L 4 KR 53/02

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 9 KR 36/00
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 4 KR 53/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 20. August 2002 geändert und die Klage abgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Versorgung der Klägerin mit einem Therapie-Dreifahrrad streitig.

Bei der am ...1978 geborenen und bei der Beklagten familienversicherten Klägerin besteht eine frühkindliche Hirnschädigung mit geistiger Behinderung, geringem Sprechvermögen und Tretraspastik. Sie besuchte eine Förderschule des Christlichen Jugenddorfwerkes Deutschland e. V. (CDJ) in H. (P.) bis Juli 2001, wo sie auch wohnte. Seither lebt sie in einer betreuten Wohngruppe des CDJ in G., wobei sie in den P.-Werkstätten der Lebenshilfe e. V. in P. tätig ist.

Unter Vorlage einer ärztlichen Verordnung vom 19. Oktober 1999 des Orthopäden B. K. beantragte der Betreuer die Versorgung der Klägerin mit einem Therapie-Dreifahrrad. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit dem an den Betreuer gerichteten Bescheid vom 18. Januar 2000 mit der Begründung ab, dass eine Versorgung mit einem Therapie-Dreirad für Jugendliche und Erwachsene nicht in Betracht käme. Hier dienten die Spezialräder primär der Fortbewegung, ohne dass diese Hilfsmittel die hohen therapeutischen Anforderungen wie bei einem Kind erfüllten. Zur Therapie stünden andere zielgerichtetere Behandlungsmaßnahmen wie zum Beispiel physikalische und Ergotherapie zur Verfügung, alternativ die Versorgung mit einem Rollstuhl und die physiotherapeutische Behandlung.

Den gegen den Ablehnungsbescheid eingelegten Widerspruch vom 03. Februar 2000 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19. April 2000 zurück: Bei der erwachsenen Klägerin gehöre Radfahren nicht zu den körperlichen Grundfunktionen und auch nicht zu den Grundbedürfnissen, für deren Sicherstellung die gesetzliche Krankenversicherung einzutreten habe. Anders als bei Jugendlichen sei das Gerät nicht für die soziale Integration erforderlich, soweit es positive gesundheitliche Auswirkungen habe, ließen sich diese Folgen auch durch weniger aufwendige Trainingsmaßnahmen erreichen.

Mit der am 09. Mai 2000 vor dem Sozialgericht Neuruppin erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, soweit die Versorgung auf Kinder und Jugendliche eingeschränkt werde, sei die Ablehnung entsprechend dem altersbedingten Entwicklungsstand der Klägerin nicht begründet, zumal die gesetzlichen Vorschriften keinen altersabhängigen Anspruch enthielten. Sie sei aufgrund eines frühkindlichen Gehirnschadens geistig schwerstbehindert und damit in ihrer Entwicklung zurückgeblieben, hinzu komme eine sichtbare Körperbehinderung (Hüftschaden), wodurch körperliche Bewegungen eingeschränkt seien. Die Klägerin befinde sich in einer betreuten Außenwohngruppe, wobei sie besonders bei Radwanderungen ausgeschlossen sei, weil Radfahren mit einem normalen Fahrrad aufgrund von Gleichgewichts- und Koordinierungsproblemen nicht möglich sei. Sie benötige das beantragte Fahrrad, um eine fast uneingeschränkte Teilnahme am gesellschaftlichen Leben der Gruppe zu gewährleisten. Deshalb sei das Fahrrad kein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, sondern ein Hilfsmittel zur Befriedigung von Grundbedürfnissen, zu denen auch die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben der Gruppe gehöre.

Die Klägerin hat dem Sozialgericht die Bescheinigung des CDJ P. vom 21. Februar 2000 vorgelegt, in der Folgendes ausgeführt ist:

"R. ist eine Schülerin, die unbedingt Bewegung braucht, aufgrund ihrer Antriebsarmut und körperlichen Beeinträchtigung diese jedoch versucht, gering zu halten.

Mit dem Therapiedreirad soll dieser allgemeinen Bewegungsarmut entgegengewirkt werden. Hinzu kommt der Aspekt der Gestaltung der Freizeit im Sinne der Erweiterung ihres Aktionsradius und der sozialen Integration. Ein Rollstuhl, der als Alternative vorgeschlagen wird, würde ihre Trägheit nur noch unterstützen. R. kann gehen.

Wenn nach wirtschaftlichen Standards die kindliche Entwicklung mit 16 Jahren als abgeschlossen gilt, muss das in der Realität nicht tatsächlich so sein. R. P. ist eine schwerbehinderte Jugendliche mit einer erheblichen Entwicklungsretardierung. Vermutlich wird sie die kindliche Niveaustufe aufgrund ihrer Behinderung nie verlassen können. R. ist nicht krank, sie ist behindert, d. h., sie ist dauerhaft beeinträchtigt.

Eine zielgerichtete Bewegung sollte R. unter Beachtung des Normalisierungsprinzips nicht versagt werden. Gerade das Radfahren ist ein Sport, der der allgemeinen Körperkräftigung dient, wo viele Muskeln und Muskelgruppen gefördert und gefordert werden. Ihr diese regelmäßige Bewegung zu ermöglichen, dient nicht nur Ramonas allgemeines Wohlbefinden und ihre Gesundheit, sondern auch der Entwicklung von Lebenszutrauen und Lebenstüchtigkeit.

Die Klägerin hat weiterhin eine Bescheinigung des Orthopäden K. vom 08. März 2001 vorgelegt, in der u. a. Folgendes ausgeführt ist:

Ich empfehle nochmals die Versorgung mit einem Dreifahrrad, da mit diesem Hilfsmittel sowohl eine zügigere Fortbewegung im Gelände als auch ein Trainingseffekt für das Herz-Kreislaufsystem aber auch für die Schulung der Koordinationsfähigkeit und Aufmerksamkeits- (Konzentrations)Fähigkeit positive Stimulation zu erwarten sind. Ein Rollstuhl als reines Transportmittel ist für sie nicht nötig und würde die Passivität eher steigern. Das Dreifahrrad kann andere Physiotherapie nicht ersetzen, aber sinnvoll ergänzen.

Die Verordnung des Dreifahrrades ist von mir bewusst unter den o. g. Aspekten erfolgt. Die Benutzung eines normalen Fahrrades ist wegen der geistigen Entwicklung, die dem eines Vorschulkindes entsprechen dürfte, und wegen der tapsigen Ungelenkigkeit sowie aus Angst, das Gleichgewicht zu verlieren, nicht möglich.

Die Beklagte hat gegenüber dem Sozialgericht nach einer ärztlichen Untersuchung der Klägerin durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) am 22. Mai 2001 unter Hinweis auf dessen Gutachten vom 12. Juli 2001 nicht nur die therapeutische Zweckmäßigkeit angezweifelt, sondern auch die Verkehrstauglichkeit der Klägerin verneint. Eine Teilnahme an regelmäßigen Fahrradtouren innerhalb des Ortes scheide damit zur Begründung der beantragten Hilfsmittelversorgung aus.

Hierzu hat die Klägerin ergänzend darauf hingewiesen (Schriftsatz vom 05. August 2001), dass im MDK-Gutachten die zu versorgende Zielgruppe "bis zum späten Schulalter" bezeichnet werde, sie habe bis zum 18. Juli 2001 die Förderschule für geistig Behinderte besucht. Es sei im Sinne der Krankenkassen, durch mehr Bewegung statt durch Medikamente Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorzubeugen. Der Effekt einer veränderten Lebensfreude sollte auch nicht vernachlässigt werden, besonders bei behinderten Menschen. Die fehlende "Verkehrstauglichkeit" werde nicht bestritten, weil ständige Begleitung und Hilfe notwendig seien.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 20. August 2002 ohne mündliche Verhandlung die Beklagte unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide verurteilt, der Klägerin ein Therapie-Dreirad zur Verfügung zu stellen. Die Bereitstellung für die Klägerin sei u. a. deshalb erforderlich, weil dieses Therapierad die krankengymnastische Behandlung ergänze und die soziale Eingliederung der Klägerin unterstütze. Darüber hinaus sei die "Bewegungsfreiheit" als Grundbedürfnis anzusehen, wenngleich dabei lediglich auf diejenigen Entfernungen abgestellt werde, die ein Gesunder üblicherweise zu Fuß zurücklege. Bei der Klägerin handele es sich um eine Jugendliche, insoweit müssten die Kriterien herangezogen werden, "die das Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 16. April 1998 - B 3 KR 9/97 R - herausgearbeitet" habe. Insbesondere im Hinblick auf das Schreiben der Klassenlehrerin der Klägerin vom 21. Februar 2001 könnten die Verordnungskriterien für einen Erwachsenen, wie sie von der Beklagten herangezogen worden sind, vorliegend keine Anwendung finden. Die Beklagte habe völlig außer Acht gelassen, dass die Klägerin aufgrund der Unterbringung in einer Außenwohngruppe und des Schulbesuchs auf den sozialen Kontakt zu diesen Gruppen angewiesen sei. Mit der Bereitstellung des Therapie-Dreirades würde die Klägerin in den Kreis der laufenden und Fahrrad fahrenden gleichaltrigen Jugendlichen einbezogen werden können. Das Therapie-Dreirad sollte insbesondere der sozialen Integration der Klägerin innerhalb der Wohnstätte und Außenwohngruppen für Kinder und Jugendliche mit geistiger Behinderung dienen.

Gegen das ihr am 20. September 2002 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 21. Oktober 2002 (Montag) Berufung eingelegt. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts bestehe nach dem Gutachten des MDK vom 12. Juli 2001 ein ausreichendes Gehvermögen, wobei allerdings die Fortbewegung unbeholfen wirke und es für längere Wegstrecken sehr langsam vorwärtsgehe. Von daher sei zweifelhaft, ob die körperliche Grundfunktion des Gehens bei der Klägerin berührt sei. Der Orthopäde K. habe ausgeführt, dass ein Rollstuhl als reines Transportmittel nicht nötig sei und die Passivität der Klägerin eher steigern würde. Wenn das Sozialgericht insoweit eine Einschränkung von Grundbedürfnissen annehmen wollte, hätte es weitere Ermittlungen zur Gehfähigkeit durchführen müssen oder sich zumindest mit sämtlichen hierzu vorliegenden Unterlagen auseinandersetzen müssen. Soweit sich das Sozialgericht auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 16. April 1998 beziehe, sei dort ausgeführt, "der Kläger benötigt das Zusatzgerät umfassend zur Integration in den Kreis etwa gleichaltriger Kinder und Jugendlicher, wozu auch seine jüngeren, nicht behinderten Geschwister zählen. Maßgebend ist, dass der Kläger aufgrund seiner Behinderung nicht oder allenfalls nur sehr eingeschränkt am üblichen Leben seiner Altersgruppe teilnehmen kann, wodurch ihm die Isolation droht. Bei Kindern und Jugendlichen zählt auch die Möglichkeit, spielen bzw. allgemein an der üblichen Lebensgestaltung Gleichaltriger teilnehmen zu können, als Bestandteil des sozialen Lernprozesses ebenso wie der Schulbesuch zu den Grundbedürfnissen, weil in diesem Lebensabschnitt davon entscheidend abhängt, ob gesellschaftliche Kontakte aufgebaut und aufrecht erhalten werden können". Die am 08. Februar 1978 geborene Klägerin habe bei Antragstellung im November 1999 bereits das 21. Lebensjahr vollendet gehabt, sei daher nicht dem Kreis der Jugendlichen zuzurechnen. Die vom BSG aufgestellten Grundsätze ließen sich nicht soweit auslegen, dass sie auch für Schwerbehinderte gelten würden, die aufgrund ihrer Entwicklungsretardierung mit Jugendlichen vergleichbar seien. Dies würde bedeuten, dass es nicht mehr auf einen bestimmten Lebensabschnitt, sondern auf einen "geistigen Zustand" ankomme. Hinzu komme, dass nach der Stellungnahme der Klassenlehrerin die Klägerin ihre kindliche Niveaustufe aufgrund der Behinderung nie werde verlassen können.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 20. August 2002 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Verordnung des Therapie-Dreirades durch den Orthopäden sei aufgrund einer körperlichen Behinderung erfolgt, die die Fortbewegung beeinträchtige. Der Beklagten müsse entgegengehalten werden, dass Bewegung Behinderungen vorbeuge, die durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen hervorgerufen würden. Soweit die Beklagte einen Rollstuhl vorgeschlagen habe, wäre dieser vermutlich ein Leben lang bezahlt worden, das besser geeignete Therapie-Dreirad werde aus Kostengründen abgelehnt. Beide Anschaffungen wären preislich etwa gleich.

Die Klägerin hat Unterlagen zu dem begehrten Drei-Fahrrad vorgelegt, sowie einen "Entwicklungsbericht" der P.-Werkstätten (Lebenshilfe e. V.) vom 03. Dezember 2002 und einen "Kurzbericht der CJD P. Wohnstätte G. vom 27. 11. 2002.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze und wegen der weiteren Einzelheiten auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten und die Schwerbehindertenakten des Versorgungsamts Potsdam über die Klägerin Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte und im Übrigen zulässige Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG - ) ist begründet. Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Unrecht unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide verurteilt, die Klägerin mit einem Therapie-Dreirad zu versorgen.

Der angefochtene Bescheid vom 18. Januar 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. April 2000 ist nicht rechtswidrig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Versorgung mit einem Therapie-Dreirad. Die hierfür erforderlichen Voraussetzungen nach § 27 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - SGB V - i. V. m. § 33 SGB V sind nicht erfüllt.

Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 SGB V haben Familienversicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Dabei umfasst die Krankenbehandlung auch die Versorgung mit Hilfsmitteln (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V). Nach § 33 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind.

Das von der Klägerin begehrte Hilfsmittel ist nicht gemäß § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen. Ein Ausschluss von Therapie-Dreirädern aus der Hilfsmittelversorgung folgt auch nicht daraus, dass diese Geräte nach der Richtlinie des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Versorgung von Hilfsmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Hilfsmittel-Richtlinie) vom 17. Juni 1992, in der Bekanntmachung vom 06. Februar 2001 (BAnz 2001 Nr. 102, S.11037) nicht mehr aufgeführt sind, nachdem sie noch im Hilfsmittelverzeichnis vom 29. Januar 1993 (BAnz Beilage 1993, Nr. 50 a 1 bis 140) unter Mobilitätshilfen aufgeführt waren. Das Hilfsmittelverzeichnis stellt hinsichtlich der möglichen Hilfsmittel nur eine unverbindliche Auslegungshilfe dar (BSG Urteil vom 29. September 1997, 8 RKn 27/96, SozR 3-2500 § 33 Nr. 25).

Auch kann der Anspruch der Klägerin auf Versorgung mit dem Therapie-Dreirad nicht mit der Begründung verneint werden, dass es sich bei dem Gerät um einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handelt, da es speziell für Bedürfnisse Behinderter entwickelt worden ist (BSG, Urteil vom 30. Januar 2001, B 3 KR 6/00 R, SozR 3-2500 § 33 Nr. 39). Nichtbehinderte benutzen zur Fortbewegung ein Fahrrad, das Therapie-Dreirad dient den speziellen Bedürfnissen Behinderter.

Bei der Klägerin liegt zwar eine Behinderung vor, das Therapie-Dreirad ist jedoch für sie weder erforderlich, um den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern (§ 33 Abs. 1 Satz 1 erste Alternative SGB V), noch um einer drohenden Behinderung vorzubeugen (zweite Alternative) oder eine Behinderung auszugleichen (dritte Alternative). Eine Krankenbehandlung, zu deren Sicherung die Versorgung erforderlich wäre, ist weder vorgetragen, noch ersichtlich. Insoweit hat der Orthopäde K. nur auf eine zügigere Fortbewegung im Gelände sowie auf einen Trainingseffekt für das Herz-Kreislauf-System und die Schulung der Koordinations- und Aufmerksamkeitsfähigkeit hingewiesen. Das Dreifahrrad könne eine Physiotherapie sinnvoll ergänzen. Insoweit beschreibt der Orthopäde zwar eine für die Klägerin günstige Trainingsmöglichkeit, daraus wird jedoch nicht ersichtlich, dass es sich insoweit um die Befriedigung von Grundbedürfnissen handelt. Vielmehr soll das Hilfsmittel für diesen Fall offensichtlich das Fahrrad (eines Nichtbehinderten) ersetzen. Jedenfalls ergibt sich nicht, dass ein vergleichbarer therapeutischer Erfolg weder durch ärztliche oder krankengymnastische Behandlungsmaßnahmen erzielt werden kann (BSG, Urteil vom 30. Januar 2001, B 3 KR 6/00 R, a.a.O.) oder durch die verschiedenen Möglichkeiten des Behindertensports (BSG, Urteil vom 26. März 2003 - B 3 KR 26/02 R).

Dass das Hilfsmittel erforderlich sei, um einer drohenden Behinderung vorzubeugen, ist ebenfalls nicht ersichtlich. Für das "Drohen" einer Behinderung müssen jedenfalls konkrete Anhaltspunkte vorliegen, es genügt nicht, dass lediglich allgemein die Möglichkeit des Eintritts einer Behinderung besteht.

Die Klägerin begehrt die Versorgung mit dem Therapie-Dreifahrrad letztlich zum Ausgleich der bei ihr bestehenden Behinderung (dritte Alternative). Insoweit sind allerdings entgegen der Auffassung des Sozialgerichts die gesetzlichen Voraussetzungen nicht erfüllt. Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 dritte Alternative SGB VI sind nicht sämtliche direkten und indirekten Folgen einer Behinderung auszugleichen, Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung ist vielmehr die medizinische Rehabilitation, also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktionen. Eine darüber hinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitation ist hingegen Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme. Die gesetzliche Krankenversicherung und damit die Beklagte hat Hilfsmittel nur dann zu leisten, wenn sie die Auswirkungen der Behinderungen im gesamten täglichen Leben beseitigen oder mildern und damit ein Grundbedürfnis des täglichen Lebens betreffen (BSG vom 26. März 2003 - B 3 KR 26/02 R). Zu diesen Grundbedürfnissen gehören das Gehen, Stehen, Greifen, Sehen, Hören, die Nahrungsaufnahme, die Ausscheidung, die elementare Körperpflege, das selbständige Wohnen sowie das Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraumes. In Bezug auf die Klägerin kommt insoweit im Hinblick auf das Therapie-Dreirad das Grundbedürfnis des "Erschließens eines gewissen körperlichen Freiraums" in Betracht. Zum Ausgleich dieses Grundbedürfnisses ist nicht ein Fahrrad - oder im Falle der Klägerin ein Therapie-Dreirad - erforderlich, denn es handelt sich um üblicherweise zu Fuß zurückzulegende Wege, die die Fähigkeit betreffen, die Wohnung zu verlassen, um bei einem kurzen Spaziergang "an die frische Luft zu kommen" oder um die - üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden - Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind. Der Befriedigung des Grundbedürfnisses dient damit grundsätzlich nicht das Zurücklegen von Wegstrecken, die von Gesunden üblicherweise mit dem Fahrrad zurückgelegt werden. Gerade für diesen Zweck beansprucht die Klägerin allerdings das Therapie-Dreifahrrad, um in einer betreuten Gruppe an Fahrrad-Ausflügen teilnehmen zu können.

Ausnahmen hat das Bundessozialgericht bei dem Erfordernis eines Rades zur Zurücklegung größerer Strecken nur dann gemacht, wenn es nicht auf die Zurücklegung der Entfernung ankam, sondern auf die Befriedigung anderer Grundbedürfnisse, insbesondere der sozialen Integration in der jugendlichen Entwicklungsphase (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 46, vom 23. Juli 2002). Es geht dabei um die Integration des behinderten Jugendlichen in das Lebensumfeld nichtbehinderter Gleichaltriger, weil sich in der Entwicklungsphase von Kindern und Jugendlichen, zumindest bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres die Lebensbereiche nicht in der Weise trennen lassen, wie bei Erwachsenen. In der Entwicklungsphase ist nicht nur die Teilnahme am allgemeinen Schulunterricht als Grundbedürfnis von Kindern und Jugendlichen anzusehen, sondern auch die Teilnahme an der sonst üblichen Lebensgestaltung Gleichaltriger als Bestandteil des sozialen Lernprozesses. Insoweit ist der Behinderungsausgleich auf eine möglichst weitgehende Eingliederung in den Kreis Gleichaltriger ausgerichtet.

Die "Entwicklungsphase", die das Bundessozialgericht etwa mit der Vollendung des 15. Lebensjahres als abgeschlossen ansieht, war bei der Klägerin bereits weit vor der Antragstellung abgeschlossen. In diesem Zusammenhang kann es nur auf das konkrete Lebensalter ankommen, nicht aber auf den "geistigen Entwicklungsstand". Denn maßgebend für die Einstufung zur Befriedigung von Grundbedürfnissen ist im Hinblick auf das Erfordernis des Hilfsmittels die soziale Integration in eine Gruppe Gleichaltriger. Selbst wenn die Klägerin demnach in ihrer geistigen Entwicklung weit zurückgeblieben ist und den "kindlichen Entwicklungsstand nie verlassen wird", geht es hier nicht mehr um kindliches Spiel zur sozialen Integration in eine Gruppe, insbesondere aber in eine Gruppe gleichaltriger Nichtbehinderter. Von daher dient das Hilfsmittel vorliegend nicht (mehr) der Teilnahme an Gruppenaktivitäten, die im Kindesalter ebenso wie einem nichtbehinderten Kind das Erlernen von sozialen Verhaltensweisen ermöglichen sollen. Es geht für die Klägerin eher um soziale Kontakte einer Behinderten im Rahmen der Freizeitgestaltung, die gerade nicht mehr aus kindlichem Bewegungsdrang (anderer Kinder) folgen und der Ermöglichung der Teilnahme eines behinderten Kindes daran dienen. Für einen dahin gehenden Behinderungsausgleich ist die Zuständigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung nicht gegeben.

Da nach dem Gesagten ein Anspruch der Klägerin zur Befriedigung von Grundbedürfnissen nicht gegeben ist, kommt es nicht mehr darauf an, dass die Klägerin inzwischen auch den Schulbesuch beendet hat, die begehrte Leistung nachträglich den von ihr genannten Zweck ohnehin nicht mehr erfüllen kann.

Die Berufung war mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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