L 16 RA 121/03

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 29 RA 1612/96 W02
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 RA 121/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. März 2003 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Beklagte in ihrer Funktion als Zusatzversorgungsträger nach dem Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) für Leistungszeiträume vor dem 1. Juli 1993 die nach § 8 Abs. 2 AAÜG mitzuteilenden Daten für die Zeit vom 1. März 1970 bis zum 30. Juni 1982 zutreffend bekannt gegeben hat.

Der 1933 geborene Kläger war in der früheren Deutschen Demokratischen Republik (DDR) bis 28. Februar 1970 und ab dem 1. Juli 1982 bis zum 31. Dezember 1988 bei der D R (DR) sowie vom 1. März 1970 bis 30. Juni 1982 - unterbrochen durch ein Studium an der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaften der DDR vom 1. September 1973 bis zum 31. August 1975 - bei dem Ministerium für Verkehrswesen der DDR, Hauptverwaltung Maschinenwirtschaft der DR - versicherungspflichtig beschäftigt (Arbeitsvertrag vom 1. Februar 1970; Hauptreferent, Referatsleiter, Fachabteilungsleiter, Abteilungsleiter). Mit Wirkung vom 1. März 1971 war der Kläger in die Freiwillige zusätzliche Altersversorgung für Mitarbeiter des Staatsapparates -FZASt- (Zusatzversorgungssystem nach Anlage 1 Nr. 19 des AAÜG) einbezogen worden. Seit dem 1. Januar 1989 bezog der Kläger eine Invalidenversorgung für DR-Beschäftigte und eine Zusatzversorgung aus der FZASt.

Mit Überführungsbescheiden vom 16. Oktober 1995 und 8. Januar 1996 (Widerspruchsbescheid vom 29. Februar 1996) stellte die Beklagte in ihrer Eigenschaft als Zusatzversorgungsträger die Zeit vom 1. März 1970 bis zum 1. August 1988 als Zeit der Zugehörigkeit des Klägers zum Zusatzversorgungssystem Nr. 19 der Anlage 1 zum AAÜG sowie die in dieser Zeit tatsächlich erzielten Bruttoarbeitsentgelte sowie die Arbeitsausfalltage fest. Außerdem stellte die Beklagte fest, dass der Kläger für die Zeit vom 1. März 1970 bis zum 31. August 1973 und vom 1. September 1975 bis zum 30. Juni 1982 die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 6 Abs. 2 AAÜG in der bis 31. Dezember 1996 geltenden Fassung (alter Fassung -a.F.-) erfülle. Mit Bescheid vom 14. Januar 1997 hat die Beklagte "für Leistungszeiträume ab dem 1. Januar 1997" die Entgeltdaten neu festgestellt. Im weiteren Verlauf des Klageverfahrens bei dem Sozialgericht (SG) Berlin erteilte die Beklagte die Bescheide vom 1. Oktober 2001 und 5. Oktober 2001, mit denen sie Feststellungen für Leistungszeiträume bis zum 30. Juni 1993 und ab 1. Juli 1993 traf.

Mit der Klage hat der Kläger beantragt, den Feststellungsbescheid vom 1. Oktober 2001 "dahingehend zu ändern, dass die Versicherungszeiten vom 1. März 1970 bis 30. Juni 1982 gemäß § 6 Abs. 1 AAÜG auch für die Zeiten vor dem 1. Juli 1993 verbindlich werden". Das SG hat diese Klage mit Urteil vom 20. März 2003 abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei zulässig, weil sich der Kläger gegen die Feststellung der Beklagten wende, dass die tatsächlichen Voraussetzungen für die Anwendung einer niedrigeren als der regelmäßigen Beitragsbemessungsgrenze in Betracht kämen. Die Klage sei jedoch nicht begründet. Denn die Feststellungen der Beklagten in dem Bescheid vom 1. Oktober 2001, die nur den noch streitigen Leistungszeitraum vom 1. Januar 1992 bis 30. Juni 1993 beträfen, seien rechtmäßig. Die Beklagte habe darin zutreffend Zugehörigkeitszeiten des Klägers zum Zusatzversorgungssystem Nr. 19 der Anlage 1 zum AAÜG vom 1. März 1970 bis 30. Juni 1982 mit Ausnahme der Studienzeiten festgestellt. Der Kläger sei im streitigen Zeitraum in das Zusatzversorgungssystem Nr. 19 der Anlage 1 zum AAÜG einbezogen gewesen. Die Feststellung von Zugehörigkeitszeiten komme daher insoweit nur in diesem Zusatzversorgungssystem in Betracht. Der Kläger sei im fraglichen Zeitraum auch beim Ministerium für Verkehrswesen beschäftigt gewesen, so dass ohnehin nur der Beitritt zur FZASt in Betracht gekommen sei. Die Beklagte habe daher für den in Rede stehenden Zeitraum zutreffend die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anwendung der niedrigeren Beitragsbemessungsgrenze nach § 6 Abs. 2 AAÜG a.F. festgestellt. Diese gesetzliche Regelung sei nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts -BVerfG- (Urteil vom 28. April 1999 -1 BvL 22/95, 1 BvL 34/95 = BVerfGE 100, 59 = SozR 3-8570 § 6 Nr. 3) bis 30. Juni 1993 verfassungsrechtlich noch hinzunehmen.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er trägt vor: Die formal-organisatorische Zuordnung der Zentralen Leitung der DR zum Ministerium für Verkehrswesen sei eine Folge der Personalunion der Funktionen Minister für Verkehrswesen und Generaldirektor der DR gewesen. Er sei im streitigen Zeitraum ausschließlich im Unternehmen DR tätig gewesen. Im Übrigen habe er in der DDR die Berechtigung erlangt, die Berufsbezeichnung "Ingenieur" zu führen und auch entsprechende ingenieurtechnische Tätigkeiten verrichtet. Daher seien auch die Voraussetzungen für eine Einbeziehung in das Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG erfüllt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. März 2003 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 1. Oktober 2001 zu verurteilen, die Beschäftigungszeiten vom 1. März 1970 bis 31. August 1973 und vom 1. September 1975 bis 30. Juni 1982 als Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz sowie die entsprechenden Arbeitsverdienste festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Rentenakten des Rentenversicherungsträgers (2 Bände), die Akten des SG Berlin S 37 RA 5226/93-9 - L 6 RA 95/97 (2 Bände), die Akte der Beklagten und die Gerichtsakten (2 Bände) haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers, mit der dieser (nur) noch seine erstinstanzlich erhobene Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gegen den gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des sozialgerichtlichen Verfahrens gewordenen Bescheid vom 1. Oktober 2001 weiter verfolgt, ist nicht begründet.

Der Kläger hat für Leistungszeiträume vor dem 1. Juli 1993 gemäß § 8 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 AAÜG keinen Anspruch auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG sowie gegebenenfalls der entsprechenden Arbeitsentgelte gemäß § 8 Abs. 2 AAÜG für die Zeit vom 1. März 1970 bis zum 31. August 1973 und vom 1. September 1975 bis zum 30. Juni 1982. Die Beklagte hat insoweit zutreffend Zugehörigkeitszeiten des Klägers zum Zusatzversorgungssystem Nr. 19 der Anlage 1 zum AAÜG sowie die entsprechenden Arbeitsentgelte festgestellt.

Die Feststellungen der Beklagten als Versorgungsträger nach § 8 Abs. 4 Nr. 1 AAÜG beruhen auf der dem Kläger jedenfalls vor dem 30. Juni 1990 in der DDR erteilten Versorgungszusage aus der FZASt, die nach Eintritt des Versorgungsfalls der Invalidität am 1. Januar 1989 zur Gewährung einer Invalidenversorgung aus dem Zusatzversorgungssystem Nr. 19 der Anlage 1 zum AAÜG geführt hatte (Versorgungs-Nr. ). Der Kläger war mit Wirkung vom 1. März 1971 in die FZASt auf Grund einer "Tätigkeit im Staatsapparat" ab 1. Februar 1970 einbezogen worden (vgl. Beitragsnachweiskarte der FZASt). Diese Versorgungszusage der DDR, ein Verwaltungsakt im Sinne von Artikel 19 des Einigungsvertrages (EV), der in der DDR nicht aufgehoben worden war, blieb bundesrechtlich für die Zeit nach der Wiedervereinigung, d.h. nach dem 3. Oktober 1990, wirksam. Dies hat zur Folge, dass der Verwaltungsakt für die Beteiligten und das Gericht bindend ist (vgl. § 77 SGG).

Gemäß Artikel 19 Satz 1 EV bleiben vor dem Beitritt ergangene Verwaltungsakte der ehemaligen DDR wirksam. Bei der Versorgungszusage, die der Kläger erhalten hatte, handelt es sich um einen Verwaltungsakt im Sinne des am 3. Oktober 1990 zumindest entsprechend anwendbaren § 31 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X; vgl. hierzu BSG SozR 3-8570 § 11 Nr. 4 S. 36). Die Versorgungszusage regelte auch einen Einzelfall auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts (vgl. hierzu BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 1 S. 5). Sie begründet nämlich Rechte aus dem Zusatzversorgungssystem Nr. 19 der Anlage 1 zum AAÜG, das ausschließlich auf staatlicher Normsetzung der DDR beruhte und gegen staatliche Träger der DDR gerichtet war. Dieser das Versorgungsrechtsverhältnis begründende und damit auch zur Gewährung einer Zusatzversorgung aus der FZASt an den Kläger ab 1. Januar 1989 führende Verwaltungsakt ist aus der Sicht des Bundesrechts weder aufgehoben noch geändert worden. Demnach hat das durch die Versorgungszusage begründete und durch die tatsächliche Zahlung einer Zusatzversorgung verwirklichte Versorgungsrechtsverhältnis ab dem Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes am 3. Oktober 1990 weiter bestanden. (Nur) hierauf können sich demzufolge auch die Ansprüche des Klägers auf Feststellung von Zugehörigkeitszeiten zu einem Zusatzversorgungssystem im Sinne von § 5 AAÜG sowie seiner Arbeitsentgelte in den in Rede stehenden Zeiträumen gründen. In dem vorliegend streitigen Zeitraum kommt mithin nur die Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit des Klägers zum Zusatzversorgungssystem Nr. 19 der Anlage 1 zum AAÜG sowie der entsprechenden Arbeitsverdienste in Betracht.

Eine Rechtsgrundlage für die Feststellung von Zugehörigkeitszeiten zum Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG in den im Berufungsantrag bezeichneten Zeiträumen ist demgegenüber nicht ersichtlich. Die von dem Kläger insoweit in Bezug genommene Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), wonach § 1 Abs. 1 AAÜG im Wege verfassungskonformer Auslegung dahin auszulegen ist, dass den tatsächlich einbezogenen Personen diejenigen gleichzustellen sind, die aus bundesrechtlicher Sicht auf Grund der am 30. Juni 1990 gegebenen Sachlage einen (fiktiven) Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage - vorliegend aus dem Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG - gehabt hätten (ständige Rechtsprechung des BSG: vgl. z.B. Urteile vom 9. April 2002 - B 4 RA 31/01 R = SozR 3-8570 § 1 Nr. 2 und B 4 RA 3/02 R = SGb 2002, 379 sowie B 4 RA 18/01 R - nicht veröffentlicht), ist vorliegend nicht einschlägig. Denn der Kläger hatte am 1. August 1991, dem Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des AAÜG, einen Versorgungsanspruch im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG, und zwar aus dem Zusatzversorgungssystem Nr. 19 der Anlage 1 zum AAÜG. Auch aus dem Urteil des BSG vom 23. Juni 1998 (B 4 RA 61/97 R = SozR 3-8570 § 5 Nr. 4) folgt keine andere Beurteilung. Denn dort hatte das BSG über einen Fall zu befinden, in dem die Versicherte in der DDR Versorgungszusagen sowohl nach Maßgabe des Zusatzversorgungssystems Nr. 4 der Anlage 1 zum AAÜG als auch nach Maßgabe des Zusatzversorgungssystems Nr. 19 der Anlage 1 zum AAÜG erhalten hatte. Im Rahmen dieses - bei dem Kläger gar nicht bestehenden - Konkurrenzverhältnisses hatte das BSG zu entscheiden, von welchem der beiden Versorgungssysteme der Versorgungsträger bei Erteilung des Entgeltbescheides auszugehen hat. Indes kämen auch bei einer Zugrundelegung dieser Rechtsprechung für die vorliegend streitigen Zeiträume nur Zugehörigkeitszeiten des Klägers zum Zusatzversorgungssystem Nr. 19 der Anlage 1 zum AAÜG als dem sachnäheren Versorgungssystem in Betracht. Denn der Kläger war zwar in der Zeit vom 1. März 1970 bis zum 30. Juni 1982 weiterhin bei der DR beschäftigt, aber eben bei der dem Ministerium für Verkehrswesen zugeordneten Hauptverwaltung Maschinenwirtschaft. Folgerichtig trat er zum 1. März 1971 auch der FZASt bei.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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