L 5 RA 83/04

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 12 RA 5643/01
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 5 RA 83/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 08. Juni 2004 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger erstrebt die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben.

Der 1953 geborene Kläger, der seit 1995 von der Beklagten aufgrund einer psychischen Erkrankung eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bezieht, beantragte bei dieser am 14. Dezember 1998 die Gewährung berufsfördernder Leistungen zur Rehabilitation. Mit Bescheid vom 19. März 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. August 2001 lehnte die Beklagte die Gewährung mit der Begründung ab, der Kläger sei für berufsfördernde Maßnahmen nicht belastbar. Auch sei keine wesentliche Besserung oder Wiederherstellung seiner Erwerbsfähigkeit durch berufsfördernde Maßnahmen zu erwarten.

Hiergegen hat sich der Kläger mit seiner am 20. September 2001 erhobenen Klage gewendet und geltend gemacht, dass die Beklagte die Ablehnung der begehrten beruflichen Rehabilitationsmaßnahmen zu Unrecht auf seine angeblich fehlende Belastbarkeit gestützt habe. Weder könne die Gewährung einer beruflichen Rehabilitationsmaßnahme wegen mangelnder Belastbarkeit abgelehnt werden noch sei überhaupt bewiesen, dass er nicht ausreichend belastbar sei.

Das Sozialgericht hat Befundberichte bei Dr. F vom Sozialpsychiatrischen Dienst des Bezirksamtes Mitte von Berlin vom 20. August 2003, bei dem den Kläger behandelnden Neurologen und Psychiater R. H vom 04. September 2003, bei Dr. K vom 08. September 2003 sowie bei dem Arzt für Innere Medizin Dr. S-S vom 01. Oktober 2003 eingeholt. Ferner hat es ein im Vormundschaftsverfahren vor dem Amtsgericht W durch den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. L erstelltes Gutachten vom 05. Februar 2001, einen im Verfahren des Landessozialgerichts Berlin - L 8 RA 115/00 – eingereichten Arztbrief der Klinik Sch vom 18. September 2001 und einen bei dieser eingeholten Befundbericht vom 02. Januar 2002 sowie ein in dem genannten Verfahren in Auftrag gegebenes Gutachten des Arztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. B vom 22. April 2002 beigezogen. Sodann hat es die Klage mit Gerichtsbescheid vom 08. Juni 2004 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass dem Kläger kein Anspruch auf Neubescheidung seines Antrages auf Gewährung von Leistungen zur beruflichen Rehabilitation (Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben) zustehe. Die in § 10 Abs. 1 Nr. 1 und 2b des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) in der ab dem 01. Januar 2002 geltenden Fassung beschriebenen persönlichen Voraussetzungen für eine Rehabilitationsmaßnahme lägen nicht vor. Bei dem Kläger bestehe eine geminderte Erwerbsfähigkeit. Die Erwerbsfähigkeit könne jedoch zur Überzeugung des Gerichts durch die Gewährung einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben weder wiederhergestellt noch wesentlich verbessert werden. Diese Einschätzung werde durch die Ausführungen in dem Befundbericht von Dr. F sowie die Erhebungen des gerichtlichen Sachverständigen Dr. B gestützt. Darin komme zum Ausdruck, dass der Kläger unter einer multiplen Persönlichkeitsstörung leide, die mit Konzentrationsstörungen und unzureichender psychischer Belastbarkeit einherginge, und eine günstige Prognose für den Ausgang des Rehabilitationsverfahrens im Hinblick auf die Verbesserung der Erwerbsfähigkeit nicht gestellt werden könne. Durch die Gewährung einer Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben lasse sich zur Überzeugung des Gerichts eine Verbesserung der Erwerbsfähigkeit des Klägers, der im höchsten Maße unter sozialen Anpassungsschwierigkeiten leide, nicht erreichen. Insoweit schließe sich die Kammer den Beurteilungen von Dr. F und Dr. B an, ohne allerdings die Leistungseinschätzung von Dr. B nachvollziehen zu können.

Gegen diesen ihm am 30. Juni 2004 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die von dem Kläger am 23. Juli 2004 eingelegte Berufung, zu deren Begründung er sein bisheriges Vorbringen vertieft. Im Übrigen meint er, dass seine Belastbarkeit und Eignung für eine Rehabilitationsmaßnahme dadurch belegt werde, dass er seit Juni 2004 an einer vom Bezirksamt geförderten rehabilitationsähnlichen Maßnahme teilnehme und in diesem Rahmen in der Recyclingwerkstatt "." arbeite.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 08. Juni 2004 und den Bescheid der Beklagten vom 19. März 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. August 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, seinen Antrag vom 14. Dezember 1998 auf Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.

Weiter beantragt er,

zwecks Aufklärung des augenblicklichen Sachverhalts Herrn Dr. R H und Frau Dr. T vom Sozialpsychiatrischen Dienst R- als Sachverständige zu hören

und

die Sache beim Landesverfassungsgerichtshof wegen Verletzung der Artikel 11 und 20 Absatz 1 VVB vorzulegen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angegriffenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen, die dem Senat vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet. Der angegriffene Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin ist nicht zu beanstanden.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine erneute Bescheidung seines auf Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gerichteten Antrages durch die Beklagte. Vielmehr ist deren ablehnender Bescheid vom 19. März 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. August 2001 rechtmäßig und verletzt ihn nicht in seinen Rechten.

Anspruchsgrundlage für das von dem Kläger prozessual zu Recht mit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage verfolgte Begehren ist § 9 Abs. 2 SGB VI. Danach können u.a. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erbracht werden, wenn die persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen dafür erfüllt sind. Dies ist bei dem Kläger nicht der Fall. Zu Recht ist das Sozialgericht davon ausgegangen, dass der Kläger die nach § 10 SGB VI erforderlichen persönlichen Voraussetzungen nicht erfüllt. Nach Absatz 1 dieser Norm haben diejenigen Versicherten für Leistungen zur Teilhabe die persönlichen Voraussetzungen erfüllt,

1. deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung erheblich gefährdet oder gemindert ist und 2. bei denen voraussichtlich

a) bei erheblicher Gefährdung der Erwerbsfähigkeit eine Minderung der Erwerbs- fähigkeit durch entsprechende Leistungen abgewendet werden kann, b) bei geminderter Erwerbsfähigkeit diese durch entsprechende Leistungen wesent- lich gebessert oder hierdurch deren wesentliche Verschlechterung abgewendet werden kann, c) bei teilweiser Erwerbsminderung ohne Aussicht auf eine wesentliche Besse- rung der Erwerbsfähigkeit der Arbeitsplatz durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erhalten werden kann.

Ob die Erwerbsfähigkeit des Klägers im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI erheblich gefährdet oder gemindert ist, kann dahinstehen. Denn jedenfalls erfüllt der Kläger zur Überzeugung des Senats nicht die unter Nr. 2 aufgeführten Voraussetzungen. In Betracht kommen bei ihm, da er keinen Arbeitsplatz im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 2c) SGB VI innehat, lediglich die unter Nr. 2a) und Nr. 2b) benannten Voraussetzungen. Danach muss – wie die Formulierung "voraussichtlich" zeigt – ein Erfolg der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben wahrscheinlich sein, d.h. es muss nach den besonderen Umständen des Einzelfalles unter Berücksichtigung insbesondere der Leiden, der persönlichen Verhältnisse und der Bereitschaft zur Mitwirkung mehr dafür als dagegen sprechen, dass die Leistung zu einer wesentlichen Besserung oder Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit führen kann. Davon aber, dass dies bei dem Kläger der Fall ist, vermochte sich der Senat nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen nicht zu überzeugen. Im Gegenteil ergibt sich insbesondere aus dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Dr. B, der bei dem Kläger eine tiefgreifende polymorphe Persönlichkeitsstörung mit querulatorischer und hyperthymer symptomatischer Ausgestaltung diagnostiziert hat, dass bei ihm eine Behebung der bestehenden Leistungseinbußen durch Rehabilitationsmaßnahmen gerade nicht zu erwarten ist, diese vielmehr ungeeignet sind, die zugrunde liegende psychische Dynamik zu beeinflussen. Diese Einschätzung des Gutachters deckt sich mit der Beurteilung von Dr. F vom Sozialpsychiatrischen Dienst, der rehabilitative Maßnahmen ebenfalls als nicht Erfolg versprechend angesehen hat. Ebenso wenig ist dem Befundbericht des den Kläger behandelnden Neurologen und Psychiaters R. H zu entnehmen, dass eine Maßnahme zur Teilnahme am Arbeitsleben mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit erfolgreich ist. Allein dass eine stationäre berufliche Rehabilitationsmaßnahmen zur verbindlichen Ermittlung der Leistungsreserven und –defizite sinnvoll sein mag, reicht dafür nicht aus. Im Übrigen vermag auch die Einschätzung der Ärzte der Klinik S den Senat nicht von dem wahrscheinlichen Erfolg einer Rehabilitationsmaßnahme zu überzeugen. Diese haben in ihrem Befundbericht vom 02. Januar 2002 sowie in ihrem Arztbrief vom 18. September 2001 zwar angegeben, dass sie die Absichten des Klägers hinsichtlich einer beruflichen Rehabilitation unterstützen würden. Zugleich haben sie jedoch ihre erhebliche Skepsis bzgl. der Erfolgschancen zum Ausdruck gebracht. Sonstige Erkenntnisse, die eine andere Beurteilung rechtfertigen könnte, liegen nicht vor. Insbesondere folgt auch nicht aus der vom Kläger dreimal wöchentlich für jeweils zwei Stunden in einer Recycling-Werkstatt bei " e.V." in einem "geschützten" Übungsfeld ausgeübten Tätigkeit, dass seine Erwerbsfähigkeit durch weitergehende berufliche Rehabilitationsmaßnahmen voraussichtlich erhalten bzw. wesentlich gebessert werden kann.

Anlass zu weiteren medizinischen Ermittlungen hatte der Senat nicht. Dies gilt auch, soweit der Kläger beantragt hat, zwecks Aufklärung des augenblicklichen Sachverhalts seinen behandelnden Arzt Dr. R H und Frau Dr. T vom Sozialpsychiatrischen Dienst - als Sachverständige zu hören. Mangels Angabe eines klaren Beweisthemas handelt es sich insoweit um einen Beweisermittlungsantrag, dem der Senat nicht nachzugehen hatte. Denn da der Kläger nicht vorgetragen hat, was konkret die Beweisaufnahme ergeben soll, hatte das Gericht keine Möglichkeit, die Erheblichkeit der Beweisaufnahme und die Tauglichkeit der benannten Beweismittel zu beurteilen.

Schließlich war der Senat auch nicht gehalten, die Sache dem Landesverfassungsgerichtshof vorzulegen, da die rechtlichen Voraussetzungen dazu nicht gegeben sind. Insbesondere sind die des Art. 100 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes nicht gegeben. Nach dieser Vorschrift hat ein Gericht, das ein Gesetz , auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig hält, das Verfahren auszusetzen und, wenn es sich um die Verletzung der Verfassung eines Landes handelt, die Entscheidung des für Verfassungsstreitigkeiten zuständigen Gerichtes des Landes einzuholen. Anhaltspunkte dafür, dass eine der vom Senat herangezogenen Vorschriften gegen die Verfassung von Berlin verstoßen könnte, liegen jedoch nicht vor. Dies gilt auch für die von dem Kläger benannten Artikel 11 und 20 Absatz 1 der Verfassung von Berlin.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.

Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil ein Grund hierfür nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegt.
Rechtskraft
Aus
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