L 17 RJ 7/03

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 22 RJ 1908/99
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 17 RJ 7/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 17. Januar 2003 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist ein Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit.

Die 1969 geborene Klägerin absolvierte von August 1986 an eine dreijährige Ausbildung zur Friseurin, die sie mit der Gesellenprüfung abschloss. In diesem Beruf war sie sodann bis zum Beginn einer mit Arbeitsunfähigkeit verbundenen Erkrankung am 15. Mai 1997 tätig.

Im Oktober 1998 stellte die Klägerin, nachdem sie bereits im August 1998 einen Rehabilitationsantrag gestellt hatte, einen Rentenantrag und machte dazu geltend, sie könne seit Mai 1997 infolge von Drehschwindel und einem Tremor der rechten Hand nicht mehr berufstätig sein. Die Beklagte stellte das Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die beantragte Rentenart bezogen auf den Zeitpunkt der Antragstellung fest und veranlasste eine Untersuchung und Begutachtung durch die Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. G. In ihrem Gutachten vom 28. Januar 1999 gab die Ärztin an, die Klägerin könne noch leichte bis mittelschwere Arbeiten in allen Haltungsarten ohne besonderen Zeitdruck und ohne Überkopfarbeiten bei Vermeidung von Leiter- und Gerüstarbeiten verrichten. Als Friseurin könne sie auf Dauer nicht mehr tätig sein.

Mit Bescheid vom 9. Februar 1999 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Nachdem die Klägerin gegen diese Entscheidung Widerspruch eingelegt hatte, holte die Beklagte ein Gutachten der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie W vom 25. Mai 1999 ein, das das Leistungsvermögen der Klägerin im Wesentlichen wie im Vorgutachten beurteilte. Als zusätzliche Einschränkungen wurden genannt, die Tätigkeit dürfe nur kurzfristig mittelschwere Arbeiten umfassen und müsse im Wechsel der Haltungsarten erfolgen. Häufiges Bücken, Knien und Hocken sowie eine wesentliche Beanspruchung der Fingergeschicklichkeit rechts sei ausgeschlossen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 18. August 1999 wies die Widerspruchsstelle der Beklagten den Widerspruch zurück. Die Klägerin sei trotz aufgehobenem Leistungsvermögen als Friseurin nicht berufsunfähig, da sie noch die ihr zumutbare Tätigkeit einer Fachberaterin und Kassiererin in Kosmetikabteilungen von Kaufhäusern oder als Fachkraft für Nagelpflege in einem Nagelstudio tätig sein könne.

Dagegen hat die Klägerin am 3. September 1999 Klage erhoben. Das Sozialgericht hat einen Befundbericht des Facharztes für Allgemeinmedizin H vom 28. Mai 2000 eingeholt, dem weitere medizinische Unterlagen beigefügt waren. Es hat sodann den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. B zum Sachverständigen ernannt. Im Gutachten vom 11. Oktober 2000 stellte er die Diagnosen

phobischer Schwankschwindel,

Tremor rechter Arm unklarer Genese,

cervikobrachiales Syndrom

und führte zum Leistungsvermögen der Klägerin aus, sie könne ohne auf Kosten der Gesundheit tätig zu sein, täglich noch leichte körperliche Arbeiten im Freien und in geschlossenen Räumen unter Ausschluss von Hitze, Kälte, Feuchtigkeit und Zugluft im Wechsel der Haltungsarten oder überwiegend sitzend verrichten. Einseitige körperliche Belastungen, insbesondere der Wirbelsäule und der Arme seien nicht zumutbar. Dies gelte auch für Akkord- und Fließbandtätigkeiten. An laufenden Maschinen könne die Klägerin nicht mehr arbeiten, das Heben und Tragen von Lasten solle auf 5 kg beschränkt werden. Wechselschichten unter Ausschluss von Nachtschichten seien zumutbar. Auf Leitern und Gerüsten könne die Klägerin nicht mehr arbeiten. Die Belastbarkeit der Lendenwirbelsäule und der Beine sei nicht reduziert. Arbeiten, die eine Belastbarkeit der Wirbelsäule und der Arme oder Fingergeschicklichkeit voraussetzten, seien nicht zumutbar. Sie könne noch einfache bis mittelschwere geistige Arbeiten verrichten. Die festgestellten Leiden wirkten sich nicht auf das Hör- und Sehvermögen aus. Lese- und Schreibgewandtheit seien ausreichend vorhanden, die Auffassungsgabe, die Lern- und Merkfähigkeit seien nicht reduziert und die Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit erhalten. Unter Beachtung der genannten Einschränkungen bestehe ein vollschichtiges Leistungsvermögen. Die Klägerin benötige keine zusätzlichen Arbeitspausen und Besonderheiten für den Weg zur Arbeit seien nicht zu beachten. Die Einschränkungen bestünden seit April 1997. Seither habe sich daran hinsichtlich seines Fachgebiets nichts geändert.

Nach Kenntnis dieses Gutachtens hat die Beklagte der Klägerin ein stationäres Heilverfahren in der B Klinik in B bewilligt. Aus der Rehabilitationsmaßnahme, die vom 14. August bis zum 4. September 2001 dauerte, wurde die Klägerin als arbeitsfähig entlassen. Nach dem Entlassungsbericht vom 20. September 2001 kann die Klägerin eine Tätigkeit als Friseurin nicht mehr ausüben. Ihr Leistungsvermögen sei jedoch ausreichend für mittelschwere Arbeiten ohne größere Anforderungen an die Feinmotorik der rechten Hand und an die Gangsicherheit. Unter Beachtung dieser Einschränkungen sei sie vollschichtig einsetzbar.

Die Teilnahme an einer ihr von der Beklagten angebotenen Maßnahme zur Berufsfindung und Arbeitserprobung im Mai 2002 hat die Klägerin unter Hinweis auf den anhängigen Rechtsstreit abgelehnt.

Auf einen Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz -SGG- hat das Sozialgericht Prof. Dr. S zum Sachverständigen ernannt. In seinem psychosomatisch-psychotherapeutischen Fachgutachten vom 13. August 2002 stellte er die Diagnosen

Tremor rechter Arm unklarer Genese,

Schwindelattacken unklarer Genese,

Cervikalsyndrom

und gab an, die Klägerin könne täglich regelmäßig noch leichte körperliche Arbeiten im Freien und/oder in geschlossenen Räumen, aber nicht unter Einfluss von Kälte, Feuchtigkeit oder Zugluft nur im Sitzen verrichten. Arbeiten unter einseitiger körperlicher Belastung, unter Zeitdruck oder an laufenden Maschinen seien nicht mehr möglich. Sie könne noch Lasten bis zu 8 kg heben und tragen. Auf Leitern und Gerüsten könne sie nicht mehr tätig sein. Fingergeschicklichkeit sei nicht mehr gegeben, insbesondere sei die Halswirbelsäule nicht belastbar, ebenso der rechte Arm und die rechte Hand. Die festgestellten Leiden ließen noch mittelschwere und einfache geistige Arbeiten zu. Besonderheiten für den Weg zur Arbeitsstelle seien nicht zu berücksichtigen, das verbliebene Leistungsvermögen reiche noch für die volle übliche Arbeitszeit von acht Stunden täglich aus. Nicht ausreichend seien hingegen die üblichen Arbeitspausen, da jederzeit spontan oder durch bestimmte Bewegungen Schwindelattacken auftreten könnten und dann eine zusätzliche Pause von ca. 10 bis 15 Minuten notwendig erscheine. Die genannten Einschränkungen bestünden seit Juni 1997.

Das Sozialgericht hat berufskundliche Ermittlungen aus anderen Verfahren in den Rechtsstreit eingeführt und mit Urteil vom 17. Januar 2003 die Klage abgewiesen. Zur Begründung der Entscheidung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin könne zwar ihren erlernten Beruf, der qualitativ einer Facharbeitertätigkeit entspreche, nicht mehr ausüben, sie sei aber dennoch nicht berufsunfähig, da sie noch als Rezeptionistin in Friseursalons arbeiten könne. Eine solche körperlich leichte Tätigkeit entspreche ihrem verbliebenen Leistungsvermögen. Zu dessen Beurteilung ist das Sozialgericht den Feststellungen des Sachverständigen Dr. B, nicht jedoch denen des Sachverständigen Prof. Dr. S gefolgt. Eine Verweisung auf die benannte Tätigkeit sei auch nicht aus sonstigen Gründen ausgeschlossen. Es handele sich mindestens um eine Anlerntätigkeit und es gebe bundesweit auch eine ausreichende Anzahl (500 bis 600) von Arbeitsplätzen (Hinweis auf das Urteil des Landessozialgerichts Schleswig-Holstein vom 29. Januar 1998 L 5 J 156/95).

Gegen das der Klägerin am 4. März 2003 zugestellte Urteil wendet sie sich mit der am 6. März 2003 eingelegten Berufung. Zu deren Begründung macht sie im Wesentlichen geltend, da der Sachverständige Prof. Dr. S nur noch sitzende Tätigkeiten für möglich gehalten habe, komme die überwiegend im Stehen zu verrichtende Arbeit einer Rezeptionistin nicht in Betracht. Das Sozialgericht habe es zudem unterlassen, den Sachverhalt hinreichend aufzuklären, indem es ohne Durchführung weiterer Ermittlungen der abweichenden Leistungseinschätzung durch Dr. B gefolgt sei. Schließlich liege Berufsunfähigkeit bereits deshalb vor, weil sie aufgrund der Schwindelanfälle zusätzliche, und damit nicht betriebsübliche Arbeitspausen benötige.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 17. Januar 2003 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 9. Februar 1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18. August 1999 zu ändern und diese zu verurteilen, ihr seit dem 1. August 1998 Rente wegen Berufsun- fähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bleibt bei ihrer Auffassung, die Klägerin könne noch als Rezeptionistin tätig sein und benennt als weitere Verweisungsberufe Perückenmacherin, Registratorin, Telefonistin und Mitarbeiterin in einer Poststelle. An der Verweisbarkeit in ein Nagelstudio hält sie nicht mehr fest. Die Beklagte hat berufskundliche Unterlagen über die Tätigkeiten einer Fachverkäuferin für Kosmetik/Körperpflege sowie einer Perückenmacherin zum Verfahren gereicht.

Der Senat hat vom Landessozialgericht Schleswig-Holstein (Az.: L 5 J 156/95) das Protokoll über die Vernehmung des Sachverständigen K beigezogen und berufskundliche Auskünfte der Kaufhof Warenhaus AG, der Bundesanstalt für Arbeit und vom LCN Schulungszentrum Berlin eingeholt. Weiterhin wurden berufskundliche Materialien (erteilt in den Verfahren L 10 RJ 189/02 LSG Niedersachen-Bremen, L 16 RJ 639/95 Bayerisches LSG und S 8 RJ 334/98 SG Würzburg) u.a. zur Tätigkeit einer Telefonistin/Callcenter-Agentin in das Verfahren eingeführt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf diese Unterlagen Bezug genommen.

Die die Klägerin betreffenden Renten- und Rehabilitationsakten der Beklagten sowie die Prozessakten des Sozialgerichts Berlin S 22 RJ 1908/99 haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Das angefochtene Urteil vom 11. September 2002 ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit nach § 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - SGB VI - in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung. Ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung ergibt sich gleichfalls nicht aus der seit dem 1. Januar 2001 geltenden Neufassung des § 43 SGB VI oder aus § 240 SGB VI n. F.

Das vor dem 1. Januar 2001 geltende Recht kann hier - auch - angewandt werden, weil der Rentenantrag bereits im Oktober 1998 gestellt wurde und auch Leistungen seither begehrt werden (vgl. §§ 300 Abs. 2, 302 b Abs. 1 SGB VI).

Nach § 43 Abs. 1 SGB VI a. F. haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit, wenn sie

1. berufsunfähig sind,

2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Berufsunfähigkeit drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und

3. vor Eintritt der Berufsunfähigkeit die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Die Klägerin erfüllt zwar die so genannten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die beantragte Rentenart, sie ist aber nicht berufsunfähig. Berufsunfähig sind nach Abs. 2 Satz 1 der genannten Vorschrift Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können.

Ausgangspunkt für die Prüfung der Berufsunfähigkeit ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - der "bisherige Beruf", den der Versicherte ausgeübt hat. In der Regel ist dies die letzte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit, von der auch bei nur kurzfristiger Ausübung auszugehen ist, wenn sie zugleich die qualitativ höchste im Berufsleben gewesen ist oder der Arbeitnehmer sich von einer früher ausgeübten höherwertigen Tätigkeit gelöst hat. Danach ist der "bisherige Beruf" der Klägerin der einer Friseurin.

Diese Tätigkeit kann die Klägerin aufgrund ihrer Erkrankung nicht mehr ausüben. Dies ist unter den Beteiligten auch nicht streitig. Damit liegt Berufsunfähigkeit aber noch nicht vor. Kann ein Versicherter seinen bisherigen Beruf nicht mehr ausüben, führt dies erst dann zur Berufsunfähigkeit, wenn es keine andere Tätigkeit gibt, die ihm sozial zumutbar ist und die er sowohl gesundheitlich als auch fachlich zu bewältigen vermag.

Hinsichtlich der sozialen Zumutbarkeit hat das Sozialgericht bereits zutreffend festgestellt, dass die Klägerin als Friseurin einen qualifizierten Berufsschutz genießt und nach dem vom Bundessozialgericht -BSG- entwickelten Stufenschema zur Beurteilung der Wertigkeit eines Berufs, dem auch der Senat folgt, nur auf Tätigkeiten verwiesen werden kann, die sich in ihrer Wertigkeit vom allgemeinen Arbeitsmarkt dadurch abheben, dass sie grundsätzlich eine mindestens drei Monate umfassende Anlernzeit voraussetzen. Damit ist der Kreis der in Betracht kommenden Verweisungstätigkeiten aber nicht abschließend umschrieben. Den durch die Ausbildungsdauer charakterisierten Leitberufen sind solche Berufe qualitativ gleichwertig, die von den Tarifvertragsparteien im Tarifvertrag durch die tarifliche Einstufung gleichgestellt sind (BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr. 17). Eine Verweisungstätigkeit ist konkret zu benennen.

Der Senat folgt dem Sozialgericht allerdings nicht, soweit von ihm die Tätigkeit einer Rezeptionistin in größeren Friseursalons als mögliche Verweisungstätigkeit angegeben worden ist. Zum einen dürfte für diese Tätigkeit praktisch kein Arbeitsmarkt mehr existieren, weil derartige Arbeitsplätze nur noch in ganz geringer Zahl, d.h. weniger als 300 bundesweit, vorhanden sind. Dies entnimmt der Senat den Angaben der Sachverständigen L, die 1997 bei ihrer Vernehmung durch das Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern zum Aktenzeichen L 5 B 22/96 erklärt hatte, es seien weniger als 270 bis 300 Stellen bundesweit mit weiter sinkender Tendenz vorhanden. Diese Angaben werden durch die Stellungnahmen der Bundesanstalt für Arbeit vom 23. November 1999 und 14. Januar 2004 bestätigt, wonach diese Tätigkeit nicht mehr den tatsächlichen Gegebenheiten am Arbeitsmarkt entspricht. Demgegenüber sind die Angaben des Sachverständigen K vom 29. Januar 1998, der den Arbeitsmarkt für diese Tätigkeit auf 500 bis 600 Stellen schätzte, schon deshalb wenig überzeugend, weil auch von ihm eingeräumt wurde, dass er bei einer Befragung von größeren Friseurbetrieben keinen ermitteln konnte, der einen Rezeptionisten beschäftigte. Unabhängig davon ist die Tätigkeit der Klägerin aber auch schon deshalb gesundheitlich nicht zumutbar, da sie nach den medizinischen Feststellungen nur noch Gewichte von 5 bis 8 kg heben oder tragen kann. Der Sachverständige P hatte bei seiner Vernehmung im bereits genannten Verfahren des LSG Mecklenburg-Vorpommern jedoch angegeben, eine Rezeptionistin müsse, da sie auch Anlieferungen entgegenzunehmen habe, Pakete von bis zu 10 kg bewegen.

Gesundheitlich nicht zumutbar sind der Klägerin auch die von der Beklagten benannten Tätigkeiten einer Fachverkäuferin/Kassiererin in der Kosmetikabteilung eines Kaufhauses oder einer Perückenmacherin. Für die letztgenannte Tätigkeit folgt dies bereits aus der eingeschränkten Fingergeschicklichkeit infolge des Tremors des rechten Arms. Aus den von der Beklagten ins Verfahren eingeführten berufskundlichen Unterlagen ist zu entnehmen, dass die Tätigkeit einer Perückenmacherin sowohl im Friseur- und Perückenfachgeschäft als auch in der handwerklichen und industriellen Haarersatzteilherstellung eine uneingeschränkte Fingergeschicklichkeit erfordert. Zum Beruf gehörend werden u.a. die Tätigkeiten des Schneiders der Haarteilrohlinge, des Verbindens derselben mit dem noch vorhandenen Eigenhaar im Anwebeverfahren und des Tressierens und Knüpfens (Befestigen von 2 bis 6 Haaren durch eine Schlinge im Perückenstoff) genannt. Es ist offensichtlich, dass diese Arbeiten mit einem Handtremor nicht mehr durchgeführt werden können. Als Verkäuferin ist die Klägerin nicht mehr einsetzbar, weil sie allenfalls noch im Wechsel der Haltungsarten, jedoch nicht mehr überwiegend im Gehen oder Stehen tätig sein kann. Letzteres ist mit einer Verkaufstätigkeit jedoch verbunden (vgl. die Auskunft der Kaufhof Warenhaus AG) und reine Kassiertätigkeiten in Kosmetikabteilungen von Warenhäusern sind praktisch nicht mehr vorhanden, da mit Ausnahme von Sammel- oder Umtauschkassen der Verkäufer auch die Kassiertätigkeit übernimmt (vgl. die Auskunft der Bundesanstalt für Arbeit vom 14. Januar 2004).

Die Klägerin kann jedoch auf die Tätigkeit einer Telefonistin bzw. Callcenter-Agentin verwiesen werden. In diesem Bereich stehen Arbeitsplätze in nennenswertem Umfang zur Verfügung (vgl. die Auskunft des Landesarbeitsamtes Bayern vom 21. Juli 2000 erteilt zum Verfahren S 8 RJ 334/98 SG Würzburg) Diese Tätigkeiten sind der Klägerin sozial zumutbar. Nach den ins Verfahren eingeführten berufskundlichen Ermittlungen werden Callcenter-Agenten in der Regel nach Haustarifvertrag in einer Höhe bezahlt, die durchaus mit der Entlohnung eines Facharbeiters vergleichbar ist. Die Telefonistentätigkeit wird in verschiedenen Tarifverträgen mindestens wie eine Anlerntätigkeit bewertet und ist aus diesem Grunde ebenfalls der Klägerin zumutbar, da sie in ihrer sozialen Wertigkeit nur eine Stufe unterhalb der durch eine reguläre Berufsausbildung von mindestens zwei Jahren gekennzeichneten Gruppe der Facharbeiter angesiedelt ist.

Die genannten Tätigkeiten sind der Klägerin auch fachlich zumutbar, d.h. sie können von ihr nach einer nicht mehr als dreimonatigen Einarbeitungszeit vollwertig ausgeübt werden. Dies entnimmt der Senat ebenfalls den bereits bezeichneten berufskundlichen Unterlagen. Danach werden als Callcenter-Agenten üblicherweise nur solche Personen eingestellt, die über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügen. Die Art der Berufsausbildung ist jedoch von geringerer Bedeutung, da es vielmehr auf das Vorhandensein bestimmter unterstellter Fähigkeiten ankommt, die üblicherweise durch eine Berufsausbildung vermittelt werden. Auch die Tätigkeit eines Telefonisten ist in der Regel in maximal drei Monaten erlernbar.

Schließlich sind die benannten Tätigkeiten der Klägerin auch gesundheitlich zumutbar, d.h. sie ist trotz ihres krankheitsbedingt eingeschränkten Leistungsvermögens noch in der Lage, entsprechende Arbeiten, ohne auf Kosten ihrer Gesundheit tätig zu sein, auszuüben. Nach den bereits erwähnten berufskundlichen Unterlagen werden diese Tätigkeiten ausschließlich bzw. weit überwiegend im Sitzen ausgeübt und es handelt sich um körperlich leichte Arbeiten, da keine größeren körperlichen Kraftanstrengungen mit ihnen verbunden sind.

Diesem Anforderungsprofil entspricht das Leistungsvermögen der Klägerin. Zur Bestimmung dieses Leistungsvermögens stützt sich der Senat im Wesentlichen auf die überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen Dr. B. Nach dessen Angaben (vgl. S. 15 des Gutachtens) bedingt der Tremor der rechten Hand eine Einschränkung der Feinkoordination bei manuellen Arbeiten. Er führt aber ausschließlich bei rein handwerklichen Tätigkeiten zu erheblichen Einschränkungen, so dass die Klägerin an der Ausübung einfacher Büroarbeiten beispielsweise nicht gehindert ist. Lediglich reine Schreibtätigkeiten, manuell oder maschinell, können ihr nicht mehr zugemutet werden. Diese sind mit den benannten Verweisungstätigkeiten, die in erster Linie eine verbale Auskunftserteilung beinhalten, nicht verbunden. Für eine Arbeit als Telefonistin reicht regelmäßig sogar die Belastbarkeit einer Hand aus. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass sich auch aus dem übrigen Akteninhalt keine Anhaltspunkte für eine nennenswerte Leistungseinschränkung aufgrund der von der Klägerin geklagten Beschwerden an der rechten Hand ergeben. Im Arztbrief der C vom 19. Februar 1998 (Prof. Dr. E) wurde mitgeteilt, die Klägerin werde durch den Tremor praktisch nicht funktionell beeinträchtigt, so dass eine medikamentöse Therapie nicht angebracht sei. Dem entsprechen die Angaben der Klägerin bei der psychologischen Testuntersuchung am 24. Juli 2002 im Zusammenhang mit der Begutachtung durch Prof. Dr. S. Dort hatte sie die Fragen, ob ihre Hände häufig zittrig oder ruhelos seien, sie ungeschickt hantiere oder beim Schreiben verkrampfe verneint (praktisch nie).

Die von dem Sachverständigen Prof. Dr. S benannten weitergehenden Einschränkungen sind nach Auffassung des Gerichts nicht plausibel. Gegen seine Einschätzung, die Klägerin könne nur noch Arbeiten im Sitzen ausüben, spricht bereits, dass der Sachverständige die Wegefähigkeit der Klägerin als nicht eingeschränkt bezeichnet hat. Daraus folgt, dass die Klägerin durchaus - jedenfalls für kürzere Zeiträume - gehen und stehen kann und deshalb auch eine überwiegend im Sitzen auszuübende Tätigkeit noch verrichten kann. Der Senat vermochte dem Sachverständigen auch nicht zu folgen, soweit von ihm die Notwendigkeit zusätzlicher Arbeitspausen gesehen wurde. Die Klägerin hat ihre Beschwerden stets als gleichbleibend (seit 1997) und nicht als zunehmend beschrieben. Nach ihren Angaben gegenüber Dr. B treten die Schwindelattacken, die nach Einschätzung von Prof. Dr. S die zusätzlichen Arbeitspausen erforderlich machen, ein- bis dreimal monatlich auf. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass durchschnittlich allenfalls ein Drittel der Tageszeit Arbeitszeit ist, tritt eine Schwindelattacke demnach im Durchschnitt höchstens monatlich einmal während der Arbeitszeit auf. Dies kann gegebenenfalls zu einer kurzzeitigen Arbeitsunfähigkeit führen, rechtfertigt aber nicht regelmäßige zusätzliche Arbeitspausen. Eine andere Einschätzung ist nicht deshalb gerechtfertigt, weil die Klägerin gegenüber Prof. Dr. S häufigere Schwindelzustände (ein- bis zweimal in der Woche) angegeben hat. Denn diese Angaben sind nicht belegt und gegen sie spricht bereits, dass die Beschwerden von Prof. Dr. S als gleichbleibend und nicht zunehmend beschrieben werden. Während der mehrwöchigen Rehabilitation im August/September 2001 konnte auch kein erheblicher Schwindelanfall beobachtet werden, jedenfalls ist ein solcher im Entlassungsbericht nicht beschrieben worden. Im Übrigen vermag insbesondere bei einer überwiegend im Sitzen ausgeübten Tätigkeit ein über einen Sekundenschwindel hinausgehender und ein- bis zweimal in der Woche auftretender Schwindelzustand nicht die Notwendigkeit regelmäßiger zusätzlicher Arbeitspausen zu begründen.

Für die benannten Tätigkeiten verfügt die Klägerin auch noch über eine ausreichende psychische Belastbarkeit. Nach den Feststellungen von Dr. B sind ihre Auffassungsgabe und die Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit sowie die Lern- und Merkfähigkeit nicht reduziert. Bei der Testuntersuchung am 24. Juli 2002 hatte die Klägerin zudem angegeben, sie leide nicht an Konzentrationsschwierigkeiten. Beide im Gerichtsverfahren gehörten Gutachter trauen der Klägerin noch mittelschwere geistige Arbeiten zu.

Zur Durchführung weiterer medizinischer Ermittlungen sah sich der Senat nicht gedrängt. Eine Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes ist von der Klägerin nicht geltend gemacht worden. Die - teilweise - voneinander abweichenden Leistungsbeurteilungen in den im Gerichtsverfahren eingeholten Sachverständigengutachten legen ebenfalls keine weiteren Ermittlungen nahe. Da von Prof. Dr. S keine weitergehenden Erkrankungen als vom Vorgutachter festgestellt worden sind, war im Wege einer Schlüssigkeits- und Plausibilitätskontrolle zu prüfen, ob die von ihm genannten Leistungseinschränkungen aufgrund der festgestellten krankheitsbedingten Beschwerden gerechtfertigt sind. Dies erforderte jedoch keine weitere Beweiserhebung, denn die Würdigung vorhandener Beweismittel ist Aufgabe des Gerichts (vgl. § 128 SGG).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorliegen (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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