L 9 KR 61/02

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 87 KR 734/99*89
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 61/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten zu 1) gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 11. März 2002 wird zurückgewiesen. Die Berufung der Beklagten zu 2) gegen dieses Urteil wird als unzulässig verworfen. Die Beklagten haben dem Kläger auch seine außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Kläger auch in der Zeit vom 16. Mai 1999 bis zum 31. März 2002 Mitglied der Beklagten war.

Der 1934 geborene Kläger ist seit März 1971 Mitglied der beklagten Krankenkasse, der Beklagten zu 1), und seit Einführung der sozialen Pflegeversicherung Mitglied der beklagten Pflegekasse, der Beklagten zu 2). Aufgrund des Bezugs von Leistungen der damaligen Bundesanstalt für Arbeit bestand Versicherungspflicht bis zum 31. Oktober 1997. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte gewährte dem Kläger mit Bescheid vom 13. Oktober 1997 (rückwirkend) vom 1. August 1997 an eine Altersrente. Die Mitgliedschaft des Klägers in der Krankenversicherung der Rentner lehnte die Beklagte zu 1) wegen nicht erfüllter Vorversicherungszeit mit Bescheid vom 25. April 1997 ab. Seine Mitgliedschaft bei der Beklagten zu 1) setzte sich deshalb vom 1. November 1997 als freiwillige Mitgliedschaft fort. Eine zeitnahe Beitragseinstufung erfolgte allerdings nicht. Erst mit Einstufungsbescheid vom 21. Oktober 1998 stufte die Beklagte zu 1) den Kläger ab dem 1. November 1997 in die Versicherungsklasse F 12 0, Beitragsstufe 08, mit einem monatlichen Beitragssatz in Höhe von 297,00 DM ein. Mit Bescheid vom gleichen Tage unterrichtete die Beklagte zu 2) den Kläger darüber, dass sein monatlicher Beitrag ab 1. November 1997 36,26 DM betrage. Am 17. Februar 1999 überwies der Rentenversicherungsträger den Beklagten für die Zeit bis zum 31. Dezember 1998 einen Zuschuss zum Kranken- und Pflegeversicherungsbeitrag des Klägers in Höhe von insgesamt 2.362,82 DM. Von Januar 1999 an überwies der Träger den Beitragszuschuss dann direkt an den Kläger. Laufende Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung wurden von ihm seitdem nicht gezahlt. Mit Schreiben vom 25. Februar 1999 wies die Beklagte zu 1) den Kläger deshalb darauf hin, dass sein Beitragskonto "seit 1. November 1997 noch einen Rückstand von 2.638,08 DM" aufweise. Sie bat, diesen Betrag innerhalb der nächsten sieben Tage auszugleichen. Mit Beitragsbescheid vom 29. März 1999 bestimmte die Beklagte zu 1) die offene Beitragsschuld einschließlich Säumniszuschläge auf 3.061,34 DM. Sie bat um Ausgleich innerhalb von einer Woche.

Im April 1999 begab sich der Kläger in Behandlung des Internisten Dr. med. H M. Dieser diagnostizierte bei dem Kläger ein inoperables Prostatakarzinom bei Zustand nach pelviner Lymphadenektomie, ein hirnorganisches Psychosyndrom, eine Depression und beginnende Verwahrlosung, eine Alkoholkrankheit, einen insulinpflichtigen Diabetes mellitus mit diabetischer Polyneuropathie und ein radikuläres Syndrom L4/L5 bei Bandscheibenprolaps und eine Spinalkanalstenose.

Da in der Folgezeit eine Zahlung durch den Kläger nicht erfolgte, forderten die Beklagten mit Bescheid vom 28. April 1999 den Kläger auf, die offenen Beitragsschulden einschließlich Säumniszuschlägen und Mahngebühren in Höhe von nunmehr 3.417,60 DM bis zum 15. Mai 1999 zu zahlen. Bei Nichteinhaltung dieser Frist ende seine Mitgliedschaft am 15. Mai 1999: "Mit diesem Tag würden sämtliche Rechte aus (seiner) Mitgliedschaft bei der DAK erlöschen".

Dieser Bescheid wurde durch Niederlegung am 30. April 1999 bei der zuständigen Postanstalt zugestellt. Auch hierauf reagierte der Kläger nicht. Mit Bescheid vom 25. Mai 1999 teilte die Beklagte zu 1) dem Kläger mit, dass seine Mitgliedschaft zum 15. Mai 1999 geendet habe. Ihre Forderung belaufe sich nunmehr auf 3.938,50 DM. Sie werde alle Maßnahmen fortsetzen, die rückständigen Beiträge vom Kläger zu erhalten.

Hiergegen erhob der Kläger dann am 18. Juni 1999 durch seine damalige Bevollmächtigte Widerspruch. Er sei nicht klar und unmissverständlich auf das drohende Ende seiner Mitgliedschaft hingewiesen worden. Beim Zeitpunkt des Zuganges des Bescheides sei er auch geschäftsmäßig nicht in der Lage gewesen, die Beiträge zu zahlen, deren Höhe im Übrigen bestritten werde. Schließlich sei auch die im Schreiben vom 28. April 1999 gesetzte Zahlungsfrist bis zum 15. Mai 1999 zu kurz bemessen gewesen.

Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16. September 1999 als unbegründet zurück: Sie habe den Kläger unmissverständlich darauf hingewiesen, dass sein Krankenversicherungsschutz gefährdet sei und seine Mitgliedschaft am 15. Mai 1999 ende, wenn bis zu diesem Termin der genannte Beitragsrückstand nicht beglichen werde. Auch der Vortrag des Klägers, dass er aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage gewesen sei, seinen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen, führe zu keiner anderen Entscheidung. Die zwingenden gesetzlichen Bestimmungen ließen keine Ausnahme zu, da der Kläger für eine pünktliche Beitragszahlung verantwortlich sei.

Im anschließenden Klageverfahren hat der Kläger, der seit dem 11. April 2000 unter Betreuung steht, sein bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft.

Das Sozialgericht hat den zuständigen Sozialhilfeträger des Klägers zum Verfahren beigeladen und einen Befundbericht des Arztes Dr. med. H M eingeholt. Wegen der Einzelheiten wird auf diesen Befundbericht verwiesen.

Mit Urteil vom 11. März 2002 hat das Sozialgericht Berlin den Bescheid der Beklagten vom 25. Mai 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. September 1999 aufgehoben und festgestellt, dass die Mitgliedschaft des Klägers bei den Beklagten über den 15. Mai 1999 hinaus fortbestanden hat. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, dass der Kläger nicht wirksam auf das drohende Ende seiner Mitgliedschaft wegen des Beitragsrückstandes habe hingewiesen werden können, weil er spätestens seit April 1999 geschäftsunfähig gewesen sei.

Gegen dieses, der Beklagten zu 1) am 4. April 2002 und der Beklagten zu 2) am 3. April 2002 zugestellte Urteil richten sich die Berufungen der Beklagten zu 1) vom 30. April 2002 und der Beklagten zu 2) vom 5. Juni 2002. Sie tragen vor, dass sich das Sozialgericht hinsichtlich der Geschäftsunfähigkeit des Klägers auf Annahmen und Vermutungen stütze. Es lasse sich nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen, dass sich der Kläger bereits bis zum 15. Mai 1999 aufgrund seiner Erkrankung in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung seiner Geistestätigkeit befunden habe. Zwar lägen nach den durchgeführten Ermittlungen durchaus Anhaltspunkte dafür vor, dass die durch die Betreuerbestellung festgestellte Geschäftsunfähigkeit bereits zu einem früheren Zeitpunkt eingetreten sei. Der erforderliche Nachweis lasse sich allerdings nicht erbringen. Wesentlicher Gesichtspunkt sei nämlich, dass sich aufgrund fehlender zeitgerechter medizinischer Befunde im fraglichen Zeitraum gerade nicht ermitteln und damit auch nicht feststellen lasse, zu welchem Zeitpunkt die Erkrankung des Klägers einen Zustand erreicht habe, aufgrund dessen er nicht mehr in der Lage gewesen sei, seine Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen.

Die Beklagten beantragen,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 11. März 2002 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger, der seit dem 1. April 2002 in der Krankenversicherung der Rentner bei der Beklagten zu 1) pflichtversichert ist und dementsprechend seit diesem Zeitpunkt auch Mitglied der Beklagten zu 2) ist, beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

die er für unbegründet hält.

Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die den Kläger betreffende Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die dem Senat vorgelegen hat und die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten zu 2) war als unzulässig zu verwerfen, denn sie ist verspätet eingelegt worden. Gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ist die Berufung bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Diese Frist hat die Beigeladene zu 2) nicht gewahrt. Das Urteil des Sozialgerichts Berlin wurde ihr am 3. April 2002 zugestellt. Hiernach hätte sie spätestens bis zum Freitag, dem 3. Mai 2002, Berufung zum Landessozialgericht einlegen müssen (§ 64 Abs. 1 und Abs. 2 SGG). Dies ist jedoch nicht geschehen. Die Beigeladene zu 2) hat ihre Berufung erst am 5. Juni 2002 eingelegt.

Soweit sich die Beklagte zu 2) insoweit auf eine zwischen ihr und der Krankenkasse "bestehende Verwaltungs- und Funktionseinheit" beruft und meint, dass deswegen auch sie durch den bei Gericht am 30. April 2002 eingegangenen Schriftsatz der Beklagten zu 1) fristgemäß Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts eingelegt habe, ist dem nicht zu folgen. Die Träger der Pflegeversicherung, die Pflegekassen, sind zwar organisatorisch bei der jeweiligen Krankenkasse angesiedelt (§ 46 Abs. 1 Satz 1 des Elften Buches Sozialgesetzbuch [SGB XI]), jedoch handelt es sich gleichwohl bei ihnen um selbständige rechtsfähige Körperschaften des öffentlichen Rechts (§ 46 Abs. 2 Satz 1 SGB XI). Als solche sind sie im sozialgerichtlichen Prozess beteiligten- und prozessfähig (§§ 70 und 71 SGG). Dementsprechend müssen sie - unabhängig von der jeweiligen Krankenkasse - Klage- und auch Rechtsmittelfristen beachten.

Der Beigeladenen zu 2) war auch nicht Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gemäß § 67 Abs. 1 SGG zu gewähren. Wenn jemand ohne Verschulden gehindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, so ist ihm nach dieser Vorschrift auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren. Nach § 67 Abs. 2 Satz 2 SGG sind die Tatsachen zur Begründung des Antrages glaubhaft zu machen. Hieran fehlt es vorliegend. Trotz eines entsprechenden Hinweises des Senats hat die Beigeladene zu 2) keine Wiedereinsetzungsgründe geltend gemacht.

Die Berufung der Beklagten zu 2) ist zulässig, aber unbegründet. Das Sozialgericht hat im Ergebnis zu Recht die angefochtene Entscheidung der Beklagten aufgehoben. Der Bescheid vom 25. Mai 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. September 1999 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

Der Kläger war auch über den 15. Mai 1999 hinaus freiwilliges Mitglied (§ 9 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch [SGBV]) der Beklagten zu 1) und deshalb gemäß § 20 Abs. 3 SGB XI bei der Beklagten zu 2) pflichtversichert. Nach § 191 Satz 1 Nr. 3 SGB V endet die freiwillige Mitgliedschaft mit Ablauf des nächsten Zahltages, wenn für zwei Monate die fälligen Beiträge trotz Hinweises auf die Folgen nicht entrichtet wurden. Diese Voraussetzungen liegen bezogen auf das von den Beklagten für den 15. Mai 1999 festgestellte Ende der Mitgliedschaft des Klägers hier jedenfalls deshalb nicht vor, weil die Beklagte den Kläger auf die Folgen der Nichtentrichtung der Beiträge nicht in ausreichendem Maße hingewiesen hat.

Sinn dieser Hinweispflicht ist es, dem säumigen Versicherten die Folgen seines Verhaltens vor Augen zu führen. Ihm muss mit dem Hinweis klar gemacht werden, dass die pflichtwidrige Nichtentrichtung von Beiträgen zum Erlöschen der Mitgliedschaft und damit zum Verlust des Versicherungsschutzes insgesamt führt (Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 15. Januar 2003 - L 15 KR 29/01). Der Hinweis darf sich deshalb nicht ausschließlich auf das drohende Ende der Mitgliedschaft bei der Krankenkasse des Versicherten beschränken, sondern er muss auch darüber unterrichtet werden, dass nach dem Ende seiner Mitgliedschaft der Beitritt auch zu einer anderen Krankenkasse ausgeschlossen ist, so dass er bei gleichbleibenden Verhältnissen endgültig und dauerhaft aus dem System der gesetzlichen Krankenversicherung ausscheidet, solange nicht die gesetzlichen Voraussetzungen für eine (Pflicht-) Mitgliedschaft neu erfüllt sind (Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 14. November 2001 - L 4 B 11/01 KR ER -, NZS 2002, S. 600 f.).

An einem diesen vorgenannten Voraussetzungen erfüllenden Hinweis fehlt es hier. Das Schreiben vom 28. April 1999 enthält keinen Hinweis darauf, dass der Kläger nach Erlöschen seiner Mitgliedschaft bei der Beklagten zu 1) auf Dauer keiner gesetzlichen Krankenkasse als freiwilliges Mitglied beitreten kann und eine Mitgliedschaft erst wieder möglich ist, wenn die Voraussetzungen einer Versicherungspflicht erfüllt sind. Die Beklagten haben sich lediglich darauf beschränkt, den Kläger auf das drohende Ende seiner "DAK-Mitgliedschaft" hinzuweisen.

Der Gesetzgeber hat eine derartige Hinweispflicht im Übrigen auch nunmehr in § 191 Satz 2 SGB V in der Fassung des Gesetzes vom 14. November 2003 (BGBl. I S. 2190) mit Wirkung zum 1. Januar 2004 gesetzlich normiert. Dabei handelt es sich aber nicht um eine Neuregelung, sondern um eine gesetzliche Klarstellung des bereits bis zum 31. Dezember 2003 geltenden Rechts (BT-Drucks. 15/1525 S. 137 zu Nr. 135) bzw. um eine entsprechende Konkretisierung (Peters in Kasseler Kommentar [Std.: EL 43/März 2004], § 191 SGB V RdNr. 12).

Der Senat konnte daher die Frage der Unwirksamkeit des dem Kläger erteilten Hinweises hinsichtlich des drohenden Endes seiner Mitgliedschaft bei den Beklagten wegen einer möglicherweise bestehenden Geschäftsunfähigkeit des Klägers ebenso dahinstehen lassen wie die Frage, ob die von den Beklagten dem Kläger in dem Schreiben vom 28. April 1999 gesetzte Zahlungsfrist bis zum 15. Mai 1999 im Hinblick darauf zu kurz bemessen war, dass sie selbst erst mit Einstufungsbescheid vom 21. Oktober 1998 die von dem Kläger für die Zeit ab 1. November 1997 zu zahlenden freiwilligen Beiträge festgesetzt hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor; grundsätzliche Bedeutung hat die Rechtssache schon deshalb nicht, weil sie abgelaufenes Recht betrifft, und zwar §191 SGB V in der bis zum 31. Dezember 2003 geltenden Fassung.
Rechtskraft
Aus
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