Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 40 VG 139/01
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 VG 32/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 17. Juni 2002 geändert. Es wird aufgehoben, soweit der Beklagte ver- urteilt worden ist, dem Kläger eine MdE von 50 v.H. zuzuerkennen und ihm entsprechende Versorgungsbezüge zu leisten. Die Klage gegen den Bescheid vom 9. Mai 2003 wird abgewiesen. Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechts- streits zur Hälfte zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Höhe einer Versorgungsrente.
Der 1963 geborene Kläger wurde am 30. Juni 1997 in S (Mecklenburg-Vorpommern) Opfer einer rassistisch motivierten Gewalttat im Sinne des § 1 Opferentschädigungsgesetz -OEG-.
Auf den am 21. Juli 1997 gestellten Antrag, ihm Versorgung nach dem OEG zu gewähren, veranlasste der Beklagte u.a. eine Untersuchung des Klägers durch die Ärztin für Psychiatrie und Neurologie H. Diese empfahl in ihrem Gutachten vom 13. Juni 2000 die Anerkennung von Hirnleistungsstörungen nach Schädel-Hirn-Trauma und einer posttraumatischen Belastungsstörung mit depressiver Symptomatik als Schädigungsfolgen. Die jeweilige Minderung der Erwerbsfähigkeit -MdE- betrage 30 v.H. Da sich die seelischen Auswirkungen beider Komplexe teilweise überschnitten, sei die Gesamt-MdE mit 40 v.H. zu bewerten.
Wegen der außerdem vom Kläger geklagten Sehstörungen, u.a. bescheinigt durch einen Bericht der Sehschule der Augenklinik und Poliklinik des Uklinikums BFvom 1.Oktober 1997, die die Augenärztin Dr. H den Auswirkungen der Gewalttat zuschrieb (Befundbericht vom 5. Oktober 1998), erfolgte am 9. Januar 2001 eine augenärztliche Untersuchung durch die Augenärztin W. Sie stellte eine Doppelbildwahrnehmung beim Blick nach unten fest. Diese Problematik sei ohne Zweifel als Verletzungsfolge zu werten. Die MdE hierfür betrage 10 v.H., die Gesamt-MdE schätze sie mit 50 v.H. ein. In seiner undatierten augenärztlichen Stellungnahme, beruhend auf dem Auftrag des Beklagten vom 28. Januar 2001, wies der Augenarzt Dr. M u.a. darauf hin, dass die Motilität der Augen anlässlich der konsiliarischen Untersuchungen des Klägers im Krankenhaus G am 1. und am 7. Juli 1997 intakt gewesen sei. Es seien keine Doppelbilder und keine Augenmuskelparesen festgestellt worden. Er habe nach den vorliegenden medizinischen Unterlagen Zweifel, dass die Gewalttat vom 30. Juni 1997 zu Augenmuskellähmungen geführt habe, die Ursache der Doppelbildwahrnehmungen seien. Er halte die angegebenen Doppelbilder für nicht wahrscheinlich schädigungsbedingt.
Durch Bescheid vom 23. Juli 2001 erkannte der Beklagte als Folgen einer Schädigung im Sinne des § 1 OEG die Gesundheitsstörungen Hirnleistungsstörungen nach Schädel-Hirn-Trauma II. Grades, posttraumatische Belastungsstörung mit depressiver- und Angstsymptomatik
an und stellte mit Wirkung ab 1. Juni 1997 einen Anspruch auf Zahlung von Versorgungsbezügen nach einer MdE von 40 v.H. fest. Die Anerkennung weiterer Gesundheitsstörungen schloss er aus.
Im Widerspruchsbescheid vom 9. Oktober 2001 führte der Beklagte dann u.a. aus, die vom Kläger geltend gemachte Sehstörung könne nicht mit der im Versorgungsrecht geforderten Wahrscheinlichkeit ursächlich auf die Schädigung am 30. Juni 1997 zurückgeführt werden. Einer Wahrnehmung von Doppelbildern liege nach medizinischer Lehrmeinung eine Lähmung eines oder mehrerer Augenmuskeln zugrunde. In den beigezogenen Befundunterlagen habe sich jedoch kein Nachweis für eine Lähmung der entsprechenden Augenmuskeln finden lassen. Auch sei diese durch die beschriebenen Frakturen nicht wahrscheinlich.
Das hiergegen vom Kläger angerufene Sozialgericht entschied nach Einholung eines Befundberichtes der Augenärztin Dr. H vom 31. Januar 2002 durch Urteil vom 17. Juni 2002, dass bei dem Kläger als weitere Schädigungsfolge "Doppelbildwahrnehmungen beim Blick nach unten" anzuerkennen sei und dass ihm Versorgungsbezüge nach einer MdE von 50 v.H. zuständen. Das Gericht gab den Feststellungen der Augenärztin W in ihrem Gutachten vom 9. Januar 2001 zur Doppelbildproblematik den Vorzug gegenüber der undatierten Stellungnahme des Dr. M. Der Ärztin W sei auch hinsichtlich der Bildung der Gesamt-MdE zu folgen.
Gegen das am 15. August 2002 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Beklagten vom 29. August 2002, der nur - noch - die Bildung der Gesamt-MdE mit 50 rügt. Die Doppelbildwahrnehmungen führten als zusätzliche leichte Gesundheitsstörung nicht zu einer Erhöhung der MdE.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 17. Juni 2002 zu ändern und die Klage insoweit abzuweisen, als eine höhere Gesamt-MdE als 40 v.H. begehrt werde.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und den Bescheid vom 9. Mai 2003 insoweit zu ändern, als darin die MdE mit 40 v.H. festgestellt worden ist.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Senat hat im Zuge weiterer medizinischer Ermittlungen das augenärztliche Gutachten des Prof. Dr. B - in Zusammenarbeit mit der Assistenzärztin S - vom 27. Februar 2003 eingeholt. Dieser hat festgestellt, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit u.a. ein auf das Ereignis vom 30. Juni 1997 zurückzuführendes Doppelbildsehen nach oben und unten vorliege. Die MdE betrage 10 v.H. und wirke sich erhöhend auf die Gesamt-MdE aus, weil sie unabhängig von den bereits anerkannten Schädigungen zu betrachten sei.
Durch den Bescheid vom 9. Mai 2003 hat der Beklagte "Doppelbildwahrnehmungen nach Augenmuskelverletzung" als weitere Schädigungsfolge anerkannt und festgestellt, dass die Gesamt-MdE weiterhin 40 v.H. betrage.
Der Kläger, der auf einer MdE von 50 v.H. besteht, sieht den Rechtsstreit durch den Bescheid vom 9. Mai 2003 nicht als erledigt an.
Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Verwiesen wird außerdem auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakten des Beklagten, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Beklagten ist begründet. Das Sozialgericht hat zu Unrecht festgestellt, dass das Augenleiden des Klägers die Gesamt-MdE auf 50 v.H. erhöht.
Streitig ist in der Berufungsinstanz allein noch das Ausmaß der Gesamtauswirkung der hier in den Bescheiden vom 23. Juli 2001 und vom 9. Mai 2003 anerkannten Gesundheitsstörungen, durch das auch die Höhe des Versorgungsanspruchs des Klägers bestimmt wird. Im Bescheid vom 23. Juli 2001 hatte der Beklagte die Gesundheitsstörungen des neurologisch-psychiatrischen Fachgebietes mit einer - hier nicht streitbefangenen - MdE von 40 v.H. bewertet. Im Bescheid vom 9. Mai 2003 hat er das Augenleiden als weitere Schädigungsfolge anerkannt. Zwar finden sich im Wortlaut des Bescheides vom 9. Mai 2003 keine Angaben über die Höhe der hierdurch bedingten MdE. Der Hinweis im Schriftsatz des Beklagten vom gleichen Tage, dass eine Teil-MdE von 10 v.H. nicht zur Erhöhung der Gesamt-MdE führe und die anerkannten Grundsätze (vgl. Rdnr. 18 Ziffer 4, S. 31 der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz - Anhaltspunkte -), wonach nur solche Gesundheitsstörungen bescheidmäßig zu erfassen sind, die wenigstens eine MdE von 10 v.H. rechtfertigen, bestätigen den Senat in der Annahme, dass der Beklagte die MdE des Augenleidens mit 10 v.H. einschätzt. Diese Bewertung entspricht auch den Vorgaben in den Anhaltspunkten (Ziffer 26.4 S. 66), wonach nach dem Schema von Haase und Steinhorst bei Doppelbildern nur in einigen Blickfeldbereichen, hier laut Gutachten des Prof. Dr. B nach oben und unten, eine MdE von 10 v.H. vorgesehen ist.
Wird - wie hier - die Erwerbsfähigkeit des Versorgungsberechtigten durch mehrere Gesundheitsstörungen beeinträchtigt, ist eine die Gesamtauswirkung der Gesundheitsstörungen zusammenfassende Minderung der Erwerbsfähigkeit festzusetzen.
Maßgebend für die Gesamt-MdE-Bildung sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander (vgl. Anhaltspunkte, Rdnr. 19, S. 33 ff). Zu beachten ist danach, inwieweit die Auswirkungen der einzelnen Gesundheitsstörungen voneinander unabhängig sind und damit ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen, ob sich eine Gesundheitsstörung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt, wie weit sich die Auswirkungen der Störungen und der hiervon ausgehenden Funktionsbeeinträchtigungen überschneiden und dass das Ausmaß einer Funktionsbeeinträchtigung durch hinzutretende Gesundheitsstörungen oft gar nicht verstärkt wird. Auszugehen ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung, die die höchste Einzel-MdE bedingt. Es ist zu prüfen, ob und inwieweit eine oder mehrere der übrigen Gesundheitsstörungen das Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigung der Erkrankung mit der höchsten MdE verstärken. Grundsätzlich können leichte Gesundheitsstörungen, die nur eine MdE von 10 v.H. bedingen, nicht zu einer wesentlichen Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung führen, die bei der Gesamt-MdE berücksichtigt werden können. Auch bei Funktionsbeeinträchtigungen mit einer MdE von 20 v.H. ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Gesamt-MdE zu schließen (vgl. Anhaltspunkte, a.a.O. sowie ständige Rechtsprechung des Senats).
Diese Grundsätze lassen es nach Auffassung des Senats nicht zu, die Gesamtauswirkungen der hier anerkannten Funktionsbeeinträchtigungen mit 50 v.H. zu bewerten. Das Sozialgericht und die von ihm zur Rechtfertigung seiner Beurteilung zitierte Augenärztin W im Gutachten vom 9. Januar 2001 sind eindeutig zu einer Fehleinschätzung gelangt. Da das Augenleiden des Klägers unabhängig von seinen anerkannten seelischen Störungen zu betrachten ist, kann es die Auswirkungen dieser Störungen - ungeachtet des ohnehin geringen Ausmaßes des Augenschadens - auch nicht verstärken. Schon von daher scheidet eine Erhöhung der MdE des Klägers auf 50 v.H. aus.
Die Feststellung der Frau W in ihrem Gutachten, die Gesamt-MdE des Klägers mache 50 v.H. aus, entfaltet keine irgendwie geartete Bindungswirkung. Es ist nicht die eigentliche Aufgabe der ärztlichen Sachverständigen, die MdE zu bewerten. Ihre vorrangige Aufgabe ist es, die Gesundheits- und Funktionsstörungen zu beschreiben. Die Auswirkungen dieser Funktionsstörungen in Beruf, Arbeit und Gesellschaft sind durch die Verwaltung und die Gerichte zu bewerten (vgl. u.a. Urteil des Bundessozialgerichts vom 23. Juni 1993 - 9/9 a RVs 1/92 und in Breithaupt 1993 S. 943, 946).
Das Urteil des Sozialgerichts konnte deshalb keinen Bestand haben, soweit es entschieden hat, dass dem Kläger Versorgungsbezüge nach einer MdE von 50 v.H. ab Juni 1997 zustehen.
Die Kostenentscheidung entspricht dem Ergebnis in der Hauptsache und ergibt sich aus § 193 Sozialgerichtsgesetz -SGG-. Der Senat hat hierbei berücksichtigt, dass der Kläger mit einem Teil seines Klagebegehrens durch die Anerkennung einer weiteren Schädigungsfolge, für die ein Heilbehandlungsanspruch besteht, Erfolg gehabt hat.
Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Tatbestand:
Streitig ist die Höhe einer Versorgungsrente.
Der 1963 geborene Kläger wurde am 30. Juni 1997 in S (Mecklenburg-Vorpommern) Opfer einer rassistisch motivierten Gewalttat im Sinne des § 1 Opferentschädigungsgesetz -OEG-.
Auf den am 21. Juli 1997 gestellten Antrag, ihm Versorgung nach dem OEG zu gewähren, veranlasste der Beklagte u.a. eine Untersuchung des Klägers durch die Ärztin für Psychiatrie und Neurologie H. Diese empfahl in ihrem Gutachten vom 13. Juni 2000 die Anerkennung von Hirnleistungsstörungen nach Schädel-Hirn-Trauma und einer posttraumatischen Belastungsstörung mit depressiver Symptomatik als Schädigungsfolgen. Die jeweilige Minderung der Erwerbsfähigkeit -MdE- betrage 30 v.H. Da sich die seelischen Auswirkungen beider Komplexe teilweise überschnitten, sei die Gesamt-MdE mit 40 v.H. zu bewerten.
Wegen der außerdem vom Kläger geklagten Sehstörungen, u.a. bescheinigt durch einen Bericht der Sehschule der Augenklinik und Poliklinik des Uklinikums BFvom 1.Oktober 1997, die die Augenärztin Dr. H den Auswirkungen der Gewalttat zuschrieb (Befundbericht vom 5. Oktober 1998), erfolgte am 9. Januar 2001 eine augenärztliche Untersuchung durch die Augenärztin W. Sie stellte eine Doppelbildwahrnehmung beim Blick nach unten fest. Diese Problematik sei ohne Zweifel als Verletzungsfolge zu werten. Die MdE hierfür betrage 10 v.H., die Gesamt-MdE schätze sie mit 50 v.H. ein. In seiner undatierten augenärztlichen Stellungnahme, beruhend auf dem Auftrag des Beklagten vom 28. Januar 2001, wies der Augenarzt Dr. M u.a. darauf hin, dass die Motilität der Augen anlässlich der konsiliarischen Untersuchungen des Klägers im Krankenhaus G am 1. und am 7. Juli 1997 intakt gewesen sei. Es seien keine Doppelbilder und keine Augenmuskelparesen festgestellt worden. Er habe nach den vorliegenden medizinischen Unterlagen Zweifel, dass die Gewalttat vom 30. Juni 1997 zu Augenmuskellähmungen geführt habe, die Ursache der Doppelbildwahrnehmungen seien. Er halte die angegebenen Doppelbilder für nicht wahrscheinlich schädigungsbedingt.
Durch Bescheid vom 23. Juli 2001 erkannte der Beklagte als Folgen einer Schädigung im Sinne des § 1 OEG die Gesundheitsstörungen Hirnleistungsstörungen nach Schädel-Hirn-Trauma II. Grades, posttraumatische Belastungsstörung mit depressiver- und Angstsymptomatik
an und stellte mit Wirkung ab 1. Juni 1997 einen Anspruch auf Zahlung von Versorgungsbezügen nach einer MdE von 40 v.H. fest. Die Anerkennung weiterer Gesundheitsstörungen schloss er aus.
Im Widerspruchsbescheid vom 9. Oktober 2001 führte der Beklagte dann u.a. aus, die vom Kläger geltend gemachte Sehstörung könne nicht mit der im Versorgungsrecht geforderten Wahrscheinlichkeit ursächlich auf die Schädigung am 30. Juni 1997 zurückgeführt werden. Einer Wahrnehmung von Doppelbildern liege nach medizinischer Lehrmeinung eine Lähmung eines oder mehrerer Augenmuskeln zugrunde. In den beigezogenen Befundunterlagen habe sich jedoch kein Nachweis für eine Lähmung der entsprechenden Augenmuskeln finden lassen. Auch sei diese durch die beschriebenen Frakturen nicht wahrscheinlich.
Das hiergegen vom Kläger angerufene Sozialgericht entschied nach Einholung eines Befundberichtes der Augenärztin Dr. H vom 31. Januar 2002 durch Urteil vom 17. Juni 2002, dass bei dem Kläger als weitere Schädigungsfolge "Doppelbildwahrnehmungen beim Blick nach unten" anzuerkennen sei und dass ihm Versorgungsbezüge nach einer MdE von 50 v.H. zuständen. Das Gericht gab den Feststellungen der Augenärztin W in ihrem Gutachten vom 9. Januar 2001 zur Doppelbildproblematik den Vorzug gegenüber der undatierten Stellungnahme des Dr. M. Der Ärztin W sei auch hinsichtlich der Bildung der Gesamt-MdE zu folgen.
Gegen das am 15. August 2002 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Beklagten vom 29. August 2002, der nur - noch - die Bildung der Gesamt-MdE mit 50 rügt. Die Doppelbildwahrnehmungen führten als zusätzliche leichte Gesundheitsstörung nicht zu einer Erhöhung der MdE.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 17. Juni 2002 zu ändern und die Klage insoweit abzuweisen, als eine höhere Gesamt-MdE als 40 v.H. begehrt werde.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und den Bescheid vom 9. Mai 2003 insoweit zu ändern, als darin die MdE mit 40 v.H. festgestellt worden ist.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Senat hat im Zuge weiterer medizinischer Ermittlungen das augenärztliche Gutachten des Prof. Dr. B - in Zusammenarbeit mit der Assistenzärztin S - vom 27. Februar 2003 eingeholt. Dieser hat festgestellt, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit u.a. ein auf das Ereignis vom 30. Juni 1997 zurückzuführendes Doppelbildsehen nach oben und unten vorliege. Die MdE betrage 10 v.H. und wirke sich erhöhend auf die Gesamt-MdE aus, weil sie unabhängig von den bereits anerkannten Schädigungen zu betrachten sei.
Durch den Bescheid vom 9. Mai 2003 hat der Beklagte "Doppelbildwahrnehmungen nach Augenmuskelverletzung" als weitere Schädigungsfolge anerkannt und festgestellt, dass die Gesamt-MdE weiterhin 40 v.H. betrage.
Der Kläger, der auf einer MdE von 50 v.H. besteht, sieht den Rechtsstreit durch den Bescheid vom 9. Mai 2003 nicht als erledigt an.
Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Verwiesen wird außerdem auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakten des Beklagten, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Beklagten ist begründet. Das Sozialgericht hat zu Unrecht festgestellt, dass das Augenleiden des Klägers die Gesamt-MdE auf 50 v.H. erhöht.
Streitig ist in der Berufungsinstanz allein noch das Ausmaß der Gesamtauswirkung der hier in den Bescheiden vom 23. Juli 2001 und vom 9. Mai 2003 anerkannten Gesundheitsstörungen, durch das auch die Höhe des Versorgungsanspruchs des Klägers bestimmt wird. Im Bescheid vom 23. Juli 2001 hatte der Beklagte die Gesundheitsstörungen des neurologisch-psychiatrischen Fachgebietes mit einer - hier nicht streitbefangenen - MdE von 40 v.H. bewertet. Im Bescheid vom 9. Mai 2003 hat er das Augenleiden als weitere Schädigungsfolge anerkannt. Zwar finden sich im Wortlaut des Bescheides vom 9. Mai 2003 keine Angaben über die Höhe der hierdurch bedingten MdE. Der Hinweis im Schriftsatz des Beklagten vom gleichen Tage, dass eine Teil-MdE von 10 v.H. nicht zur Erhöhung der Gesamt-MdE führe und die anerkannten Grundsätze (vgl. Rdnr. 18 Ziffer 4, S. 31 der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz - Anhaltspunkte -), wonach nur solche Gesundheitsstörungen bescheidmäßig zu erfassen sind, die wenigstens eine MdE von 10 v.H. rechtfertigen, bestätigen den Senat in der Annahme, dass der Beklagte die MdE des Augenleidens mit 10 v.H. einschätzt. Diese Bewertung entspricht auch den Vorgaben in den Anhaltspunkten (Ziffer 26.4 S. 66), wonach nach dem Schema von Haase und Steinhorst bei Doppelbildern nur in einigen Blickfeldbereichen, hier laut Gutachten des Prof. Dr. B nach oben und unten, eine MdE von 10 v.H. vorgesehen ist.
Wird - wie hier - die Erwerbsfähigkeit des Versorgungsberechtigten durch mehrere Gesundheitsstörungen beeinträchtigt, ist eine die Gesamtauswirkung der Gesundheitsstörungen zusammenfassende Minderung der Erwerbsfähigkeit festzusetzen.
Maßgebend für die Gesamt-MdE-Bildung sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander (vgl. Anhaltspunkte, Rdnr. 19, S. 33 ff). Zu beachten ist danach, inwieweit die Auswirkungen der einzelnen Gesundheitsstörungen voneinander unabhängig sind und damit ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen, ob sich eine Gesundheitsstörung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt, wie weit sich die Auswirkungen der Störungen und der hiervon ausgehenden Funktionsbeeinträchtigungen überschneiden und dass das Ausmaß einer Funktionsbeeinträchtigung durch hinzutretende Gesundheitsstörungen oft gar nicht verstärkt wird. Auszugehen ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung, die die höchste Einzel-MdE bedingt. Es ist zu prüfen, ob und inwieweit eine oder mehrere der übrigen Gesundheitsstörungen das Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigung der Erkrankung mit der höchsten MdE verstärken. Grundsätzlich können leichte Gesundheitsstörungen, die nur eine MdE von 10 v.H. bedingen, nicht zu einer wesentlichen Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung führen, die bei der Gesamt-MdE berücksichtigt werden können. Auch bei Funktionsbeeinträchtigungen mit einer MdE von 20 v.H. ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Gesamt-MdE zu schließen (vgl. Anhaltspunkte, a.a.O. sowie ständige Rechtsprechung des Senats).
Diese Grundsätze lassen es nach Auffassung des Senats nicht zu, die Gesamtauswirkungen der hier anerkannten Funktionsbeeinträchtigungen mit 50 v.H. zu bewerten. Das Sozialgericht und die von ihm zur Rechtfertigung seiner Beurteilung zitierte Augenärztin W im Gutachten vom 9. Januar 2001 sind eindeutig zu einer Fehleinschätzung gelangt. Da das Augenleiden des Klägers unabhängig von seinen anerkannten seelischen Störungen zu betrachten ist, kann es die Auswirkungen dieser Störungen - ungeachtet des ohnehin geringen Ausmaßes des Augenschadens - auch nicht verstärken. Schon von daher scheidet eine Erhöhung der MdE des Klägers auf 50 v.H. aus.
Die Feststellung der Frau W in ihrem Gutachten, die Gesamt-MdE des Klägers mache 50 v.H. aus, entfaltet keine irgendwie geartete Bindungswirkung. Es ist nicht die eigentliche Aufgabe der ärztlichen Sachverständigen, die MdE zu bewerten. Ihre vorrangige Aufgabe ist es, die Gesundheits- und Funktionsstörungen zu beschreiben. Die Auswirkungen dieser Funktionsstörungen in Beruf, Arbeit und Gesellschaft sind durch die Verwaltung und die Gerichte zu bewerten (vgl. u.a. Urteil des Bundessozialgerichts vom 23. Juni 1993 - 9/9 a RVs 1/92 und in Breithaupt 1993 S. 943, 946).
Das Urteil des Sozialgerichts konnte deshalb keinen Bestand haben, soweit es entschieden hat, dass dem Kläger Versorgungsbezüge nach einer MdE von 50 v.H. ab Juni 1997 zustehen.
Die Kostenentscheidung entspricht dem Ergebnis in der Hauptsache und ergibt sich aus § 193 Sozialgerichtsgesetz -SGG-. Der Senat hat hierbei berücksichtigt, dass der Kläger mit einem Teil seines Klagebegehrens durch die Anerkennung einer weiteren Schädigungsfolge, für die ein Heilbehandlungsanspruch besteht, Erfolg gehabt hat.
Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
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