L 28 AL 167/02

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
28
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 2 AL 257/01
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 28 AL 167/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 12. August 2002 aufgehoben. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 21. März 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03. April 2001 verurteilt, der Klägerin Arbeitslosengeld für die Zeit ab 24. März 2001 für 169 Anspruchstage zu gewähren. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt Arbeitslosengeld (Alg) ab 24. März 2001.

Die am ... 1969 geborene Klägerin war bis zum 30. September 1994 als Maschinistin versicherungspflichtig beschäftigt und bezog ab 01. Oktober 1994 Alg. Ab dem 01. Mai 1994 bis zum 27. Januar 1997 befand sie sich in einer Bildungsmaßnahme "Umschulung Bauzeichnerin" und erhielt während dieser Zeit Unterhaltsgeld (UHG). Auf ihren Arbeitslosengeldantrag bezog sie ab 28. Januar 1997 erneut Alg (Bescheid vom 11. Februar 1997, Alg für 312 Tage). Die Klägerin bezog Alg bis zum 12. Juli 1997. Ab dem 14. Juli 1997 bis 23. März 2001 erhielt die Klägerin Mutterschaftsgeld beziehungsweise Erziehungsgeld. Im Einzelnen: Im Zusammenhang mit der am 29. August 1997 erfolgten Geburt ihrer Tochter E. erhielt die Klägerin vom 14. Juli 1997 bis 24. Oktober 1997 Mutterschaftsgeld und im Anschluss daran Erziehungsgeld bis 28. September 1999. Während dieses Zeitraums war sie nach einer Bescheinigung der Bundesknappschaft, Geschäftsstelle Schwarze Pumpe, vom 10. Dezember 2002 in der Zeit vom 06. Januar 1998 bis 27. Januar 1998 arbeitsunfähig. Am 24. März 1999 gebar die Klägerin ihren Sohn J. O ... Sie erhielt daraufhin weiterhin Erziehungsgeld bis zum 23. März 2001 (Bescheide vom 26. April 1999 und 10. März 2000).

Am 30. Januar 2001 meldete sich die Klägerin mit Wirkung zum 24. März 2001 bei der Beklagten arbeitslos und beantragte die Gewährung von Alg. Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 21. März 2001 ab. Die Klägerin habe nicht mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden und daher keine neue Anwartschaft erworben. Es bestehe auch kein Rechtsanspruch aus einer früheren Anwartschaft. Den hiergegen am 23. März 2001 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 03. April 2001 zurück. In der verlängerten Rahmenfrist vom 28. Juli 1997 bis 23. März 2001 könne lediglich die Zeit vom 13. Juli 1997 bis 31. Dezember 1997 als Anwartschaftszeit berücksichtigt werden. Dies reiche nicht aus. Der Restanspruch auf Alg könne nicht mehr geltend gemacht werden, da nach seiner Entstehung am 28. Januar 1997 vier Jahre vergangen seien.

Gegen den Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 03. Mai 2001 bei dem Sozialgericht Cottbus Klage erhoben: Die Rahmenfrist erstrecke sich auf den Zeitraum vom 13. Juli 1994 bis 23. März 2001, weil sie in dieser Zeit ihre Kinder erzogen und betreut habe. In diesem Zeitraum habe sie auch in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden. Darüber hinaus habe sie sich bereits am 15. November 2000 beim Arbeitsamt Spremberg darüber erkundigt, wann sie sich wieder arbeitslos melden solle. Sie habe dort von der zuständigen Sachbearbeiterin die Auskunft erhalten, der erneute Antrag auf Alg habe Zeit bis Februar 2001.

Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass ihr ein Beratungsvermerk über eine Vorsprache zu diesem Zeitpunkt nicht vorliegt.

Das Sozialgericht hat den Zeugen S. K. (verehelicht B., Ehemann der Klägerin) zur vermeintlichen Vorsprache der Klägerin am 15. November 2000 gehört. Dieser hat ausgeführt, dass die Klägerin, nachdem er seine Angelegenheit erledigt habe, in einem Zimmer im Erdgeschoss des Arbeitsamtes Spremberg vorgesprochen habe. Die Zimmernummer und den Namen der Mitarbeiterin wisse er nicht mehr. Er wisse aber, dass die Mitarbeiterin damals gesagt habe, sie sitze sonst nicht hier und mache nur Vertretung. Seines Wissens seien die Daten der Kinder und der Beruf aufgenommen und erneut in den Computer eingetragen worden. Von der Mitarbeiterin sei mitgeteilt worden, dass die Klägerin noch so und so viele Tage Anspruch auf Alg habe. Ansonsten könne er sich an den konkreten Gesprächsinhalt nicht mehr aufgrund des Zeitablaufs erinnern. Die Klägerin sei damals mit ihm zusammen zum Arbeitsamt gegangen, da sie sich rechtzeitig habe melden wollen und ihm beim Ausfüllen seiner Unterlagen habe behilflich sein wollen. Das Sozialgericht hat daraufhin die Mitarbeiterin des Arbeitsamtes Spremberg R. R. ermittelt und zum Beweisthema "Inhalt des Gesprächs mit Frau Christina Barthel am 15.11.2000 in der Dienststelle Spremberg des Arbeitsamtes Cottbus" gehört. Die Zeugin R. hat ausgeführt, dass sie keine Erinnerung über ein Gespräch mit der Klägerin am 15. November 2000 habe. Die Klägerin sei am 06. März 2001 bei ihr im Termin gewesen, in dem es um die berufliche Qualifikation der Klägerin gegangen sei. Die Klägerin hat daraufhin vorgetragen, in einem anderen Raum vorgesprochen zu haben.

Die Beklagte hat die Beratungsvermerke für den Ehemann der Klägerin übersandt und mitgeteilt, dass solche für den Zeitraum November/Dezember 2000 nicht existierten.

Mit Urteil vom 12. August 2002 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen: Die Rahmenfrist laufe im Falle der Klägerin vom 29. Januar 1997 bis 23. März 2001. Zeiträume davor könnten nicht berücksichtigt werden, da die Rahmenfrist nicht in eine vorangegangene Rahmenfrist hineinreiche, in der der Arbeitslose eine Anwartschaftszeit erfüllt habe. In der Rahmenfrist habe die Klägerin nur in der Zeit vom 30. Juli 1997 bis 31. Dezember 1997 während des Bezuges von Mutterschaftsgeld beziehungsweise Erziehungsgeld in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden, mithin nicht mindestens zwölf Monate. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf Wiederbewilligung des am 29. Januar 1997 entstandenen Anspruchs auf Alg. Zwar habe sie diesen Anspruch bei Beginn der Zahlung des Mutterschaftsgeldes am 13. Juli 1997 noch nicht voll ausgeschöpft, doch sei dieser Anspruch am 24. März 2001 und auch schon am 30. Januar 2001 erloschen gewesen. Zur Überzeugung der Kammer habe die Klägerin bei ihrer Vorsprache am 15. November 2000 keinen Anspruch auf Alg geltend gemacht. Nach eigenen Angaben habe sie sich danach erkundigt, wann sie sich nach dem Erziehungsurlaub wieder arbeitslos melden müsse. Ein Anspruch auf Alg nach dem 15. November 2000 wolle die Klägerin mit ihrem Vortrag auch nicht begründen, sie wolle im Rahmen eines Herstellungsanspruchs so gestellt werden, als hätte sie den Antrag auf Alg vor Ablauf der Vierjahresfrist gestellt. Die Beklagte habe bei der Vorsprache der Klägerin am 14. November 2000 auch nicht die Pflicht gehabt, die Klägerin über Verfallsfristen ihres Anspruchs auf Alg zu beraten.

Gegen das den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 28. August 2002 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 13. September 2002 Berufung bei dem Landessozialgericht für das Land Brandenburg eingelegt: Mit der Frage bei ihrer Vorsprache am 15. November 2000, wie es sich mit ihrem Arbeitslosengeldanspruch verhalte, habe die Klägerin selbstverständlich auch zum Ausdruck bringen wollen, alles zur Wahrung ihrer Ansprüche tun zu wollen. Sie hätte auch erforderlichenfalls den Leistungsantrag gestellt. Dies ergebe sich bereits aus der Natur der Frage. Auch habe nach Aussage der Zeugin R. die Leistungsabteilung der Beklagten der Klägerin noch am 06. März 2001 einen Restanspruch von 169 Tagen Alg bescheinigt. Diese Bescheinigung sei fernmündlich auf telefonische Nachfrage der Zeugin R. erfolgt. Damit liege bereits ein mündlicher positiver Leistungsbescheid dahingehend vor, dass die Klägerin ihren ursprünglichen Anspruch auf Alg für weitere 169 Tage nach Antragstellung behalten werde. Damit habe die Klägerin zumindest bindend auf den Ablehnungsgrund des Ablaufs der Verfallsfrist verzichtet.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 12. August 2002 sowie den Bescheid der Beklagten vom 21. März 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03. April 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Arbeitslosengeld für die Zeit ab 24. März 2001 für 169 Anspruchstage zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass eine rückwirkende Arbeitslosmeldung über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch nicht erreicht werden könne. Davon unabhängig könne die Klägerin nicht zu einer Gesetz und Recht widersprechenden Handlung verpflichtet werden, denn die Klägerin begehre Alg für eine Zeit, in der sie sich nicht persönlich arbeitslos gemeldet und der Arbeitsvermittlung somit nicht zur Verfügung gestanden habe und in dem sie Erziehungsgeld erhalten habe. Diese Tatsachen ließen sich nicht rückgängig machen. Die Klägerin habe auch keinen neuen Anspruch auf Alg erworben, da sie in der Rahmenfrist überwiegend Erziehungsgeld beziehungsweise Mutterschaftsgeld bezogen habe. Die Bezugszeiten von Mutterschaftsgeld erreichten nicht zwölf Monate, Zeiten des Bezugs von Erziehungsgeld dienten aber auf jeden Fall nicht der Erfüllung der Anwartschaftszeit. Auch die Zeiten der Arbeitsunfähigkeit dienten unter Berücksichtigung der Bezugszeiten von Mutterschaftsgeld vom 14. Juli 1997 bis 24. Oktober 1997 (103 Kalendertage) nicht zur Erfüllung der Anwartschaftszeit. Dabei könne dahinstehen, in welchem Jahr die Krankheitszeiten tatsächlich gewesen seien, da es sich in jedem Fall um nicht mehr als 22 Tage handele.

Der Senat hat erneut den Ehemann der Klägerin S. B. als Zeugen zu dem Beweisthema "Vorsprache der Klägerin beim Arbeitsamt Cottbus, Geschäftsstelle Spremberg, im November 2000" vernommen. Wegen der Bekundungen des Zeugen B. wird auf die Anlage 1 zur Sitzungsniederschrift vom 04. Februar 2005 (Bl. 186, 187 der Gerichtsakten) verweisen.

Der Senat hat darüber hinaus die Klägerin gehört, die unter anderem ausgeführt hat:

"Ich habe die Mitarbeiterin des Arbeitsamtes darauf aufmerksam gemacht, dass ich zweimal im Erziehungsurlaub nacheinander gewesen war, und sie gefragt, wann ich mich wieder dem Arbeitsamt zur Verfügung stellen müsse. Die Mitarbeiterin fragte mich daraufhin, ob ich zuvor Arbeitslosengeld bezogen habe und wann mein Erziehungsurlaub endet. Dass teilte ich ihr dann mit, dass ich zuvor etwa ein halbes Jahr Arbeitslosengeld bezogen hatte und dass mein Erziehungsurlaub am 23. März 2001 endet. Darauf hin hat mir die Mitarbeiterin gesagt, dass ich mich erst Ende Februar oder März wieder melden müsste. Ich bin dann aber schon am 30. Januar 2001 zum Arbeitsamt zwecks Arbeitslosmeldung gegangen. Dass ich nicht im Computer verzeichnet war, ist richtig, dies hat mein Mann auch so ausgeführt, deshalb habe ich auch meine Angaben gegenüber der Mitarbeiterin gemacht und diese hat mich wieder in den Computer eingestellt, weshalb ich dann auch am 30. Januar 2001 sofort aufgefunden wurde."

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der die Klägerin betreffenden Verwaltungsakten (Stammnummer ...) Bezug genommen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 151 Abs. 1, 143 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), insbesondere bedurfte sie nicht der besonderen Zulassung gemäß § 144 Abs. 1 SGG, da die Klägerin noch Alg für einen Restanspruch von 169 Tagen begehrt. Bei einem zuletzt gewährten täglichen Leistungssatz von 57,40 DM ergibt sich daraus zumindest ein Anspruch in Höhe von 9 700,60 DM, der die Berufungssumme bei weitem übersteigt.

Die Berufung ist auch begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Arbeitslosengeld ab 24. März 2001. Der angefochtene Bescheid vom 21. März 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03. April 2001 erweist sich als rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.

Die Klägerin hat zunächst durch ihren - unstreitigen - Arbeitslosengeldantrag am 30. Januar 2001 zum 24. März 2001 keinen neuen Anspruch auf Alg ab 24. März 2001 erworben. Die Klägerin hat - wie das Sozialgericht bereits zutreffend ausgeführt hat - in der verlängerten Rahmenfrist nicht mindestens zwölf Monate in einem Versicherungsverhältnis gestanden (§§ 117, 123, 124 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - SGB III -), so dass ein neuer Anspruch auf Alg nicht entstand. Insoweit kann zunächst auf die zutreffenden Ausführungen des sozialgerichtlichen Urteils verwiesen werden. Das Sozialgericht hat insbesondere zutreffend ausgeführt, dass die Rahmenfrist nicht in eine vorangegangene Rahmenfrist hineinreichen kann (§ 124 Abs. 2 SGB III) und mithin erst am 28. Januar 1997 beginnen konnte. In dem relevanten Zeitraum vom 28. Januar 1997 bis 23. März 2001 sind als anwartschaftsbegründend lediglich die Zeiträume des Bezugs von Mutterschaftsgeld vom 14. Juli 1997 bis 24. Oktober 1997 sowie die Arbeitsunfähigkeitszeiten zu berücksichtigen. Ausgehend von der Bescheinigung der Bundesknappschaft vom 10. Dezember 2002 handelt es sich dabei um den 28. Januar 2000 sowie weitere 22 Tage im Jahre 1998. Ob die Mutter-Kind-Kur im Jahre 1998 oder 1999 stattgefunden hat, kann dabei letztlich dahinstehen. Die Zeiten des Bezugs von Erziehungsgeld sind, was die Klägerin auch nicht geltend macht, nicht zu berücksichtigen (vgl. zur Rechtsfrage: BSG, Urteil vom 04. September 2003, Aktenzeichen B 11 AL 9/03 R - SozR 4-4300 § 124 Nr. 1; BSG, Urteil vom 19. Januar 2005, Aktenzeichen B 11 a/11 AL 11/04 R, zitiert nach Pressemitteilung Nr. 1/05 vom 20. Januar 2005). Die Zeiten des Bezugs von Mutterschaftsgeld sowie die Arbeitsunfähigkeitszeiten erreichen mithin nicht zwölf Monate, so dass die Anwartschaftszeit nach § 123 SGB III nicht erfüllt ist.

Die Klägerin kann für die Zeit ab 24. März 2001 aber auch nicht unmittelbar auf ihren (noch nicht erschöpften) Arbeitslosengeldanspruch vom 28. Januar 1997 zurückgreifen (§ 147 Abs. 2 SGB III). Nach dieser Vorschrift kann ein Anspruch auf Alg nicht mehr geltend gemacht werden, wenn nach seiner Entstehung vier Jahre verstrichen sind. Der Arbeitslosengeld-Restanspruch der Klägerin war am 28. Januar 1997 entstanden, die vier Jahre mit Ablauf des 28. Januar 2001 verstrichen. Tatsächlich hat sich die Klägerin erst am 30. Januar 2001 zum 24. März 2001 und damit nach Ablauf der vier Jahre bei der Beklagten gemeldet und die Zahlung von Alg beansprucht. Die Regelung des § 147 Abs. 2 SGB III entspricht den bis zum 31. Dezember 1997 geltenden Regelungen des § 125 Abs. 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG), so dass der Klägerin durch das In-Kraft-Treten des SGB III nicht etwa - was verfassungsrechtlich bedenklich wäre - etwas genommen worden wäre.

Der Wortlaut des § 147 Abs. 2 SGB III ist eindeutig und lässt eine Ausnahme auch im Hinblick auf die Betreuung der Kinder nicht zu. Es handelt sich bei der Regelung um eine gesetzliche Ausschlussfrist, die ohne Hemmungs- und Unterbrechungsmöglichkeiten kalendermäßig abläuft (BSGE 54, 212; BSG-Urteil vom 29. April 1998 - in SozR 3-4100 § 107 Nr. 10). Die Vorschrift des § 147 Abs. 2 SGB III behandelt jedes tatsächliche und rechtliche Hindernis, den Anspruch rechtzeitig geltend zu machen, als gleichwertig. Auch Härten im Einzelfall sind nicht über eine Fristverlängerung ausgleichbar (siehe BSG SozR 3-4100 § 107 Nr. 10; BSG SozR 3-4100 § 125 Nr. 1).

Die Vorschrift verstößt auch nicht gegen höherrangiges Recht. Sie entspricht der Vorläuferregelung des § 125 Abs. 2 AFG. Hierzu hat das Bundessozialgericht im vorgenannten Urteil vom 29. April 1998 ausgeführt, dass sogar eine Ausnahmeregelung zu Zeiten des Mutterschutzes nicht zwingend gefordert werden könne. Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verbiete dem Gesetzgeber nur, Art und Gewicht tatsächlicher Unterschiede sachwidrig außer Acht zu lassen. Es sei jedoch Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, welche Merkmale er als maßgebend für eine Gleich- oder Ungleichbehandlung ansehe. Er sei innerhalb der vorgenannten Grenzen in seiner Entscheidung frei. Anderenfalls würde der dem Gesetzgeber im Rahmen des Sozialstaatsprinzips (Art. 20 GG) zustehende Gestaltungsspielraum bei der Gewährung von Sozialleistungen unangemessen eingeschränkt (BSG, a. a. O., m. w. N.). Für die zu § 125 Abs. 2 AFG ergangene wortgleiche Nachfolgeregelung des § 147 Abs. 2 SGB III kann letztlich nichts anderes gelten.

Eine "Geltendmachung" im Sinne von § 147 Abs. 2 SGB III der Klägerin vor Ablauf der Vierjahresfrist des § 147 SGB III - hier am 15. November 2000 - lässt sich auch nach der Zeugenvernehmung nicht feststellen. Unter Berücksichtigung der Aussage des Ehemanns der Klägerin und auch ihren eigenen Ausführungen gegenüber dem Senat kann allenfalls davon ausgegangen werden, dass sich die Klägerin am 15. November 2000 bei dem Arbeitsamt Spremberg nach ihrem Arbeitslosengeld-Restanspruch erkundigt hat. Selbst der Prozessbevollmächtigte der Klägerin führt aus, dass die Klägerin bei zutreffender Information über ihren Arbeitslosengeld-Restanspruch den Antrag auf Arbeitslosengeld erst gestellt hätte. Auch er macht also letztlich nicht geltend, dass der Antrag ausdrücklich gestellt worden sei, sondern beruft sich insoweit auf eine - nach seiner Auffassung - unrichtige Belehrung durch eine Vertreterin der Beklagten.

Die Klägerin ist jedoch im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen als habe sie die Antragsfrist nicht versäumt. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch vermag nicht zu bewirken, die Klägerin so zu stellen, als habe sie noch vor Ablauf der Erlöschensfrist den Anspruch wirksam geltend gemacht. Der von der Rechtsprechung entwickelte sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist auf Vornahme einer Amtshandlung zur Herstellung desjenigen Zustandes gerichtet, der bestehen würde, wenn der Sozialleistungsträger eine ihm aus dem Sozialrechtsverhältnis erwachsene Nebenpflicht ordnungsgemäß wahrgenommen hätte, dies aber pflichtwidrig unterblieben ist. In solchen Fällen könne eine gewisse sozialrechtliche Voraussetzung für die Gewährung von Leistungen, wie etwa eine verspätete Antragstellung, eine verspätete Beitragsentrichtung oder eine verspätete Vorlage von Unterlagen, als erfüllt angesehen werden, wenn die Verspätung gerade auf einem pflichtwidrigen Verhalten des Leistungsträgers beruht. Dies gilt allerdings nicht für außerhalb des Sozialrechtsverhältnisses liegende Tatbestände, die nach materiellem Recht für das Entstehen des Sozialrechtsanspruchs erforderlich sind (BSG, SozR 2200 § 1233 Nr. 17 und SozR 4100 § 56 Nr. 18). Im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs kann daher nicht die rechtzeitige Verfügbarkeit der Klägerin für die Arbeitsvermittlung fingiert werden, denn hierbei handelt es sich um persönliche Umstände sowohl subjektiver als auch objektiver Art, die dem Zuständigkeitsbereich und den Gestaltungsmöglichkeiten der Beklagten entzogen sind (BSG, Urteil vom 11. November 1982 - Aktenzeichen 7 RAr 24/80). Entsprechendes gilt für die persönliche Arbeitslosmeldung. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG handelt es sich hierbei nicht um eine Willenserklärung im Sinne von § 133 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), sondern eine Tatsachenerklärung (BSGE 9, 7, 12; 9, 240, 243; 60, 43 ff.). Gemäß § 123 SGB III erfolgt die Arbeitslosmeldung dadurch, dass sich der Arbeitslose persönlich beim zuständigen Arbeitsamt arbeitslos meldet und diesem zur Verfügung steht. Der Erklärende teilt daher die Tatsache der Arbeitslosigkeit mit. Die soll dem Arbeitsamt die Kenntnis vermitteln, dass ein Leistungsfall eingetreten ist beziehungsweise in Kürze eintritt. Die Funktion der Arbeitslosmeldung besteht mithin darin, das Arbeitsamt tatsächlich in die Lage zu versetzen, mit seinen Vermittlungsbemühungen zu beginnen, um eingetretene Arbeitslosigkeit und damit auch die Leistungsverpflichtung möglichst rasch zu beenden (vgl. zum Ganzen Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 10. Oktober 2002, Aktenzeichen L 3 AL 262/01 - nicht veröffentlicht -).

Der Beklagten ist es insoweit auch nicht verwehrt, sich darauf zu berufen, dass die Klägerin zunächst ab dem 28. Januar 2001 ihren Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht mehr geltend machen kann. Der Senat folgt nicht der Auffassung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 30. Januar 2003, Aktenzeichen L 8 AL 536/01 - in Breithaupt 2003, 852 -), dass ein solcher "Verlust" eines Rechts aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) hergeleitet werden könne. Bei der Vorschrift des § 147 Abs. 2 SGB III handelt es sich nicht etwa um eine Einrede beziehungsweise Einwendung, es handelt sich vielmehr um eine Regelung des Erlöschens des Anspruchs, die unmittelbar, ohne eine Geltendmachung, zum Verlust des Anspruchs führt.

Die Klägerin ist jedoch so zu stellen, als hätte sie zum Zeitpunkt ihres - unstreitigen - Antrages am 30. Januar 2001 zum 24. März 2001 die Antragsfrist gemäß § 147 Abs. 2 SGB III nicht versäumt, weshalb ihr ab diesem Zeitpunkt Arbeitslosengeld zu gewähren ist. Zwar vermag der sozialrechtliche Herstellungsanspruch - wie oben ausgeführt - die rechtzeitige Arbeitslosmeldung beziehungsweise die Verfügbarkeit der Klägerin nicht zu fingieren. Die Klägerin ist jedoch im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen, als habe sie die Ausschlussfrist (§ 147 Abs. 2 SGB III) nicht versäumt, weshalb Arbeitslosengeld ab dem Zeitpunkt der tatsächlichen Arbeitslosmeldung beziehungsweise des Zeitpunkts, auf den sich die Arbeitslosmeldung bezieht (hier 24. März 2001), zu gewähren ist (vgl. zur Vorschrift des § 196 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III: Urteil des BSG vom 19. Januar 2005, Aktenzeichen B 11 a/11 AL 41/04 R, zitiert nach Pressemitteilung Nr. 1/05, 20. Januar 2005).

Der Senat ist nach den Ausführungen der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung davon überzeugt, dass sie sich am 15. November 2000 hinsichtlich ihres Alg-Anspruchs bei der Beklagten erkundigt hat und ihr in diesem Zusammenhang mitgeteilt worden ist, es würde genügen, dort erst wieder im Februar vorzusprechen. Dies hätte Anlass für die Beklagte sein müssen, auf den Ablauf der Ausschlussfrist des § 147 Abs. 2 SGB III hinzuweisen. Zwar besteht keine allgemeine Pflicht der Beklagten, hinsichtlich des Ablaufs der Frist aufzuklären (vgl. BSG, Urteil vom 21. März 1990 - Aktenzeichen 7 RAr 36/88 - SozR 3-4100 § 125 Nr. 1). Wenn sich die Klägerin jedoch aktiv um den Erhalt ihres Anspruchs gekümmert und bei der Beklagten um Beratung nachgesucht hat, kommt eine dahingehende Beratungspflicht in Betracht, nach der die Klägerin durch den nur kurzzeitigen Verzicht auf Sozialleistungen (hier: des Erziehungsgeldes) dem Erlöschen des Alg-Anspruchs entgegenwirken kann (BSG - SozR 3-4100 § 107 Nr. 10) oder durch das gegebenenfalls mögliche teilweise dem Arbeitsmarkt Sich-zur-Verfügung-Stellen, jedenfalls den Anspruch aufrecht erhält. Die Klägerin hat die Ausschlussfrist des § 147 Abs. 2 SGB III durch ihren Antrag vom 30. Januar 2001 zum 24. März 2001 lediglich um kurze Zeit überschritten, selbst wenn man auf den Termin des Sich-zur-Verfügung-Stellens am 24. März 2001 abstellt. Wenn sie bereits vor Ablauf des 28. Januar 2001 auf das Erziehungsgeld verzichtet hätte und sich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung gestellt hätte, hätte sie ihren Restanspruch auf Alg erhalten können. Die Klägerin hat sich nach ihrer glaubhaften, der Aussage ihres Ehemannes keinesfalls widersprechenden Aussage, aktiv um den Erhalt ihres Alg-Anspruchs gekümmert. Sie ist im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen, als habe sie die Ausschlussfrist nicht versäumt. Der Klägerin steht damit ab dem 24. März 2001 Arbeitslosengeld zu.

Dem Senat war es auch nicht verwehrt, die Entscheidung auf die Erklärungen der Klägerin selbst zu stützen. Die Mitarbeiterin der Beklagten, mit der das Gespräch am 15. November 2000 geführt wurde, war nicht mehr zu ermitteln. Die Ausführungen des Ehemannes waren ersichtlich lückenhaft, weshalb der Senat zur Feststellung rechtserheblicher Tatsachen auf die Ausführungen der Klägerin angewiesen war. Die Parteivernehmung ist zwar ein Beweismittel des Parteiprozesses, der dem Beibringungsgrundsatz folgt. Das zeigen die §§ 445, 447 Zivilprozessordnung. Das dem Untersuchungsgrundsatz folgende sozialgerichtliche Verfahren schließt jedoch nicht aus, Verfahrensbeteiligte zur Sachaufklärung anzuhören. Das ergibt sich mit aller Klarheit aus § 106 Abs. 1 SGG, wonach der Vorsitzende darauf hinzuwirken hat, dass Verfahrensbeteiligte "alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen" abgeben, und § 106 Abs. 3 Nr. 7 SGG, wonach das persönliche Erscheinen der Beteiligten hierzu angeordnet werden kann. Es wäre auch nicht verständlich, wenn im Verwaltungsverfahren nach §§ 60 ff. Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil (SGB I) die Mitwirkung von Leistungsberechtigten in den hier gewahrten Grenzen des § 65 SGB I verlangt und nach § 66 SGB I sanktioniert werden könnte, im sozialgerichtlichen Verfahren dagegen die unerlässliche Mitwirkung bei der Sachaufklärung nicht möglich wäre (vgl. BSG, Beschluss vom 25. Juni 2002, B 11 AL 21/02 B).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision war zuzulassen, weil eine Entscheidung des Bundessozialgerichts zum sozialrechtlichen Herstellungsanspruch im Rahmen des § 147 Abs. 2 SGB III im hier angenommenen Sinne nicht vorliegt.
Rechtskraft
Aus
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