L 9 KR 23/02

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 89 KR 864/99
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 23/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 28. November 2001 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Versicherungspflicht der Klägerin in der Zeit vom 11. Mai 1998 bis zum 05. September 1998 wegen einer Tätigkeit als Reinigungskraft bei dem Beigeladenen zu 4).

Die 1972 geborene Klägerin lebte seit Ende 1997 von ihrem Ehemann getrennt. Bis Ende 1997 war sie privat krankenversichert, danach ohne Krankenversicherungsschutz. Die Klägerin war im streitbefangenen Zeitraum schwanger, mutmaßlicher Entbindungstermin nach ärztlicher Berechnung war der 18. Oktober 1998. Auf der Grundlage der ärztlichen Berechnung war der Beginn der Schutzfrist nach dem Mutterschutzgesetz der 06. September 1998. Zum 11. Mai 1998 meldete der Beigeladene zu 4), Inhaber eines Restaurants, die Klägerin der Beklagten als Beschäftigte mit einem monatlichen Bruttoentgelt von 800,00 DM. Daneben vermietete der Beigeladene zu 4) der Klägerin eine Einzimmerwohnung, für die er selbst 700,00 DM zu zahlen hatte, zu einem Preis von 200,00 DM. Nach Angaben der Klägerin und des Beigeladenen zu 4) arbeitete die Klägerin in dem Restaurant als Reinigungskraft. Den Umfang der Tätigkeiten gab die Klägerin mit 20 Stunden wöchentlich bzw. 2-3 Stunden an 5 Tagen in der Woche an. Die Tätigkeit war zuvor im Wesentlichen von der Mutter des Beigeladenen zu 4) ausgeführt worden. Nach dem durch die Geburt bedingten Ausscheiden der Klägerin sollte diese Tätigkeit wiederum von der Mutter des Beigeladenen zu 4) ausgeführt werden. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag bestand nicht. Die Klägerin erhielt datenverarbeitungstechnisch gefertigte Abrechnungen, auf denen sie zumindest in den Monaten Mai, Juni und August die in bar erfolgende Auszahlung des Geldes quittierte.

Nachdem die Beklagte der Klägerin über ihre Vermutung, dass die ausgeübte Tätigkeit kein reguläres, versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis darstelle, informiert hatte, stellte sie mit Bescheid vom 17. März 1999 fest, dass die Klägerin ab dem 11. Mai 1998 in keinem der Sozialversicherungspflicht unterliegenden Beschäftigungsverhältnis gestanden habe. Die Umstände deuteten vielmehr auf eine Tätigkeit im Rahmen eines Freundschaftsverhältnisses hin. Die Klägerin lebe unter der gleichen Anschrift wie ihr Arbeitgeber, dem Beigeladenen zu 4). Sie sei zum Zeitpunkt der Anmeldung bereits fortgeschritten schwanger und ohne Krankenversicherungsschutz gewesen. Die Anmeldung wie auch die Vermittlung einer Unterkunft seien durch einen privaten Kontakt, nämlich durch die Lebensgefährtin des Beigeladenen zu 4), zustande gekommen. Die Angaben der Klägerin zu ihrem Beschäftigungsverhältnis seien unklar. So habe sie angegeben, bis zum 9. Monat der Schwangerschaft gearbeitet zu haben, die Entgeltbescheinigung weise hingegen den 05. September 1998 als letzten Arbeitstag aus. Es sei fraglich, ob die Klägerin die angegebene Beschäftigung tatsächlich habe ausüben können, da sie telefonisch angegeben habe, bereits im Mai 1998 wegen dreier Treppen und Wartezeit nicht zum Sozialamt habe gehen zu können.

Den gegen diesen Bescheid eingelegten Widerspruch, in dem die Klägerin auf ihre finanzielle Notlage verwiesen hatte, wies die Beklagte am 29. September 1999 zurück.

In ihrer Klage zum Sozialgericht führte die Klägerin aus, die Motivation des Arbeitgebers für die Einstellung einer Arbeitskraft sei irrelevant. Die Arbeiten seien von ihr tatsächlich ausgeführt worden.

Das Sozialgericht hat neben dem Beigeladenen zu 4) die Landesversicherungsanstalt Berlin, die Bundesagentur für Arbeit und die Allgemeine Ortskrankenkasse Berlin — Pflegekasse — beigeladen. Das Sozialgericht hat weiter zu der Frage des Vorliegens eines Beschäftigungsverhältnisses der Klägerin bei dem Beigeladenen zu 4) Beweis erhoben durch die Vernehmung der Zeuginnen Frau D M sowie Frau AD, geb. S. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll des Sozialgerichts Berlin vom 11. Juli 2001 verwiesen.

Mit seinem Urteil vom 28. November 2001 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Kammer sei nicht zu der Überzeugung gelangt, dass die Voraussetzungen für ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis ab dem 11. Mai 1998 vorgelegen hätten. Zweifel ergäben sich aus der Unbestimmtheit der Einzelheiten des Arbeitsverhältnisses. Es habe an fest vereinbarten Arbeitszeiten gefehlt, die Angaben zu den Arbeitszeiten seien divergierend. Zweifelhaft sei, ob die Klägerin die angegebenen Tätigkeiten auch zum Ende ihrer Schwangerschaft noch habe ausüben können. Da das Entgelt in bar ausgezahlt worden sei, sei die tatsächliche Zahlung nicht nachgewiesen. Die Arbeitskraft der Klägerin sei nach ihrem mutterschutzbedingten Ausfall nicht durch eine andere Arbeitskraft ersetzt worden, sondern die Tätigkeiten seien vom Beigeladenen zu 4) ausgeführt worden. Weiterhin bestünden Unstimmigkeiten hinsichtlich der Dauer der Tätigkeit der Klägerin bei dem Beigeladenen als auch hinsichtlich des Endes des Beschäftigungsverhältnisses. Die Tätigkeit der Klägerin, an deren tatsächlicher Durchführung das Sozialgericht nicht zweifle, sei nicht zu arbeitsmarktüblichen Bedingungen erfolgt. Das Verhältnis sei vielmehr stark von Freundschaft bzw. Bekanntschaft geprägt gewesen, was sich auch in der Überlassung von Wohnraum für 200,00 DM zeige.

Gegen dieses, der Klägerin am 11. Januar 2002 zugestellte Urteil, hat die Klägerin am 08. Februar 2002 Berufung eingelegt. Sie meint, in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden zu haben. Hinsichtlich der Arbeitszeit sei vereinbart gewesen, dass ihre Arbeiten täglich vor 12.00 Uhr hätten erledigt gewesen sein müssen, da dann das Restaurant geöffnet worden sei. Teilweise habe sie mangels Bedarfs nicht arbeiten müssen, was ihr telefonisch mitgeteilt worden sei. Das Restaurant sei ebenerdig gelegen, Treppen habe sie nicht steigen müssen. Die ihr vom Beigeladenen zu 4) zu einem geringen Mietpreis überlassene Wohnung habe lange leer gestanden und sei für den Beigeladenen zu 4) nicht vermietbar gewesen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 28. November 2001 und den Be- scheid der Beklagten vom 17. März 1999 in der Fassung des Widerspruch- bescheides vom 29. September 1999 aufzuheben und festzustellen, dass die Klägerin in der Zeit vom 11. Mai 1998 bis zum 05. September 1998 bei dem Beigeladenen zu 4) versicherungspflichtig zu allen Zweigen der Sozial- versicherung beschäftigt war.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angegriffene Urteil für zutreffend.

Die Beigeladenen stellen keine Anträge.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das angegriffene Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 28. November 2001 ist nicht zu beanstanden. Der Bescheid der Beklagten vom 17. März 1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. September 1999 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Beklagte hat zutreffend festgestellt, dass die Klägerin bei dem Beigeladenen zu 4) in der streitbefangenen Zeit vom 11. Mai 1998 bis zum 05. September 1998 nicht in einem versicherungs- und beitragspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden hat.

Rechtsgrundlagen für die Beurteilung der hier streitigen Frage sind § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V hinsichtlich der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung, § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI hinsichtlich der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung, § 24 Abs. 1 i. V. m. § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III hinsichtlich der Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung sowie § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB XI hinsichtlich der Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung. Diese Vorschriften setzen jeweils ein — entgeltliches — Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV voraus.

Hiernach ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Ob ein Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 7 SGB IV vorliegt, richtet sich nicht nur nach den Angaben der Betroffenen, sondern maßgeblich nach den tatsächlichen Umständen. Diese müssen den Schluss rechtfertigen, dass die Betroffenen die ernstliche Absicht hatten, die mit einem Arbeitsverhältnis verbundenen gegenseitigen rechtlichen Verpflichtungen einzugehen. Für den Arbeitnehmer bedeutet dies, dass er regelmäßig nach den Weisungen des Arbeitgebers in Bezug auf Zeit, Dauer, Ort und Art der Arbeitsausführung tätig wird und organisatorisch in den Betriebsablauf eingegliedert ist. Die Annahme eines solchen Beschäftigungsverhältnisses wird grundsätzlich nicht bereits dadurch ausgeschlossen, dass jemand aufgrund eines privaten Kontaktes seine Tätigkeit aufnimmt. Allerdings ist in diesen Fällen — wie bei den Ehegattenarbeitsverhältnissen — erforderlich, dass es sich um ein von den Beteiligten ernsthaft gewolltes und vereinbarungsgemäß durchgeführtes entgeltliches Beschäftigungsverhältnis handelt. Auf gewisse Mindestanforderungen an ein entgeltliches Beschäftigungsverhältnis kann nicht verzichtet werden, weil ansonsten in einer dem Gesetz nicht mehr entsprechenden Weise ein Beschäftigungsverhältnis lediglich rechtsmissbräuchlich fingiert werden könnte. Daher ist zu fordern, dass der Beschäftigte nachweisbar ein Entgelt erhält, das einen angemessenen Gegenwert für die geleistete Arbeit darstellt. Weitere Abgrenzungskriterien sind, ob ein schriftlicher Arbeitsvertrag abgeschlossen wurde und ob die von dem Betroffenen konkret ausgeführte Tätigkeite zuvor und nach seinem Einsatz von einer anderen, fremden Arbeitskraft vorgenommen wurde. Ein strenger Prüfungsmaßstab dieser Kriterien ist insbesondere dann angezeigt, wenn — wie im vorliegenden Fall — der Versicherungsschutz erstmals in zeitlicher Nähe zu einem Leistungsfall behauptet wird, weil hier die Gefahr von Rechtsmissbrauch besteht, der wegen der privaten Kontakte bzw. freundschaftlichen Beziehungen leichter als sonst möglich ist (vgl. LSG Berlin, 27. März 2002, L 15 KR/53/00; LSG Berlin, 24. März 2004, L 15 KR 63/02).

Aufgrund der hiernach gebotenen Gesamtwürdigung lässt sich nicht feststellen, dass die Klägerin die während der streitbefangenen Zeit im Restaurant des Beigeladenen zu 4) ausgeführten Reinigungstätigkeiten im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses erbracht hat. Vielmehr sind die erbrachten Arbeitsleistungen Bestandteile eines auf Freundschaft und gegenseitige Unterstützungsleistungen gerichteten Verhältnisses gewesen.

So ist vorliegend bereits die Vereinbarung eines ernsthaften Arbeitsverhältnisses nicht erkennbar. Die Klägerin und der Beigeladenen zu 4) haben keinen schriftlichen Arbeitsvertrag abgeschlossen. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag mit der Konkretisierung und verbindlichen Fixierung der gegenseitigen Rechte und Pflichten ist jedoch regelmäßig Grundlage eines ernsthaften Arbeitsverhältnisses. Vorliegend fehlt es insbesondere an der Fixierung des Umfangs der zu leistenden Tätigkeiten, obwohl gerade dies — neben der Art der Arbeit und der Entlohnung — Kernstück eines jedes Arbeitsverhältnisses ist. Dementsprechend bestanden selbst bei der Klägerin Unsicherheiten über den Umfang der durchzuführenden Tätigkeiten, was sich deutlich in den divergierenden Aussagen zu der Arbeitszeit zeigte. So gab die Klägerin an, 20 Stunden wöchentlich, 2-3 Stunden an fünf Tagen in der Woche, gegebenenfalls auf Abruf je nach Bedarf tätig geworden zu sein. Gerade eine an dem jeweiligen Bedarf orientierte Tätigkeit ist jedoch für den Fall der familienhaften bzw. freundschaftlichen Mithilfe typisch, was erst recht gilt, wenn — wie hier — ein jeweils gleichbleibendes Entgelt vereinbart worden ist (LSG Berlin, 27. März 2002, L 15 KR 53/00).

Hinsichtlich des Entgelts fehlt es an einem Nachweis über die tatsächliche Zahlung. Zwar hat die Klägerin den Erhalt des Geldes in bar auf den Abrechnungen quittiert. Die tatsächliche Auszahlung des Betrags ist damit jedoch nicht nachgewiesen.

Gegen ein ernsthaft gewolltes Arbeitsverhältnis spricht zudem der Umstand, dass die von der Klägerin ausgeübten Tätigkeiten weder vor ihrer Arbeitsaufnahme, noch nach ihrem Ausscheiden von einer fremden Arbeitskraft ausgeführt wurden. Vielmehr sind die zu verrichtenden Tätigkeiten jeweils vom Beigeladenen zu 4) selbst, von seinen Familienangehörigen oder freundschaftlich verbundenen Personen vorgenommen worden. Wie der Beigeladene zu 4) in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat, hätte er die Klägerin für diese Tätigkeit nicht eingestellt, wenn sie sich nicht in einer Notlage befunden hätte. Diese Form der gegenseitigen Hilfestellung aufgrund von Freundschaft oder Sympathie zeigt sich auch in der Überlassung einer Wohnung für 200,00 DM, für die der Beigeladene zu 4) selbst einen Mietzins von 700,00 DM zu zahlen hatte.

Schließlich darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Klägerin vor Aufnahme des angeblichen Beschäftigungsverhältnisses weder als Arbeitssuchende gemeldet gewesen ist, noch versicherungspflichtig beschäftigt war. Sie hatte zu der maßgeblichen Zeit keinen eigenen Krankenversicherungsschutz, wusste aber um den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung auslösenden Umstand der Schwangerschaft, insbesondere um die Kosten für die anstehende Entbindung. Zwar ist rechtlich die Motivation der Klägerin für die Aufnahme eines Beschäftigungsverhältnisses nicht relevant. Es ist nicht zu beanstanden, wenn die Erlangung von Krankenversicherungsschutz für die Klägerin die Motivation zur Beschäftigungsaufnahme darstellte. Versicherungspflicht tritt jedoch nur dann ein, wenn es sich um ein ordnungsgemäßes, versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis handelt, woran hier — aus den dargelegten Umständen — Zweifel bestehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis der Hauptsache.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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