L 9 B 11/05 KR

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 89 KR 2244/03
Datum
-
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 B 11/05 KR
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Unterlassung der Bestimmung eines Termins zur mündlichen Verhandlung wird verworfen. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe:

Die Beschwerde gegen die Mitteilung der Vorsitzenden der 89. Kammer des Sozialgerichts Berlin, in dem vorliegenden Rechtsstreit derzeit keinen Termin zur mündlichen Verhandlung anzuberaumen, wird als unzulässig verworfen.

Nach § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) findet die Beschwerde gegen die Entscheidungen der Sozialgerichte mit Ausnahme der Urteile und gegen Entscheidungen der Vorsitzenden dieser Gerichte an das Landessozialgericht statt, soweit nicht in diesem Gesetz anderes bestimmt ist. Eine förmliche Entscheidung über die Nichtterminierung des Rechtsstreits oder dessen Aussetzung hat das Sozialgericht im vorliegenden Fall jedoch nicht getroffen. Die Vorsitzende der Kammer hat der Klägerin auf ihren Antrag vom 29. November 2004, einen Termin zur mündlichen Verhandlung anzuberaumen, mit Schreiben vom 7. Dezember 2004 lediglich mitgeteilt, dass auf Grund der Vielzahl der vor der Kammer anhängigen Verfahren derzeit nicht gesagt werden könne, wann Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt werde. Ein solches Schreiben stellt keine beschwerdefähige Entscheidung im Sinne des § 172 Abs. 1 SGG dar, sondern enthält vielmehr eine formlose verfahrensbezogene Mitteilung an die Klägerin, die ebenso wie sonstige prozessleitende Verfügungen des Gerichts gemäß § 172 Abs. 2 SGG nicht beschwerdefähig ist. Soweit sich die Klägerin insoweit auf abweichende Judikatur der Zivilgerichte beruft, kann sie hiermit keinen Erfolg haben, weil die dieser u.a. zu Grunde liegende Vorschrift des § 216 Abs. 2 Zivilprozessordnung wegen der abweichenden Gestaltung

des sozialgerichtlichen zum zivilprozessualen Verfahren keine Anwendung finden kann (vgl. zum Vorstehenden mit Blick auf das verwaltungsgerichtliche Verfahren VGH Mannheim NVwZ 2004, 1541 ff m.w.N.).

Der Wortlaut des § 172 Abs. 1 SGG spricht auch dagegen, die Statthaftigkeit der Beschwerde daraus herzuleiten, dass die Vorsitzende der 89. Kammer in dem Schreiben vom 7. Dezember 2003 die von der Klägerin verlangte Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung (konkludent) abgelehnt, jedenfalls aber im Hinblick auf einen für die Klägerin unzumutbar späten Termin bei einer schon jetzt absehbaren Verfahrensdauer von ungefähr drei Jahren dieser Rechtsschutz verweigert habe. Denn die Möglichkeit, trotz Nichtvorliegens einer förmlichen Entscheidung Beschwerde nach § 172 Abs. 1 SGG zu erheben, ist nach geltendem Prozessrecht nicht eröffnet; die Statthaftigkeit einer Beschwerde setzt grundsätzlich das Vorliegen einer förmlichen Entscheidung voraus, wie sich insbesondere aus § 172 Abs. 2 SGG entnehmen lässt. Daraus folgt, dass eine bloße Untätigkeit des Sozialgerichts in Form der Nichtterminierung eines Rechtsstreits nach dem Willen des Gesetzgebers grundsätzlich nicht Gegenstand einer Beschwerde sein kann (in diesem Sinne VGH Mannheim a.a.O. sowie NVwZ 2003, 885; BVerwG NVwZ 2003, 869; OVG Bremen NJW 1984, 992; VGH Kassel DVBl 1999, 114; OVG Münster NVwZ-RR 1998, 340; OVG Frankfurt/Oder DVBl 2001, 314; LSG Nordrhein-Westfalen Breithaupt 1996, 787ff; BFHE 88,108; für PKH-Antrag auch BFHE 141, 494).

Ob mit Blick auf das sich aus Art. 19 Abs. 4 GG ergebende subjektive Recht der Klägerin auf angemessenen Rechtsschutz oder das aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 2 Abs.1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) abzuleitende Recht, über strittige Rechtsverhältnisse in angemessener Frist eine Entscheidung zu erhalten (vgl. BVerfG NJW 1997, 2811f.), das Rechtsschutzbegehren der Klägerin als außerordentliche Beschwerde statthaft machen würde (hierfür BFHE 154, 209; LSG Hamburg E-LSG, B-110; LSG Bayern NVwZ-RR 2001, 695 f. ; LSG Nordrhein-Westfalen, SGb 2002, 734; LSG Berlin, 12. Senat, Beschluss vom 20. Februar 2002 - L 12 B 4/02 RA - in diesem Sinne auch LSG Rheinland-Pfalz Breithaupt 2000, 618 ff.; VGH München NVwZ 2000, 693 f.), bedarf hier keiner abschließenden Klärung. Denn auch eine unter Beachtung von Verfassungsrecht statthafte Beschwerde wäre jedenfalls unzulässig.

Weder das Recht auf effektiven Rechtsschutz noch das Rechtsstaatsprinzip gebieten es, eine außerordentliche (Untätigkeits-)Beschwerde in jedem Fall einer - möglicherweise nur geringfügigen - Verzögerung gerichtlichen Rechtsschutzes uneingeschränkt für zulässig zu halten. Eine schrankenlose Zulassung einer solchen Beschwerde könnte im Hinblick auf die schon seit Jahren beschränkten persönlichen und sachlichen Ressourcen der Sozialgerichte und die dadurch entstandenen erheblichen Rückstände mit der Folge langer Terminsstände zu einem unverhältnismäßigen Anwachsen außerordentlicher (Untätigkeits-)Beschwerden führen und Arbeitskraft der Sozialgerichtsbarkeit binden, die dann nicht mehr in vollem Umfang dem Abbau des langen Terminsstandes selbst zur Verfügung stünde. Außerdem wäre zu befürchten, dass diese Rechtsschutzmöglichkeit ohne weitere Zulässigkeitsvoraussetzungen zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der jedem Richter durch Art. 97 GG garantierten Unabhängigkeit seiner Rechtsprechung oder zu einem Instrument der Dienstaufsicht durch die Beschwerdegerichte in Anspruch genommen werden könnte. Vor allem aber ist durch eine Beschränkung der Zulassung des außerordentlichen Beschwerderechts sicherzustellen, dass Rechtsschutz bei Untätigkeit der Sozialgerichte nicht unter Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG durch willkürliche Entscheidungen zu Gunsten der Beschwerdeführer und zu Lasten anderer vor demselben Gericht Rechtsschutzsuchender gewährt wird.

Soweit die Klägerin mit ihrer Beschwerde die unverzügliche Anberaumung eines zeitnahen Termins zur mündlichen Verhandlung durch das Beschwerdegericht begehrt, ist die Beschwerde nach den vorstehenden Ausführungen schon deshalb unzulässig, weil sie auf ein mit der Untätigkeitsbeschwerde nicht erreichbares Ziel - die Entscheidung durch das Beschwerdegericht an Stelle des Sozialgerichts - gerichtet ist (OLG Karlsruhe NJW 1984, 985, LSG Bayern NVwZ-RR 2001, 695 f.). Für derartige prozessuale Anordnungen findet sich nicht nur keine Stütze im einfachen Gesetzesrecht, sondern sie würden auch in den Kernbereich der richterlichen Unabhängigkeit nach Art. 97 Abs. 1 GG eingreifen, zu dem grundsätzlich die weisungsfreie Gestaltung des zeitlichen Ablaufs des Erkenntnisverfahrens gehört.

Aber auch soweit die Beschwerde nur darauf gerichtet sein sollte, dem Verfahren - ggf. mit Fristsetzung - (vgl. hierzu erneut LSG Bayern NVwZ-RR 2001, 695 f.) Fortgang zu geben, wäre sie unzulässig. Denn die außerordentliche (Untätigkeits-)Beschwerde ist nur dann zulässig, wenn der Beschwerdeführer in Anlehnung an §§ 23 Abs. 1 S. 2, 92 Bundesverfassungsgerichtsgesetz substantiiert und plausibel eine Rechtsverweigerung durch das Sozialgericht darlegt (in diesem Sinne OLG Karlsruhe NJW 1984, 985; BFHE 154, 209; LSG Nordrhein-Westfalen SGb 2002, 734 f.) und glaubhaft macht. Dies setzt voraus, dass er im Falle der Nichtterminierung seines Rechtsstreits darlegen und glaubhaft machen kann, dass eine Untätigkeit des Gerichts auf einem willkürlichen Verhalten des Richters beruht (LSG Bayern NVwZ-RR 2001, 695 f.) oder ein weiteres Zuwarten auf eine Terminierung für ihn zu einer vollständigen oder zumindest teilweisen Entwertung des Rechtsschutzes führen würde. Die Darlegung der Unzumutbarkeit weiteren Zuwartens als Sachentscheidungsvoraussetzung nimmt auf die Regelung des vorläufigen Rechtsschutzes in § 86 b Abs. 2 S. 2 SGG Bezug, der für den Erlass einer einstweiligen (Regelungs-)Anordnung die Darlegung und Glaubhaftmachung eines eiligen Regelungsbedürfnisses verlangt. Die Zulässigkeit der außerordentlichen (Untätigkeits -) Beschwerde zumindest in Fällen wie dem vorliegenden von einer vergleichbaren Voraussetzung abhängig zu machen, ist deshalb gerechtfertigt, weil die Klägerin mit ihrem Begehren nach einer "unverzüglichen" Bestimmung eines "zeitnahen Termins zur mündlichen Verhandlung" eine schnelle Entscheidung wie in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren begehrt und um eine sachwidrige Zurückstellung früher bei der Kammer anhängig gewordener Rechtsschutzbegehren zu verhindern.

Die Klägerin hat die danach erforderlichen Tatsachen weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht. Sie hat sich vielmehr auf das Vorbringen abstrakter rechtlicher Argumente unter Hinweis auf die Rechtsprechung der Zivilgerichte sowie die Kommentarliteratur beschränkt. Die Behauptung einer absehbaren Verfahrensdauer von drei Jahren, an die sie den Vorwurf einer unzumutbar späten Terminierung und einer Rechtsschutzverweigerung knüpft, lässt sich aus der Akte und insbesondere den Verfügungen der Vorsitzenden der Kammer nicht nachvollziehen und stellt sich schon deshalb als unplausible Vermutung dar.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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