L 8 AL 100/02

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 77 AL 2861/01
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 8 AL 100/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 28. Oktober 2002 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Höhe von gezahltem Überbrückungsgeld.

Der 1972 geborene Kläger ist Architekt und war als Bauleiter vom 1. Juli 1998 an versicherungs- und beitragspflichtig beschäftigt. Er beendete die Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen zum 29. Februar 2000 auf eigenen Wunsch mit Aufhebungsvertrag vom 1. Februar 2000. Nachdem der Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg) wegen Eintritts einer Sperrzeit von 6 Wochen geruht hatte (Bescheid vom 17. Mai 2000 und Widerspruchsbescheid vom 7. Juni 2000), bezog er vom 12. April 2000 an bis zum 25. Dezember 2000 für 258 Tage (bei einer Minderung der Anspruchsdauer von 42 Tagen durch den Eintritt der Sperrzeit) Alg in Höhe von 480,83 DM wöchentlich auf der Grundlage eines Bemessungsentgelts von 1390 DM.

Ende des Jahres 2000 begann der Kläger mit den Vorbereitungen zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit: Er wurde am 16. November 2000 in die Architektenliste der Architektenkammer Berlin als freischaffender Architekt eingetragen. Mit Gesellschaftsvertrag vom 22. Dezember 2000 gründete er gemeinsam mit dem Mitgesellschafter B eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts zum Zwecke eines Architekturbüros mit Sitz in Berlin-N in bereits im Oktober 2000 angemieteten Büroräumen. Nach dem Gesellschaftsvertrag begann die Gesellschaft am 1. Januar 2000, gemeint ist der 1. Januar 2001. Sieben Aufträge (mit einem Auftragsvolumen von insgesamt 168.230 DM) wurden bereits im Dezember 2000 angenommen. Am 24. Oktober 2000 informierte sich der Kläger nach seinen Angaben erstmals über eine mögliche Förderung der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit durch das Arbeitsamt.

Am 20. Dezember 2000 sprach der Kläger bei der Beklagten vor, informierte sich bei der zuständigen Bearbeiterin F über mögliche Hilfen zur beabsichtigten Existenzgründung zum 1. Januar 2001 und beantragte (mündlich) und ergänzend schriftlich am 28. Dezember 2000 Überbrückungsgeld vom 1. Januar 2001 bis zum 30. Juni 2001. Bei einem Telefonat am 23. März 2001, über das kein Beratungsvermerk vorliegt, teilte die Sachbearbeiterin F ihm nach seinen Angaben mit, er müsse – um Überbrückungsgeld erhalten zu können – für die Zeit vom 26. Dezember 2000 bis zum 31. Dezember 2000 Arbeitslosenhilfe (Alhi) beantragen. Einen solchen Antrag stellte er sodann am 4. April 2001 mit Wirkung zum 26. Dezember 2000; die Beklagte bewilligte Alhi in Höhe von 56, 80 DM täglich für den Zeitraum vom 26. Dezember 2000 bis zum 31. Dezember 2000, insgesamt 340,80 DM (Bescheid vom 6. April 2001).

Mit Bescheid vom 9. Mai 2001 bewilligte die Beklagte Überbrückungsgeld für die Zeit vom

1. Januar 2001 bis zum 30. Juni 2001 in Höhe von 2569,63 DM monatlich als Zuschuss (insgesamt 15.417,78 DM). Wegen der Höhe der Leistung erhob der Kläger Widerspruch. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17. Juli 2001 zurück: Berechnungsgrundlage für das Überbrückungsgeld sei die Arbeitslosenhilfe in Höhe von 1704 DM monatlich zuzüglich der hierauf entfallenden Sozialpauschale von 50,8 % (also 865,63 DM), damit ergebe sich ein monatliches Überbrückungsgeld in Höhe von 2569,63 DM, das im angefochtenen Bescheid zutreffend festgesetzt worden sei.

Die hiergegen zum Sozialgericht (SG) Berlin erhobenen Klage, mit der der Kläger insgesamt weitere 5.490,08 DM als Überbrückungsgeld und damit eine Bemessung nach dem zuletzt bezogenen Alg geltend gemacht hat, hat das SG mit Urteil vom 28. Oktober 2002 abgewiesen. Lediglich bei der Frage, ob Überbrückungsgeld bewilligt werde, stehe der Beklagten nach § 57 Abs. 1 und 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) ein Ermessen zu, das sie zu Gunsten des Klägers ausgeübt habe. Die vom Kläger angegriffene Entscheidung über die Höhe der Leistung habe nach § 57 Abs. 4 SGB III gebunden zu ergehen. Danach setze sich das Überbrückungsgeld aus einem Betrag zusammen, den der Arbeitnehmer als Alg oder Alhi zuletzt bezogen habe oder bei Arbeitslosigkeit hätte beziehen können, sowie den darauf entfallenden pauschalierten Sozialversicherungsbeiträgen. Der in Abs. 2 geforderte enge zeitliche Zusammenhang spiele für die Leistungshöhe dabei keine Rolle, weil er ausschließlich Tatbestandsmerkmal bei der Entscheidung über das Ob der Leistung sei. Nach Wortlaut und Regelungszweck der Vorschrift könne nach Erschöpfung des Alg-Anspruches die zuletzt bezogene Leistung (tatsächlich oder fiktiv) als Bezugspunkt für das Überbrückungsgeld nur der Alhi-Anspruch sein, wenn der Beginn des Überbrückungsgeldes nicht nahtlos an den Alg-Bezug anschließe. Die Beratung der Beklagten, diesen (bestehenden) Alhi-Anspruch tatsächlich auch geltend zu machen, sei daher nicht fehlerhaft gewesen; auch wenn der Kläger den Anspruch nicht durch Antragstellung realisiert hätte, wäre das Überbrückungsgeld nach der (fiktiven) Alhi zu bemessen gewesen. Der Kläger könne den Anspruch auf höheres Überbrückungsgeld auch nicht aus dem Rechtsinstitut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs herleiten mit der Argumentation, er hätte den Beginn seiner selbständigen Tätigkeit vorverlegt, wenn er hinsichtlich der leistungsrechtlichen Konsequenzen des früheren Beginns richtig beraten worden wäre. Denn tatsächliche Lebenssachverhalte könnten über das richterrechtlich begründete Rechtsinstitut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht korrigiert werden, sondern nur im Sozialversicherungsverhältnis vorzunehmende Gestaltungsrechte. Die selbständige Tätigkeit als freischaffender Architekt seit dem 16. November 2000 sei vom Antrag des Klägers nicht erfasst, den dieser (bezogen auf diesen Zeitpunkt) verspätet gestellt habe. Überdies sei diese Tätigkeit nicht geeignet gewesen, die Arbeitslosigkeit zu beenden. Ein eventuell auf diesen Zeitpunkt bezogener Antrag könne nicht Gegenstand des Verfahrens sein, da keine Entscheidung der Beklagten vorliege und Streitgegenstand nur die Höhe der Leistung sei.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers. Er ist weiterhin der Ansicht, dass auch bei der Höhe der Leistung ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen zuletzt bezogener Leistung und Höhe des Überbrückungsgeldes genüge. Solange Alg tatsächlich in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit dem Überbrückungsgeld bezogen worden sei, komme es nicht darauf an, ob er anschließend Alhi hätte beziehen können, da der Bezug von Alg dem (im Zeitpunkt der Antragstellung) nur fiktiven Bezug von Alhi vorgehe. Es sei daher unzutreffend gewesen, den Bezug der Alhi als notwendig anzusehen und aus diesem Grund noch im Nachhinein auf die Antragstellung hinzuwirken. Folge man dieser Auffassung nicht, ergebe sich der Anspruch auf höheres Überbrückungsgeld auch aus einem (weiteren) Beratungsfehler der Beklagten. Er habe ausdrücklich gefragt, ob der Zeitpunkt der Aufnahme der Selbständigkeit entscheidend für die Höhe des Überbrückungsgeldes sei. Dies sei von der Sachbearbeiterin verneint worden. Er habe im Vertrauen auf diese Beratung tatsächlich nicht noch vor Erschöpfung des Alg-Anspruchs bzw. unmittelbar im Anschluss daran seine selbständige Tätigkeit aufgenommen, obwohl dies möglich und unter diesen Voraussetzungen auch das einzig Sinnvolle gewesen wäre. Die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit und die Gründung der Gesellschaft zum 1. Januar 2001 seien unter steuerlichen Gesichtspunkten erfolgt, da so eine aufwendige steuerliche Abrechnung noch für das Jahr 2000 erspart geblieben sei. Da die Steuerberatungskosten aber geringer gewesen wären als das dann höhere Überbrückungsgeld, hätte er die selbständige Tätigkeit früher aufgenommen, wenn er gewusst hätte, dass es auf den Beginn der Selbständigkeit unmittelbar im Anschluss an den Alg-Bezug im Dezember 2000 ankomme.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom28. Oktober 2002 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 9. Mai 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juli 2001 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm weiteres Überbrückungsgeld in Höhe von 2.807, 03 EUR zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.

Dem Senat haben die Verwaltungsakten der Beklagten betreffend die Gewährung von Alg und Alhi und betreffend die Gewährung von Überbrückungsgeld sowie die Akten des SG Berlin (S 77 AL 2861/01) vorgelegen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zutreffend hat das SG entschieden, dass dem Kläger höheres Überbrückungsgeld nicht zusteht.

Nach § 57 Abs. 1 und 2 Nrn. 1 Buchst. a und 2 SGB III in der hier zur Anwendung kommenden Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (2. SGB III-ÄndG) vom 21.7.1999 (BGBl I 1648) können Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden, zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung Überbrückungsgeld erhalten, u.a. wenn der Arbeitnehmer in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit mindestens vier Wochen Alg, Alhi oder Kurzarbeitergeld (Kug) nach dem SGB III bezogen und eine Stellungnahme einer fachkundigen Stelle über die Tragfähigkeit der Existenzgründung vorgelegt hat. Das Überbrückungsgeld wird für die Dauer von sechs Monaten geleistet (Abs. 3).

Die Höhe des dem Kläger auf dieser Grundlage vom 1. Januar 2001 bis zum 30. Juni 2001 dem Grunde nach gewährten Überbrückungsgeldes richtet sich nach Abs. 4 der Vorschrift: Nach dessen Satz 1 setzt sich das Überbrückungsgeld zusammen aus einem Betrag, den der Arbeitnehmer als Alg oder Alhi zuletzt bezogen hat oder bei Arbeitslosigkeit hätte beziehen können, und den darauf entfallenden pauschalierten Sozialversicherungsbeiträgen.

Zutreffend hat die Beklagte danach die Höhe der zuletzt bezogenen Alhi der Bemessung der Leistung zugrunde gelegt; Berechnungsfehler sind dabei nicht erkennbar. Der Anspruch auf Alhi, den der Kläger zwar nicht vor Beginn der Selbständigkeit, aber vor der Entscheidung über das Überbrückungsgeld realisiert hat, ist als zuletzt vor der Bewilligungsentscheidung tatsächlich gezahlte Leistung für den Zahlbetrag der vorliegend streitigen Leistung maßgebend (vgl. Estelmann in Hennig ua., SGB III, § 57 RdNr. 80). Auf die vom SG diskutierte Frage, ob ausnahmsweise anderes gilt, wenn die zuletzt bezogene Leistung zu Ungunsten fehlerhaft bewilligt war, kommt es nicht an, denn die Bewilligung der Alhi war dem Grunde und der Höhe nach rechtmäßig. Der Kläger war arbeitslos und zwar ohne Unterbrechung vom Ende seiner vorangegangenen Beschäftigung bis zum 31. Dezember 2000. Insbesondere im Zeitraum nach seiner Eintragung in die Architektenliste am 16. November 2000 und weiterhin nach Erschöpfung seines Alg-Anspruchs am 26. Dezember 2000 lagen nach den Feststellungen des Senats sowohl Beschäftigungslosigkeit als auch Beschäftigungssuche im Sinne des § 118 Abs. 1 SGB III vor. Die in dieser Zeit durchgeführten Arbeiten im Vorfeld der Aufnahme einer selbständigen Beschäftigung haben nach seinen glaubhaften Schilderungen in der mündlichen Verhandlung – wie in den Wochen zuvor - 15 Stunden wöchentlich nicht erreicht. Insbesondere kann weder aus der Anmietung der Büroräume weit vor der Gesellschaftsgründung noch aus der Akquirierung einiger Aufträge geschlossen werden, die beiden Gesellschafter hätten die gemeinsame selbständige Tätigkeit bereits aufgenommen. Der Kläger hat vielmehr dargelegt, sein Mitgesellschafter sei zuvor alleine tätig gewesen, was die Anmietung der Räume zu einem so frühen Zeitpunkt erkläre. Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte ist die weitere Angabe, tatsächlich habe er seine Arbeitskraft nicht schon vor dem 1. Januar 2001 in nennenswertem Maße zur Vorbereitung oder gar bereits zur Ausübung einer selbständigen Architektentätigkeit genutzt, nachvollziehbar. Auch das Merkmal der Beschäftigungssuche hat während des gesamten Zeitraums vorgelegen. Der Kläger hat der Beklagten gegenüber bei Antragstellung am 20. Dezember 2000 die Aufnahme der selbständigen Beschäftigung zum 1. Januar 2001 angezeigt. Weitere Einschränkungen hinsichtlich seiner Verfügbarkeit insbesondere nach den Feiertagen hat er nicht gemacht. Die persönliche Arbeitslosmeldung als Voraussetzung für die Beschäftigungssuche ist also erst mit der Aufnahme der selbständigen Beschäftigung zum 1. Januar 2001 erloschen (§ 120 Abs. 2 Nr. 2 SGB III), nicht schon zuvor nach Erschöpfung des Alg-Anspruchs. Mit den Angaben des Klägers ist auch vom Vorliegen der übrigen in § 119 SGB III genannten Voraussetzungen der Beschäftigungssuche auszugehen. Da der Anspruch auf Alhi mit der persönlichen Arbeitslosmeldung als beantragt galt (§ 323 Abs. 1 Satz 2 SGB III) und die in § 190 SGB III aufgezählten übrigen Voraussetzungen dieser Leistung – insbesondere Bedürftigkeit - vorlagen, ist die Bewilligung der Leistung im April 2001 zutreffend erfolgt.

Kein anderes Ergebnis ergäbe sich, wenn der Kläger – und sei es auf entsprechende Beratung der Beklagten hin – auf die Geltendmachung der Alhi verzichtet oder bereits zum 26. Dezember 2000 seine Arbeitslosmeldung beendet oder – entgegen den Feststellungen des Senats - tatsächlich von diesem Zeitpunkt an (oder bereits zuvor) dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung gestanden hätte, etwa weil er so kurz vor Beginn der selbständigen Tätigkeit zur Aufnahme einer anderen Beschäftigung nicht mehr bereit gewesen wäre. In all diesen Fällen hätte er zwar Alhi unmittelbar vor Beginn der Selbständigkeit nicht beziehen können. Fehlt es am unmittelbaren Vorbezug einer Lohnersatzleistung, ist das Überbrückungsgeld nach § 57 Abs. 4 Satz 1 2. Alternative SGB III in Höhe der Leistung zu zahlen, auf die zuletzt vor Beginn der Selbständigkeit bei Arbeitslosigkeit Anspruch bestanden hätte. Damit ist aus Sicht des Senats maßgeblich für die Höhe das zuletzt vor Beginn der Selbständigkeit bestehende Stammrecht auf Alg oder Alhi, wie es im Fall der Arbeitslosigkeit realisiert werden könnte. In allen geschilderten Fallkonstellationen hätte aber ein Stammrecht auf Alhi zuletzt vor Beginn der Selbständigkeit bestanden: Bei fehlender Arbeitslosigkeit (nach Erlöschen der Meldung oder bei fehlender Beschäftigungssuche) besteht der Anspruch auf Alhi dem Grunde nach zumindest ein Jahr lang im Anschluss an den Alg-Bezug fort (§§ 190 Abs. 1 Nr. 4, 192 Abs. 1 Satz 1 SGB III). Da die übrigen in § 190 SGB III genannten Voraussetzungen vorlagen, hätte zuletzt vor dem Beginn der Selbständigkeit jedenfalls ein Anspruch auf Alhi dem Grunde nach bestanden, dessen Höhe für die Höhe des Überbrückungsgeldes maßgeblich gewesen wäre. Ein Verzicht auf diese Leistung nach § 46 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) bewirkt nicht, dass das Recht auf Alhi als solches (das Stammrecht) mit den daraus entstehenden Einzelansprüchen erlischt; vielmehr erlöschen bis zum möglichen Widerruf (§ 46 Abs. 1 Satz 2 SGB I) lediglich die jeweils künftig fällig werdenden Einzelansprüche aus diesem Recht (BSG SozR 3-1200 § 46 Nr 3 S. 5; BSGE 66, 44 = SozR 5795 § 7 Nr 1). Die Beratung des Arbeitsamtes dahin, den Anspruch auf Alhi tatsächlich noch geltend zu machen und nicht etwa darauf zu verzichten, hat für den Kläger also keine Nachteile mit sich gebracht.

Dagegen käme es bei der Bemessung der Leistung in dem Fall, dass Alhi nicht bewilligt worden wäre, (anders als der Kläger meint) nicht auf die Höhe des zuletzt an ihn tatsächlich gezahlten Alg an. Ein Vorrang der tatsächlich in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit bezogenen Leistung vor der fiktiv bei Arbeitslosigkeit zu zahlenden Leistung besteht bei Bestimmung der Höhe des Überbrückungsgeldes nicht. Eine solche Auslegung des § 57 Abs. 4 SGB III gebietet insbesondere nicht § 57 Abs. 2 SGB III, soweit dieser für den Anspruch auf Überbrückungsgeld dem Grunde nach einen Vorbezug von Alg schon ausreichen lässt, wenn er in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Beginn der selbständigen Tätigkeit erfolgt. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

Mit dem 2. SGB III-ÄndG ist eine Änderung des § 57 Abs. 2 Nr. 1 SGB III dahin erfolgt, dass nicht mehr der unmittelbare Vorbezug von Alg oder Alhi oder Kug erforderlich ist, sondern der Bezug einer solchen Lohnersatzleistung in engem zeitlichen Zusammenhang als Voraussetzung für die Gewährung des Überbrückungsgeldes genügt. Zugleich sind die Regelungen über Dauer und Höhe der Leistung (zuvor in einem einheitlichen Absatz 3 geregelt) in jeweils eigenen Absätzen neu gefasst worden. Die zuerst genannte Neuregelung diente im Anschluss an vorangegangene Rechtsprechung des BSG der Klarstellung dahin, dass zwischen dem vorherigen Leistungsbezug und der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit ein Übergangszeitraum (etwa ein Monat) liegen dürfe. Eine als absolut verstandene Unmittelbarkeit des Übergangs würde den praktischen Erfordernissen bei der Existenzgründung, die keinen punktuellen Vorgang darstelle, nicht gerecht. Die Regelung der Leistungsdauer und Leistungshöhe in eigenen Absätzen diente der größeren Klarheit (zu den Gesetzesmotiven BT-Drucks 14/873 Seite 12).

Damit dient das Erfordernis eines engen zeitlichen Zusammenhangs in Abs. 2, auf das der Kläger seine Argumentation stützt, neben einer Lösung für Fälle des Ruhens der Leistung allein dazu, Berechtigten in solchen Fällen zu einem Anspruch auf Überbrückungsgeld zu verhelfen, in denen in der Zeit unmittelbar vor Aufnahme der Selbständigkeit die für die Lohnersatzleistungen Alg und Alhi erforderliche Voraussetzung der Arbeitslosigkeit (vor allem wegen Fehlens der subjektiven Voraussetzungen hierfür) nicht gegeben ist. Dieses Verständnis entspricht der Zielsetzung des Überbrückungsgeldes, den Übergang in die Selbständigkeit in den Fällen zu erleichtern, in denen anderenfalls weiterhin die mit der Arbeitslosigkeit verbundenen Lohnersatzleistungen zu zahlen wären; neben dem arbeitsmarktpolitischen Zweck der Bekämpfung von Arbeitslosigkeit geht es also auch um Entlastung der Beklagten von denjenigen Kosten, die durch die Inanspruchnahme von Alg oder Alhi noch entstehen können. Anders kann das grundsätzliche Erfordernis, dass der Vorbezug von Alg oder Alhi überhaupt Voraussetzung für den Anspruch auf Überbrückungsgeld ist, nicht verstanden werden (Estelmann in Hennig ua., SGB III, § 57 RdNr. 33). Dem widerspricht es aber gerade nicht, für die Bemessung der Leistung an das unmittelbar vor Selbständigkeit bestehende Stammrecht anzuknüpfen. Denn das Überbrückungsgeld soll nach Absatz 1 der Vorschrift der Sicherung des Lebensunterhalts dienen, soweit der Betrag dem Alg oder der Alhi entspricht, sowie der sozialen Sicherung, soweit pauschalierte Sozialversicherungsbeiträge gezahlt werden. Dann ist es nur folgerichtig, der Höhe nach an den Leistungsumfang anzuknüpfen, wie er unmittelbar vor Beginn der Selbständigkeit durch die Lohnersatzleistungen des SGB III gesichert war oder bei Arbeitslosigkeit gesichert worden wäre, wie Absatz 4 es ausdrücklich bestimmt. Daher kann der Kläger auch nicht erfolgreich geltend machen, die Anknüpfung an die vorliegend nur sehr kurze Zeit des Leistungsbezuges der Alhi verletze Gleichheitsgesichtspunkte. Denn es ist durchaus sachgerecht, bei der Höhe der Leistung – wenn auch nur typisierend – daran anzuknüpfen, welche Leistung das System des SGB III dem Arbeitslosen ohne die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit in Zukunft bereit gehalten hätte. Der Senat neigt schließlich in Konsequenz der dargelegten Systematik dazu, einen Anspruch auf Überbrückungsgeld schon dem Grunde nach zu verneinen, wenn nach Erschöpfung des Anspruchs auf Alg (und sei es in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Beginn der Selbständigkeit) ein Anspruch auf Alhi wegen fehlender Bedürftigkeit nicht besteht. Es ist in diesen Fällen kein Bedürfnis erkennbar, mit öffentlich-rechtlichen Leistungen der Arbeitslosenversicherung zur Sicherung des Lebensunterhalts eines Selbständigen beizutragen, der bei Arbeitslosigkeit keine Leistungen beziehen könnte. Abschließend brauchte der Senat diese umstrittene Frage (wie hier LSG Hamburg E-LSG AL-199; Winkler in Gagel, SGB III, RdNr. 16; Bernard in Spellbrink/Eicher, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, § 9 RdNr. 103; Götze in GK-SGB III, § 57 RdNr. 31; aA Stark in Wissing ua., SGB III, § 57 RdNr. 7; differenzierend Estelmann in Hennig ua., SGB III, § 57 RdNr. 81; Petzold in Hauck/Noftz, SGB III, § 57 RdNr. 11) aber nicht zu klären.

Einen Anspruch auf höheres Überbrückungsgeld kann der Kläger auch nicht aus einer fehlerhaften Beratung durch die Beklagte im Hinblick auf den günstigsten Zeitpunkt der Aufnahme seiner selbständigen Tätigkeit herleiten. Die Voraussetzungen des richterrechtlich entwickelten sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs sind nicht erfüllt. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch setzt voraus, dass der Sozialleistungsträger eine ihm auf Grund Gesetzes oder bestehenden Sozialrechtsverhältnisses obliegende Pflicht, insbesondere zur Auskunft und Beratung (§§ 15, 14 Sozialgesetzbuch Erstes Buch [SGB I]), verletzt hat (vgl. nur BSG SozR 3-4100 § 249e Nr. 4 S 37 mwN); ferner muss zwischen der Pflichtverletzung des Sozialleistungsträgers und dem Nachteil des Betroffenen ein ursächlicher Zusammenhang bestehen (BSG aaO), und der durch pflichtwidriges Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil muss durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden können.

Auch wenn man eine Beratungspflicht der Beklagten im Hinblick auf die Gestaltungsmöglichkeiten durch die gezielte Aufnahme der selbständigen Tätigkeit annimmt und mit dem Vortrag des Klägers unterstellt, dass die Möglichkeit bestand, den Beginn der Selbständigkeit vorzuverlegen, er mit einem entsprechenden Beratungsbegehren an die Beklagte herangetreten ist und er schließlich die Möglichkeit der früheren Aufnahme der Selbständigkeit auch genutzt hätte, besteht ein Anspruch auf höheres, nach dem Alg zu bemessendes Überbrückungsgeld nicht. Die Voraussetzung, dass der erlittene Nachteil mit verwaltungskonformen Mitteln im Rahmen der gesetzlichen Regelung, also durch eine vom Gesetz vorgesehene zulässige und rechtmäßige Amtshandlung ausgeglichen werden kann, lässt sich in Fällen wie dem vorliegenden nicht erfüllen. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des BSG lässt sich ein Fehlverhalten des Leistungsträgers nur insoweit berichtigen, als die Korrektur bzw. die Ersetzung einer fehlenden Anspruchsvoraussetzung mit dem jeweiligen Gesetzeszweck in Einklang steht (vgl. nur BSG, SozR 3-1200 § 14 Nr. 29 mit weiteren Nachweisen). Mit Hilfe des Herstellungsanspruchs lassen sich also bestimmte sozialrechtliche Voraussetzungen, wie zum Beispiel Anträge als erfüllt ansehen, wenn sie nur wegen einer Pflichtverletzung des Versicherungsträgers bislang fehlen. Ein Anspruch auf höheres Überbrückungsgeld scheitert also nicht zwingend daran, dass diese Leistung zu einem früheren Beginn der Selbständigkeit nicht beantragt worden ist, wie das SG meint; diese Leistungsvoraussetzung könnte ggfs. im Wege des Herstellungsanspruchs ersetzt werden. Die weitere Voraussetzung der Aufnahme der Selbständigkeit, auf die es nach dem Wortlaut des § 57 Abs. 1 und 2 SGB III ankommt, ist aber ein rechtserheblicher Tatbestand, den herzustellen nicht in die Verfügungsmacht der Beklagten fällt, sondern der von einer tatsächlichen Verhaltensweise des Klägers abhängt. Dieser Tatbestand, der nach den Feststellungen des Senats entsprechend den Angaben des Klägers nicht vorlag, kann nicht durch eine Amtshandlung ersetzt werden, da die selbständige Tätigkeit so nie stattgefunden hat, und es also im Ergebnis zu einer vom Gesetzeszweck nicht gedeckten Förderung durch die Gewährung von Überbrückungsgeld käme.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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