L 5 RA 33/04

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 13 RA 5020/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 5 RA 33/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. Januar 2004 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat dem Kläger auch für das Berufungsverfahren außer- gerichtliche Kosten nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung einer Altersrente nach § 35 Sozialgesetzbuch - SGB - VI.

Der 1936 geborene Kläger ist ungarischer Staatsangehöriger und lebt in Budapest. Von 1957 bis April 1977 entrichtete er Pflichtbeiträge zur deutschen Rentenversicherung. Anschließend kehrte er nach Ungarn zurück und stellte am 25. Juli 1977 einen Antrag auf Beitragserstattung, der sich laut Antragsformular auf "die Hälfte der für die Zeit nach dem 20. Juni 1948 im Bundesgebiet ... entrichteten Beiträge" bezog. Das Formular enthielt über der Unterschrift des Klägers folgende Hinweise:

"Es ist mir bekannt,

1. dass die Erstattung weder auf eine bestimmte Zeit noch auf einen einzelnen Versicherungszweig beschränkt werden kann, 2. dass eine Rücknahme des Erstattungsantrages nach vollzogener Erstattung nicht mehr möglich ist, und 3. dass die Beitragserstattung weitere Ansprüche aus den bisher zurückgelegten Versicherungszeiten in allen Zweigen der Rentenversicherung ausschließt ..."

Die Beklagte entsprach diesem Antrag mit Bescheid vom 6. Januar 1978 und zahlte dem Kläger 20.790,80 DM entsprechend den Arbeitnehmeranteilen für 174 Monate Beitragszeit aus. Der Bescheid enthielt nochmals den ausdrücklichen Hinweis, dass die Beitragserstattung weitere Ansprüche aus den bisher zurückgelegten Versicherungszeiten ausschließe.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger mit Schreiben vom 10. Juli 1997 "Widerspruch" und beanstandete, dass ihm vor 20 Jahren nur die Hälfte der Pflichtbeiträge erstattet und bei der Berechnung die Geldentwertung nicht berücksichtigt worden seien. Es sei unverantwortlich gewesen, die Beiträge einfach auszuzahlen, ohne sich für sein Leben im Rentenalter zu interessieren. In Ungarn fehlten ihm nun fünf Jahre für eine Mindestrente. Die Beklagte sah dieses Schreiben als Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X an und lehnte es mit Bescheid vom 19. September 1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16. Februar 1998 ab, den Erstattungsbescheid vom 6. Januar 1978 zu ändern, weil dieser der Sach- und Rechtslage entsprochen habe. Die dagegen erhobene Klage - S 35 An 1749/98 - wies das Sozialgericht Berlin mit Gerichtsbescheid vom 6. Juli 1998 ab.

Am 17. Februar/12. März 2003 stellte der Kläger nach dem deutsch-ungarischen Sozialversicherungsabkommen vom 2. Mai 1998 einen Antrag auf Versichertenrente aus der deutschen Rentenversicherung, den die Beklagte mit Bescheid vom 2. April 2003 mit der Begründung ablehnte, die Wartezeit von fünf Jahren für eine Altersrente nach § 35 SGB VI sei nicht erfüllt. Auf die Wartezeit seien nur Beitrags- und Ersatzzeiten anzurechnen. Die Zeit vom 1. Januar 1957 bis zum 30. April 1977 könne nicht berücksichtigt werden, weil wegen einer Beitragserstattung Ansprüche aus diesen rentenrechtlichen Zeiten nicht mehr hergeleitet werden könnten. Zur Begründung seines dagegen erhobenen Widerspruches trug der Kläger vor, dass nach dem inzwischen in Kraft getretenen Sozialversicherungsabkommen eine Beitragserstattung nur möglich sei, wenn weniger als 60 Kalendermonate Beiträge zur deutschen Rentenversicherung gezahlt worden seien. Danach sei die 1978 erfolgte Beitragserstattung für erheblich mehr Monate unrechtmäßig und müsse rückgängig gemacht werden. Seine Altersrente müsse berechnet werden, wobei die Auszahlung erst dann beginne, wenn der erstattete Betrag von ihm getilgt worden sei. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21. August 2003 zurück und führte aus, es bestünden für den Kläger keine deutschen Zeiten, aus denen er eine deutsche Rente erhalten könne. Für die von ihm von 1957 bis April 1977 zurückgelegten Beitragszeiten sei eine Beitragserstattung erfolgt, die nicht rückgängig gemacht werden könne. Ein Beratungsmangel sei nicht erkennbar, denn im Jahre 1978 sei nicht abzusehen gewesen, dass nach über 20 Jahren ein Sozialversicherungsabkommen geschlossen werden würde. Dieses sei am 1. Mai 2000 in Kraft getreten und gelte erst für Rechtsverhältnisse ab diesem Zeitpunkt.

Mit der am 15. September 2003 erhobenen Klage hat der Kläger sein Rentenbegehren weiterverfolgt und geltend gemacht, ihm sei 1978 eine Rückerstattung für 20 Jahre bewilligt worden, was rentnerfeindlich, diskriminierend und in sozialer Hinsicht gefühllos gewesen sei. Er erhalte jetzt in Ungarn nicht einmal eine Minimalrente, weil er durch die Erstattung 20 Dienstjahre verloren habe. Die Beklagte habe um die verheerenden Folgen der Beitragserstattung gewusst, aber nicht einmal versucht, ihn von seinem irrsinnigen Antrag abzuhalten. Wenn er gewusst hätte, dass die 20 Dienstjahre nicht einmal in Ungarn angerechnet werden würden, hätte er die Erstattung nicht beantragt. Er sei bereit, den Erstattungsbetrag zurückzuzahlen, um von der Beklagten eine Rente zu erhalten.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 21. Januar 2004 abgewiesen und in den Entscheidungsgründen, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, im Wesentlichen sinngemäß ausgeführt, die zulässige Klage sei nicht begründet. Die Beklagte habe es zu Recht abgelehnt, dem Kläger Regelaltersrente nach § 35 SGB VI zu gewähren, denn er habe die Wartezeit von 60 Kalendermonaten nicht erfüllt. Die von ihm zur deutschen Rentenversicherung abgeführten Beiträge habe die Beklagte mit Bescheid vom 6. Januar 1978 rechtmäßig erstattet. Dieser Bescheid sei bindend geworden und habe zur Folge, dass die Ansprüche des Klägers aus den entrichteten Beiträgen zur deutschen Rentenversicherung erloschen seien. Auf diese Rechtsfolge sei in dem Erstattungsbescheid ausdrücklich hingewiesen worden. Es sei unbeachtlich, dass nach In-Kraft-Treten des Sozialversicherungsabkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Ungarn zum 1. Mai 2000 eine Erstattung von Beiträgen in diesem Umfang nicht mehr möglich gewesen wäre. Durch das Abkommen werde die Wirksamkeit früherer Erstattungsbescheide nicht berührt, es sehe auch keine Möglichkeit vor, früher wirksam durchgeführte Beitragserstattungen durch Rückzahlung des Erstattungsbetrages rückgängig zu machen. Es gebe auch keine Härteregelungen, die es ermöglichten, dem Kläger aufgrund seines persönlichen Schicksals und seiner sozialen Lage die Rückzahlung des Erstattungsbetrages zu gestatten, um seine Ansprüche aus den Beiträgen wieder aufleben zu lassen. Ein Verschulden der Beklagten sei im Rahmen der 1978 durchgeführten Beitragserstattung nicht ersichtlich, denn bei der damals gegebenen Rechtslage habe sie keine Veranlassung gehabt, dem Kläger von der Beitragserstattung abzuraten.

Gegen das Urteil hat der Kläger am 18. März 2004 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen Folgendes vor: Die Beklagte habe auch bei der damaligen Rechtslage die Pflicht gehabt, ihm von der Beitragserstattung abzuraten. Es entstehe der Verdacht, dass sie Vorteile für sich bei der Rückerstattung gesehen habe, da sie so die zweite Hälfte der gezahlten Beiträge habe behalten können. Sie habe ihn auch über die Konsequenzen der Beitragserstattung belehren müssen, insbesondere darüber, dass ihm alle 20 Dienstjahre verloren gehen würden, wodurch er auch in Ungarn nicht genügend Dienstjahre haben würde. In dem Bescheid vom 6. Januar 1978 stehe lediglich, dass er die Ansprüche auf Rente verliere, nicht aber, dass ihm auch die Dienstjahre verloren gingen. Er erhalte deshalb jetzt auch in Ungarn überhaupt keine Rente, obwohl er schon 67 Jahre alt sei. Im Übrigen sei die Beitragserstattung gesetzwidrig gewesen, wie sich aus einem Merkblatt der Beklagten vom 1. Februar 1976 ergebe. Danach sei Voraussetzung für die Beitragserstattung bei Aufenthalt im Ausland u.a. gewesen, dass der Ausländer kein Recht auf freiwillige Versicherung gehabt habe. An anderer Stelle im Merkblatt werde darauf hingewiesen, dass anerkannte Flüchtlinge ein solches Recht auf freiwillige Versicherung hätten. Er habe die ganzen 20 Jahre als anerkannter Flüchtling in der Bundesrepublik gelebt. Da in dem Antrag auf Beitragserstattung danach gar nicht gefragt worden sei, habe die Beklagte darüber keine Kenntnis gehabt und so irrtümlich die Beitragserstattung bewilligt.

Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. Januar 2004 sowie den Bescheid der Beklagten vom 2. April 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21. August 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm - nach Beitragsentrichtung - eine Altersrente gemäß § 35 SGB VI zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Aus dem Berufungsvorbringen ergäben sich keine entscheidungserheblichen neuen Erkenntnisse. Der Kläger könne sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass er als anerkannter Flüchtling zur freiwilligen Versicherung berechtigt gewesen sei und somit eine Beitragserstattung nicht habe erfolgen dürfen. Die von ihm zitierten Hinweise im Merkblatt träfen auf ihn nicht zu. Bei den dort aufgeführten, zur freiwilligen Versicherung berechtigten Personen handele es sich um Vertriebene im Sinne des Bundesvertriebenengesetzes bzw. um Flüchtlinge aus der ehemaligen DDR. Zu beiden Personengruppen zähle der Kläger nicht und habe seinen eigenen Angaben zufolge auch nicht vor der Flucht im Herkunftsland Ungarn als Selbständiger gearbeitet, was weitere Voraussetzung des Rechts zur freiwilligen Versicherung gewesen sei.

Die Beteiligten haben sich mit Entscheidung durch Urteil ohne mündlichen Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die von den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen. Die den Kläger betreffenden Verwaltungsvorgänge der Beklagten haben dem Senat bei der Beratung und Entscheidung vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG - mit Zustimmung der Beteiligten wiederum durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Gewährung einer Altersrente aus der deutschen Rentenversicherung.

Auf den Rentenantrag des Klägers vom 17. Februar/12. März 2003 findet das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Ungarn über Soziale Sicherheit vom 2. Mai 1998 (BGBl. 1999 II, S. 902, in Kraft getreten am 1. Mai 2000 [Bekanntmachung BGBl. II S. 644]) - DUSVA - Anwendung. Nach diesem Abkommen sind u.a. Leistungen aus der Rentenversicherung auch dann zu erbringen, wenn sich der Berechtigte im Hoheitsgebiet des anderen Vertragsstaates aufhält und es sich um einen Staatsangehörigen - oder diesem insoweit gleichgestellten - der Vertragsstaaten handelt. Dabei stehen die vom persönlichen Geltungsbereich des Abkommens erfassten Personen, die sich gewöhnlich im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates aufhalten, bei Anwendung der Rechtsvorschriften eines Vertragsstaats dessen Staatsangehörigen gleich (Art. 3, 4 Abs. 1 DUSVA). Das bedeutet, dass der Kläger für einen Rentenanspruch aus der deutschen Rentenversicherung die dafür maßgebenden Voraussetzungen erfüllen muss. Zwar werden gemäß Art. 25 Abs. 1 DUSVA für den Leistungsanspruch nach den anzuwendenden Rechtsvorschriften auch die Versicherungszeiten berücksichtigt, die für einen Leistungsanspruch nach den Rechtsvorschriften des anderen Vertragsstaates anrechenbar sind und nicht auf dieselbe Zeit entfallen. Nach Abs. 4 dieser Vorschrift ergibt sich aus dem Abkommen aber kein Anspruch auf Rente nach den Rechtsvorschriften eines Vertragsstaates, wenn nach diesen Rechtsvorschriften nicht eine Mindestversicherungszeit zurückgelegt worden ist, die bei Anwendung der deutschen Rechtsvorschriften sechs Monate beträgt.

Danach kann der Kläger keine Rente aus der deutschen Rentenversicherung beanspruchen. Nach § 35 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Altersrente, wenn sie das 65. Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Diese beträgt nach § 50 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI fünf Jahre und kann nur durch Kalendermonate mit Beitrags- oder Ersatzzeiten erreicht werden (§ 51 Abs. 1 und 4 SGB VI). Diese allgemeine Wartezeit erfüllt der Kläger nicht, und zwar auch nicht unter Berücksichtigung etwaiger vergleichbarer Versicherungszeiten in Ungarn, weil er nicht die nach dem Abkommensrecht erforderliche Mindestversicherungszeit von sechs Monaten zurückgelegt hat. Die von ihm zur deutschen Rentenversicherung von 1957 bis 1977 abgeführten Beiträge hat die Beklagte mit Bescheid vom 6. Januar 1978 rechtmäßig erstattet. Dieser Bescheid ist bindend geworden und hat zur Folge, dass sämtliche Ansprüche des Klägers aus den entrichteten Beiträgen zur deutschen Rentenversicherung erloschen sind. Diese Beitragserstattung mit ihren Rechtsfolgen bleibt auch nach In-Kraft-Treten des DUSVA wirksam. Dessen Art. 40 Abs. 2 regelt ausdrücklich, dass bei Anwendung des Abkommens die vor seinem In-Kraft-Treten nach den Rechtsvorschriften der Vertragsstaaten gegebenen rechtserheblichen Tatsachen zu berücksichtigen sind. Die Möglichkeit der Rückabwicklung von Beitragserstattungen sieht dieses Abkommen nicht vor.

Die 1978 auf Antrag des Klägers durchgeführte Beitragserstattung war auch rechtmäßig, wie dem Kläger aufgrund seines Überprüfungsantrages durch den rechtskräftigen Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 6. Juli 1978 bestätigt worden ist. Auch das Vorbringen des Klägers im vorliegenden Verfahren lässt keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Erstattungsbescheides vom 6. Januar 197.8 aufkommen. Für ein damaliges Recht zur freiwilligen Versicherung fehlt es an jeglichen Anhaltspunkten. Entgegen der Behauptung des Klägers wurde in dem Antragsformular unter VII die Frage gestellt, ob er anerkannter Vertriebener oder Sowjetzonenflüchtling im Sinne des Bundesvertriebenengesetzes sei, was er durch Ankreuzen des entsprechenden Kästchens ausdrücklich verneint hat. Außerdem war er nach seinen eigenen Angaben nicht vorher im Herkunftsland als Selbständiger erwerbstätig. Schließlich kann der Kläger auch nicht mit Erfolg beanstanden, dass die Beklagte ihn damals nicht von einem Antrag auf Beitragserstattung abgehalten habe. Dafür bestand seinerzeit keinerlei Veranlassung. Als der Kläger 1977 freiwillig in seine damals kommunistische Heimat Ungarn zurückkehrte, war in keiner Weise absehbar, dass die beiden Staaten unter gänzlich geänderten politischen Voraussetzungen über 20 Jahre später ein Sozialversicherungsabkommen schließen würden, aufgrund dessen der Kläger ohne Beitragserstattung Rentenansprüche gegen den deutschen Rentenversicherungsträger herleiten könnte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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