L 7 KA 56/02

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 71 KA 133/00
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 7 KA 56/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. April 2002 wird zurückgewiesen. Der Kläger hat der Beklagten auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Disziplinarmaßnahme.

Der Kläger ist als Arzt für Allgemeinmedizin seit 1993 zur vertragsärztlichen Versorgung der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung zugelassen. Seit dem III. Quartal 1994 kam es zu Beanstandungen seines Abrechnungsverhaltens. Der Prüfungsausschuss bei der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin traf in diesem Zusammenhang die folgenden Entscheidungen:

III/1994: schriftliche Beratung bezüglich der Beratungen und Besuche IV/1994: Kürzung des Gesamthonorars um 50 % I/1995: Kürzung der Besuchsleistungen um 30 %, der Untersuchungsleistungen um 20 %, der Sonderleistungen um 30 % und schriftliche Beratung hinsichtlich der GO-Nrn. 40 und 41 II/1995: Kürzungen der Besuchsleistungen um 50 %, der Untersuchungsleistungen um 50 % und der Sonderleistungen um 40 % III/1995: Kürzungen der Besuchsleistungen um 40 %, der Untersuchungsleistungen um 10 % und der Sonderleistungen um 40 % IV/1995: Kürzungen der Besuchsleistungen um 50 %, der Untersuchungsleistungen um 20 % und der Sonderleistungen um 50 % I/1996: Kürzung des Gesamthonorars um 40 % III/1996: Kürzungen der GO-Nr. 5 um 40 %, der GO-Nr. 26 um 30 % und der GO-Nr. 301 um 95 %

IV/1996: Kürzungen der GO-Nr. 5 um 45 %, der GO-Nr. 26 um 30 %, der GO-Nr. 40 um 50 %, der GO-Nr. 301 um 35 % und der GO-Nr. 439 um 70 % I/1997: Kürzungen der GO-Nr. 5 um 70 %, der GO-Nr. 26 um 25 % und der GO-Nr. 40 um 50 %

II/1997: Kürzung des Gesamthonorars um 40 % III/1997: Kürzung der GO-Nr. 5 um 40 % IV/1997: Kürzungen der GO-Nr. 5 um 40 %, der GO-Nr. 26 um 20 % und der GO-Nr. 301, 439 und 801 um je 40 % I/1998: Kürzungen der GO-Nr. 5 um 40 %, der Besuchsleistungen um 15 % und der GO-Nr. 301 um 80 % II/1998: Absetzungen folgender GO-Nummern aufgrund einer Einzelfallprüfung: 14 x die GO-Nr. 5, 10 x die GO-Nr. 40, 32 x die GO-Nr. 44, 12 x die GO-Nr. 301, 4 x die GO-Nr. 415, 1 x die GO-Nr. 439 und 3 x die GO-Nr. 801 Umwandlungen: 16 x die GO-Nr. 26 in die GO-Nr. 25 und 4 x die GO-Nr. 7239 in die GO-Nr. 7236 III/1998: Kürzung des Gesamthonorars um 20 % IV/1998: Kürzung des Gesamthonorars um 40 % I/1999: Absetzungen folgender GO-Nummern aufgrund einer Einzelfallprüfung: 160 x die GO-Nr. 17, 13 x die GO-Nr. 18, 50 x die GO-Nr. 42 und 4 x die GO-Nr. 415.

Gegen jede dieser Entscheidungen erhob der Kläger Widerspruch. Der Beschwerdeausschuss bei der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin bestätigte daraufhin die Entscheidungen des Prüfungsausschusses für das Quartal III/94. Die Gesamthonorarkürzung für das Quartal IV/1994 hob er auf und kürzte stattdessen einzelne Gebührenordnungsnummern. Diese Entscheidungen sind bestandskräftig geworden. Die Entscheidung des Prüfungsausschusses über die Kürzung der Anforderungen für Sonderleistungen für die Quartale I bis IV/1996 sowie über die Kürzung der Anforderungen für Untersuchungsleistungen für das Quartal III/1996 hob der Beschwerdeausschuss ebenfalls auf. Im Übrigen bestätigte er die Kürzungen der Anforderungen für Besuchs- und Untersuchungsleistungen für diese Quartale bzw. reduzierte diese.

Auf die hiergegen gerichtete Klage hat das Sozialgericht Berlin diese Entscheidungen mit Urteil vom 17. Juni 1998 (S 71 KA 234/96) insoweit aufgehoben, als die Anforderungen für Besuchs- und Untersuchungsleistungen gekürzt worden sind und den Beklagten verpflichtet, über die Widersprüche gegen die Entscheidungen des Prüfungsausschusses unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

Daraufhin beendeten der Kläger und der Beschwerdeausschuss diese und alle weiteren offenen Widerspruchsverfahren vergleichsweise. Im Einzelnen wurden folgende Vereinbarungen getroffen: III/1994: Bestätigung der Entscheidung des Prüfungsausschusses IV/1994: Aufhebung der Gesamthonorarkürzung, stattdessen Kürzung der GO-Nrn. 29 und 32 um je 30 %, Hinweis hinsichtlich der GO-Nr. 2 I/1995 - Vergleich vom 24. Juni 1998; Gutschrift in Höhe von zwei Dritteln der nach IV/1995: der Beschwerdeentscheidung verbliebenen Kürzungen I/1996: Vergleich vom 30. September 1999; Reduzierung der Kürzung des Gesamt- honorars von 40 auf 35 % II/1996: Vergleich vom 30. September 1999; Aufhebung der Entscheidung des Prü- fungsausschusses, stattdessen Kürzung des Gesamthonorars um 15 % III/1996 - Vergleich vom 24. Juni 1998; Gutschrift in Höhe von zwei Dritteln der durch IV/1997: Prüfungsausschuss beschlossenen Kürzungen I + II/1998: Vergleich vom 30. September 1999; Aufhebung der Kürzungen III/1998: Vergleich vom 30. September 1999; Bestätigung der Kürzungen IV/1998: Vergleich vom 30. September 1999; Reduzierung der Kürzung des Gesamt- honorars von 40 auf 30 % I/1999: Vergleich vom 30. September 1999; Bestätigung der Entscheidung des Prü- fungsausschusses.

Am 5. Mai 1999 beantragte der Vorstand der Beklagten die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen den Kläger wegen der Verletzung seiner vertragsärztlichen Pflichten. Der Kläger habe die fortgesetzten Kürzungen seiner Honorarforderungen nicht zum Anlass genommen, sein Abrechnungsverhalten zu ändern.

Diesem Antrag folgte der Disziplinarausschuss der Beklagten mit Beschluss vom 30. Juni 1999 und hörte den Kläger zu den ihm gegenüber erhobenen Vorwürfen, der "ununterbrochenen Unwirtschaftlichkeit", in seiner Sitzung vom 27. Oktober 1999 an. Hierbei berief sich der Kläger im Kern auf Praxisbesonderheiten. Er behandele zu 85 % Schmerzpatienten. Außerdem gebe es keine Vergleichsgruppe mit anderen Fachärzten für ihn, da er Allgemeinarzt mit einer Genehmigung für Ultraschalldiagnostik sei. Er rechne Leistungen ab, die in seiner Gruppe unüblich seien, z.B. Kniepunktionen. Zudem mache er außerordentlich viele Hausbesuche, auch in anderen Bezirken. Schließlich behandle er vorwiegend Nervenblockaden, wofür er aber keine Genehmigung brauche.

Mit Beschluss vom 27. Oktober 1999 legte die Beklagte dem Kläger eine Disziplinarmaßnahme in Form einer Geldbuße in Höhe von 5.000,00 DM auf. Es sei erwiesen, dass der Kläger vom Quartal II/1995 bis zum Quartal I/99 in 14 Quartalen gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen und damit seine vertragsärztlichen Pflichten verletzt habe. Zu den Pflichten eines Vertragsarztes gehöre u.a. die Einhaltung des in § 12 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) verankerten Wirtschaftlichkeitsgebots, wonach Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein müssten und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten dürften. Der Vertragsarzt sei insofern verpflichtet, Leistungen, die nach den Regeln der ärztlichen Kunst für die Erzielung eines Heilerfolges nicht notwendig oder unwirtschaftlich seien, nicht zu bewirken oder zu verordnen. Verstoße ein Vertragsarzt permanent gegen dieses Gebot der Wirtschaftlichkeit, indem er sich mit bestimmten Leistungen im Bereich des offensichtlichen Missverhältnisses bewege, sei nach ständiger Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme gerechtfertigt. Dass der Kläger gegen dieses Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen habe, ergebe sich schon allein aus der Tatsache, dass beginnend ab dem Quartal II/1995 bis einschließlich des Quartals I/1999 in 14 Quartalen Kürzungen der Honoraranforderungen erfolgt seien. Es bestehe keine Veranlassung, dahin zu differenzieren, ob der Kläger mehrere gegen ihn gerichtete negative Prüfentscheidungen bestandskräftig habe werden lassen, oder sich im Rahmen eines Vergleichs mit dem Beschwerdeausschuss über mehrere Quartale hinweg auf bestimmte Kürzungen aller Honoraranforderungen wirksam habe einigen können. Die abgeschlossenen Vergleiche stellten eine ausreichende Grundlage für die Annahme eines Verstoßes gegen die vertragsärztlichen Pflichten infolge wiederholter Unwirtschaftlichkeit dar. Durch Abschluss der Vergleiche habe der Kläger im Kern den gegen ihn gerichteten Vorwurf der Unwirtschaftlichkeit für die genannten Quartale akzeptiert. Die von ihm vorgetragenen Praxisbesonderheiten, insbesondere im Bereich der Ultraschalldiagnostik, seien nicht geeignet, die Überschreitungen des offensichtlichen Missverhältnisses im Bereich der Gesprächs- und Besuchsleistungen zu rechtfertigen. Aufgrund der Vielzahl und des Umfangs der Verstöße gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot sei im vorliegenden Fall eine Disziplinarmaßnahme im unteren Bereich des Sanktionenkatalogs nicht mehr zu vertreten. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Kläger disziplinarrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten sei, sei eine Geldbuße in Höhe von 5.000,00 DM zu verhängen. Diese Geldbuße sei ein notwendiges, geeignetes und angemessenes Mittel, um den Kläger gegenwärtig und für die Zukunft von der Verletzung des Wirtschaftlichkeitsgebotes abzuhalten bzw. zur Beachtung der Wirtschaftlichkeitsgrundsätze anzuhalten.

Mit seiner hiergegen gerichteten Klage hat der Kläger sein bisheriges Vorbringen wiederholt und ergänzend ausgeführt: Der Bescheid der Beklagten sei bereits aus formellen Gründen rechtswidrig. Das Disziplinarverfahren orientiere sich an den Grundsätzen des Straf- und des Bußgeldverfahrens. Die entsprechenden Verfahrensvorschriften seien daher auch im Disziplinarverfahren zu beachten. Nach diesen Normen seien die Gründe einer Entscheidung regelmäßig spätestens nach fünf Wochen, nachdem die Entscheidung ergangen sei, schriftlich niederzulegen. Diese Frist habe die Beklagte hier nicht eingehalten. Aber selbst wenn man die strikte Einhaltung dieser Frist nicht als zwingend ansähe, wäre die hier fast vollständig verstrichene Fünfmonatsfrist nicht hinnehmbar. Im Übrigen habe er nicht unwirtschaftlich gehandelt. Jedenfalls aber habe er insoweit nicht schuldhaft gehandelt. Eine entsprechende Feststellung hierüber habe die Beklagte auch nicht getroffen. Die Entscheidung der Beklagten stelle sich lediglich als ein Versuch dar, einen qualifizierten Vertragsarzt zu kriminalisieren.

Mit seinem Urteil vom 10. April 2002 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Entgegen der Ansicht des Klägers sei der angefochtene Bescheid nicht aus formellen Gründen rechtswidrig. Zwar habe das Bundessozialgericht für den Bereich der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) entschieden, dass ein Bescheid des Beschwerdeausschusses dann nicht mit Gründen im Sinne von § 35 Abs. 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) versehen sei, wenn zwischen Beschlussfassung und Aufgabe des Bescheides zur Post zum Zwecke der Zustellung mehr als fünf Monate vergangen seien. Der hier angefochtene Bescheid sei jedoch innerhalb eines Zeitraums von fünf Monaten zugestellt worden, denn der Kläger habe noch innerhalb dieser Frist Klage erhoben. Der angefochtene Bescheid sei auch nicht im Hinblick auf die disziplinarisch verfolgten Pflichtverletzungen und die verhängte Maßnahme rechtlich zu beanstanden. Der Kläger habe gegen seine vertragsärztlichen Pflichten verstoßen, denn er habe mit seiner Behandlungsweise in 14 aufeinanderfolgenden Quartalen und danach in weiteren drei Quartalen gegen das von ihm als Vertragsarzt einzuhaltende Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen. In allen 17 Quartalen habe der Kläger, wie sich aus den mit dem Beschwerdeausschuss geschlossenen Vergleichen zeige, Honorarkürzungen akzeptiert. Da der Kläger durch zahlreiche Entscheidungen der Prüfgremien darüber informiert gewesen sei, dass seine Behandlungsweise nicht dem Gebot der Wirtschaftlichkeit entsprochen habe, sei von einem Verschulden auszugehen. Es sei ihm zumutbar gewesen, von den Prüfgremien den Umfang der anzuerkennenden Praxisbesonderheiten feststellen zu lassen, damit er sich für die Zukunft daran halten könne. Dies habe er aber nicht getan. Auch gegen die Art und den Umfang der Maßnahme bestünden keine Bedenken. Bei der Auswahl und der Verhängung einer Disziplinarmaßnahme sei die Beklagte grundsätzlich berechtigt, nach ihrem Ermessen zu handeln. Daher sei die gerichtliche Prüfung insoweit nur auf eine Ermessenskontrolle beschränkt. Ermessensfehler könnten im vorliegenden Fall aber nicht festgestellt werden. Die Beklagte habe zur Begründung der Verhängung einer Geldbuße von 5.000,00 DM zugunsten des Klägers ausgeführt, dass er disziplinarrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten sei, andererseits aber über einen langen Zeitraum Pflichtverstöße begangen habe. Ausgehend hiervon habe sie eine Sanktion gewählt, die eher im unteren bis mittleren Bereich anzusiedeln sei. Das mache deutlich, dass die Beklagte die Besonderheiten des Falles gewürdigt habe.

Gegen das ihm am 6. Mai 2002 zugestellte Urteil hat der Kläger am 7. Mai 2002 Berufung eingelegt und im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen ergänzt und vertieft.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. April 2002 und den Beschluss des Disziplinarausschusses der Beklagten vom 27. Oktober 1999 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

die sie für unbegründet hält.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, sowie den Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das angefochtene Urteil ist nicht zu beanstanden. Der Beschluss der Beklagten vom 27. Oktober 1999 ist rechtmäßig.

Rechtsgrundlage für diesen Beschluss ist § 81 Abs. 5 SGB V in Verbindung mit § 13 der Satzung der Beklagten in der Fassung vom 7. März 1991, geändert durch Beschluss der Vertreterversammlung der Beklagten vom 15. Oktober 1998 (Amtsblatt Berlin 1999, S. 427 ff), und den Bestimmungen der als Anlage 2 der Satzung geregelten Disziplinarordnung (dort insbesondere § 4). Danach kann die Beklagte gegenüber den Mitgliedern der Kassenärztlichen Vereinigung, die ihre sich vor allem aus dem Gesetz und der Satzung ergebenden Pflichten nicht oder nicht ordnungsgemäß erfüllen, Disziplinarmaßnahmen verhängen. Hierbei kommen als Disziplinarmaßnahme je nach Schwere der Verfehlung eine Verwarnung, ein Verweis, eine Geldbuße bis 20.000,00 DM oder die Anordnung des Ruhens der Zulassung bis zu zwei Jahren in Betracht.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist der angefochtene Beschluss der Beklagten nicht bereits verfahrensfehlerhaft zustande gekommen und deshalb rechtswidrig, weil er nicht innerhalb von fünf Wochen nach der Beschlussfassung schriftlich abgesetzt worden ist. Das Erfordernis des § 275 Abs. 1 S. 2 der Strafprozessordnung -StPO- (bzw. der entsprechenden Norm des Ordnungswidrigkeitengesetzes), nach dem die Gründe eines Urteils eines Strafprozesses spätestens fünf Wochen nach der Verkündung (schriftlich) zu den Akten zu bringen sind, ist nicht auf das vertragsärztliche Disziplinarverfahren übertragbar. Es fehlt insoweit an einer Gesetzeslücke, die eine analoge Anwendung dieser Regelung gebietet. § 81 SGB V ist eine Norm, eines besonderen Teils des Sozialgesetzbuches. Auf diese besonderen Teile des Sozialgesetzbuches finden grundsätzlich die Vorschriften des SGB X Anwendung. Mangels abweichender Vorschriften im Gesetz finden diese Regelungen auch Anwendung auf das vertragsärztliche Disziplinarverfahren (Hess in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht (Std.: 40. EgLfg. 2003), § 81 SGB V RdNr. 29 und Krauskopf in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung/Pflegeversicherung (Std.: Juni 2003), § 81 SGB V RdNr. 40). Das SGB X enthält selbst keine dem § 275 Abs. 1 S. 2 StPO entsprechende Regelung.

Eine entsprechende Anwendung dieser Norm ist auch deshalb nicht geboten, weil sich, entgegen der Auffassung des Klägers, das vertragsärztliche Disziplinarverfahren nicht an den Grundsätzen des Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitenverfahrens orientiert. Bei diesen Verfahren handelt es sich nicht um einander ähnliche oder gleichartige Verfahren. Die Disziplinarmaßnahmen sind keine Kriminal-, Ordnungs- oder Vertragsstrafen, sondern Ahndungen besonderer Art. Die Disziplinarmaßnahmen enthalten entsprechend der Ordnungsfunktion des Disziplinarrechts eine Pflichtmahnung und stellen sich demgemäß als Erziehungs- und Präventionsmaßnahme dar. Sie dienen nicht der Vergeltung oder Sühne, sondern sollen Ordnung und Integrität innerhalb eines Berufsstandes gewährleisten und den der Disziplinargewalt Unterworfenen zur korrekten Erfüllung seiner Berufspflichten anhalten (Hencke in Peters, Handbuch der Krankenversicherung (Std.: 19. Auflage, 50. ErgLfg. 1. Juli 2003, § 81 SGB V RdNr. 33)). Das vorliegende Verfahren dient also nicht dazu, wie der Kläger meint, ihn zu kriminalisieren, sondern es hat den Zweck, ihn anzuhalten, das Gebot der Wirtschaftlichkeit zu beachten.

Soweit der Kläger sinngemäß rügt, dass der angefochtene Beschluss der Beklagten vom 27. Oktober 1999 erst nach dem 20. März 2000, also "praktisch erst fünf Monate später" zugegangen sei, kann der Senat offen lassen, ob Disziplinarbeschlüsse entsprechend der höchstrichterlichen Rechtsprechung, nach der Beschlüsse des Beschwerdeausschusses innerhalb von fünf Monaten nach Beschlussfassung zur Zustellung gegeben werden müssen, weil sie anderenfalls verfahrensfehlerhaft - als nicht mit Gründen versehen -zustande gekommen sind (Urteil des Bundessozialgerichts [BSG] vom 28. April 1999 - B 6 KA 79/97 R -), ebenfalls innerhalb dieser Frist zur Zustellung gegeben werden müssen. Denn die Beklagte hat diese Frist gewahrt. Das Sozialgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, dass der Kläger noch innerhalb von fünf Monaten nach der Beschlussfassung Klage vor dem Sozialgericht erhoben hat.

Entgegen seiner Auffassung hat der Kläger auch gegen eine ihm obliegende vertragsärztliche Pflicht verstoßen. Dazu gehört das Gebot der wirtschaftlichen Leistungserbringung (§§ 70 Abs. 1 S. 2, 72 Abs. 2 SGB V, § 16 des Bundesmantelvertrag-Ärzte in Verbindung mit § 81 Abs. 3 Nr. 1 SGB V). Danach hat der Leistungserbringer Leistungen, die nach den Regeln der ärztlichen Kunst für die Erzielung des Heilerfolgs nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, nicht zu erbringen (BSGE 34, 252). Verstößt der Vertragsarzt gegen dieses Gebot fortgesetzt, kann dieses Verhalten disziplinarrechtlich gewürdigt werden (Hess a.a.O., § 81 SGB V RdNr. 26, Krauskopf a.a.O., § 81 SGB V RdNr. 39 und Hencke a.a.O. § 81 SGB V RdNr. 37 jeweils m.w.Nachw.).

Ein solcher Fall ist hier gegeben. Der Kläger hat vom II. Quartal 1995 an bis zum IV. Quartal 1997 und vom III. Quartal 1998 an bis zum I. Quartal 1999 - nur diese Quartale hat die Beklagte ihrer Entscheidung zugrunde gelegt - also in 14 Quartalen gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen. Dies ergibt sich aus den verschiedenen Honorarkürzungsbescheiden der Beklagten, jeweils in der Fassung der Vergleiche vom 24. Juni 1998 und vom 30. September 1999. Die vom Kläger insoweit erhobenen, die Auslegung des Begriffs der Wirtschaftlichkeit betreffenden Einwände sind in diesem Stadium des Verfahrens nicht mehr zu beachten. Die Bestandskraft der ergangenen Entscheidungen schließt eine nochmalige Überprüfung der Kürzungsmaßnahmen hinsichtlich ihrer Rechtmäßigkeit aus (BSGE 34, 252). Der Kläger verkennt zudem, dass durch die Vergleiche lediglich die Höhe der Honorarkürzungen zu seinen Gunsten vermindert, nicht jedoch die Bescheide in Gänze aufgehoben worden sind, also auch nicht der Vorwurf des Verstoßes gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot von der Beklagten fallen gelassen worden ist.

Der Kläger hat auch schuldhaft gegen das Gebot der Wirtschaftlichkeit verstoßen. Ausreichend ist hierbei einfache Fahrlässigkeit (Hencke a.a.O., § 81 SGB V RdNr. 35). Fahrlässig handelt, wer die Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den Umständen des Einzelfalles und nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten imstande ist. An diesen Grundsätzen gemessen hat der Kläger mindestens fahrlässig gehandelt. Seine Honorarabrechnungen sind seit dem III. Quartal 1994 Gegenstand verschiedener Prüfverfahren gewesen. Zunächst erfolgte hinsichtlich dieses Quartals eine schriftliche Beratung. Dann wurden die Honorarabrechnungen der folgenden Quartale durch die Prüfgremien der Beklagten laufend mit Hinweis auf das Gebot der Wirtschaftlichkeit beanstandet und gekürzt. Gleichwohl hat der Kläger unter Außerachtlassung einfachster Überlegungen, zu der er als Arzt in der Lage und die ihm auch zumutbar waren, sein Verhalten nicht geändert und auch weiterhin unwirtschaftlich behandelt. Das Sozialgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, dass es ihm zumutbar war, den Umfang seiner anzuerkennenden Praxisbesonderheiten feststellen zu lassen, um sein Verhalten hieran fortan auszurichten. Da er dies aber nicht getan hat, hat er zumindest (leicht) fahrlässig gehandelt.

Schließlich begegnet auch die von der Beklagten aufgrund der festgestellten andauernden Verstöße gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot getroffene Ermessensentscheidung keinen Bedenken. Der Senat sieht insoweit von einer Darstellung der Entscheidungsgründe ab und verweist auf die Gründe des angefochtenen Urteils des Sozialgerichts (§ 153 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]). Zu ergänzen ist lediglich, dass die Beklagte ihrer Ermessensentscheidung einen richtigen und vollständigen Sachverhalt zugrunde gelegt hat. Ausweislich des angefochtenen Beschlusses hat die Beklagte - entgegen der Darstellung in dem angefochtenen Urteil - lediglich 14 Quartale in der Zeit von II/1995 bis I/1999 bei ihrer Ermessensentscheidung berücksichtigt. Die Quartale I und II/1998, für die die Kürzungen aufgehoben worden sind, hat sie damit nicht in ihre Ermessensüberlegungen mit einfließen lassen. Dies gilt ebenso für die Quartale III und IV des Jahres 1994. Dies wäre möglicherweise deshalb problematisch gewesen, weil nach § 8 Abs. 3 S. 1 der Disziplinarordnung der Kassenärztlichen Vereinigung ein Disziplinarverfahren nicht mehr durchgeführt werden kann, wenn seit der Verfehlung mehr als vier Jahre vergangen sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden und hier noch anzuwendenden Fassung und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.

Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG hierfür nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Saved