L 16 RA 16/04

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 16 RA 3774/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 RA 16/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 13. Januar 2004 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht Berlin zurückverwiesen. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung (EM).

Der 1956 geborene Kläger erlernte nach seinen Angaben Mitte der 1970er Jahre die Berufe des Datenverarbeitungskaufmanns sowie des Einzelhandelskaufmanns. Bis Dezember 1987 war er mit Unterbrechungen in verschiedenen Tätigkeiten versicherungspflichtig beschäftigt (Lagerarbeiter, Verkäufer, Kommissionierer, Fahrer etc.). Vom 1. September 1989 bis zum 29. Februar 1992 absolvierte er beim Bezirksamt Z von B eine Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten. Anschließend übte er diese Tätigkeit beim Bezirksamt Z (bis 15. April 1992) und im Sozialamt des Bezirksamts T (seit 16. April 1992) versicherungspflichtig aus. Seit dem 3. Februar 2003 ist der Kläger wegen psychischer Beschwerden arbeitsunfähig krank.

Der Kläger ist wegen einer Funktionsminderung der Wirbelsäule und der oberen Gliedmaßen, einer tablettenpflichtigen Zuckerkrankheit und psychischer Beschwerden als Schwerbehinderter mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 50 anerkannt (Bescheid des Versorgungsamtes Berlin vom 31. August 2001).

Im Dezember 2001 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von "Berufs- und/oder Erwerbsunfähigkeitsrente nach den gesetzlichen Vorgaben dieses Jahres 2001". Er bezog sich insoweit auf Krankheitsbilder im neurologisch-psychiatrischen, im hals-nasen-ohrenärztlichen, im internistischen und im orthopädischen Fachbereich. Die Beklagte ließ den Kläger durch den Neurologen und Psychiater Dr. T untersuchen und begutachten. Dieser Arzt gelangte in dem Gutachten vom 30. April 2002 (Untersuchung vom 23. April 2002) zu der Einschätzung, dass der Kläger seine bisherige Tätigkeit als Sachbearbeiter für mindestens sechs Stunden am Tag verrichten könne. Der Internist Dr. K sprach sich in dem Gutachten vom 1. Juni 2002 (Untersuchung vom 25. April 2002) dafür aus, dass der Kläger unter Beachtung weiterer qualitativer Leistungseinschränkungen noch mindestens für sechs Stunden als Verwaltungsangestellter im Sozialamt tätig sein könne. Durch Bescheid vom 27. Juni 2002 lehnte die Beklagte die Gewährung von Rente wegen teilweiser bzw. voller EM ab.

Im Widerspruchsverfahren legte der Kläger Atteste des Hautarztes Dr. E vom 14. August 2002, des Hals-Nasen-Ohrenarztes Dr. S vom 15. Februar 2002, des Psychiaters Dipl.-Med. L und des Allgemeinmediziners Dr. K vom 26. August 2002 vor. Die Beklagte zog daraufhin Befund- und Behandlungsberichte der den Kläger behandelnden Ärzte bei, und zwar von Dr. S vom 18. Januar 2003, dem Orthopäden Dr. M vom 5. Januar 2003, Dr. K vom 15. Januar 2003 und dem Psychiater L vom 3. Februar 2003. Nach Einholung eines Vorerkrankungsverzeichnisses von der BKK V veranlasste die Beklagte ein weiteres Gutachten bei der Hals-Nasen-Ohrenärztin Dr. W. In dem Gutachten vom 11. März 2003 (Untersuchung vom selben Tage) führte die Ärztin aus, dass der Kläger noch sechs Stunden und mehr am Tag seiner Tätigkeit als Verwaltungsfachangestellter nachgehen könne. Des Weiteren gab die Beklagte bei dem Nervenarzt Dr. Z ein Gutachten in Auftrag, welches am 20. März 2003 gefertigt wurde (Untersuchung vom 13. März 2003). Der Kläger sei noch in der Lage unter Berücksichtigung qualitativer Leistungseinschränkungen vollschichtig körperlich leichte Arbeiten zu verrichten und auch noch mindestens sechs Stunden als Verwaltungsangestellter tätig zu sein. Schließlich beauftragte die Beklagte noch den Orthopäden Dr. W mit der Erstellung eines Gutachtens, welches am 8. März 2003 (Untersuchung vom selben Tage) gefertigt wurde. Der Kläger könne noch mindestens sechs Stunden am Tag als Verwaltungsfachangestellter tätig sein und unter Beachtung weiterer qualitativer Leistungseinschränkungen vollschichtig leichte körperliche Arbeiten ausführen. Der Widerspruch wurde durch den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 23. Juni 2003 zurückgewiesen.

Im Klageverfahren hat der Kläger vorgebracht, sein Leistungsvermögen für seinen bisherigen Beruf und überhaupt für Tätigkeiten von wirtschaftlichem Wert auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sei aufgehoben. Seine Tätigkeit als Sachbearbeiter im Sozialamt umfasse zu 70 % Publikumsverkehr. Sie sei mit Lärm (Straße, Publikum), häufigem Tragen von Akten, Stress infolge Besucherverkehrs und Hörproblemen belastet. Die Arbeitszeit betrage täglich zwischen 10 und 12 Stunden. Ein anderweitiger Arbeitseinsatz sei nicht möglich, da das Bezirksamt einer Versetzung nicht zustimme. Außerdem habe sich sein Gesundheitszustand weiterhin verschlechtert. Nach der Feststellung seines Augenarztes sei ein grauer Star beiderseits hinzugekommen. Im I-Krankenhaus (Dr. S) sei im August 2003 die Diagnose einer Osteoporose im Anfangsstadium gestellt worden. Ferner sei durch den Lungenarzt Dr. L ein Asthma bronchiale diagnostiziert worden; auf das von dem Kläger vorgelegte Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dipl.-Med. M vom 18. September 2003, erstellt für den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) Berlin-Brandenburg e.V., wird Bezug genommen.

Die Beklagte hat daraufhin ausgeführt, sie empfehle, zunächst von dem behandelnden Nervenarzt, vom Lungenfacharzt und vom Augenarzt einen Befundbericht einzuholen. In der mündlichen Verhandlung vom 13. Januar 2004 hat sie angeregt, eine Arbeitgeberauskunft zur tatsächlichen Ausgestaltung des Arbeitsplatzes des Klägers einzuholen.

Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die auf Gewährung einer Rente wegen EM ab dem 1. Januar 2002 gerichtete Klage mit Urteil vom 13. Januar 2004 abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei nicht begründet. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen EM nach den §§ 43, 240 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI). Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens, insbesondere nach dem Inhalt der im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten, stehe fest, dass der Kläger gesundheitlich noch in der Lage sei, die Tätigkeit als Verwaltungsfachangestellter mindestens sechs Stunden täglich auszuüben. Er könne zwar nicht mehr die Tätigkeit eines Sachbearbeiters im Sozialamt ausüben, soweit sich diese auf die ständige Präsenz im Publikumsverkehr beziehe. Es sei ihm aber gesundheitlich möglich und zumutbar, eine Reihe anderer Tätigkeiten aus dem Berufsfeld des Verwaltungsangestellten im nichttechnischen Dienst vollwertig auszuüben. Die Tätigkeitsfelder der Verwaltungsfachangestellten richteten sich nach den unterschiedlichen Aufgabenstellungen der einzelnen Verwaltungsbereiche. Sie seien verbunden mit spezifischen Anforderungen des einzelnen Verwaltungszweiges. Unterschiede bestünden insbesondere nach Art und Umfang der im Innenbereich der Verwaltung zu erledigenden Aufgaben und der nach außen gerichteten Tätigkeiten. Das Haushalts-, Kassen-, Personal- und Organisationswesen gehöre zu den nach innen gerichteten Aufgaben. Demgegenüber erforderten die nach außen gerichteten Aufgaben vielfältige Kontakte zu Bürgern, Einrichtungen der Wirtschaft etc ... Es handele sich um eine Tätigkeit, die körperlich leicht sei und in vorwiegend geschlossenen, temperierten, zum Teil klimatisierten Räumen verrichtet werde. Die Tätigkeit bedinge eine überwiegend sitzende Haltung, zeitweise im Gehen und Stehen, Handgeschick zur Aktenbearbeitung und Bedienung von Büromaschinen, Bildschirmtauglichkeit und ein normales Hör- und Sprechvermögen. Demgegenüber bedinge die Tätigkeit kein Heben und Tragen schwerer Lasten. Nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen stehe fest, dass der Kläger in seinem bisherigen Beruf noch vollwertig für mindestens sechs Stunden täglich tätig sein könne. Soweit demgegenüber Dipl.-Med. M in dem Gutachten für den MDK befinde, dass in Anbetracht der Dauer und Schwere des psychischen Leidens eine Beendigung der Arbeitsunfähigkeit in absehbarer Zeit nicht zu erwarten sei, stehe dies nicht im Widerspruch zu den Ausführungen der Gutachter des Verwaltungsverfahrens. Arbeitsunfähigkeit sei indes ein Begriff, der als Grundlage für den Anspruch auf Krankengeld aus der Krankenversicherung stamme. Der Maßstab, ob der Kläger noch im Stande sei, seine, d.h. die zuletzt verrichtete, Arbeit zu leisten, unterscheide die Arbeitsunfähigkeit von der Berufsunfähigkeit, eine Identität der Begriffe gebe es nicht. Anhaltspunkte für weitergehende medizinische Ermittlungen ergäben sich auch nicht auf Grund des diagnostizierten beginnenden grauen Stars. Der graue Star bedinge als Erkrankung keine Beeinträchtigung, lediglich die dadurch verursachten Funktionsminderungen, wie z.B. Visusabnahme, Gesichtsfelddefekte. Eine Dauermedikation, die bei dem Kläger noch nicht vorliege, führe indes nur selten zu beruflicher Einschränkung. Katarakte würden operativ durch implantierte Hinterkammer-Kunststofflinsen versorgt. Mit heutigen Operationstechniken würden optimale Sehverhältnisse wieder hergestellt (vgl. Sozialmedizinische Begutachtung in der gesetzlichen Rentenversicherung, 5. Auflage, S. 526). Bestehe aber kein Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser EM bei Berufsunfähigkeit (BU), sei für den Kläger auch der Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen EM gemäß § 43 SGB VI ausgeschlossen, weil dafür noch eine weitergehendere Leistungseinschränkung erforderlich sei.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren auf Gewährung einer Versichertenrente wegen EM weiter.

Der Kläger beantragt (vgl. Sitzungsniederschrift des SG vom 13. Januar 2004),

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 13. Januar 2004 und den Bescheid der Beklagten vom 27. Juni 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juni 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen Erwerbsminderung ab dem 1. Januar 2002 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die zum Verfahren eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung des Rechtsstreits an das SG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG begründet. Das von dem Kläger angegriffene Urteil des SG leidet an wesentlichen Verfahrensmängeln. Denn das SG hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt (§§ 62, 128 Abs. 2 SGG, Artikel 103 Abs. 1 Grundgesetz -GG-) und den Sachverhalt unzureichend aufgeklärt und damit gegen die ihm obliegende Amtsermittlungspflicht gemäß §§ 103, 106 SGG verstoßen. Ungeachtet dessen, dass der Kläger ausweislich der Sitzungsniederschrift des SG vom 13. Januar 2004 nur eine Rente wegen EM geltend gemacht hat, ergibt sich aus seinem Vorbringen, dass er die Gewährung einer Rente wegen voller EM, hilfsweise wegen teilweiser EM bzw. teilweiser EM bei BU erstrebt. Die geltend gemachten Rentenansprüche des Klägers richten sich nach den §§ 43, 240 SGB VI. Nach § 240 Abs. 1 SGB VI besteht ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser EM bei BU, wenn die Versicherten u.a. berufsunfähig sind. Berufsunfähig sind Versicherte gemäß § 240 Abs. 2 SGB VI, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zu der Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen. Ein Anspruch auf Rente wegen voller EM gemäß § 43 Abs. 2 SGB VI setzt u.a. voraus, dass die Versicherten voll erwerbsgemindert sind, also wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Rente wegen teilweiser EM gemäß § 43 Abs. 1 SGB VI ist demgegenüber bereits dann zu gewähren, wenn die Versicherten u.a. außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Ausgangspunkt bei der Prüfung der BU und der vollen oder teilweisen EM ist der bisherige Beruf des Versicherten. Bisheriger Beruf ist dabei die zuletzt konkret versicherungspflichtig ausgeübte Beschäftigung (Niesel in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Band 2, Stand August 2004, § 240 SGB VI, Rdnr. 10). Das war nach den Feststellungen des SG die vom Kläger seit 16. April 1992 beim Sozialamt des Bezirksamts T verrichtete Tätigkeit eines Verwaltungsfachangestellten.

Bei der anzustellenden Prüfung, ob der Kläger darin seinen bisherigen Beruf noch ausüben kann, hat das SG aber den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (§§ 62, 128 Abs. 2 SGG, Artikel 103 Abs. 1 GG) dadurch verletzt, dass es das Urteil insoweit auf berufskundliche Erkenntnisse zum Beruf des Verwaltungsfachangestellten gestützt hat, zu denen sich die Beteiligten nicht hatten äußern können. Zwar erfordert der Anspruch auf rechtliches Gehör nicht, dass das Gericht alle Gesichtspunkte, die es seiner Entscheidung zu Grunde legen will, vorab den Verfahrensbeteiligten mitzuteilen hat, doch sind so genannte Überraschungsentscheidungen verboten. Dementsprechend ist das Gericht verpflichtet, auf neue rechtliche Gesichtspunkte sowie auf eine unvorhersehbare Würdigung an sich bekannter Tatsachen hinzuweisen (vgl. BSG, Urteil vom 16. November 2000 -B 13 RJ 17/00 R- = SGb 2001, 72). Gegen diesen Grundsatz hat das SG verstoßen, indem es berufskundliche Erkenntnisse in Bezug auf die Tätigkeit eines Verwaltungsfachangestellten seinem Urteil zu Grunde gelegt hat, ohne dass es den Beteiligten zuvor diese Erkenntnisse mitgeteilt hatte. Dadurch war den Beteiligten die Möglichkeit einer Auseinandersetzung mit den Feststellungen des SG genommen worden (§ 128 Abs. 2 SGG) und sie hatten keine Möglichkeit, gegebenenfalls Einwendungen vorzubringen und Beweisanträge zu stellen. Das SG wird daher die berufskundlichen Erkenntnisse, die es seiner erneuten Entscheidung zu Grunde legen will, förmlich in das Verfahren einzuführen haben.

Des Weiteren ist nicht erkennbar, ob die Erkenntnisse des SG zum Beruf des Verwaltungsfachangestellten auf gerichtskundigen Tatsachen beruhen, z.B. auf Erkenntnissen aus einem anderen Verfahren des SG, oder ob das SG über eine besondere Sachkunde verfügt, die es ebenfalls den Beteiligten vor seiner Entscheidung mitteilen müsste. Um allgemein bekannte Tatsachen handelt es sich bei den Anforderungen an die Tätigkeit eines Verwaltungsfachangestellten jedenfalls nicht. Damit kommt auch ein Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht des § 103 SGG für den Fall in Betracht, dass die berufskundlichen Erkenntnisse weder auf besonderer Sachkunde des Gerichts beruhen noch als gerichtsbekannt der Entscheidung zu Grunde gelegt worden sind, denn dann hätte das SG selber berufskundliche Ermittlungen anstellen müssen, indem es etwa, wie von der Beklagten im Termin vom 13. Januar 2004 angeregt, eine Arbeitgeberauskunft zur tatsächlichen Ausgestaltung des Arbeitsplatzes des Klägers eingeholt hätte. Das SG wird daher in Bezug auf die von ihm zu Grunde gelegten berufskundlichen Erkenntnisse darlegen müssen, aus welchen Verfahren diese Erkenntnisse gewonnen wurden bzw. worauf die besondere Sachkunde des Gerichts beruht; falls dies nicht möglich ist, wird es eigene Ermittlungen in Bezug auf das Anforderungsprofil des "bisherigen Berufs" des Klägers anzustellen haben.

Außerdem hat das SG bei der Ermittlung des verbliebenen Leistungsvermögens des Klägers erneut gegen den Grundsatz der Gewährung des rechtlichen Gehörs verstoßen, indem es in den Urteilsgründen in Bezug auf das Vorbringen des Klägers, sein Gesundheitszustand habe sich infolge einer Augenerkrankung ("Grauer Star") verschlechtert, auf medizinische Erkenntnisse aus "Sozialmedizinische Begutachtung in der gesetzlichen Rentenversicherung, 5. Auflage, Seite 526" Bezug genommen hat, ohne diese Erkenntnisse zuvor in das Verfahren eingeführt zu haben. Auch insoweit hat das SG das Urteil auf entscheidungserhebliche Gesichtspunkte gestützt, zu denen sich die Beteiligten nicht hatten äußern können (§ 128 Abs. 2 SGG).

Schließlich sind die tatsächlichen Feststellungen des SG zum Restleistungsvermögen des Klägers insoweit fehlerhaft, als gegen die Amtsermittlungspflicht der §§ 103, 106 SGG verstoßen wurde. Der Sachverhalt ist hiernach von Amts wegen zu erforschen. Das Ausmaß der Ermittlungen steht zwar im Ermessen des Gerichts (BSGE 30, 205), es müssen jedoch alle Tatsachen ermittelt werden, die entscheidungserheblich sind. Der Sachverhalt muss so weit aufgeklärt werden, dass entweder eine Tatsache als erwiesen oder eine Behauptung als widerlegt angesehen werden kann oder weitere Beweismittel, die weitere Aufklärung bringen können, nicht zur Verfügung stehen (vgl. BSG, Urteil vom 26. August 1994 -B 13 RJ 9/94- = HVBG-Info 1995, 307 - 312). Der Eintritt von BU oder voller oder teilweiser EM im Sinne der §§ 43, 240 SGG war zumindest nicht für den bei der hier einschlägigen kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1, 4 SGG) streitigen Zeitraum bis zur mündlichen Verhandlung ohne weitere Beweiserhebung auszuschließen, denn der Kläger hat vorgetragen, dass sich sein gesundheitlicher Zustand weiterhin verschlechtert habe. Das Gericht braucht zwar nicht bloßen Vermutungen oder jedem unsubstantiierten Vorbringen der Beteiligten nachzugehen. Insbesondere Ermittlungen auf medizinischem Gebiet sind nur erforderlich, wenn für die behaupteten Tatsachen und Zusammenhänge nach den gesamten Umständen des Falles ein Minimum an Plausibilität gegeben ist (vgl. BSG, Urteil vom 2. Oktober 1996 -6 BKa 63/95- nicht veröffentlicht). Von letzterem ist im vorliegenden Fall aber auszugehen, denn bereits das von dem Kläger eingereichte Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dipl.-Med. M vom 18. September 2003 legt zumindest die konkrete Möglichkeit einer Verschlechterung des psychischen Krankheitsbildes nahe, indem ausgeführt wird, dass eine Übereinstimmung des Leistungsvermögens des Klägers mit dem Anforderungsprofil der zuletzt ausgeübten Tätigkeit nicht gegeben sei. Gleiches gilt für den Vortrag des Klägers, eine Verschlechterung seines Leistungsvermögens sei auch auf augenärztlichem ("Grauer Star"), orthopädischem (Feststellung einer Osteoporose durch Dr. S im August 2003) und lungenfachärztlichem (Diagnostizierung eines Asthma bronchiale durch Dr. L) Gebiet eingetreten. Eine Erörterung des Restleistungsvermögens des Klägers unter alleiniger Bezugnahme auf das umfangreiche Ermittlungsergebnis der Beklagten, welches aber den gesundheitlichen Zustand des Klägers nur bis Ende März 2003 wiedergibt, wird damit seinem Vortrag nicht gerecht. Daher hätte sich das SG zumindest veranlasst sehen müssen, Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte einzuholen, wie es die Beklagte empfohlen hatte, und gegebenenfalls anschließend einen oder mehrere medizinische Sachverständige einsetzen müssen, um das derzeitige Restleistungsvermögen des Klägers festzustellen. Das SG wird die erforderlichen medizinischen Ermittlungen nachzuholen haben.

Die Verfahrensmängel sind auch wesentlich, da das Urteil des SG auf ihnen beruhen kann. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das SG im Fall der Gewährung rechtlichen Gehörs und weiterer Sachverhaltsaufklärung zu einem anderen Ergebnis hinsichtlich der Begründetheit der erhobenen Ansprüche gelangt wäre.

Im Hinblick auf den Umfang der vorzunehmenden Ermittlungen hält es der Senat nicht für zweckmäßig, in der Sache selbst zu entscheiden. Er hat deshalb von der in § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG eröffneten Möglichkeit der Zurückverweisung an die erste Tatsacheninstanz Gebrauch gemacht.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Urteil des SG vorbehalten; es wird dabei über die gesamten Kosten des Verfahrens zu entscheiden haben (vgl. BSG SozR 5870 § 2 Nr. 62).

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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