L 9 B 10/04 KR ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 87 KR 1750/03 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 B 10/04 KR ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 08. Dezember 2003 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten des Verfahrens vor dem Landgericht Berlin.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 50.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, der Antragsgegnerin zu untersagen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs einen deutschen Prozedurenthesaurus (Alphabetisches Verzeichnis) für die Arbeit mit Prozedurenklassifikationen (unentgeltlich) anzubieten und zu verbreiten.

Bei der Antragstellerin handelt es sich um eine Gesellschaft, die Werke für die medizinische Dokumentation u.a. in Kliniken erstellt und vertreibt. Ihr Hauptprodukt ist ID DIACOS®, das zahlreiche medizinische Klassifikationen und Wissensbasen enthält und diese durch verschiedene Werkzeuge nutzbar macht. Enthalten sind u.a. die ICD-9 (Internationale Klassifikation der Krankheiten), die ICD-10 der WHO, die ICPM (Internationale Klassifikation der Prozeduren in der Medizin) sowie der OPS-301. Bei dem OPS-301 handelt es sich um den vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) gemäß § 301 Abs. 2 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung herausgegebenen Operationen- und Prozedurenschlüssel, in dem die Prozeduren nach medizinischen, überwiegend organbezogenen Gesichtspunkten geordnet sind. Das von der Antragstellerin vertriebene Produkt ID DIACOS® enthält über die benannten Klassifizierungen hinaus einen so genannten ID-Prozedurenthesaurus, der es dem Anwender, dem einzelne Codes oder Prozeduren nicht bekannt sind, ermöglicht, diese über Synonyme oder Spezifizierungen zu ermitteln. Dieser Prozedurenthesaurus erstreckt sich sowohl auf die ICPM als auch auf den OPS-301.

Die Antragsgegnerin entwickelte zwischenzeitlich einen eigenen Prozedurenthesaurus zum � aktuell als Version 2004 vorliegenden und in einen amtlichen Teil und einen nicht-amtlichen Erweiterungskatalog aufgegliederten - OPS-301, in dem die einzelnen Prozeduren unter ausgewählten, alphabetisch geordneten Stichwörtern zusammen mit der passenden Schlüsselnummer aus dem OPS-301 aufgelistet sind (Alphabetisches Verzeichnis). Diesen bot sie ab Februar 2003 als Testversion 0.9 zum Download im Internet kostenlos an. Seit August 2003 liegt die erste offizielle Version 1.0 des Prozedurenthesaurus (OPS-301 Alphabetisches Verzeichnis Version 2004) vor und wird kostenlos an alle Interessenten verbreitet.

Gegen die Verbreitung dieses Prozedurenthesaurus wendet sich die Antragstellerin. Nachdem sie zunächst im April 2003 beim Landgericht Köln den Erlass der auch im vorliegenden Verfahren begehrten einstweiligen Anordnung beantragt, ihren Antrag jedoch auf den Hinweis des Gerichts, eine Verweisung des Rechtsstreits an das Sozialgericht zu beabsichtigen, zurückgenommen hatte, hat sie vorliegend am 09. Mai 2003 den Erlass der einstweiligen Anordnung beim Landgericht Berlin beantragt. Dieses hat das Verfahren mit Beschluss vom 23. Juni 2003 an das Sozialgericht Berlin verwiesen (Aktz.: 16 O 244/03 LG Berlin). Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat das Kammergericht Berlin (2 W 11/03 Kart) mit Beschluss vom 09. September 2003 zurückgewiesen.

Zur Sache hat die Antragstellerin vorgetragen, dass die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung vorlägen. Die Eilbedürftigkeit werde zu ihren Gunsten in wettbewerbsrechtlichen Verfahren nach § 25 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) vermutet. Diese Vermutung habe die Antragsgegnerin nicht widerlegt. Auch liege ein Anordnungsanspruch vor. Zwischen ihr und der Antragsgegnerin bestehe ein Wettbewerbsverhältnis. Die kostenlose Verbreitung eines Prozedurenthesaurus durch die Antragsgegnerin sei wettbewerbswidrig und verstoße gegen § 1 UWG. Es bestehe keine gesetzliche Grundlage, die die Antragsgegnerin berechtigen würde, einen Prozedurenthesaurus zu erstellen. Der Prozedurenthesaurus zur Erschließung des OPS-301 sei keine notwendige Leistung, weil mit ihrem eigenen Produkt bereits ein Prozedurenthesaurus vorliege, der die gleiche Funktion erfülle. Auch die §§ 19, 20 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) verböten die Verbreitung eines Prozedurenthesaurus, da die Antragsgegnerin ihre schon nach der Veröffentlichung des OPS-301 in der damaligen Version 2.0 beherrschende Marktstellung mit der � insbesondere kostenlosen � Verbreitung weitergehend erheblich beeinträchtigt und dadurch die Wettbewerbsmöglichkeit der Antragstellerin missbraucht habe. Denn durch die Verbindung der öffentlichen Aufgabe der Herausgabe einer Prozedurenklassifikation zu Abrechnungszwecken mit dem Angebot eines Prozedurenthesaurus greife diese in den Markt mit Mitteln ein, die keinem privaten Wettbewerber zustünden. Insgesamt, so meint die Antragstellerin, für die ihr Prozessvertreter im Rahmen einer telefonischen Anhörung durch das Kammergericht den Streitwert in der Hauptsache auf 100.000,00 Euro beziffert hatte, greife das Verhalten der Antragsgegnerin, die immer neue Produkte auf den Markt bringe, mit denen sie in Konkurrenz zu den von ihr angebotenen Produkten trete, in existenzgefährdender Weise in ihre Position im Wettbewerb ein. Dieser werde durch die Gratisprodukte der Antragsgegnerin aufgehoben, so dass die von ihr erarbeiteten Leistungen wertlos würden.

Mit Beschluss vom 08. Dezember 2003 hat das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Bei summarischer Prüfung habe die Antragstellerin jedenfalls keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Im Hinblick auf die Regelung in § 69 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch -SGB V- seien das UWG sowie das GWB auf die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und ihrer Verbände zu den Leistungserbringern und ihren Verbänden seit dem 01. Januar 2000 nicht mehr anwendbar. Dies gelte auch für die hier interessierenden Rechtsbeziehungen zwischen den Beteiligten. Es gehe vorliegend zwar nicht unmittelbar um das Verhältnis von Krankenkassen zu Leistungserbringern. Aus der in § 69 Satz 4 SGB V angeordneten inhaltlichen Erweiterung auf die Betroffenheit eines Dritten ergebe sich jedoch, dass die Vorschrift auch die Folgen erfasse, die die Ausgestaltung dieses Verhältnisses auf einen Dritten, hier die Antragstellerin, habe. Die vom Kammergericht in seinem Beschluss vom 09. September 2003 zum Tatbestandsmerkmal der Drittbetroffenheit in § 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG entwickelten Grundsätze gälten für § 69 Abs. 2 Satz 4 SGB V entsprechend. Als Rechtsgrundlage für Unterlassungsansprüche komme somit nur Art. 3 Grundgesetz (GG) in Betracht. Voraussetzung sei, dass die Antragsgegnerin durch ihr hoheitliches Verhalten das Recht der Antragstellerin auf Gleichbehandlung im Wettbewerb beeinträchtigt habe. Dies sei nicht der Fall. Die Antragsgegnerin sei mit dem Angebot und der Verbreitung eines alphabetischen Verzeichnisses für die Arbeit mit Prozedurenklassifikationen nach summarischer Prüfung nicht über den ihr durch § 301 Abs. 2 SGB V vorgegebenen Aufgabenbereich hinausgegangen. Das alphabetische Verzeichnis sei integraler Bestandteil des OPS-301 und für eine sachgerechte Arbeit unerlässlich. Die zwischen den Beteiligten nicht umstrittene Herausgabebefugnis bzgl. des OPS-301 umfasse zumindest kraft Sachzusammenhangs die Befugnis zum Angebot und zur Verbreitung eines dazugehörigen Prozedurenthesaurus, selbst wenn dies unentgeltlich erfolge. Bereits die Prozedurenklassifikation der WHO aus dem Jahre 1978 habe ein alphabetisches Verzeichnis aufgewiesen. Nach summarischer Prüfung liege auch insoweit keine Verletzung des Aufgabenbereichs der Antragsgegnerin vor, als diese einen "nicht-amtlichen Teil" des OPS-301 herausgegeben habe. Schließlich sei mangels Anhaltspunkten für eine Ungleichbehandlung von in- und ausländischen Anbietern kein Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln des EG-Vertrages ersichtlich.

Mit ihrer am 13. Januar 2004 eingelegten Beschwerde hat sich die Antragstellerin gegen den ihr am 17. Dezember 2003 zugestellten Beschluss des Sozialgerichts gewandt. Zur Begründung trägt sie vor, dass die Vorschriften des GWB sowie des UWG sehr wohl auf den Fall anzuwenden seien, da es vorliegend gar nicht um die Ausgestaltung von Rechtsbeziehungen zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern bzw. den jeweiligen Verbänden gehe, von denen Dritte betroffen seien. Auch stelle jedenfalls die Herausgabe des nicht-amtlichen Prozedurenschlüssels und des sich ausschließlich darauf beziehenden Teils des Thesaurus keine Hoheitstätigkeit der Antragsgegnerin dar und habe keine Auswirkungen auf das Rechtsverhältnis zwischen den am gesetzlichen Krankenversicherungsverhältnis unmittelbar Beteiligten. Weiter unterfalle § 301 Abs. 2 SGB V nicht dem Anwendungsbereich des § 69 SGB V, der auf die Regelungen "dieses Kapitels" sowie die §§ 63 und 64 verweise. Jedenfalls aber bestehe zwischen ihr und der Antragstellerin ein Wettbewerbsverhältnis, auf das sachgerecht das Kartell- und Wettbewerbsrecht anzuwenden seien, soweit die Tätigkeit der Antragsgegnerin über ihre Verpflichtung aus § 301 SGB V hinausgehe. Dies sei hinsichtlich des Angebots eines Prozedurenthesaurus in Buchform als Alphabetisches Verzeichnis und in der Version 2.1 mit erweitertem Katalog für Datenverarbeitungssysteme durch die Antragsgegnerin der Fall, da ein solches für die Erfüllung der Aufgaben gemäß § 301 Abs. 2 SGB V nicht erforderlich sei. Vielmehr stelle dies eine Dienstleistung dar, die bisher von ihr wahrgenommen worden sei. Die Antragsgegnerin sei bereits zuvor nicht berechtigt gewesen, den OPS-301 in der vorliegenden Fassung herauszugeben, da darin neben dem offiziellen Kern vor allem ein nicht-amtlicher Teil enthalten sei, der lediglich dokumentarischen Zwecken, nicht aber der Abrechnung mit den Krankenkassen, mithin nicht der Erfüllung der Aufgaben nach § 301 Abs. 2 SGB V diene. Lediglich etwa 7.000 der ca. 23.000 im OPS-301 erfassten Codes seien notwendig. Die Antragsgegnerin könne die Anwendbarkeit des GWB und des UWG nicht dadurch unterlaufen, dass sie in eine Klassifikation für Abrechnungszwecke eine Klassifikation für klinische Zwecke integriere. Schließlich seien vorliegend auch die Wettbewerbsregeln des EG-Vertrages (Art. 82, 86 EGV) anwendbar. Die vom Europäischen Gerichtshof für den grenzüberschreitenden Bezug einer staatlichen Maßnahme hinsichtlich der Warenverkehrsfreiheit zu Art. 28 EGV aufgestellten Grundsätze würden in gleicher Weise für monopolistische Maßnahmen mit Binnenmarktbezug gemäß Art. 82 EGV gelten.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 08. Dezember 2003 aufzuheben und

es der Antragsgegnerin einstweilen unter Androhung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zur Höhe von 250.000,- Euro zu untersagen,

im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs einen deutschen Prozedurenthesaurus als alphabetisches Verzeichnis für die Arbeit mit Prozedurenklassifikationen anzubieten und zu verbreiten, insbesondere für die Entwicklung von Codiersoftware sowie in einer Buchversion zum Download im Internet einzustellen,

hilfsweise

im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs einen deutschen Prozedurenthesaurus als alphabetisches Verzeichnis für die Arbeit mit Prozedurenklassifikationen unentgeltlich anzubieten und unentgeltlich zu verbreiten, insbesondere für die Entwicklung von Codiersoftware sowie in einer Buchversion zum Download im Internet einzustellen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hält den angegriffenen Beschluss für zutreffend. Ergänzend weist sie da- rauf hin, dass die Antragstellerin bereits kein Eilbedürfnis glaubhaft gemacht habe. Die Dringlichkeitsvermutung gemäß § 25 UWG sei widerlegt. Obwohl der Prozedurenthesaurus im Februar 2003 auf den Internetseiten des DIMDI veröffentlicht worden sei, habe die Antragstellerin erst am 09. Mai 2003 beim Landgericht Berlin das vorliegende Verfahren anhängig gemacht und damit zu erkennen gegeben, dass sie die Durchsetzung ihres Begehrens nicht für dringlich halte. Im Übrigen sei auch ein Anordnungsanspruch nicht gegeben. § 69 SGB V erstrecke sich auch auf Regelungen der Grundbeziehungen der Beteiligten am Gesundheitswesen, d.h. die Vorgabe von Abrechnungsgrundlagen. Weiter sei das Sozialgericht zu Recht davon ausgegangen, dass wettbewerbsrechtliche bzw. ordnungsrechtliche Bestimmungen vorliegend nicht anwendbar seien und die Bereitstellung des Prozedurenthesaurus vom Auftrag in § 301 SGB V umfasst sei, weil kein Anwender ohne ein solches Verzeichnis auskommen könne. Dass der Thesaurus erst nach dem eigentlichen Prozedurenschlüssel veröffentlicht worden sei, sei allein auf einen Mangel an Personal- und Sachmitteln zurückzuführen. Schließlich meint sie, dass die Ausführungen der Antragstellerin zur Erweiterung des OPS-301 unrichtig seien. Die Erweiterung um den nicht-amtlichen Teil sei erforderlich und durch die gesetzliche Ermächtigung des § 301 SGB V gedeckt. Dieser - lediglich 468 Codes umfassende � Teil diene keinesfalls nur dokumentarischen Zwecken, sondern werde der Fachöffentlichkeit zur Verfügung gestellt, um die Möglichkeit zu bieten, auch Prozeduren zu verschlüsseln, deren Abrechnungsrelevanz im DRG-System gegenwärtig noch unklar sei. Er eröffne einen Weg zu prüfen, ob bestimmte Prozeduren in den amtlichen OPS-301 bzw. das Alphabetische Verzeichnis aufgenommen werden müssen oder nicht, diene also der Vorbereitung und Entscheidung über eine Weiterentwicklung des gesetzlich vorgeschriebenen DRG-Systems. Im Übrigen erstrecke sich das streitbefangene Alphabetische Verzeichnis gar nicht auf die nicht-amtliche Erweiterung.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II.

Die Beschwerde der Antragstellerin ist gemäß §§ 172 Abs. 1 und 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig, jedoch nicht begründet. Der Beschluss des Sozialgerichts Berlin bewertet die Sach- und Rechtslage zutreffend. Es besteht kein Anlass, der Antragsgegnerin im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens die Herausgabe und das Verbreiten eines deutschsprachigen Prozedurenthesaurus (Alphabetisches Verzeichnis) zu untersagen, und zwar unabhängig davon, ob die Verbreitung kostenpflichtig oder unentgeltlich erfolgt.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 1 SGG sind einstweilige Anordnungen in Bezug auf den Streitgegenstand zu treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dies setzt jeweils vo- raus, dass sowohl ein Anordnungsanspruch als auch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht werden. Beides aber hat die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht.

Dass die Antragstellerin im Hauptsacheverfahren mit überwiegender Wahrscheinlichkeit obsiegen, mithin die begehrte Untersagung der Verbreitung des Prozedurenthesaurus ausgesprochen werden wird, vermag der Senat � wie zuvor bereits das Sozialgericht - nach einer summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten nicht festzustellen. Im Gegenteil erscheint ein Obsiegen eher unwahrscheinlich.

Eine Vorschrift, auf deren Grundlage der Antragsgegnerin die Verbreitung des streitgegenständlichen Prozedurenthesaurus zu untersagen wäre, ist nicht ersichtlich. Grundlage für die Herausgabe des OPS-301 ist § 301 Abs. 2 S. 2 SGB V, nach dem die Operationen und sonstigen Prozeduren nach Abs. 1 S. 1 Nr. 6 der Vorschrift nach dem vom DIMDI im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung herausgegebenen Schlüssel zu verschlüsseln sind, wobei der Schlüssel die sonstigen Prozeduren zu umfassen hat, die nach § 17 b des Krankenhausfinanzierungsgesetzes (KHG) abgerechnet werden können. Diese Herausgabe stellt eine hoheitliche Maßnahme dar, wie noch einmal durch Satz 3 der Vorschrift deutlich wird, nach dem das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung den Zeitpunkt der Inkraftsetzung der jeweiligen Fassung u.a. des Prozedurenschlüssels im Bundesanzeiger bekannt gibt. Von dieser Ermächtigungsgrundlage des § 301 Abs. 2 SGB V wird bei summarischer Prüfung auch der von der Antragsgegnerin herausgegebene Prozedurenthesaurus gedeckt. Diese überschreitet entgegen der Auffassung der Antragstellerin die ihr eingeräumte Kompetenz mit der Verbreitung des Alphabetischen Verzeichnisses nicht. Werden die Krankenhäuser durch § 301 SGB V verpflichtet, den Krankenkassen bei Krankenhausbehandlung im Einzelnen aufgelistete Informationen maschinenlesbar zu übermitteln und sich hierzu u.a. hinsichtlich der vorgenommenen Operationen und Prozeduren des von der Antragsgegnerin herausgegebenen Schlüssels zu bedienen, ist die Antragsgegnerin im Interesse des Gemeinwohls nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, den von ihr erstellten OPS-301 in seiner Anwendbarkeit so einfach wie möglich zu gestalten und weiter so preiswert wie möglich � und sei es kostenfrei � abzugeben. Ebenso obliegt es ihr, den Anwendern Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen, die die Arbeit mit diesem Prozedurenschlüssel erleichtern. Zu den entsprechenden Hilfsmitteln zählt aber gerade ein Prozedurenthesaurus. Ein solcher stellt sich nicht als außergewöhnliches, über das übliche Maß hinausgehendes Hilfsmittel dar. Vielmehr handelt es sich bei einem Thesaurus um "ein als Funktionsträger im Rahmen eines Dokumentationssystems grundlegendes Hilfsmittel zur Wiederauffindung und inhaltlichen Erschließung von Dokumenten und zur Wiedergewinnung von Informationen über jedes gewünschte Element des erfassten Bereichs" (vgl. Brockhaus, Die Enzyklopädie in 24 Bänden, 20. Aufl., 1999). Dies gilt auch für das von der Antragsgegnerin verbreitete Alphabetische Verzeichnis, das für eine sachgerechte und zügige Arbeit geradezu unerlässlich ist. Ob ein entsprechendes Hilfsmittel bereits zuvor käuflich erhältlich war oder nicht, ist hingegen � anders als die Antragstellerin meint - irrelevant. Die Kompetenz der Antragsgegnerin zur Verbreitung eines Alphabetischen Verzeichnisses wird nicht dadurch beschränkt, dass die Antragstellerin zuvor einen sich auch auf den OPS-301 erstreckenden Prozedurenthesaurus in ihr Produkt ID Diacos® integriert und kostenpflichtig vertrieben hatte. Auch soweit die Antragstellerin rügt, dass sich das Alphabetische Verzeichnis der Antragsgegnerin angeblich auf den nicht-amtlichen Erweiterungskatalog erstrecke, rechtfertigt dies jedenfalls im Rahmen einer summarischen Prüfung keine andere Entscheidung. Es ist nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin den OPS-301 � und damit möglicherweise auch den hier streitgegenständlichen Prozedurenthesaurus - auf Bereiche ausgedehnt haben könnte, die offensichtlich nicht mehr von § 301 Abs. 2 SGB V gedeckt sind.

Für die Anwendung wettbewerbs- und kartellrechtlicher Vorschriften bleibt danach entgegen der Rechtsauffassung der Antragstellerin kein Raum. Denn wenn wie hier ein Träger öffentlicher Gewalt zu einem bestimmten Verhalten gesetzlich ausdrücklich ermächtigt wird, fehlt es hinsichtlich dieses Tätigkeitsbereichs bereits an einem Markt im Sinne der wettbewerbsrechtlichen Bestimmungen. Die Beteiligten konkurrieren dann nicht auf einem freien Markt miteinander. Vielmehr ist durch die Entscheidung des Gesetzgebers von ihm bezeichnete Institution zur Wahrnehmung dieser Aufgabe hoheitlicher - d.h. ohne Einschränkung von Normen, die das Funktionieren marktwirtschaftlichen Wettbewerbs sichern sollen - berechtigt. Diese Entscheidung des Gesetzgebers kann nicht durch die Anwendung wettbewerbsrechtlicher Bestimmungen umgangen werden.

Ebenso wenig liegt hier eine Tätigkeit wirtschaftlicher Art der Antragsgegnerin vor, die an einen Verstoß gegen Normen des EG-Vertrages denken lassen könnte. Die Antragsgegnerin verfolgt mit der Herausgabe des OPS-301 und des entsprechenden Prozedurenthesaurus kein eigenes Interesse, das sich von dem rein sozialen Zweck der Gesetzlichen Krankenversicherung trennen ließe. Vielmehr kommt sie mit der Herausgabe des OPS-301 � und der Verbreitung des entsprechenden Prozedurenthesaurus - ihrer sich aus § 301 Abs. 2 SGB V abzuleitenden Pflicht nach, ohne insoweit wirtschaftliche Interessen zu verfolgen, wie bereits die jeweils kostenlose Abgabe zeigt. Die den Krankenhäusern auferlegte Datenübermittlung an die Krankenkassen dient letztlich der Sicherstellung des Fortbestandes des Systems der Gesetzlichen Krankenversicherung und damit der sozialen Sicherheit. Stellt die Antragsgegnerin ihrem gesetzlichen Auftrag entsprechend das dazu erforderliche Verschlüsselungssystem und ein Hilfsmittel zur Verfügung, das die Anwendung erleichtert, wird sie gerade nicht unternehmerisch tätig. Für die Anwendung des europäischen Wettbewerbsrechts ist dann aber, wie der Europäische Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 16. März 2004 in der Sache C-264/01 klargestellt hat, kein Raum.

Auch einen Anordnungsgrund hat die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht. Es ist nicht ersichtlich, dass ihr derart erhebliche wirtschaftliche Nachteile drohen, dass es unzumutbar erschiene, sie auf den Ausgang des Hauptsacheverfahrens zu verweisen. Die Antragstellerin hat den ihr drohenden Verlust durch die Verbreitung des streitgegenständlichen Prozedurenthesaurus im Rahmen einer telefonischen Anhörung durch das Kammergericht im September 2003 auf 100.000,00 Euro beziffert. Abgesehen davon, dass dieser Betrag weder glaubhaft gemacht worden ist noch vorgetragen oder sonst ersichtlich wäre, dass dieser Betrag für die Antragstellerin geradezu existenzvernichtend wäre, kann nicht davon ausgegangen werden, dass der drohende Nachteil aktuell noch zutreffend beziffert ist. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung kann stets nur zukunftsbezogen erfolgen. Vorliegend ist der streitgegenständliche Prozedurenthesaurus jedoch � anders als zum Zeitpunkt der Antragstellung � nicht mehr nur in einer Testversion erhältlich, sondern wird seit August 2003 in der ersten offiziellen Version verbreitet, so dass zu erwarten ist, dass ein erheblicher Teil des angeblich drohenden wirtschaftlichen Nachteils zwischenzeitlich bereits eingetreten ist.

Soweit die Antragstellerin meint, im Hinblick auf die Regelung des § 25 UWG sei die Dringlichkeit der Angelegenheit zu vermuten und daher ein Anordnungsgrund zu bejahen, geht dies fehl. Die Vorschrift, die sich ausdrücklich auf im UWG bezeichnete Unterlassungsansprüche bezieht, vermag im vorliegenden Fall keine Anwendung zu finden. Wie oben ausgeführt, beruht die Ermächtigung der Antragsgegnerin zur Herausgabe und Verbreitung des Prozedurenthesaurus bei summarischer Prüfung auf § 301 Abs. 2 SGB V, so dass gerade kein wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsanspruch in Betracht kommt. Auch eine analoge Anwendung scheidet aus. Es besteht bereits keine Regelungslücke, da das Sozialgesetzbuch mit § 86 b Abs. 2 eine Norm enthält, die ausdrücklich klarstellt, an welche Voraussetzungen der Erlass einer einstweiligen Anordnung geknüpft ist. Weiter liegt auch keine vergleichbare Situation vor, die es unter Gerechtigkeitsaspekten geradezu gebieten würde, die Norm im sozialgerichtlichen Verfahren analog heranzuziehen. In die den Sozialgerichten zugewiesenen Streitigkeiten ist typischerweise ein Hoheitsträger involviert, so dass � wie die obigen Ausführungen zeigen � für marktgestaltende Normen, und damit auch für § 25 UWG, in aller Regel kein Raum ist. Der Senat schließt hingegen nicht aus, dass der Rechtsgedanke der Vorschrift im Einzelfall durchaus auch im sozialgerichtlichen Verfahren Anwendung finden kann, wenn sich Beteiligte im Einzelfall in einem wettbewerblichen Konkurrenzverhältnis gegenüberstehen. Dies aber ist vorliegend � wie oben gezeigt - gerade nicht der Fall.

Hat die Antragstellerin mithin weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, kann ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht gefolgt werden. Dem Erlass der begehrten Unterlassungsanordnung stehen die Interessen der Allgemeinheit an einem gut funktionierenden System der Gesetzlichen Krankenversicherung entgegen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung sowie auf § 17 b Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes.

Der Wert des Verfahrensgegenstandes wurde nach §§ 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 13, 20 Gerichtskostengesetz festgesetzt und trägt dem Umstand Rechnung, dass vorliegend nicht die Hauptsache streitig ist, sondern eine vorläufige Regelung erstrebt wurde. Ausgegangen ist der Senat dabei von der Annahme, dass der Wert in der Hauptsache, wie von der Antragstellerin gegenüber dem Kammergericht angegeben, 100.000,00 Euro beträgt.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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