L 16 U 1/03

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 68 U 7/01
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 U 1/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 5. November 2002 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Streitig ist die Gewährung von Verletztenrente aus Anlass eines Arbeitsunfalls vom 4. Mai 2000.

Der 1969 geborene Kläger griff an diesem Tag in Ausübung seiner Tätigkeit als Fliesenleger nach einem Seil, an dem ein abrutschender Betoneimer befestigt war, wobei er Schmerzen in der rechten Schulter verspürte. Der Kläger, der nach eigenen Angaben nach dem Unfall etwa zwei Wochen Urlaub hatte, stellte sich am 18. Mai 2000 erstmals in der Praxis des Orthopäden Dr. M vor. Dort wurde am 12. September 2000 ein Verdacht auf Rotatorenmanschettenruptur rechts diagnostiziert (Arztbericht vom 12. September 2000; Befundbericht vom 8. März 2001 und Schreiben vom 19. Mai 2003). Eine am 18. September 2000 durchgeführte Kernspintomographie der rechten Schulter ergab den Nachweis kleiner Einrisse im ventralen Anteil der Sehne des Musculus supraspinatus und im proximalen Verlauf des Musculus deltoideus sowie einen geringen Erguss in der Bursa subdeltoidea bei im Übrigen unauffälliger Darstellung der Rotatorenmanschette. Vom 15. November bis zum 21. November 2000 befand sich der Kläger in stationärer Behandlung des D-Krankenhauses B (Entlassungsbericht vom 22. November 2000), in deren Verlauf am 16. November 2000 eine diagnostische Arthroskopie am rechten Schultergelenk durchgeführt wurde (OP-Bericht von Dr. R; Rotatorenmanschettenruptur am Übergang Supraspinatussehne / Subscapularissehne cranial des Ligamentum curaco-humerale dicht am muskulären Ansatz, ausgeprägte Bursitis subacromiale / subdeltoidea, ausgeprägtes primäres Impingementsyndrom Neer III mit subacromialem Sporn, longitudinale Rotatorenmanschettenruptur Typ I nach Rowe). Seit dem 12. September 2000 ist der Kläger arbeitsunfähig krank.

Mit Bescheid vom 17. November 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Dezember 2000 lehnte die Beklagte die Gewährung von Verletztenrente ab mit der Begründung, dass eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in rentenberechtigendem Grade über die 26. Woche nach dem Arbeitsunfall hinaus nicht vorliege.

Im Klageverfahren hat das Sozialgericht (SG) Berlin einen Befundbericht von Dr. M vom 8. März 2001 erstatten lassen und den Entlassungsbericht des D-Krankenhauses vom 22. November 2000 nebst OP-Bericht von Dr. R vom 16. November 2000 beigezogen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Kläger den Hergang des Unfalls geschildert; auf die Sitzungsniederschrift des SG vom 5. November 2002 wird insoweit Bezug genommen. Mit Urteil vom 5. November 2002 hat das SG die auf Gewährung von Verletztenrente gerichtete Klage abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei nicht begründet. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Verletztenrente gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII). Denn eine rentenberechtigende MdE von mindestens 20 v.H. über die 26. Woche nach dem Arbeitsunfall hinaus liege nicht vor. Die erst am 18. September 2000 gesicherte Rotatorenmanschettenruptur sei nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis vom 4. Mai 2000 zu beziehen. Der vom Kläger geschilderte Unfallhergang sei zwar grundsätzlich geeignet, Einrisse in den Muskeln und damit eine Rotatorenmanschettenruptur zu verursachen. Es seien aber nach dem Arbeitsunfall bis August 2000 keine Befunde bei dem Kläger erhoben worden, die in der Rückschau die Annahme rechtfertigen würden, es habe bereits seinerzeit eine Rotatorenmanschettenruptur vorgelegen. Die am 10. August 2000 in der Praxis Dr. M durchgeführte röntgenologische und sonographische Untersuchung habe keinerlei Hinweise auf eine Rotatorenmanschettenruptur ergeben.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er trägt vor: Das SG habe den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt. Insbesondere lasse sich dem eingeholten Befundbericht nicht zweifelsfrei entnehmen, wann Dr. M erstmals den Verdacht auf eine Rotatorenmanschettenruptur rechts geäußert habe. Er habe sich bereits kurz nach dem Unfall in ärztliche Behandlung begeben und durchgängig über die gleichen Schmerzzustände geklagt. Es sei im Übrigen überhaupt kein Ereignis feststellbar, das ebenso wie der fragliche Arbeitsunfall hätte geeignet sein können, die Rotatorenmanschettenruptur herbeizuführen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 5. November 2002 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 17. November 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Dezember 2000 zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 4. Mai 2000 Verletztenrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil auch nach dem Ergebnis der im Berufungsverfahren durchgeführten Beweisaufnahme für zutreffend.

Der Senat hat im Berufungsverfahren Befundberichte von den behandelnden Ärzten des Klägers erstatten lassen, und zwar von dem Facharzt für Orthopädie und Chirotherapie Dr. D vom 3. Juni 2003 und von dem Orthopäden Dipl.-Med. M vom 24. Juni 2003. Ein Entlassungsbericht des D-Krankenhauses vom 9. Mai 2001 (stationäre Behandlung vom 3. Mai bis zum 10. Mai 2001 mit am 4. Mai 2001 durchgeführter Arthroskopie der rechten Schulter) und eine ergänzende Äußerung von Dr. M vom 19. Mai 2003 sind zu den Gerichtsakten genommen worden, ferner kernspintomographische bzw. magnetresonanztomographische Befunde des rechten Schultergelenkes vom 20. Dezember 2002 (Radiologe Prof. Dr. W) und vom 21. März 2002 (Radiologe H).

Der Senat hat den Chirurgen und Unfallchirurgen Dr. W mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. Dieser Arzt hat in seinem Gutachten vom 25. Mai 2004 (Untersuchung am 3. Februar 2004) bei dem Kläger im Bereich der oberen Gliedmaßen folgende Gesundheitsstörungen diagnostiziert: Rotatorenmanschettenschädigung rechts am Übergang des Musculus supraspinatus zum Musculus subscapularis, Schmerzen und Bewegungseinschränkung des rechten Schultergelenkes, Zustand nach operativer Behandlung einer Rotatorenmanschettenruptur am 16. November 2000 mit Feststellung einer bestehenden Bursitis subacromiale subdeltoidea, eines primären Impingementsyndromes mit subacromialem Sporn sowie longitudinaler Rotatorenmanschettenruptur Typ I, Zustand nach operativer Behandlung des rechten Schultergelenkes bei anteriorer Acromionexostose und Acromionsporn mit Impingementzeichen sowie partiellem Abriss des Musculus deltoideus vom Acromionrand nach Dekompression des subacromialen Raumes, Ausbildung einer Pseudobursa sowie einer zentralen Chondromalazie 2. Grades am Glenoid, Zustand nach Radiosynorviorthese des rechten Schultergelenkes vom 16. August 2002 bei Hinweisen für degenerative Veränderungen mit diskreten entzündlichen Komponenten im rechten Schulter- und Acromioclaviculargelenk. Alle diese Gesundheitsstörungen seien nicht im Sinne der erstmaligen Entstehung oder im Sinne der wesentlichen Verschlimmerung eines unfallunabhängigen Leidens auf den Unfall vom 4. Mai 2000 zurückzuführen. Die unfallbedingte MdE sei mit 0 v.H. zu bemessen.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen, wegen der medizinischen Feststellungen auf die zum Verfahren eingeholten Befundberichte sowie das Sachverständigengutachten von Dr. W Bezug genommen.

Die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen.

II.

Das Gericht hat gemäß § 153 Abs. 4 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Berufung durch Beschluss zurückweisen können, weil es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat. Die Beteiligten sind hierzu vorher gehört worden (§ 153 Abs. 4 Satz 2 SGG).

Die Berufung des Klägers, mit der er die erstinstanzlich erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage im Sinne von § 54 Abs. 4 SGG weiter verfolgt, ist nicht begründet.

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Verletztenrente aus Anlass des Arbeitsunfalls vom 4. Mai 2000. Der von ihm geltend gemachte Anspruch auf Verletztenrente richtet sich nach § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 2 SGB VII, weil der geltend gemachte Versicherungsfall nach dem In-Kraft-Treten des SGB VII am 1. Januar 1997 eingetreten ist (vgl. § 212 SGB VII).

Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente. Bei einer MdE wird Teilrente geleistet; sie wird in der Höhe des Vomhundertsatzes der Vollrente festgesetzt, der dem Grad der MdE entspricht (§ 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 2 SGB VII). Zwar ist vorliegend von einem Versicherungsfall (vgl. § 7 Abs. 1 SGB VII) in Gestalt eines Arbeitsunfalls des Klägers vom 4. Mai 2000 auszugehen. Denn das Gericht ist insoweit an die in dem angefochtenen Bescheid vom 17. November 2000 enthaltene und mit der Klage nicht angefochtene feststellende Verwaltungsentscheidung der Beklagten gebunden (vgl. § 77 SGG), wonach der Kläger am 4. Mai 2000 einen Arbeitsunfall erlitten hatte (vgl. zum Anerkenntnis eines Versicherungsfalls und der hieraus resultierenden Bindungswirkung BSG SozR 1500 § 77 Nr. 18). Die Gewährung von Verletztenrente an den Kläger scheidet jedoch aus, weil nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme über die 26. Woche nach dem Arbeitsunfall vom 4. Mai 2000 hinaus eine MdE von wenigstens 20 v.H. bei dem Kläger nicht vorliegt.

Bei Würdigung der vorliegenden ärztlichen Unterlagen und des Sachverständigengutachtens von Dr. W ist mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nicht feststellbar, dass der Arbeitsunfall vom 4. Mai 2000 über die 26. Woche nach dem Unfall hinaus überhaupt zu verbleibenden Gesundheitsschäden des Klägers im Bereich der - vom Unfall allein betroffenen - oberen Gliedmaßen und insbesondere im rechten Schultergelenk geführt hat. Der gerichtliche Sachverständige Dr. W hat unter umfassender Würdigung sämtlicher einschlägiger Vor- und Verlaufsbefunde nachvollziehbar und überzeugend dargelegt, dass die zahlreichen, auch von ihm objektivierten Gesundheitsstörungen des Klägers im Bereich des rechten Schultergelenkes weder im Sinne der erstmaligen Entstehung noch im Sinne der wesentlichen Verschlimmerung eines unfallunabhängigen Leidens auf das Unfallereignis vom 4. Mai 2000 zurückgeführt werden können. Der Unfall vom 4. Mai 2000 hat vielmehr lediglich zu einer Zerrung der rechten Schulter ohne verbleibende Unfallfolgen geführt. Die darüber hinaus vorliegende Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit des Klägers, insbesondere auf Grund der erstmals am 18. September 2000 diagnostisch gesicherten Rotatorenmanschettenruptur rechts, sind nicht durch das Unfallereignis, sondern, wie die entsprechenden Untersuchungen nach dem Unfall ergeben haben, entzündlich bedingt.

Diese Beurteilung des Sachverständigen deckt sich mit den vorliegenden Verlaufsbefunden. Danach begab sich der Kläger nach dem Arbeitsunfall erstmals am 18. Mai 2000 in ärztliche Behandlung, wobei eine am 10. August 2000 durchgeführte Weichteilsonographie beider Schultern lediglich eine Verdickung der Bursa subacromialis ergab, während die röntgenologische Untersuchung der rechten - vom Unfall betroffenen - Schulter keinen pathologischen Befund aufwies (vgl. Befundbericht von Dr. M vom 8. März 2001). Erstmals anlässlich der Untersuchung bei Dr. M am 12. September 2000 ergab sich auf Grund der klinischen Befunde ein Verdacht auf eine Rotatorenmanschettenruptur rechts, der schließlich durch eine kernspintomographische Untersuchung am 18. September 2000 bestätigt wurde. Schon auf Grund dieses langen Zeitintervalls ist ein Kausalzusammenhang mit dem angeschuldigten Unfallereignis vom 4. Mai 2000 nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit zu sichern. Da sich der Kläger unmittelbar nach dem Ereignis nicht in ärztliche Behandlung begab, fehlt es bereits an der Dokumentation eines gegebenenfalls eingetretenen Primärschadens. Jedenfalls sind hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass die Rotatorenmanschettenruptur bereits vor September 2000 vorlag, nicht ersichtlich. Dr. M hat auf nochmalige Anfrage vielmehr bestätigt, dass der Verdacht auf Rotatorenmanschettenruptur (erst) seit dem 12. September 2000 bestand. Weiterführende histologische Befunde sind diesbezüglich auch nicht anlässlich der Arthroskopie im D-Krankenhaus am 16. November 2000 erhoben worden.

Bei dieser Sachlage waren weitere gerichtliche Amtsermittlungen (vgl. § 103 SGG) zur Klärung der Zusammenhangsfrage nicht angezeigt. Den vom Kläger erhobenen Einwendungen gegen das Urteil des SG hat der Senat durch Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens Rechnung getragen. Einwendungen gegen dieses Gutachten von Dr. W hat der Kläger nicht vorgebracht. Es steht zwar außer Frage, dass der Kläger auf Grund seiner Gesundheitsschäden im rechten Schultergelenk weiterhin behandlungs- und therapiebedürftig ist. Er verkennt aber bei seiner Argumentation, dass ein Ursachenzusammenhang nicht schon deshalb bejaht werden kann, weil er an Beschwerden leidet, die er vor dem Unfall vom 4.Mai 2000 nicht hatte. Die Nichtfeststellbarkeit anspruchsbegründender Tatsachen geht nach Ausschöpfung der dem Gericht zur Verfügung stehenden Amtsermittlungsmöglichkeiten auch im sozialgerichtlichen Verfahren zu Lasten des Klägers, der hieraus Rechte herleiten will.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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