L 9 KR 94/04

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 88 KR 1551/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 94/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 02. April 2004 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte die Kosten für eine künstliche Befruchtung durch intracytoplasmatische Spermieninjektion – ICSI – zu übernehmen und die der Klägerin dafür bisher entstandenen Kosten zu erstatten hat.

Die 1969 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Sie lebt zusammen mit ihrem Lebenspartner in einer (gefestigten) nichtehelichen Lebensgemeinschaft. Aufgrund organisch bedingter Sterilität ist es den Partnern nicht möglich, ihren Kinderwunsch auf natürlichem Wege zu erfüllen, so dass eine Befruchtung nur durch eine ICSI-Behandlung durchgeführt werden kann.

Eine von der Klägerin im September 2002 beantragte Kostenübernahme für eine künstliche Befruchtung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 04. Oktober 2002 ab, da Voraussetzung hierfür sei, dass diejenigen, die diese Maßnahme in Anspruch nehmen wollen, miteinander verheiratet seien. Den hiergegen gerichteten Widerspruch der Klägerin, mit dem diese das Bestehen erheblicher Zweifel an der Verfassungsgemäßheit der entsprechenden gesetzlichen Regelung geltend machte, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 07. August 2003 zurück.

Dagegen hat die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht Berlin erhoben. Mit dieser hat sie die Auffassung vertreten, die gesetzliche Leistungsbeschränkung des § 27 a Abs. 1 Nr. 3 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz sowie gegen Artikel 1, 2, 3 und 6 des Grundgesetzes (GG). Der Verstoß ergebe sich daraus, dass der Umfang eines Anspruchs auf Krankenbehandlung, der medizinisch nicht streitig sei, nicht nach dem Familienstand begrenzt werden könne. Diese Beschränkung führe zu einer nicht gerechtfertigten Benachteiligung nichtehelicher Lebensgemeinschaften. Auch aus Art. 6 GG lasse sich zu ihren Lasten nichts Negatives herleiten, insbesondere keine Einschränkung im Rahmen der gesetzlichen Krankenkasse, "Nichteheleute” von Heilbehandlungen auszuschließen.

Mit Urteil vom 02. April 2004 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung auf die eindeutige gesetzliche Regelung des § 27 a Abs. 3 SGB V verwiesen, der auch verfassungskonform sei. Eine Ungleichbehandlung von ehelicher und nichtehelicher Lebenspartnerschaft sei mit dem Grundgesetz vereinbar, und es sei sachgerecht bzw. nicht willkürlich, neben rein medizinischen Gesichtspunkten auch auf die juristische Elternschaft abzustellen.

Gegen dieses ihr am 30. April 2004 zugestellte Urteil richtet sich die von der Klägerin am 26. Mai 2004 eingelegte Berufung, mit der sie ihr Klagebegehren weiterverfolgt. Ergänzend führt sie aus, dass die Ehe nicht Merkmal zur Indikation der künstlichen Befruchtung sei. Voraussetzung sei insoweit lediglich, dass die medizinische Maßnahme im "homologen System” durchgeführt werde.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 02. April 2004 sowie den Bescheid der Beklagten vom 04. Oktober 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. August 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Kosten in Höhe von 3.653,23 EUR zu erstatten und die weiteren Kosten für eine IVF/ICSI-Behandlung zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte Bezug genommen. Beide Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 04. Oktober 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. August 2003 ist rechtmäßig und verletzt

die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Sie hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten einer ICSI-Behandlung mit Spermien ihres nichtehelichen Lebenspartners (I.). Ebenso wenig steht ihr ein Kostenerstattungsanspruch zu (II.).

I. Anspruchsgrundlage für ihr Begehren ist § 27 a Abs. 1 SGB V. Nach dieser Vorschrift setzen die medizinischen Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft u.a. voraus, dass die Personen, die diese Maßnahmen in Anspruch nehmen wollen, miteinander verheiratet sind. Diese Voraussetzungen liegen unstreitig nicht vor. Die von der Klägerin angestrebte Kostenübernahme der IVF/ICSI-Behandlung kann deshalb von der Beklagten weder als Sachleistung noch im Wege der Kostenerstattung beansprucht werden.

Eine Auslegung der Norm im Sinne der Klägerin scheidet aufgrund des eindeutigen Wortlautes der Vorschrift und des erkennbaren gesetzgeberischen Willens aus. Auch sieht der Senat keinen Anlass, das Verfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG auszusetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen. Denn von der Verfassungswidrigkeit der Norm ist das Gericht nicht überzeugt.

Die Leistungsbeschränkung nach § 27 a Abs. 1 Nr. 3 SGB V wird verfassungsrechtlich mit der staatlichen Pflicht zur Förderung von Ehe und Familie gemäß Art. 6 GG gerechtfertigt. Der Gesetzgeber hat bei den Beratungen zur Einführung des § 27 a in das SGB V im Jahre 1990 die Problematik der Ungleichbehandlung von Ehepaaren und Personen, die in fester Partnerschaft miteinander leben, erkannt und beraten (vgl. BT-Drucksache 11/7097, S. 24 f.). Im Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung der 11. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages ist der Antrag, die Maßnahmen der künstlichen Befruchtung wegen der sozialpolitisch ungerechten Beschränkung auf verheiratete Partner auch auf unverheiratete Personen zu erstrecken, erfolglos geblieben (BT-Drucksache 11/7097, S. 24 f.).

Der Senat hat nicht zu beurteilen, ob er diese vom Gesetzgeber gewollte Regelung für sozialpolitisch sinnvoll oder nicht, für gerecht oder ungerecht hält. Vielmehr hat er allein zu beurteilen, ob der Gesetzgeber durch die Verfassung gehindert war, eine derartige Regelung zu treffen. Dies ist jedoch nicht der Fall.

Die angefochtene Regelung ist nicht willkürlich. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht festzustellen. Der Gleichheitssatz ist verletzt, wenn wesentlich Gleiches willkürlich ungleich oder wesentlich Ungleiches willkürlich gleich behandelt wird (ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, BVerfGE 4, 144 [155]; 1, 52; 1, 247). Eine Willkür des Gesetzgebers liegt aber nicht schon dann vor, wenn er im Rahmen seines freien Ermessens unter mehreren gerechten Lösungen im konkreten Falle nicht die "zweckmäßigste”, "vernünftigste” oder "gerechteste” gewählt hat, vielmehr nur dann, wenn sich ein sachgerechter Grund für eine gesetzliche Bestimmung nicht finden lässt (BVerfGE 3, 182). Im Sinne dieser Rechtsprechung sind nichteheliche Lebensgemeinschaften jedoch wesensverschieden von Ehen, so dass ihre unterschiedliche Behandlung den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht verletzt. Vielmehr folgt bereits aus Art. 6 GG, nach dessen Absatz 1 die Ehe unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung steht, auch die Pflicht des Gesetzgebers, die Ehe zu fördern, so dass dieser in § 27 a SGB V angemessen zwischen Eheleuten und nicht verheirateten Paaren differenziert hat.

Auch Art. 6 Abs. 5 GG ist durch die Vorschrift nicht verletzt. Dem Verfassungsauftrag des Art. 6 Abs. 5 GG liegt die Erkenntnis zugrunde, dass uneheliche Kinder insgesamt ungünstigere Lebensbedingungen vorfinden als eheliche (BVerfGE 17, 280 [283]). Sinn dieser Vorschrift ist es mithin, diese ungünstigeren Lebensbedingungen nach Möglichkeit auszugleichen. Der Gesetzgeber ist daher zwar verpflichtet, lebende uneheliche Kinder besonders zu fördern, nicht jedoch, ihre Zeugung leistungsrechtlich zu unterstützen.

II. Als Anspruchsgrundlage für die von der Klägerin begehrte Erstattung der ihr zur Herbeiführung einer Schwangerschaft entstandenen Kosten in Höhe von 3.653,23 EUR kommt allein § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V in Betracht. Hiernach sind Kosten in der entstandenen Höhe u.a. anderem dann zu erstatten, wenn die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind. Dies ist nicht der Fall. Die Beklagte hat, wie bereits erörtert, die Gewährung von Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft nicht zu Unrecht abgelehnt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis der Hauptsache.

Für die Zulassung der Revision liegt keiner der in § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG genannten Gründe vor.
Rechtskraft
Aus
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