L 28 AL 185/04

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
28
1. Instanz
SG Frankfurt (Oder) (BRB)
Aktenzeichen
S 7 AL 344/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 28 AL 185/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor des Urteils des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 19. Mai 2004 wie folgt geändert wird: Der Bescheid der Beklagten vom 24. Oktober 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. März 2003 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, den Bescheid vom 24. Juli 2002 zu ändern und der Bewilligung von Arbeitslosengeld für den Zeitraum vom 01. Juli 2002 bis zum 31. Dezember 2002 ein Bemessungsentgelt in Höhe von 795,00 EUR zugrunde zu legen. Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten nach Abschluss eines Teilvergleiches in der Berufungsinstanz über die Höhe des bei der Berechnung von Arbeitslosengeld (Alg) zu Grunde zu legenden Bemessungsentgeltes.

Der 1962 geborene Kläger war seit Juni 1995 bei der Firma S B GmbH in E, zuletzt als Bauleiter, beschäftigt. Im Monat Februar 2002 leistete er Kurzarbeit und erhielt Kurzarbeitergeld. Nach der von der ehemaligen Arbeitgeberin ausgestellten Arbeitsbescheinigung vom 29. Mai 2002 betrug das monatliche Bruttoentgelt des Klägers für eine 39-Stundenwoche im Juli 2001 3.613,94 EUR, im August 2001 3.625,21 EUR, im September 2001 3.636,38 EUR, im Oktober 2001 3.306,75 EUR, im November 2001 3.306,75 EUR, im Dezember 2001 3.306,75 EUR, im Januar 2002 3.065,35 EUR, im Februar 2002 2.966,67 EUR, im März 2002 2.966,67 EUR, im April 2002 2.966,67 EUR, im Mai 2002 2.966,67 EUR und im Juni 2002 2.966,67 EUR, insgesamt 38.694,48 EUR.

Das Beschäftigungsverhältnis wurde von der Firma S B GmbH am 26. März 2002 unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist zum 30. Juni 2002 gekündigt. Am 23. Mai 2002 meldete sich der Kläger bei dem Arbeitsamt E zum 1. Juli 2002 arbeitslos und beantragte Alg. Zu diesem Zeitpunkt war in der Lohnsteuerkarte des Klägers die Lohnsteuerklasse 3 und 1,0 Kinderfreibetrag eingetragen. Der Kläger wies in seinem Antrag darauf hin, noch Ansprüche gegen seine Arbeitgeberin für die Zeit nach seinem Ausscheiden zu erheben und eine Kündigungsschutzklage gegen seine Arbeitgeberin eingereicht zu haben.

Mit Schreiben vom 23. Juli 2002 teilte die Beklagte dem Kläger im Hinblick auf die geltend gemachten Arbeitsentgeltansprüche mit, dass bei Zuerkennung solcher Ansprüche der Alg-Anspruch in entsprechender Höhe ruhen könne, sie aber gleichwohl leiste und die Arbeitsentgeltansprüche bis zur Höhe der gewährten Leistungen auf sie übergingen.

Ausgehend von dem in der Arbeitsbescheinigung vom 29. Mai 2002 ausgewiesenen Bruttoarbeitsentgelt bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 24. Juli 2002 dem Kläger Alg ab dem 1. Juli 2002 für 360 Kalendertage in Höhe von 380,46 EUR wöchentlich (Bemessungsentgelt 745 EUR/Leistungsgruppe C/Leistungssatz 67 v. H./SGB III-Leistungsentgelt – VO 2002).

Auf die vom Kläger wegen der Kündigung des Arbeitsverhältnisses erhobenen Kündigungsschutzklage stellte das Arbeitsgericht E mit Urteil vom 12. September 2002 (Az.: ) fest, dass das Arbeitsverhältnis nicht zum 30. Juni 2002 beendet worden war.

Ebenfalls mit Urteil vom 12. September 2002 (Az.: ) verurteilte das Arbeitsgericht E die ehemalige Arbeitgeberin des Klägers zur Zahlung von insgesamt 10.250,03 EUR wegen rückständiger Lohnzahlungen. In den Entscheidungsgründen des Urteils heißt es, der Kläger habe für die Monate Oktober 2001 bis August 2002 Anspruch auf eine monatliche Bruttovergütung einschließlich einer vereinbarten Zulage in Höhe von insgesamt 3.394,98 EUR. Deshalb sei die ehemalige Arbeitgeberin zur Nachzahlung der in diesem Zeitraum unberechtigt einbehaltenen Differenzbeträge verpflichtet, mit Ausnahme des Differenzbetrages für den Monat Februar 2002, weil in diesem Monat zu Recht Kurzarbeit angeordnet worden sei. Beide arbeitsgerichtlichen Entscheidungen sind rechtskräftig.

Wegen seit Juli 2002 ausstehender Lohnzahlung kündigte der Kläger das Arbeitsverhältnis fristlos zum 30. September 2002. Für die Monate Juli, August und September 2002 erhielt er Insolvenzgeld.

Am 16. Oktober 2002 sprach der Kläger persönlich bei der Beklagten vor und reichte die beiden Urteile des Arbeitsgerichts E vom 12. September 2002 sowie eine Arbeitbescheinigung der ehemaligen Arbeitgeberin (ohne Datum) zu den Akten, worin diese nunmehr für den Zeitraum von Oktober 2001 bis September 2002 ein monatliches Bruttoentgelt in Höhe von 3.636,38 EUR bescheinigte.

Die Beklagte wertete das Begehren des Klägers als Antrag auf Überprüfung des Bewilligungsbescheides vom 24. Juli 2002 gem. § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch –SGB X - und lehnte mit Bescheid vom 24. Oktober 2002 die Neuberechnung des dem Kläger ab dem 1. Juli 2002 bewilligten Alg unter Berücksichtigung der in der von der ehemaligen Arbeitgeberin des Klägers korrigierten Arbeitsbescheinigung ausgewiesenen höheren Bruttoarbeitsentgelte ab. Der Bewilligungsbescheid vom 24. Juli 2002 sei nicht zu beanstanden, weil gem. § 134 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – SGB III – nach dem Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis in nachträglicher Vertragserfüllung festgestelltes Arbeitsentgelt nur zu berücksichtigen sei, soweit es abgerechnet und ausgezahlt worden sei. Das vom Arbeitsgericht zugesprochene Arbeitsentgelt könne deshalb nur berücksichtigt werden, soweit der tatsächliche Zufluss der Differenzbeträge vom Kläger nachgewiesen werde. Dieser Nachweis sei durch den Kläger bislang nicht erfolgt. Da das Recht richtig angewandt worden sei, sei der Bewilligungsbescheid nicht gem. § 44 SGB X zurückzunehmen.

Mit seinem mit Schreiben vom 1. November 2002 eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, der Ermittlung des Bemessungsentgeltes sei ein monatliches Bruttogehalt in Höhe von 3.724,61 EUR zu Grunde zu legen, weil ihm dieses Bruttogehalt nach den Feststellungen des Arbeitsgerichts E im Urteil vom 12. September 2002 im Bemessungszeitraum zugestanden habe. Zwar sei dieses Bruttoentgelt tatsächlich nicht an ihn ausgezahlt worden, es gelte jedoch gleichwohl als im Sinne von § 134 Abs. 1 SGB III erzielt, da es nur wegen der inzwischen eingetretenen Zahlungsunfähigkeit der ehemaligen Arbeitgeberin nicht zugeflossen sei. Denn die S B GmbH habe bereits im August 2002 einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt. Dem Schreiben fügte der Kläger eine Kopie des Beschlusses des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) vom 5. September 2002 (Az.: ) bei, wodurch vorläufige Maßnahmen zur Sicherung der Masse über das Vermögen der Firma S B GmbH angeordnet worden waren.

Am 6. Januar 2003 wurde über das Vermögen der Firma S B GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet.

Durch Änderungsbescheid vom 20. Januar 2003 passte die Beklagte unter Zugrundelegung eines unveränderten Bemessungsentgeltes von 745,00 EUR den Alg-Leistungssatz ab 1. Januar 2003 aufgrund der zu diesem Zeitpunkt in Kraft getretenen Leistungsentgelt-VO 2003 an. Hiergegen legte der Kläger unter dem 3. Februar 2003 Widerspruch ein.

Mit Widerspruchsbescheid vom 18. März 2003 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 24. Oktober 2002 als unbegründet zurück.

Daraufhin hat der Kläger am 17. April 2003 Klage vor dem Sozialgericht Neuruppin erhoben, welches den Rechtsstreit durch Beschluss vom 1. September 2003 an das Sozialgericht Frankfurt (Oder) verwiesen hat.

Der Kläger hat sich zum 1. Juli 2003 wegen der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit aus dem Leistungsbezug abgemeldet, woraufhin die Beklagte mit Bescheid vom 22. Juli 2003 die Bewilligung des Alg mit Wirkung zum 1. Juli 2003 aufgehoben hat.

Am 1. Februar 2004 hat sich der Kläger erneut arbeitslos gemeldet. Auf seinen Antrag hat ihm die Beklagte, ausgehend von dem in der ersten Arbeitsbescheinigung ausgewiesenen Bruttoarbeitsentgelt, durch Bescheid vom 1. März 2004 vorläufig gem. § 328 Abs. 1 Satz 3 SGB III Alg ab dem 1. Februar 2004 für noch 87 Kalendertage (Anspruch erschöpft am 27. April 2004) in Höhe von wöchentlich 335,30 EUR (Bemessungsentgelt 745 EUR wöchentlich/Leistungsgruppe C/Leistungssatz 67 v. H./SGB III Leistungsentgelt-VO 2004) bewilligt. Gegen diesen Bescheid hat der Kläger mit Schreiben vom 31. März 2004 Widerspruch eingelegt.

Auf Antrag des Klägers vom 30. März 2004 hat ihm die Beklagte durch Bescheid vom 8. April 2004 Arbeitslosenhilfe ab dem 28. April 2004 in Höhe von 285,25 EUR wöchentlich (Bemessungsentgelt 745 EUR wöchentlich/Leistungsgruppe C/Leistungssatz 57 v. H./SGB III Leistungsentgelt-VO 2004) bewilligt.

Den Widerspruch des Klägers vom 31. März 2004 gegen den Bescheid vom 1. März 2004 hat die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 3. Mai 2004 mit der Begründung zurückgewiesen, die lediglich vorläufige Bewilligung sei zu Recht erfolgt.

Der Kläger hat sein Begehren nach Berücksichtigung eines höheren Bemessungsentgeltes vor dem Sozialgericht weiterverfolgt und beantragt,

den Bescheid vom 24. Oktober 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. März 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 24. Juli 2002 – geändert durch Bescheid vom 20. Januar 2003 – sowie den Bescheid vom 1. März 2004 und den Bescheid vom 8. April 2004 abzuändern und der Bewilligung von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe unter fortlaufender Anpassung ein Bemessungsentgelt von wöchentlich 795,00 EUR zu Grunde zu legen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat zur Begründung auf die von ihr im Verwaltungsverfahren vertretene Ansicht verwiesen.

Das Sozialgericht Frankfurt (Oder) hat durch Urteil vom 19. Mai 2004 der Klage stattgegeben. Der Berechnung des dem Kläger bewilligten Alg sowie der Arbeitslosenhilfe sei ein Bemessungsentgelt in Höhe von wöchentlich 795 EUR zu Grunde zu legen, weil entgegen der Auffassung der Beklagten für den Zeitraum Oktober 2001 bis Juni 2002 das vom Arbeitsgericht E rechtskräftig festgestellte Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von monatlich 3.394,98 EUR zu berücksichtigen sei. Der Anspruch des Klägers hierauf habe schon bei seinem Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis bestanden, auch wenn das Arbeitsgericht hierüber erst später entschieden habe.

Zwar habe der Kläger im Februar 2002 wegen der rechtmäßig angeordneten Kurzarbeit keinen Anspruch auf Auszahlung des ihm vertraglich zustehenden Bruttoarbeitsentgeltes in Höhe von 3.394,98 EUR gehabt, gem. § 134 Abs. 2 Nr. 3 SGB III sei dieser Betrag gleichwohl der Berechnung des Bemessungsentgeltes zu Grunde zu legen. Dem stehe auch nicht entgegen, dass die von der ehemaligen Arbeitgeberin rechtswidrig einbehaltenen und von der Beklagten nicht berücksichtigen Differenzbeträge wegen der zwischenzeitlich eingetretenen Insolvenz der ehemaligen Arbeitgeberin dem Kläger tatsächlich nicht zugeflossen sind, denn dieser Nichtzufluss beruhe ausschließlich auf der Insolvenz der ehemaligen Arbeitgeberin und sei deshalb gem. § 134 Abs. 1 Satz 2 SGB III unbeachtlich.

Die von der Arbeitgeberin in der korrigierten Arbeitsbescheinigung bescheinigten höheren Bruttoarbeitsentgelte seien hingegen nicht zu berücksichtigen, weil dem Kläger diese Beträge nicht durch das Arbeitsgericht E zugesprochen und ihm auch nicht ausgezahlt worden seien. Da mithin das Recht bei Erlass der angefochtenen Bewilligungsbescheide unrichtig angewandt worden sei, sei die Beklagte gem. § 44 Abs. 1 SGB X verpflichtet, diese Bescheide abzuändern. Deshalb sei der die Abänderung ablehnende Bescheid vom 24. Oktober 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. März 2003 rechtswidrig.

Gegen das der Beklagten am 23. August 2004 zugestellte Urteil hat sie am 15. September 2004 Berufung eingelegt.

Sie ist bei ihrer Auffassung verblieben, wonach lediglich das in der Arbeitsbescheinigung vom 29. Mai 2002 bescheinigte und nicht das nachträglich durch das Arbeitsgericht E festgestellte Bruttoarbeitsentgelt zu berücksichtigen sei. Nach der Regelung des § 134 Abs. 1 Satz 2 SGB III, der die Fortführung des von der Rechtsprechung entwickelten Anspruchs- und Zuflussprinzips beinhalte, gelten Arbeitsentgelte, auf die der Beschäftigte bei Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis Anspruch habe, nur insoweit als erzielt, als sie tatsächlich zugeflossen oder nur wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht zugeflossen seien. Die Berücksichtigung von in nachträglicher Vertragserfüllung zuerkannten Ansprüchen stelle bereits eine Ausnahme vom eigentlichen Prinzip der Berücksichtigung nur von tatsächlich zugeflossenen Ansprüchen dar, wonach nur Arbeitsentgelt berücksichtigt werden sollte, für das auch tatsächlich Versicherungsbeiträge geleistet worden sind. Eine weitergehende Ausnahme vom Anspruchs- und Zuflussprinzip könne der Regelung des § 134 Abs. 1 SGB III nicht entnommen werden. Deshalb führe auch die Zahlungsunfähigkeit der ehemaligen Arbeitgeberin des Klägers zu keinem anderen Ergebnis, denn bei Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis sei die ehemalige Arbeitgeberin noch nicht zahlungsunfähig gewesen, so dass der Nichtzufluss der Differenzbeträge nicht nur auf der Zahlungsunfähigkeit beruht habe, sondern auch auf der vertragswidrigen Minderung der Gehaltsansprüche durch die ehemalige Arbeitgeberin. Dieser Fall werde von der Ausnahmeregelung des § 134 Abs. 1 Satz 2 SGB III jedoch nicht erfasst.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung haben die Beteiligten einen Teilvergleich geschlossen, u.a. wonach das Gericht nur über die Höhe des Alg für die Zeit vom 1. Juli 2002 bis zum 31. Dezember 2002 entscheiden soll.

Die Beklagte beantragt im übrigen,

das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 19. Mai 2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und meint, der Regelung des § 134 Abs. 1 Satz 2 SGB III könne nicht entnommen werden, dass nicht tatsächlich zugeflossenes Arbeitsentgelt nur dann zu berücksichtigen seien, wenn dieser Nichtzufluss ausschließlich auf der Insolvenz des Arbeitgebers beruhe, da bei jeder Insolvenz zusätzlich andere Gründe der Nichtzahlung durch den Arbeitgeber vorliegen könnten. Auch nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu § 112 Arbeitsförderungsgesetz –AFG- sei entscheidend gewesen, ob die Vertragsparteien vor dem Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis vom Bestehen einer Zahlungspflicht ausgehen konnten. Von der Vorschrift des § 134 Abs. 1 Satz 2 SGB III werde deshalb nach der Intention des Gesetzgebers, kollusives Zusammenwirken von Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu verhindern, Arbeitsentgelt erfasst, das – wie in seinem Fall - gezahlt worden wäre, wenn keine Insolvenz eingetreten wäre und auch kein kollusives Verhalten der Arbeitsvertragsparteien festzustellen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen den Kläger betreffenden Verwaltungsvorgänge der Beklagten zur Stammnummer verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig. Sie ist ohne weitere Zulassung nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes 500 EUR übersteigt und zudem die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betraf (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Die Berufung hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist – aufgrund des Teilvergleiches vom 1. September 2005 - der Überprüfungsbescheid der Beklagten vom 24. Oktober 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. März 2003, mit welchem die Beklagte die Abänderung des Bewilligungsbescheides vom 24. Juli 2002 sowie des Änderungsbescheides vom 20. Januar 2003 abgelehnt hat.

Die Klage ist, soweit über sie noch zu entscheiden war, begründet. Denn der Kläger hat Anspruch auf Neuberechnung des ihm mit Bescheid vom 24. Juli 2002 ab dem 1. Juli 2002 bewilligten Alg unter Berücksichtigung eines wöchentlichen Bemessungsentgeltes in Höhe von 795 EUR. Die Ablehnung der – teilweisen – Aufhebung des Bewilligungsbescheides vom 24. Juli 2002 durch Bescheid vom 24. Oktober 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. März 2003 und die Ablehnung der Neuberechnung des Arbeitslosengeldes ab dem 1. Juli 2002 unter Zugrundelegung eines höheren Bemessungsentgeltes ist deshalb rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Die vom Kläger insoweit erhobene kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 SGG) ist begründet.

Rechtsgrundlage für dieses Begehren des Klägers ist § 48 Abs. 1 SGB X in Verbindung mit §§ 117 ff. SGB III.

Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts folgt der Anspruch des Klägers auf Neuberechnung der ihm zustehenden Leistungen nicht aus § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Hiernach ist ein unanfechtbar gewordener Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Der Bewilligungsbescheid vom 24. Juli 2002 war jedoch bei seinem Erlass nicht rechtswidrig, denn die Beklagte hatte der Bewilligung die in der ersten Arbeitsbescheinigung ausgewiesenen Arbeitsentgelte zugrunde gelegt. Dies war im Zeitpunkt der Bewilligung des Alg am 24. Juli 2002 zutreffend:

Anspruch auf Alg hat gem. § 117 Abs. 1 SGB III in der ab dem 1. Januar 1998 geltenden Fassung, wer arbeitslos ist, sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet und die Anwartschaftszeit erfüllt hat.

Obwohl das Arbeitsgericht festgestellt hat, dass das Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der von der ehemaligen Arbeitgeberin zum 30. Juni 2002 ausgesprochenen Kündigung beendet worden ist, war der Kläger bereits ab dem 1. Juli 2002 arbeitslos. Gem. § 118 Abs. 1 SGB III ist arbeitslos ein Arbeitnehmer, der vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäftigungslosigkeit) und eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung sucht (Beschäftigungssuche). Beschäftigungslosigkeit bestand bei dem Kläger – trotz weiterhin bestehenden Arbeitsverhältnisses – bereits ab dem 1. Juli 2002, denn das Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 118 Abs. 1 SGB III ist mit dem Arbeitsverhältnis nicht gleichzusetzen. Das Gesetz geht vielmehr davon aus, dass das Beschäftigungsverhältnis vor dem Arbeitsverhältnis enden und vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses ein Anspruch auf Alg begründet sein kann; andernfalls bedürfte es nicht der Vorschrift des § 143 Abs. 1 SGB III, der zufolge der Anspruch auf Alg in der Zeit ruht, für die der Arbeitslose Arbeitsentgelt erhält oder zu beanspruchen hat. Es genügt damit faktische Beschäftigungslosigkeit. Nicht in einem Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 118 Abs. 1 SGB III steht daher, wer dem Verfügungswillen eines Arbeitgebers nicht mehr unterliegt. Dies ist schon dann der Fall, wenn der Arbeitgeber eine Verfügungsgewalt über den Arbeitnehmer nicht weiter beansprucht, z. B. weil er das Arbeitsverhältnis auf Grund einer von ihm ausgesprochenen Kündigung als beendet ansieht und sein Direktionsrecht aufgibt (BSG, Urteil vom 24. Juli 1986, 7 RAr 4/85, SozR 4100 § 117 Nr. 16).

Die übrigen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Alg ab dem 1. Juli 2002 sind nicht zweifelhaft. Der Kläger hatte sich am 23. Mai 2002 arbeitslos gemeldet (§ 122 Abs. 1 Satz 1 SGB III). Er hat auch die Anwartschaftszeit im Sinne des § 123 Satz 1 Nr. 1 SGB III erfüllt, weil er innerhalb der Rahmenfrist vom 1. Juli 1999 bis zum 30. Juni 2002 (§ 124 Abs. 1 SGB III) zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat.

Der Alg-Gewährung ab 1. Juli 2002 stand auch nicht entgegen, dass der Kläger für die Zeit nach dem 1. Juli 2002 - wegen der, wie das Arbeitsgericht später festgestellt hat, unwirksamen Kündigung - noch etwaiges Arbeitsentgelt zu beanspruchen hatte. Zwar ruht der Anspruch auf Alg gem. § 143 Abs. 1 SGB III während der Zeit, für die der Arbeitslose Arbeitsentgelt enthält oder zu beanspruchen hat.

Da jedoch der Kläger dieses Arbeitsentgelt von seiner ehemaligen Arbeitgeberin zunächst nicht erhielt (und auch später infolge der Zahlungsunfähigkeit seiner ehemaligen Arbeitgeberin nicht erhalten hat), war das Alg nach § 143 Abs. 3 Satz 1 SGB III auch in der Zeit zu gewähren, für die § 143 Abs. 1 SGB III wegen des Anspruchs auf Arbeitsentgelt das Ruhen des Anspruchs auf Alg vorsieht.

Auch hat sich infolge der hier vorliegenden sog. Gleichwohlgewährung von Alg gem. § 143 Abs. 1 SGB III die Rahmenfrist des § 124 Abs. 1 SGB III nicht verschoben. Denn bei der sog. Gleichwohlgewährung nach § 143 Abs. 3 Satz 1 SGB III handelt es sich um einen mit dem "regulären" Alg identischen Anspruch, das Alg nach § 143 Abs. 3 SGB III wird grundsätzlich endgültig gewährt (BSG, Urteil vom 24. Juli 1986, a.a.O.). Die sog. Gleichwohlgewährung verlegt zugunsten des Arbeitslosen, dessen Ansprüche auf Arbeitsentgelt und Urlaubsabgeltung vom Arbeitgeber nicht erfüllt werden, den Zeitpunkt vor, von dem an der Anspruch auf Alg zu erfüllen ist, indem sie die Gewährung anordnet und damit den Anspruch auf Alg insoweit von dessen Ruhen ausnimmt, das andernfalls nach § 143 Abs. 1 und 2 SGB III eingetreten wäre. Im Falle der sog. Gleichwohlgewährung nach § 143 Abs. 3 SGB III hat daher keine Korrektur der Rahmenfrist zu erfolgen, wenn – wie hier – nachträglich ein späteres Ende des Arbeitsverhältnisses festgestellt wird (Hünecke in Gagel, Kommentar zum SGB III – Arbeitsförderung, § 124, Rn. 13).

Nach § 129 SGB III in der ab 1. August 2001 geltenden Fassung beträgt das Alg

1. für Arbeitslose, die mindestens ein Kind im Sinne des § 32 Abs. 1, 3 bis 5 des Einkommensteuergesetzes haben, sowie für Arbeitslose, deren Ehegatte oder Lebenspartner mindestens ein Kind im Sinne des § 32 Abs. 1, 3 bis 5 Einkommensteuergesetz hat, wenn beide Ehegatten oder Lebenspartner unbeschränkt einkommenssteuerpflichtig sind und nicht dauernd getrennt leben, 67 Prozent (erhöhter Leistungssatz)

2. für die übrigen Arbeitslosen 60 Prozent (allgemeiner Leistungssatz)

des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt), das sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (Bemessungsentgelt).

Nach § 130 Abs. 1 SGB III umfasst der Bemessungszeitraum die Engeltabrechnungszeiträume, die in den letzen 52 Wochen vor der Entstehung des Anspruchs, in denen Versicherungspflicht bestand, enthalten sind und beim Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem letzten Versicherungspflichtverhältnis vor der Entstehung des Anspruchs abgerechnet waren.

Nach § 132 Abs. 1 SGB III in der hier anzuwendenden Fassung des 2. SGB III – Änderungsgesetzes vom 21. Juli 1999 (BGBl. I 1648) ist Bemessungsentgelt das im Bemessungszeitraum durchschnittlich auf die Woche entfallende Entgelt, für das Beiträge zu erheben sind.

Bei dem im Wege der sog. Gleichwohlbewilligung mit Bescheid vom 24. Juli 2002 gewährten Alg hatte die Beklagte zutreffend zunächst lediglich die in der Arbeitsbescheinigung vom 29. Mai 2002 ausgewiesenen Arbeitsentgelte berücksichtigt. Über das Bestehen des Anspruchs auf die höhere als die in der Arbeitsbescheinigung ausgewiesene Bruttovergütung bestand zum Zeitpunkt der Entscheidung der Beklagten über den Anspruch des Klägers Streit mit seiner ehemaligen Arbeitgeberin. Zum Zeitpunkt der Entscheidung der Beklagten stand der Anspruch des Klägers damit noch nicht fest und konnte deshalb von der Beklagten auch nicht berücksichtigt werden. Nachträgliche Korrekturen der Lohnabrechnung zu Gunsten des Arbeitslosen sind nach dem Konzept des SGB III erst dann zu berücksichtigen und das Alg neu zu berechnen, wenn der Arbeitnehmer nachträglich höheren Lohn durchsetzt und erhält. Der Anspruch kann insoweit aber nur dann in die Berechnung einfließen, wenn der Arbeitnehmer das höhere Arbeitsentgelt bis zur Entscheidung über den Antrag tatsächlich erhalten hat (vgl. Rolfs in Gagel, a.a.O., § 131 Rn. 22; BSG SozR 3 – 1300 § 48 Nr. 48). Obwohl der Kläger im Februar 2002 lediglich Kurzarbeitergeld bezogen hatte, war zudem - wie das Sozialgericht zutreffend festgestellt hat - gem. § 134 Abs. 2 Nr. 3 SGB III (in der Fassung bis 31. Dezember 2004 = a.F.) das in der Arbeitsbescheinigung für diesen Monat ausgewiesene Bruttoarbeitsentgelt zu berücksichtigen. Die Beklagte hat demnach das Bemessungsentgelt zum Bewilligungszeitpunkt durch Bescheid vom 24. Juli 2002 zutreffend ermittelt. Aufgrund der ursprünglichen Rechtmäßigkeit der Bewilligung scheidet deshalb eine Anwendung des § 44 SGB X aus, der zur Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes die Rechtswidrigkeit bei dessen Erlass voraussetzt (vgl. hierzu ausführlich BSG, Urteil vom 21. März 1996, Az.: 11 RAr 101/94 = SozR 3 1300 § 48 Nr. 48).

Der Kläger hat jedoch Anspruch auf teilweise Aufhebung des Bewilligungsbescheides vom 24. Juli 2002 gem. § 48 SGB X in Verbindung mit § 330 SGB III. Nach § 48 Abs. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt (S. 1). Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt (Satz 2 Nr. 1).

Die Bewilligung von Alg ab dem 1. Juli 2002 mit Bescheid vom 24. Juli 2002 enthält einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, weil er in rechtlicher Hinsicht über den Zeitpunkt seiner Bekanntgabe hinaus Wirkung entfaltet.

Wesentliche Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 SGB X ist eine für die Anspruchsvoraussetzungen der bewilligten Leistung rechtserhebliche Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse. Wesentlich sind danach alle Änderungen, die dazu führen, dass die Behörde unter den nunmehr objektiv vorliegenden Verhältnissen den Verwaltungsakt nicht hätte erlassen dürfen (BSG SozR 1300 § 48 Nr. 22). Die Feststellung einer wesentlichen Änderung richtet sich damit nach dem materiellen Recht.

Die tatsächlichen Verhältnisse, die bei Erlass des Bewilligungsbescheides vom 24. Juli 2002 vorlagen, haben sich insofern geändert, als das Arbeitsgericht E mit Urteil vom 12. September 2002 dem Kläger ausstehenden Restlohnansprüche unter Zugrundelegung von höheren monatlichen Bruttoentgelten zuerkannt hat. Diese Änderung war auch wesentlich, weil das Alg in neuer Höhe ab Leistungsbeginn unter Berücksichtigung dieser höheren Bruttoentgelte neu zu bemessen war, der Bewilligungsbescheid vom 24. Juli 2002 also unter den nunmehr objektiv vorliegenden Verhältnissen so nicht mehr hätte erlassen werden dürfen.

Der Anspruch auf Berücksichtigung der höheren Bruttoarbeitsentgelte folgt aus § 134 Abs. 1 SGB III in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung (= a.F.). Danach ist Bemessungsentgelt das durchschnittlich auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat, § 134 Abs. 1 Satz 1 SGB III a.F ... Hiervon abweichend gelten nach § 134 Abs. 1 Satz 2 SGB III a.F. Arbeitsentgelte, auf die der Arbeitslose beim Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis Anspruch hatte, als erzielt, wenn sie zugeflossen oder nur wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht zugeflossen sind. So liegt der Fall hier.

Das Sozialgericht hat zutreffend festgestellt, dass auch die Differenzbeträge zwischen den von der ehemaligen Arbeitgeberin in der ersten Gehaltsbescheinigung ausgewiesenen monatlichen Bruttoentgelten und den vom Arbeitsgericht E festgestellten monatlichen Bruttolohnbeträgen als im Sinne dieser Vorschrift erzielt gelten, obwohl der Kläger diese Beträge tatsächlich niemals erhalten hat.

Das BSG hatte zu § 112 Abs. 1 AFG zunächst in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass nur das Arbeitsentgelt Berücksichtigung finden könne, das spätestens bis zum Ende des Beschäftigungsverhältnisses in dem Sinne erzielt worden war, dass das Arbeitsentgelt dem Arbeitnehmer zugeflossen ist, er also darüber verfügen konnte (vgl. hierzu BSG SozR 3-4100 § 112 Nr. 10 m.w.N.). Diese sogenannte strenge Zuflusstheorie wurde vom BSG später dahin abgewandelt, dass auch Arbeitsentgelt, welches im Wege der so genannten nachträglichen Vertragserfüllung tatsächlich vom Arbeitgeber gezahlt wird, Berücksichtigung finden könne (vgl. BSGE 76, 162 = SozR 3-4100 § 112 Nr. 22).

Der Gesetzgeber des SGB III hat sich demgegenüber dafür entschieden, dass die Indizwirkung des maßgeblichen Entgelts für die Höhe der versicherten Entgeltersatzleistung nicht nur auf der Auszahlung sondern auch auf dem Erwerb eines arbeitsrechtlichen Anspruchs beruht. Im Einzelnen heißt es hierzu in der Gesetzesbegründung (BT-Drs.13/4941, S. 179):

"Arbeitsentgelt des Arbeitslosen aus versicherungspflichtiger Beschäftigung soll bei der Bemessung nur berücksichtigt werden, soweit der Arbeitslose das Entgelt erzielt hat. Damit soll – wie im geltenden Recht – erreicht werden, dass das Alg schnell bewilligt und ausgezahlt wird. Entgelte, die der Arbeitslose vor seinem Ausscheiden aus dem letzten versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis tatsächlich nicht erhalten hat, sollen aber gleichwohl rückwirkend bei der Bemessung des Alg berücksichtigt werden, wenn sich nachträglich, insbesondere auf Grund gerichtlicher Entscheidung herausstellt, dass der Arbeitslose dieses Entgelt beanspruchen konnte. Solche Entgelte werden allerdings nur berücksichtigt werden, wenn sie, wenn auch nachträglich, dem Arbeitlosen zugeflossen sind oder nur wegen der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht mehr zufließen konnten. Hiermit soll verhindert werden, dass sich die Parteien eines Arbeitsvertrages nachträglich rückwirkend auf ein höheres Arbeitsentgelt des Betroffenen etwa im Vergleichswege verständigen, um ein höheres Arbeitslosengeld zu erreichen, ohne dass der Arbeitgeber den höheren Betrag auch an den Arbeitnehmer auszahlen muss."

Dem Wortlaut der Vorschrift, der Gesetzesbegründung sowie der Entstehungsgeschichte lässt sich demnach folgende Auslegung des § 134 Abs. 1 Satz 2 SGB III a.F. entnehmen:

§ 134 Abs. 1 SGB III a.F. setzt nicht voraus, dass der Arbeitnehmer tatsächlich über das Arbeitsentgelt verfügen muss. Nach Satz 2 diese Vorschrift ist es ausreichend, wenn der Arbeitgeber wegen Zahlungsunfähigkeit die fällige Vergütung nicht zahlt und keine Manipulation zulasten der Versichertengemeinschaft vorliegt.

Der Begriff des "Erzielens" ist nur auf zwei funktionale Elemente beschränkt worden: es soll eine schnelle und unkomplizierte Berechnung und Auszahlung von Alg gewährleisten sowie Manipulationen des Inhalts ausschließen, dass einvernehmlich ein höheres Arbeitsentgelt vereinbart wird, obwohl der Arbeitgeber den höheren Betrag nicht auszahlt. Sind keine Anhaltspunkte für eine missbräuchliche Beeinflussung des Sozialrechtsverhältnisses durch vertragliche Gestaltung der Arbeitsrechtsparteien ersichtlich, kann in besonderen Ausnahmesituationen nach Sinn und Zweck der Vorschrift ein Arbeitsentgelt als erzielt angesehen werden, obwohl der Arbeitnehmer es wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht erhalten hat (so auch Valgolio in Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB III, § 134, Rn. 16 ff.). § 134 Abs. 1 Satz 2 SGB III a.F. ist deshalb nicht zu entnehmen, dass lediglich diejenigen Fälle privilegiert sein sollten, in welchen nur infolge der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers bei Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses ein tatsächlicher Zufluss nicht mehr erfolgt ist. Diese Einschränkung lässt sich auch der Gesetzesbegründung nicht entnehmen. Gerade der vorliegende Fall macht deutlich, dass der Zeitpunkt der Insolvenz des Arbeitgebers für den mit der gesetzlichen Regelung verfolgten Zweck, eine Manipulation der Bemessungsgrundlage zu verhindern, irrelevant ist.

Diese Auslegung steht auch im Einklang mit Artikel 3 des Grundgesetzes, an welchem Äquivalenzabweichungen bei Versichertengruppen mit gleicher Beitragsleistung zu messen sind (BVerfG SozR 3-2200 § 385 Nr. 6). Es ist kein hinreichender sachlicher Grund ersichtlich, Arbeitslose, deren Arbeitsentgelt rechtswidrig vorenthalten wurde und deren Zahlungsanspruch wegen der nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eingetretenen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht mehr realisierbar ist, anders zu behandeln, als diejenigen Arbeitslosen, deren Ansprüche wegen der bereits bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses eingetretenen Insolvenz des Arbeitgebers nicht mehr realisierbar sind. Beide Fälle stehen vielmehr in Übereinstimmung mit dem Sinn und Zweck der Regelung des § 134 Abs. 1 SGB III a.F ...

Aus der Sicht des Arbeitslosen ist letztlich nur entscheidend, dass er das ihm bei Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis zustehende Arbeitsentgelt nicht erhält, unabhängig vom Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers.

Im vorliegenden Fall ist die vertragliche Verpflichtung der ehemaligen Arbeitgeberin des Klägers unstreitig nicht in irgendeiner Form nachträglich zu Ungunsten der Versichertengemeinschaft verändert worden. Der materielle Rechtsgrund für den höheren Vergütungsanspruch bestand von Anfang an. Durch das Urteil des Arbeitsgerichts vom 12. September 2002 wurde die ehemalige Arbeitgeberin des Klägers zur Zahlung des – bereits bestehenden- Anspruchs verurteilt. Unstreitig liegen auch keine Anhaltspunkte für ein kollusives Zusammenwirken zwischen Kläger und Arbeitgeberin im arbeitsgerichtlichen Verfahren vor.

Für die Berechnung des Bemessungsentgelts ist das Entgelt im Bemessungszeitraum durch die Zahl der Wochen zu teilen, für die es gezahlt worden ist (§ 132 Abs. 2 Satz 1 SGB III). Nach § 132 Abs. 3 SGB III in der im Jahre 2002 geltenden Fassung ist das Bemessungsentgelt auf den nächsten durch fünf teilbaren Euro-Betrag zu runden. Hat der Kläger nach alledem im Bemessungszeitraum 41.430,35 EUR bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 39 Stunden erzielt, beträgt das Bemessungsentgelt nicht 745 EUR, sondern 795 EUR (41.430,35 EUR: 52 Wochen = gerundet 795 EUR).

Dieser materiellen Rechtslage ist verfahrensrechtlich nach § 48 Abs. 1 SGB X zu entsprechen. Durch die Feststellung des höheren Bruttogehaltes durch das Arbeitsgericht E ist auch eine Änderung der Verhältnisse zu Gunsten des Klägers erfolgt, so dass die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB X erfüllt sind.

Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse ist hier der Leistungsbeginn ab dem 1. Juli 2002. Dem steht nicht entgegen, dass über die höheren Ansprüche des Klägers gegen seine ehemalige Arbeitgeberin erst durch arbeitsgerichtliches Urteil vom 12. September 2002 entschieden wurde, denn die Feststellung wirkt materiell-rechtlich wegen der durch sie erforderlich gewordenen Neuberechnung des im Bemessungszeitraum erzielten Arbeitsentgelts auf die Zeit ab Anspruchsbeginn zurück (vgl. BSG SozR 2200 § 1255a Nr. 19). Im übrigen hatte der Anspruch auf höheres Bruttoarbeitsentgelt dem Kläger materiell-rechtlich bereits bei Leistungsbeginn zugestanden.

Als Ergebnis bleibt damit festzuhalten, dass bei dem Kläger die Voraussetzungen für eine rückwirkende Neubemessung des Alg ab 1. Juli 2002 gem. § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB X vorlagen und die Beklagte gem. § 330 Abs. 3 SGB III zur Änderung des Bewilligungsbescheides vom 24. Juli 2002 verpflichtet ist. Der Tenor des erstinstanzlichen Urteils ist deshalb entsprechend zu berichtigen.

Die Berufung der Beklagten war damit – unter Abänderung des Tenors des erstinstanzlichen Urteils – zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der in § 160 Abs. 2 SGG genannten Gründe vorliegt.
Rechtskraft
Aus
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