L 16 RA 49/04

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 29 RA 6311/01
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 RA 49/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 25. September 2003 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Streitig ist, ob die Beklagte als Versorgungsträger für das Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 Nr. 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) verpflichtet ist, für Beschäftigungszeiten des Klägers vom 1. Juni 1968 bis zum 10. April 1990 Zeiten der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVTI) sowie die entsprechenden Arbeitsverdienste festzustellen.

Der 1941 geborene Kläger war in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) seit dem 13. Mai 1968 berechtigt, die Berufsbezeichnung "Ingenieur" zu führen (Zeugnis der T Universität D). Er war vom 1. Juni 1968 bis zum 31. Dezember 1968 als Exportkaufmann bei der Deutschen E- und Igesellschaft F-O m.b.H. und vom 1. Januar 1970 bis 10. April 1990 als Exportkaufmann, Stellvertretender Direktor, Direktor für Export und Import bzw. als erster Stellvertreter des Direktors der A bei dem Volkseigenen A (AHB) E E-I beschäftigt. Anschließend war der Kläger, und zwar auch am 30. Juni 1990, als Vertriebsleiter für Elektromotoren im Beitrittsgebiet selbständig tätig.

Mit Bescheid vom 16. Mai 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Oktober 2001 lehnte die Beklagte die Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit des Klägers zur AVTI vom 1. Juni 1968 bis zum 10. April 1990 ab mit der Begründung, dass es sich bei dem AHB E E-I nicht um einen volkseigenen Produktionsbetrieb oder einen diesen Betrieben gleichgestellten Produktionsbetrieb gehandelt habe.

Mit der Klage hat der Kläger beantragt, die Beklagte zu verpflichten, die Zeit vom 1. Juni 1968 bis 10. April 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG sowie die in diesem Zeitraum tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte festzustellen. Das Sozialgericht (SG) Berlin hat diese Klage mit Urteil vom 25. September 2003 abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei nicht begründet. Der Kläger habe gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Feststellung der im Klageantrag genannten Daten. Denn er habe keine Beschäftigung bei einem volkseigenen Produktionsbetrieb oder einem gleichgestellten Betriebe inne gehabt. Zudem sei er am 30. Juni 1990 als Vertriebsleiter für Elektromotoren tätig gewesen.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er trägt vor: AHB seien den Kombinaten und damit Industrieministerien zugeordnet worden.

Der Kläger beantragt nach seinem Vorbringen,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 25. September 2003 und den Bescheid der Beklagten vom 16. Mai 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Oktober 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Zeit vom 1. Juni 1968 bis zum 10. April 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG sowie die in diesen Zeiten tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die zum Verfahren eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.

Die Akte der Beklagten und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen. II.

Das Gericht hat gemäß § 153 Abs. 4 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Berufung durch Beschluss zurückweisen können, weil es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat. Die Beteiligten sind hierzu vorher gehört worden (§ 153 Abs. 4 Satz 2 SGG).

Die Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Der Kläger hat keinen mit der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) durchsetzbaren Anspruch gemäß § 8 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 AAÜG auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG sowie gegebenenfalls der entsprechenden Arbeitsentgelte gemäß § 8 Abs. 2 AAÜG. Das AAÜG ist auf den Kläger schon deshalb nicht anwendbar, weil er am 1. August 1991, dem Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des AAÜG, keinen Versorgungsanspruch im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG hatte. Denn der Versorgungsfall (des Alters oder der Invalidität) war bis zu diesem Zeitpunkt nicht eingetreten. Der Kläger war aber auch am 1. August 1991 nicht Inhaber einer Versorgungsanwartschaft im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG. Denn er hatte - unstreitig - bis zum 30. Juni 1990 eine Versorgungszusage in der DDR nicht erhalten und ihm war auch nicht im Rahmen einer Einzelentscheidung eine Versorgung zugesagt worden.

§ 1 Abs. 1 AAÜG ist zwar im Wege verfassungskonformer Auslegung dahin auszulegen, dass den tatsächlich einbezogenen Personen diejenigen gleichzustellen sind, die aus bundesrechtlicher Sicht auf Grund der am 30. Juni 1990 gegebenen Sachlage einen (fiktiven) Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt hätten (ständige Rechtsprechung des BSG: vgl. z.B. Urteile vom 9. April 2002 - B 4 RA 31/01 R = SozR 3-8570 § 1 Nr. 2 und - B 4 RA 3/02 R = SGb 2002, 379 sowie - B 4 RA 18/01 R - nicht veröffentlicht). Ein derartiger fiktiver Anspruch ist aber nur dann zu bejahen, wenn eine Beschäftigung oder Tätigkeit am maßgeblichen Stichtag, dem 30. Juni 1990, ausgeübt worden ist, wegen der ihrer Art nach eine zusätzliche Altersversorgung in dem betreffenden Versorgungssystem vorgesehen war (ständige Rechtsprechung: vgl. z.B. BSG, Urteil vom 10. April 2002 - B 4 RA 32/01 R - SGb 2002, 380; zuletzt Urteil vom 29. Juli 2004 - B 4 RA 12/04 R - nicht veröffentlicht).

Der Kläger erfüllte indes am 30. Juni 1990 nicht die Voraussetzungen für eine Einbeziehung in das Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG. Allein maßgebend sind insoweit die Texte der Verordnung über die AVTI in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 17. August 1950 (AVTI-VO; GBl. I S. 844) und der 2. Durchführungsbestimmung (2. DB) dazu vom 24. Mai 1951 (GBl. I S. 487). Davon ausgehend liegt ein fiktiver Anspruch auf eine Versorgungszusage nach der AVTI-VO i.V.m. 2. DB nur vor, wenn der Betreffende - am 30. Juni 1990 - drei Voraussetzungen erfüllt: Er muss 1. eine bestimmte Berufsbezeichnung geführt haben, 2. eine der Berufsbezeichnung entsprechende Beschäftigung oder Tätigkeit verrichtet haben und 3. die Beschäftigung oder die Tätigkeit in einem Volkseigenen Betrieb (VEB) im Bereich der Industrie oder des Bauwesens ausgeübt haben (vgl. hierzu BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 6; SozR 3-8570 § 1 Nr. 3).

Der Kläger hat am 30. Juni 1990 keine entgeltliche Beschäftigung ausgeübt, die ihrer Art nach vom Zusatzversorgungssystem der AVTI erfasst war. Er war zwar in der Zeit ab dem 13. Mai 1968 berechtigt, den Titel eines Ingenieurs zu führen. Er hat aber am 30. Juni 1990 weder eine dieser Berufsbezeichnung entsprechende Beschäftigung oder Tätigkeit verrichtet noch diese Beschäftigung oder Tätigkeit in einem VEB im Bereich der Industrie oder des Bauwesens ausgeübt. Vielmehr war der Kläger am Stichtag, wie sich den Eintragungen in dem Sozialversicherungsausweis und seinem Vorbringen im Termin zur mündlichen Verhandlung beim SG entnehmen lässt, als Vertriebsleiter für Elektromotoren im Beitrittsgebiet selbständig tätig.

Da es für die Anwendbarkeit des AAÜG auf die am 30. Juni 1990 gegebene Sachlage ankommt, ist es bundesrechtlich unerheblich, ob der Kläger in der Zeit vom 1. Juni 1968 bis zum 10. April 1990 in volkseigenen Produktionsbetrieben der Industrie oder des Bauwesens oder einem der in § 1 Abs. 2 der 2. DB genannten gleichgestellten Betriebe beschäftigt war. Indes erfüllt der Kläger auch insoweit nicht die betrieblichen Voraussetzungen für eine Zugehörigkeit zur AVTI. Denn er war vom 1. Juni 1968 bis zum 31. Dezember 1969 bei einer GmbH und vom 1. Januar 1970 bis 10. April 1990 bei einem volkseigenen AHB beschäftigt. Hierbei handelte es sich nicht um volkseigene Produktionsbetriebe der Industrie oder des Bauwesens und auch nicht um gleichgestellte Betriebe gemäß § 1 Abs. 2 der 2. DB (vgl. BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 5).

Andere Rechtsgrundlagen, auf die der Kläger sein Begehren stützen könnte, sind nicht ersichtlich. Insbesondere verstößt es nicht gegen Verfassungsrecht, dass der Bundesgesetzgeber an die im Zeitpunkt der Wiedervereinigung vorgefundene Ausgestaltung der Versorgungssysteme der DDR und deren Differenzierung angeknüpft hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. August 2004 - 1 BvR 1557/01). Denn der Gleichbehandlungsgrundsatz des Artikels 3 Grundgesetz gebietet es nicht, von den historischen Gegebenheiten in der DDR, aus denen sich Ungleichheiten ergeben könnten, abzusehen und sie rückwirkend zu Lasten der heutigen Beitrags- und Steuerzahler auszugleichen. Die Begünstigung der damals Einbezogenen hat der Bundesgesetzgeber als ein Teilergebnis der Verhandlungen im Einigungsvertrag angesichts der historischen Bedingungen hinnehmen dürfen (vgl. BVerfGE 100, 138, 190 = SozR 3-8570 § 7 Nr. 1). Zu einer "Totalrevision" des aus der DDR stammenden Versorgungsrechts war er über die mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesssozialgerichts (BSG) vorgenommene Modifikation von § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG hinaus nicht verpflichtet (vgl. BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 2; Urteil vom 18. Juni 2003 -B 4 RA 1/03 R- nicht veröffentlicht).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor. Insbesondere kommt der Rechtssache entgegen der vom Kläger vertretenen Auffassung auch keine grundsätzliche Bedeutung mehr zu, weil die zu Grunde liegenden Rechtsfragen durch die ständige Rechtsprechung des BSG geklärt sind.
Rechtskraft
Aus
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