L 16 RA 25/04

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 6 RA 3026/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 RA 25/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 8. Dezember 2003 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Streitig ist, ob die Beklagte als Versorgungsträger für das Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 Nr. 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) verpflichtet ist, für Beschäftigungszeiten des Klägers vom 1. November 1976 bis zum 30. Juni 1990 Zeiten der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVTI) sowie die entsprechenden Arbeitsverdienste festzustellen.

Der 1940 geborene Kläger war seit dem 23. November 1976 berechtigt, die Berufsbezeichnung "Ingenieur" zu führen (Zeugnis der Ingenieurschule für Vtechnik D). Er war vom 1. Januar 1971 bis zum 31. Dezember 1984 als Reparaturmeister und vom 1. Januar 1985 bis zum 30. Juni 1990 als Leiter der Instandsetzung bei dem volkseigenen Betrieb (VEB) Kombinat B Vbetriebe beschäftigt.

Mit Bescheid vom 16. April 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Mai 2003 lehnte die Beklagte die Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit des Klägers zur AVTI ab mit der Begründung, dass es sich bei dem VEB B Vbetriebe nicht um einen volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens oder einem diesen Betrieben gleichgestellten Produktionsbetrieb gehandelt habe.

Mit der Klage hat der Kläger beantragt, die Beklagte zu verpflichten, die Zeit vom 1. November 1976 bis zum 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG sowie die in diesem Zeitraum tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte festzustellen. Das Sozialgericht (SG) Berlin hat diese Klage mit Urteil vom 8. Dezember 2003 abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei nicht begründet. Der Kläger habe gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Feststellung der im Klageantrag genannten Daten. Er habe keine Beschäftigung bei einem volkseigenen Produktionsbetrieb oder einem gleichgestellten Betrieb innegehabt. Bei dem VEB Kombinat B Vbetriebe habe es sich vielmehr um einen Dienstleistungsbetrieb gehandelt, dessen Hauptzweck darin bestanden habe, Dienstleistungen im Bereich der Personenbeförderung zu erbringen.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er trägt vor: Bei dem Betriebsteil, in dem er beschäftigt gewesen sei, habe es sich überwiegend um einen Produktionsbetrieb gehandelt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 8. Dezember 2003 und den Bescheid der Beklagten vom 16. April 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Mai 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Zeit vom 1. November 1976 bis zum 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG sowie die in diesem Zeitraum tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die zum Verfahren eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.

Die Akte der Beklagten und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen.

II.

Das Gericht hat gemäß § 153 Abs. 4 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Berufung durch Beschluss zurückweisen können, weil es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat. Die Beteiligten sind hierzu vorher gehört worden (§ 153 Abs. 4 Satz 2 SGG).

Die Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Der Kläger hat keinen mit der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) durchsetzbaren Anspruch gemäß § 8 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 AAÜG auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG sowie gegebenenfalls der entsprechenden Arbeitsentgelte gemäß § 8 Abs. 2 AAÜG. Das AAÜG ist auf den Kläger schon deshalb nicht anwendbar, weil er am 1. August 1991, dem Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des AAÜG, keinen Versorgungsanspruch im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG hatte. Denn der Versorgungsfall (des Alters oder der Invalidität) war bis zu diesem Zeitpunkt nicht eingetreten. Der Kläger war aber auch am 1. August 1991 nicht Inhaber einer Versorgungsanwartschaft im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG. Denn er hatte - unstreitig - bis zum 30. Juni 1990 eine Versorgungszusage in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) nicht erhalten und ihm war auch nicht im Rahmen einer Einzelentscheidung eine Versorgung zugesagt worden.

§ 1 Abs. 1 AAÜG ist zwar im Wege verfassungskonformer Auslegung dahin auszulegen, dass den tatsächlich einbezogenen Personen diejenigen gleichzustellen sind, die aus bundesrechtlicher Sicht auf Grund der am 30. Juni 1990 gegebenen Sachlage einen (fiktiven) Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt hätten (ständige Rechtsprechung des BSG: vgl. z.B. Urteile vom 9. April 2002 - B 4 RA 31/01 R = SozR 3-8570 § 1 Nr. 2 und B 4 RA 3/02 R = SGb 2002, 379 sowie B 4 RA 18/01 R nicht veröffentlicht). Ein derartiger fiktiver Anspruch ist aber nur dann zu bejahen, wenn eine Beschäftigung oder Tätigkeit am maßgeblichen Stichtag ausgeübt worden ist, wegen der ihrer Art nach eine zusätzliche Altersversorgung in dem betreffenden Versorgungssystem vorgesehen war (ständige Rechtsprechung: vgl. z.B. BSG, Urteil vom 10. April 2002 - B 4 RA 32/01 R = SGb 2002, 380).

Der Kläger erfüllt indes für die Zeit vom 1. November 1976 bis zum 30. Juni 1990 nicht die Voraussetzungen für eine Einbeziehung in das Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG. Allein maßgebend sind insoweit die Texte der Verordnung über die AVTI in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 17. August 1950 (AVTI-VO; GBl. I S. 844) und der Zweiten Durchführungsbestimmung (2. DB) dazu vom 24. Mai 1951 (GBl. I S. 487). Davon ausgehend liegt ein fiktiver Anspruch auf eine Versorgungszusage nach der AVTI-VO i.V.m. der 2. DB nur vor, wenn der Betreffende drei Voraussetzungen erfüllt: Er muss 1. eine bestimmte Berufsbezeichnung geführt haben, 2. eine der Berufsbezeichnung entsprechende Beschäftigung oder Tätigkeit verrichtet haben und 3. die Beschäftigung oder die Tätigkeit in einem VEB im Bereich der Industrie oder des Bauwesens ausgeübt haben (vgl. hierzu BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 6; SozR 3-8570 § 1 Nr. 3).

Der Kläger hat in dem im Berufungsantrag bezeichneten Zeitraum keine entgeltliche Beschäftigung ausgeübt, die ihrer Art nach vom Zusatzversorgungssystem der AVTI erfasst war. Er war zwar in der Zeit vom 23. November 1976 bis zum 30. Juni 1990 berechtigt, den Titel eines Ingenieurs zu führen. Er hat jedoch die betriebliche Voraussetzung für eine Zugehörigkeit zur AVTI nicht erfüllt. Denn er war weder in einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens noch in einem der in § 1 Abs. 2 der 2. DB aufgeführten gleichgestellten Betriebe beschäftigt, sondern in einem Dienstleistungsbetrieb des Verkehrswesens. Bei dem VEB Kombinat B Vbetriebe handelte es sich um einen Betrieb, dessen Hauptzweck von der Erbringung von Verkehrsleistungen des öffentlichen Personennahverkehrs geprägt war, und zwar mittels der Personenbeförderung im Ostteil B durch U-Bahn, Tram und Bus. Soweit der VEB Kombinat B Vbetriebe daneben auch - wie vom Kläger vorgetragen - in bestimmten Betriebsteilen Produktionsleistungen erbrachte, haben diese dem VEB nicht das Gepräge gegeben, sondern waren gegenüber der Erbringung von Verkehrsleistungen nachrangig (vgl. zum VEB Güterkraftverkehr bzw. VEB Kraftverkehr: BSG, Urteil vom 9. April 2002 -B 4 RA 41/01 R- nicht veröffentlicht). Hiermit im Einklang steht auch die Auskunft der B Vbetriebe (B) an das Landessozialgericht P vom 7. Mai 2001, wonach der VEB Kombinat B Vbetriebe grundsätzlich nicht in die AVTI einbezogen gewesen sei. Allenfalls in Einzelfällen sei eine Anmeldung zur AVTI auf Grund von Einzelverträgen erfolgt.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), die der Senat seiner Entscheidung zu Grunde legt, kann aber eine Zugehörigkeit zur AVTI (fiktiv) nur dann festgestellt werden, wenn die Tätigkeit bzw. Beschäftigung in einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens oder in einem der in § 1 Abs. 2 der 2. DB genannten gleichgestellten Betriebe ausgeübt worden war (vgl. hierzu BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 5). Nicht ausreichend sind Tätigkeiten oder Beschäftigungen in irgendeinem VEB.

Dass es sich um eine Beschäftigung in einem volkseigenen Produktionsbetrieb gehandelt haben muss, folgt bereits aus § 1 Abs. 2 der 2. DB; die dort genannten Betriebe und Einrichtungen werden gerade (nur) den volkseigenen Produktionsbetrieben gleichgestellt. Dass diese Produktionsbetriebe solche der Industrie oder des Bauwesens sein mussten, entspricht nicht nur ihrer Bedeutung im Rahmen der Planwirtschaft (vgl. hierzu BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 6 ), sondern auch der historischen Entwicklung (vgl. hierzu BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 5).

Andere Rechtsgrundlagen, auf die der Kläger sein Begehren stützen könnte, sind nicht ersichtlich. Insbesondere verstößt es nicht gegen Verfassungsrecht, dass der Bundesgesetzgeber an die im Zeitpunkt der Wiedervereinigung vorgefundene Ausgestaltung der Versorgungssysteme der DDR und deren Differenzierung angeknüpft hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. August 2004 -1 BvR 1557/01). Denn der Gleichbehandlungsgrundsatz des Artikels 3 Grundgesetz gebietet es nicht, von den historischen Gegebenheiten der DDR, aus denen sich Ungleichheiten ergeben könnten, abzusehen und sie rückwirkend zu Lasten der heutigen Beitrags- und Steuerzahler auszugleichen. Die Begünstigung der damals Einbezogenen hat der Bundesgesetzgeber als ein Teilergebnis der Verhandlungen im Einigungsvertrag angesichts der historischen Bedingungen hinnehmen dürfen (vgl. BVerfGE 100, 138, 190 = SozR 3-8570 § 7 Nr. 1). Zu einer "Totalrevision" des aus der DDR stammenden Versorgungsrechts war er über die mit der ständigen Rechtsprechung des BSG vorgenommene Modifikation von § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG hinaus nicht verpflichtet (vgl. BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 2; BSG, Urteil vom 18. Juni 2003 -B 4 RA 1/03 R-).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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