nicht eindeutig nachgewiesen. Bei seiner klinischen Untersuchung hat er keine Befunde erhoben, die für eine manifeste Gichterkrankung sprechen. Röntgenologisch ist dafür ebenfalls kein Hinweis vorhanden gewesen.
Im Gutachten der Ärztin für Innere Medizin, Sozialmedizin und Rehabilitationswesen Dr. H. vom 23. September 1998 wird zwar eine Hyperuricämie erwähnt. Die Laboruntersuchung erbrachte jedoch keine erhöhten Gichtwerte, worauf der Sachverständige Prof. Dr. S. hingewiesen hat. Die Harnsäure lag mit einem Messwert von 4,5 mg/dl im Normalbereicht (3,0 bis 7,0 mg/dl). Der Kläger gab seinerzeit an, maximal einmal im Jahr einen Gichtanfall zu erleiden.
Im Arbeitsamtsgutachten der Fachärztin für Allgemeinmedizin A. vom 21. April 1999 findet sich ebenfalls die Diagnose einer Arthritis urica. Es bleibt jedoch offen, aufgrund welcher Befunde diese festgestellt wurde. Laboruntersuchungen fanden jedenfalls nicht statt. Offensichtlich beruht die Angabe dieses Leidens auf der Mitteilung des Klägers, wonach er ca. zwei- bis dreimal jährlich einen Gichtanfall erleide.
Im Übrigen teilte noch der Praktische Arzt Dr. S. im Befundbericht vom 23. September 1999 mit, der Kläger habe sich vom 29. Juli bis 10. September 1999 bei ihm in Behandlung wegen Gicht befunden. Konkrete Befunde oder Laborergebnisse gab jedoch auch dieser Arzt nicht an.
Allerdings findet sich in den Verwaltungsakten der Beklagten ein von der Fachärztin für Chirurgie Dr. K. übersandter Laborbericht vom 02. Juli 1998, in dem eine erhöhte Harnsäure mit 554 m mol/l bei Normwert bis 482 m mol/l dokumentiert ist. Das einmalige vorübergehende Auftreten eines Gichtanfalles kann daher als belegt gelten.
Angesichts dessen ist nicht mit Sicherheit belegt, dass beim Kläger eine andauernde Gichterkrankung vorliegt. Ungeachtet dessen schließt der Senat ein solches Leiden allerdings auch nicht aus. Im Hinblick auf die Angaben des Klägers über die Anzahl der Gichtanfälle kommt dieser Gesundheitsstörung jedoch keine wesentliche Bedeutung bei der Beurteilung des Leistungsvermögens zu. Das zeitweise Bestehen einer Gesundheitsstörung, auch wenn dadurch die Erwerbsfähigkeit vorübergehend beeinflusst wird, begründet noch keine Minderung des Leistungsvermögens im Sinne des Rechts der gesetzlichen Rentenversicherung. Die Erwerbsfähigkeit muss vielmehr nicht nur vorübergehend - worunter ein Zeitraum von mehr als sechs Monaten verstanden wird - herabgesunken sein (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, S. 670 f. VI; Hauck/Haines, Sozialgesetzbuch SGB VI, gesetzliche Rentenversicherung, Kommentar, 60. Ergänzungslieferung, K § 43 Rdnr. 22, K § 44 Rdnr. 15; BSG SozR 2200 § 1247 Nr. 16), so dass kurzzeitige Erkrankungen außer Betracht zu bleiben haben. Diese bedingen allenfalls Arbeitsunfähigkeit. Außerhalb der vorübergehenden Zeiten eines Gichtanfalles lassen sich, wie sich aus dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. S., aber auch dem Gutachten der Ärztin für Innere Medizin, Sozialmedizin und Rehabilitationswesen Dr. H. vom 23. September 1998 ergibt, diesbezüglich keine Funktions- oder Leistungseinschränkungen feststellen. Nach beiden Gutachten waren die Gelenke frei beweglich. Dem Gutachten des Facharztes für Chirurgie Dr. S. vom 16. Dezember 1998 sind, auch bezüglich der unteren Extremitäten, keine wesentlich abweichenden Bewegungsmaße zu entnehmen. Es werden in diesen Gutachten auch keinerlei Rötungen oder Schwellungen der Gelenke genannt.
Wenn der Sachverständige Prof. Dr. S. aufgrund der festgestellten Gesundheitsstörungen zu der Auffassung gelangt ist, der Kläger könne noch leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten ohne überwiegende oder ausschließliche Zwangshaltungen und ohne ständiges Tragen von Lasten über 5 kg, wobei das Tragen von Lasten bis 10 kg zeitweilig zumutbar sei, verrichten, ist dies nachvollziehbar. Die Minderung der Leistungsfähigkeit ist nach Prof. Dr. S. nur gering. Sie rührt einerseits aus der verminderten Belastbarkeit des Stütz- und Bewegungsapparates und andererseits aus dem Zustand nach zweimal operiertem Leistenbruch bei geringgradigem Leistenbruchrezidiv.
Der Sachverständige Prof. Dr. S. hat bis auf einen Rundrücken im Bereich der Brustwirbelsäule keine krankhaften klinischen Befunde im Bereich der Wirbelsäule festgestellt. Röntgenologisch hat die Halswirbelsäule u. a. deutliche Erniedrigungen der Zwischenwirbelräume, eine so genannte Uncarthrose und verplumpte sowie sklerosierte Bogengelenke gezeigt. In der Röntgenaufnahme der Lendenwirbelsäule sind eine leichte Verdrehung der Wirbelkörper untereinander, wahrscheinlich projektionsbedingt, ein gering erniedrigter Kalksalzgehalt, vereinzelte Osteophyten, eine Verplumpung und Sklerosierung der Bogengelenke und zentrale Impressionen im Sinne von Fischwirbelbildungen als Hinweis auf ein Osteoporose deutlich geworden.
Prof. Dr. S. hat im Bereich der oberen Extremitäten eine gering herabgesetzte Feinmotorik beider Hände und einen leichten Tremor vorgefunden. Dies sowie eine blasse Haut und gerötete Augen hat er als Hinweise auf eine chronische Alkoholkrankheit gewertet, die ausgeprägt sei, obwohl der Kläger nicht nach Alkohol gerochen haben. Insgesamt habe er einen sehr ungepflegten Eindruck gemacht; die übliche mitteleuropäische Hygiene sei am Körper bereits seit längerer Zeit nicht mehr verrichtet worden. Prof. Dr. S. hat im Bereich der Hohlhand jedoch auch leichte Schwielenbildungen als Ausdruck für körperliche Belastungen erkennen können. Bereits im Gutachten des Facharztes für Chirurgie Dr. S. vom 16. Dezember 1998 werden derb beschwielte Handflächen erwähnt, die der Kläger seinerzeit mit dem Abstützen beim Aus-dem-Fenster-schauen begründete.
Im Bereich der unteren Extremitäten hat der Sachverständige Prof. Dr. S. eine erhebliche X-Bein-Stellung beidseits, vereinzelte endgradige Hüftgelenksbewegungsbeschwerden, am rechten Kniegelenk geringe Knackgeräusche und ein geringgradiges Kniescheibenreiben sowie einen geringgradigen Senk-Spreiz-Knick-Fuß vorgefunden. Bei der Gangprüfung hat sich ein etwas plumper Gangablauf feststellen lassen. Die Schrittlängen sind etwas verkürzt gewesen. Der Abrollvorgang ist nicht vollständig ausgeführt worden. Die Füße sind in Außendrehfehlstellung aufgesetzt worden. Die Röntgenunterlassung des rechten Kniegelenkes hat allerdings lediglich vereinzelt zystische Veränderungen offenbart.
Die dargestellten Befunde lassen die nur geringe Minderung der Leistungsfähigkeit nachvollziehbar werden. Gleichwohl wird deutlich, dass der Kläger stärkere Belastungen vermeiden muss. Prof. Dr. S. hat beurteilt, dass sich als Folge der ausgeprägten Alkoholkrankheit eine Osteoporose gebildet hat, die zu gering- bis mittelgradigen Nervenwurzelreizerscheinungen führt, die die Beschwerden des Klägers erklären. Die von diesem Sachverständigen genannten Leistungseinschränkungen tragen der verminderten Belastbarkeit des Stütz- und Bewegungsapparates hinreichend Rechnung, insbesondere wegen der Beschränkung auf leichte körperliche Arbeit. Zur Vermeidung eines größeren Leistenbruchsrezidivs ist zudem schlüssig, dass größere Tragebelastungen ausscheiden müssen.
Wenn eine Tätigkeit den dargestellten qualitativen Leistungseinschränkungen gerecht wird, ist, ohne dass zusätzliche Befunde oder Gesichtspunkte hinzutreten, aber zugleich auch ein vollschichtiges Leistungsvermögen, wie dies der Sachverständige Prof. Dr. S. insoweit in Übereinstimmung mit den Gutachten der Ärztin für Innere Medizin, Sozialmedizin und Rehabilitationswesen Dr. H. vom 23. September 1998, des Facharztes für Chirurgie Dr. S. vom 16. Dezember 1998 und des Arbeitsamtsgutachtens der Fachärztin für Allgemeinmedizin A. vom 21. April 1999 angenommen hat, folgerichtig. Die Gesundheitsstörungen sind nicht so schwerwiegend, dass sie eine Reduzierung des Leistungsvermögens in zeitlicher Hinsicht rechtfertigen könnten.
Mit den festgestellten Leistungseinschränkungen kann der Kläger allerdings nicht mehr als Warenbegleiter (Beifahrer) arbeiten.
Nach seinen Angaben hatte er als Warenbegleiter Milchkästen vom Fahrzeug zu nehmen und zu verteilen. Dieser Aufgabe ist er nicht mehr gewachsen, wie der berufskundliche Sachverständige L. eingeschätzt hat. Danach erfordert die Tätigkeit als Warenbegleiter (Beifahrer) das regelmäßige Heben und Tragen von Lasten über 5 bzw. 10 kg.
Damit ist der Kläger jedoch noch nicht berufsunfähig. Ausgehend von seinem Beruf muss er sich auf alle Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisen lassen. Dies begründet für ihn keinen unzumutbaren sozialen Abstieg und ist ihm auch gesundheitlich noch möglich.
Nach § 43 Abs. 2 SGB VI können Versicherten grundsätzlich solche Tätigkeiten zugemutet werden, die in ihrer Wertigkeit dem bisherigen Beruf nicht zu fern stehen (BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr. 50 m. w. N.). Nach dem vom BSG zur Bestimmung der Wertigkeit eines Berufes entwickelten Mehrstufenschema werden die Arbeiterberufe in vier Gruppen eingeteilt, nämlich die des Facharbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw. des besonders qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren), des angelernten Arbeiters (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildung von drei Monaten bis zu zwei Jahren) und des ungelernten Arbeiters (Einarbeitung bzw. Einweisung von weniger als drei Monaten). Im Rahmen dieses Mehrstufenschemas dürfen Versicherte, ausgehend von einer hiernach erfolgten Einstufung ihres bisherigen Berufes, nur auf die jeweils nächst niedrigere Gruppe verwiesen werden (BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 132; BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr. 45).
Davon ausgehend ist die Tätigkeit eines Warenbegleiters (Beifahrers) in die Gruppe des ungelernten Arbeiters einzuordnen, denn für die vom Kläger geschilderten Aufgaben ist eine Einarbeitungs- bzw. Einweisungszeit von wenigstens drei Monaten nicht ersichtlich. Der Kläger ist daher auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar. Dem steht nicht entgegen, dass er Analphabet ist. Daraus folgt lediglich, dass die Beklagte eine konkrete Verweisungstätigkeit benennen muss (vgl. Urteil des BSG vom 04. November 1998 - B 13 RJ 13/98 R = SozR 3-2200 § 1246 Nr. 62). Die Beklagte ist dem mit der Benennung der Tätigkeit eines Warenprüfers bzw. Warensortierers nachgekommen. Für diesen Beruf kommt der Kläger nach dem Gutachten des berufskundlichen Sachverständigen L. noch in Betracht.
Die Aufgaben eines Warenprüfers bzw. Warensortierers bestehen danach in einfachen Sortierarbeiten an Laufbändern. Als Beispiele hat der Sachverständige L. die Flaschensortierung, Wertstoffsortierung oder Eiersortierung sowie die Überwachung automatisierter Abpackvorgänge genannt. Hierbei wird das Verpacken bzw. Einfüllen flüssiger oder loser Erzeugnisse in Flaschen, Dosen, Beutel, Tuben oder ähnliches kontrolliert. Es werden Füllstandmengen überwacht, Einzelteile herausgenommen, die nicht den Qualitätsvorgaben entsprechen, Aufkleber nachgelegt und insgesamt der Lauf der Maschine überwacht.
Diese Aufgaben setzen keine Kenntnisse oder Fähigkeiten voraus. Alle notwendigen Erfordernisse werden im Rahmen einer Kurzeinweisung vermittelt, die den Zeitraum von drei Monaten nicht überschreitet. Insbesondere ist für die Ausführung der Aufgaben eines Warenprüfers bzw. Warensortierers weder Lesen, Schreiben noch Rechnen erforderlich. Damit kommt dieser Beruf auch für Analphabeten wie den Kläger in Betracht. Die Sortierung erfolgt nach wenigen Kriterien, bei der Flaschensortierung nach Art, Größe und Beschädigungen, bei der Wertstoffsortierung nach Metall, Kunststoff, Papier und Verunreinigungen sowie bei der Eiersortierung nach Größe, Beschaffenheit und ggf. nach Farbe.
Nach der Beurteilung des Sachverständigen L. gibt es in der Bundesrepublik Deutschland frei zugängliche Arbeitsplätze als Warenprüfer bzw. Warensortierer von deutlich mehr als dreihundert.
Dem Beruf eines Warenprüfers bzw. Warensortierers ist der Kläger auch gesundheitlich gewachsen. Nach dem Sachverständigen L. werden die Arbeiten im Stehen verrichtet, wobei ggf. auch das Heranziehen einer Stehhilfe möglich ist. Wirbelsäulen- oder gelenkbelastende Körperhaltungen müssen nicht eingenommen werden. Das Heben und Tragen von Lasten über 5 kg fällt ebenfalls nicht an.
Mithin können die vom Sachverständigen Prof. Dr. S. genannten Leistungseinschränkungen berücksichtigt werden. Es ist daher nachvollziehbar, wenn der Sachverständige L. den Beruf eines Warenprüfers bzw. Warensortierers für gesundheitlich möglich erachtet hat.
Der Sachverständige L. hat zwar betont, dass alle Arbeiten eines Warenprüfers bzw. Warensortierers an Maschinen oder Anlagen verrichtet werden und dass eine Alkoholkrankheit ggf. einer solchen Arbeitsausführung entgegenstehen könnte. Alkoholgenuss führe allerdings nicht zwangsläufig zu nennenswerten Leistungseinschränkungen. Dies hänge vielmehr vom Umfang und der Dauer der Alkoholeinwirkung ab.
Ob der Kläger infolge einer Alkoholkrankheit gehindert ist, als Warenprüfer bzw. Warensortierer zu arbeiten, ist auf der Grundlage der bisherigen Beweiserhebung nicht nachgewiesen. Der Sachverständige Prof. Dr. S. hat dazu keinen näheren Befunde erhoben. Einen aktuellen Alkoholkonsum hat er bei seiner Untersuchung nicht feststellen können. Auch die vorliegenden sonstigen ärztlichen Unterlagen bieten dafür keinen Anhaltspunkt. Der Kläger befand sich zwar vom 26. Mai bis 06. Juni 1994 in einer stationären Behandlung zur Entgiftung bei chronischem Alkoholabusus (Bericht der Krankenhäuser O. GmbH vom 15. Juni 1994). Im Rahmen von Begutachtungen gab er bisher jedoch immer an, seither abstinent zu sein (vgl. das Arbeitsamtsgutachten des Facharztes für Arbeitsmedizin und Sozialmedizin Dr. H. vom 06. Februar 1996, Gutachten der Ärztin für Innere Medizin, Sozialmedizin und Rehabilitationswesen Dr. H. vom 23. September 1998 und Gutachten des Facharztes für Chirurgie Dr. S. vom 16. Dezember 1998). Ein aktueller Alkoholkonsum konnte zudem jeweils nicht festgestellt werden. Den Befundberichten der behandelnden Ärzte ist dazu nichts zu entnehmen. Der Beweisanordnung vom 18. April 2002 ist der Kläger nicht nachgekommen, so dass eine weitere Beurteilung des Leistungsvermögens nicht möglich ist.
Dass sich der Kläger aufgrund der subjektiv als erheblich empfundenen Schmerzen und Beschwerden nicht mehr in der Lage sieht, einer Beschäftigung nachzugehen, mag aus seiner Sicht verständlich sein. Für den Senat kann dies jedoch nicht Entscheidungsgrundlage sein, denn er darf sich für seine Entscheidung allein auf objektiv - durch Sachverständige - nachweisbare Feststellungen stützen. Schmerzen und Beschwerden werden, wenn es dafür an objektiven Befunden fehlt, nach außen nicht sichtbar. Dies stellt eine in gerichtlichen Verfahren, wie auch hier, häufig anzutreffende Situation dar. Es dürfte aber auch für den Kläger einsichtig sein, dass eine gerichtliche Entscheidung nicht ausschließlich auf seine subjektive Leistungseinschätzung gestützt werden kann.
Ob der Kläger einen Arbeitgeber findet, der ihn für eine entsprechende Tätigkeit einstellt, ist für den Rentenanspruch nicht von Bedeutung. Diese Frage betrifft allein die Vermittelbarkeit. Das Risiko eines Versicherten, der eine Tätigkeit vollschichtig verrichten kann, einen entsprechenden Arbeitsplatz auch zu erhalten, fällt grundsätzlich in den Bereich der Arbeitslosenversicherung (BSG in SozR 2200 § 1246 Nr. 139). Durch das Zweite Gesetz zur Änderung des SGB VI vom 02. Mai 1996 (BGBl. I 1996, 659) hat der Gesetzgeber klar gestellt, dass die Arbeitsmarktlage bei der Beurteilung der Berufsunfähigkeit jedenfalls eines vollschichtig einsetzbaren Versicherten außer Betracht zu bleiben hat (vgl. auch Urteil des BSG vom 18. Juli 1996 - 4 RA 33/94).
Berufsunfähigkeit liegt damit nicht vor.
Dem Kläger ist auch keine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach § 44 Abs. 1 SGB VI zu gewähren.
Nach § 44 Abs. 2 SGB VI sind Versicherte erwerbsunfähig, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben und Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße übersteigt. Bei dem bereits dargelegten vollschichtigen Leistungsvermögen liegen diese Voraussetzungen, die noch weitergehende Leistungseinschränkungen als bei der Berufsunfähigkeit erfordern, nicht vor.
Schließlich kann dem Kläger auch keine Rente wegen Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI in der Fassung des EM-Reformgesetzes (SGB VI n. F.) gewährt werden, denn er ist noch nicht einmal teilweise erwerbsgemindert.
Nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI n. F. sind Versicherte teilweise erwerbsgemindert, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Diese Voraussetzung kann notwendigerweise bei einem sogar noch vollschichtigen Leistungsvermögen nicht vorliegen.
Die Berufung muss daher erfolglos bleiben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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NRW
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