L 9 B 190/04 KR ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 86 KR 1163/04 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 B 190/04 KR ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 04. August 2004 aufgehoben und der Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 04. August 2004 ist zulässig und begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Antragstellerin nach ärztlicher Verordnung mit dem Medikament RITALIN® 10 mg Tabletten oder einem wirkstoffgleichen Medikament bis zur Entscheidung des erkennenden Gerichts in der Hauptsache zu versorgen. Vielmehr war der Antrag der Antragstellerin vom 12. Mai 2004 auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen, da die für den Erlass erforderlichen Voraussetzungen nicht vorliegen.

Nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dies setzt voraus, dass sowohl ein Anordnungsanspruch als auch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht werden. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Dabei kann dahinstehen, ob der Antragstellerin ein Anordnungsanspruch zusteht, d.h. ob sie im Hauptsacheverfahren mit überwiegender Wahrscheinlichkeit obsiegen, ihr mithin voraussichtlich ein Anspruch auf Versorgung mit einem Arzneimittel mit dem Wirkstoff Methylphenidat zugesprochen werden wird oder nicht. Denn jedenfalls scheitert der Erlass einer einstweiligen Anordnung an der fehlenden Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes.

In Fällen wie dem vorliegenden, in denen es um die Versorgung des Antragstellers mit einem Medikament geht, ist mit der Stattgabe des Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stets eine Vorwegnahme der Hauptsache verbunden. Gleichwohl ist auch bei derartigen Vornahmesachen im Hinblick auf die Regelung des Artikel 19 Abs. 4 Grundgesetz die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes möglich, dies allerdings nur dann, wenn ohne ihn schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. November 2002 – 1 BvR 1586/02 -, NJW 2003, 1236 f. m.w.N.). Dass das Absehen von vorläufigem Rechtsschutz zu wesentlichen Nachteilen in Bezug auf den Anspruch oder gar zu irreparablen Schäden führen würde, ist im Falle der Antragstellerin jedoch nicht ersichtlich. Der Senat hat im Hinblick auf den Vortrag der Antragstellerin und die von ihr zu den Akten gereichten Unterlagen sowie insbesondere auch unter Würdigung der Stellungnahmen des sie behandelnden Facharztes für Kinder- und Jugendheilkunde, Psychotherapie W-D S bereits Zweifel, ob die die Antragstellerin zweifelsohne in ihrer Lebensführung beeinträchtigende Erkrankung tatsächlich derart schwerwiegend ist, dass es ihr unzumutbar wäre, die Behandlung mit einem methylphenidathaltigen Medikament jedenfalls vorübergehend bis zum Abschluss der Hauptverhandlung zu unterbrechen. Letztlich kann jedoch auch dies offen bleiben. Denn selbst wenn die Antragstellerin nicht nur subjektiv, sondern auch objektiv auf eine weitergehende Behandlung mit einem methylphenidathaltigen Arzneimittel angewiesen sein und ihr gegen die Antragsgegnerin ein Anspruch auf Versorgung mit einem entsprechenden Medikament zustehen sollte, sind keine Gründe ersichtlich, die es ihr unzumutbar machen würden, sich dieses bis zum Abschluss der Hauptsache ggfs. selbst zu beschaffen. Zwar verfügt die Antragstellerin nach eigenen Angaben nach Ablegung ihres Abiturs zurzeit noch über keine eigenen Einnahmen. Ihr steht jedoch nach §§ 1601, 1602, 1603, 1610 und 1612 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ein Unterhaltsanspruch gegen ihre Eltern zu, der sich auch auf krankheitsbedingte Mehrkosten z.B. für die Beschaffung eines dringend benötigten Medikaments erstreckt.

Dass die Eltern der Antragstellerin aufgrund ihrer finanziellen Möglichkeiten nicht in der Lage wären, den dahingehenden, von der Antragstellerin auf etwa 80,00 Euro im Monat bezifferten Unterhaltsanspruch bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu erfüllen, ist – entgegen der Auffassung der Antragstellerin - nicht ersichtlich. Insbesondere ist die von ihr zu den Akten gereichte Aufstellung über die Einnahmen und Ausgaben der Familie nicht geeignet, durchgreifende Zweifel an der Leistungsfähigkeit ihrer Eltern zu begründen. Denn abgesehen davon, dass die einzelnen von ihr aufgeführten Posten entgegen der gerichtlichen Aufforderung nicht ansatzweise glaubhaft gemacht sind, belegt selbst diese Aufstellung die Leistungsfähigkeit der Eltern der Antragstellerin im Sinne des § 1603 BGB. Bei einem Nettoeinkommen von gut 4.100,- Euro sind die Eltern der Antragstellerin zur Überzeugung des Senats durchaus in der Lage, ohne Gefährdung ihres eigenen angemessenen Unterhalts der Antragstellerin einen Unterhalt zu gewähren, der die Versorgung mit dem begehrten Medikament umfasst. Lediglich beispielhaft sei insoweit erwähnt, dass ggfs. die Bedienung eines Bausparvertrages für die Kinder in Höhe von 100,- Euro monatlich gegenüber der Unterhaltsverpflichtung zurückzustehen hätte und die Freizeitkosten zu reduzieren wären.

Jedenfalls angesichts dieses Unterhaltsanspruchs ist auszuschließen, dass der Antragstellerin zurzeit schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile drohen, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Sollte sich im Hauptsacheverfahren erweisen, dass der Antragstellerin tatsächlich ein Anspruch gegen die Antragsgegnerin auf Versorgung mit dem von ihr begehrten Medikament im Rahmen des so genannten Off-Label-Use zusteht, würde sich dieser Anspruch für die Vergangenheit in einen Kostenerstattungsanspruch umwandeln. Es ist der Antragstellerin daher zuzumuten, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten.

Schließlich können hier nicht ausnahmsweise an den Anordnungsgrund verminderte Anforderungen gestellt werden. Der Senat kann dahinstehen lassen, ob er der teilweise vertretenen Auffassung folgt, dass bei offensichtlicher Zulässigkeit und Begründetheit des Hauptsacheverfahrens nur verminderte Anforderungen an den Anordnungsgrund zu stellen sind und dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in der Regel stattzugeben ist (Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 13. Aufl. 2003, § 123 Rn. 25). Denn im Hinblick darauf, dass bisher allenfalls in Einzelfällen ein Anspruch auf Gewährung eines methylphenidathaltigen Medikaments im Rahmen des so genannten Off-Label-Use zugesprochen worden ist und eine höchstrichterliche Rechtsprechung hierzu noch nicht vorliegt, lassen sich derart hohe Erfolgsaussichten für das Hauptsacheverfahren jedenfalls derzeit nicht feststellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved