L 13 SB 53/03

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 43 SB 2702/00
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 53/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 9. April 2003 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Anerkennung eines Grades der Behinderung (GdB) von 60.

Der 1948 geborene Kläger beantragte am 17. Mai 1999 bei dem Beklagten die Feststellung des Grades der Behinderung.

Der Beklagte holte einen Befundbericht des Allgemeinmediziners Dr. S vom 26. August 1999 ein und erkannte durch Bescheid vom 12. November 1999 auf der Grundlage einer gutachtlichen Stellungnahme des Prüfarztes Dr. H vom 21. September 1999 folgende Behinderungen im Sinne des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) mit den sich aus den Klammerzusätzen ergebenden Einzel-GdB

a. allgemeines Wirbelsäulen- und Gelenkleiden (20) b. chronische Gastroduodenitis mit rezidivierenden Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüren, Refluxösophagitis (20) c. Herzrhythmus- und Reizleitungsstörungen, Kreislaufdysregulation (20) d. psychosomatische Beschwerden (10)

an. Der Gesamt-GdB betrage 40. Die Behinderung habe zu einer dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit geführt.

Im anschließenden Widerspruchsverfahren reichte der Kläger Entlassungsberichte des J Krankenhauses über stationäre Aufenthalte vom 21. Oktober bis 5. November 1997 und 11. Februar bis 5. März 1998, Röntgenbefunde vom 29. März 1999 (den Magen und Zwölffingerdarm betreffend) und vom 11. Mai 2000 (die Hals- und Lendenwirbelsäule betreffend), mehrere Proktoskopiebefunde und einen abdominellen Sonographiebefund vom 11. Januar 2000 ein. Der Beklagte veranlasste eine Untersuchung durch die Versorgungsärztin Dr. N. Diese vertrat in ihrem Gutachten vom 25. September 2000 die Auffassung, unter Einbeziehung der Knie- und Hüftbeschwerden sei ein GdB von 20 für die Leiden zu a. gut bemessen. Seitens der psychischen Störungen sei bislang eine neurologisch-psychiatrische Vorstellung nicht erfolgt. Eine dauernde Behinderung mit einem höheren GdB sei nicht zu begründen. Wenn auch die Beschwerden und Behinderungen nachvollziehbar seien, ließe sich ein höherer GdB unter Berücksichtigung der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Anhaltspunkte) 1996 nicht begründen.

Durch Widerspruchsbescheid vom 10. Oktober 2000 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.

Das dagegen angerufene Sozialgericht Berlin hat Befundberichte des Internisten Dr. W (vom 19. April 2001), des Internisten Dr. St ( vom 3. Mai 2001) sowie von Dr. S(vom 19. Juni 2001) eingeholt, denen jeweils weitere Untersuchungsbefunde beigefügt waren. Die Ärztin für Orthopädie Phat in ihrer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 14. August 2001 den Unterlagen keine weiteren Funktionseinschränkungen entnehmen können. Der Facharzt für Innere Medizin Dr. D hat in seiner Stellungnahme vom 30. August 2001 darauf verwiesen, dass der bisher nicht bekannte ausführliche kardiologische Bericht des Deutschen Herzzentrums überzeugend bestätige, dass die bisherige Bewertung der Behinderung zu c. bereits als maximal einzustufen sei.

Der Kläger hat eine mangelhafte Bewertung seiner Leiden unter Bezugnahme auf die Untersuchungsbefunde der Orthopädin Dr. B gerügt und die Einholung eines neurologisch - psychiatrischen Gutachtens beantragt.

Das Sozialgericht hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 9. April 2003 abgewiesen. Die Behinderungen seitens der Wirbelsäule seien in Anbetracht von Nr. 26.18 der Anhaltspunkte 1996 mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten, da ein höherer GdB mittelgradige funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten voraussetze, die auf der Grundlage der Untersuchung von Dr. N nicht festzustellen seien. Entgegen dem Ordnungsprinzip der Anhaltspunkte habe Dr. N die Hüftbeschwerden mit den Wirbelsäulenbeschwerden zusammen bewertet. Seitens der Hüfte komme nach den mitgeteilten Funktionswerten aber günstigstenfalls ein weiterer Einzel-GdB von 20 in Betracht. Die Leiden zu b. seien im Hinblick auf die Refluxbeschwerden mit erheblichem Ausmaß zutreffend mit einem GdB von 20 bewertet worden. Die vom Kläger geltend gemachten Hämorrhoiden könnten den Einzel-GdB nicht weiter erhöhen, weil den Proktoskopie - Befunden und dem Befundbericht von Dr. Seine Besserung zu entnehmen sei. Die Bewertung des Herz-, Kreislauf- und Blutdruckleidens mit einem GdB von 20 erscheine überhöht, da dies bereits pathologische Messdaten bei einer Ergometriebelastung mit 75 Watt voraussetze, die nicht gegeben seien. Hinsichtlich des psychischen Leidens habe sich auf der Grundlage des Befundberichts von Dr. S kein Anhaltspunkt für eine stärker behindernde Störung gefunden. Die Bildung eines Gesamt-GdB von 40 sei wohlwollend. Die Feststellung setze voraus, dass sich die drei Behinderungen mit einem Einzel-GdB von 20 so verstärkten, dass es gerechtfertigt sei, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.

Gegen den am 17. April 2003 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 2. Mai 2003 eingelegte Berufung des Klägers, mit der er geltend gemacht hat, der Gerichtsbescheid entspreche nicht der Aktenlage.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 9. April 2003 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 12. November 1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10. Oktober 2000 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, ihm einen Grad der Behinderung von 60 zuzuerkennen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat Befundberichte von Dr. W, Dr. St und Dr. S eingeholt. Dr. W hat in seinem Befundbericht vom 2. Dezember 2003 eine letztmalige Behandlung am 3. Juli 2002 sowie konstante Befunde mitgeteilt. Dr. St hat den Kläger dem Befundbericht vom 30. November 2003 zufolge letztmalig am 17. Februar 2003 untersucht. Dr. S hat in seinem Befundbericht vom 31. Dezember 2003 keine Veränderungen im Gesundheitszustand mitgeteilt und u.a. einen Arztbrief des Deutschen Herzzentrums vom 31. Juli 2002 über eine Untersuchung vom 4. Juli 2002 beigefügt.

Der Beklagte hat diesen Unterlagen unter Bezugnahme auf eine Stellungnahme der Fachärztin für Innere Medizin R (vom 20. Januar 2004) und des Versorgungsarztes Dr. Sch (vom 23. Januar 2004) keine Erkenntnisse entnehmen können, die eine abweichende Beurteilung rechtfertigten.

Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Verwiesen wird außerdem auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und der Schwerbehindertenakte des Beklagten, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung eines höheren GdB als 40 im Sinne des mit Wirkung vom 1. Juli 2001 in Kraft getretenen Sozialgesetzbuch (SGB) IX, wonach die Feststellung einer Behinderung nunmehr nach §§ 2, 69 SGB IX erfolgt.

Das Sozialgericht hat unter Bezugnahme auf die erhobenen Befunde eingehend dargelegt, dass die bei dem Kläger bestehenden Funktionseinschränkungen mit einem Gesamt-GdB von 40 zu bewerten sind. Der Senat nimmt auf diese Ausführungen Bezug und verweist auf sie, § 153 Abs.2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Auch die während des Berufungsverfahrens zur Akte gelangten neuen medizinischen Erkenntnisse führen zu keinem anderen Ergebnis.

Es ergibt sich kein Anhalt für eine Bewertung des unter Buchstabe a) erfassten Behinderungskomplexes mit einem GdB von mehr als 20, da Dr. S in seinem Befundbericht, in dem schmerzhafte Bewegungseinschränkungen im HWS - und LWS - Bereich angegeben sind, zugleich angegeben hat, es seien keine Veränderungen im Gesundheitszustand des Klägers eingetreten. Soweit er in seinem Befundbericht vom 19. Juni 2001 Funktionsbeeinträchtigungen schwerer Art angegeben hat, hat das Sozialgericht in dem Gerichtsbescheid bereits zutreffend darauf verwiesen, dass hierzu keine Funktionseinschränkungen mitgeteilt wurden. Erst Wirbelsäulenschäden mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt bzw. mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten rechtfertigen aber nach den nunmehr anzuwendenden Anhaltspunkten 2004 einen GdB von 30 bzw. 30 bis 40. Für das Vorliegen derartiger Funktionseinschränkungen enthalten die zur Akte gelangten medizinischen Unterlagen keine Anhaltspunkte, zumal bei der Untersuchung durch die Versorgungsärztin Dr. Neine freie Beweglichkeit bestand. Nach den bereits vom Sozialgericht zitierten Ausführungen von Dr. Bruns in der Zeitschrift "Der medizinische Sachverständige" 96, S. 76 stellt ein Bewegungsausmaß nach Schober von 10/12 ebenso wie ein Wert nach Ott von 30/32 eine mittelgradige Bewegungseinschränkung dar.

Hinsichtlich des Leidens zu b. hat das Sozialgericht bereits darauf verwiesen, dass durch die zugleich zu berücksichtigende Refluxkrankheit der Speiseröhre ein GdB von 20 angemessen ist. Dies entspricht auch der Einstufung nach den nunmehr anzuwendenden Anhaltspunkten 2004 unter Nr. 26.10, S. 77.

Zu den Funktionseinschränkungen durch die Herzerkrankung, Kreislaufdysregulation und den Bluthochdruck hat die Fachärztin für Innere Medizin R für den Senat nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass die Mitralklappeninsuffizienz und leichte Trikuspidalklappeninsuffizienz keine hämodynamische Wirkung entfalten. Die Belastbarkeit des Klägers bis 150 Watt ohne pathologischen Befund bis auf ein hypertensives Blutdruckverhalten rechtfertigt ebenfalls keinen höheren Einzel-GdB.

Anhaltspunkte dafür, dass das seelische Leiden des Klägers mit einem GdB von 10 unzutreffend bewertet sein könnte, ergeben sich ebenfalls nicht. Aus den von Dr. S mitgeteilten Diagnosen kann auf eine stärker behindernde Störung mit einem Einzel-GdB von 20 oder gar 30, wie sie in den Anhaltspunkten 1996 unter 26.3,S. 60 (= Anhaltspunkte 2004, S. 48) "Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, Folgen psychischer Traumen" aufgeführt sind, nicht geschlossen werden.

Ausgehend von einem Einzel-GdB von je 20 für die Funktionsbeeinträchtigungen a. bis c. und einem GdB von 10 für die psychosomatischen Beschwerden entspricht die Bildung eines Gesamt-GdB von 40 der Vorschrift des § 69 Abs. 3 SGB IX. Danach ist dann, wenn mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vorliegen, der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen.

Die Vorschrift stellt klar, dass der Gesamt-GdB bei Vorliegen mehrerer Funktionsbeeinträchtigungen oder Behinderungen unabhängig davon, ob sie in einem oder mehreren medizinischen Fachbereichen vorliegen, nicht durch bloße Zusammenrechnung der für jede Funk-tionsbeeinträchtigung oder Behinderung nach den Tabellen in den Anhaltspunkten festzustellenden oder festgestellten Einzel-GdB zu bilden ist, sondern durch eine Gesamtbeurteilung. In der Regel ist von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, um dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft größer wird. Dabei führen grundsätzlich leichte Funktionsbeeinträchtigungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtauswirkung, die bei dem Gesamt-GdB berücksichtigt werden könnte. Dies gilt selbst dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Funktionsbeeinträchtigungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. AHP 1996, Nr. 19 S. 33 bis 35 und AHP 2004 S. 24 ff und BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 9). Der Beklagte ist bei der Bildung des Gesamt-GdB nach diesen Grundsätzen verfahren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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