L 3 U 39/06

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 69 U 370/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 U 39/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 28. Dezember 2005 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Anerkennung und Entschädigung seiner Wirbelsäulenbeschwerden als Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV).

Der 1956 geborene Kläger war nach eigenen Angaben von Juni 1980 bis Dezember 1985 als Waldarbeiter bei der Firma S V Holzeinschlag in B, vom 10. März bis 25. Juli 1986 als Maurer bei der Firma D in Mn, 11. August 1986 bis 31. März 1991 als Zimmermann und Maurer bei der S B GmbH und ab 01. April 1991 bei der B B und F GmbH (Firma B) als Fassadenmonteur und Bodenplattenverleger beschäftigt.

Im November 2001 zeigte die AOK Berlin den Verdacht des Vorliegens einer BK Nr. 2108 an. Bei dem Kläger bestehe seit 11. September 2001 wegen Bandscheibenverlagerung Arbeitsunfähigkeit. Zuvor sei er wegen dieser Erkrankung vom 20. Mai bis 14. Juni 1996, 24. Juni bis 04. Juli 1997 und vom 20. bis 26. Oktober 1999 arbeitsunfähig gewesen.

Der Kläger gab auf entsprechenden Fragebögen der Beklagten an, während der zuvor genannten Beschäftigungen, insbesondere während der Tätigkeit bei der Firma B, den ganzen Tag schwere Lasten vor dem Körper gehoben und getragen sowie in Rumpfbeuge gearbeitet zu haben.

Die Beklagte zog eine Auskunft der Firma B bei, die angab, der Kläger habe Natursteinplatten von 40 Kilogramm 10 Stunden monatlich und von 25 Kilogramm 20 Stunden monatlich gehoben und getragen sowie bei Montagearbeiten 5 Stunden im Monat Tätigkeiten in Rumpfbeuge verrichtet. Des Weiteren holte die Beklagte Krankheitsberichte des den Kläger behandelnden Orthopäden Dr. S vom 14. Januar 2002 und des Allgemeinmediziners Dr. P vom 15. Januar 2002 ein. Letzterem war die Beurteilung einer am 20. September 2001 gefertigten Computertomographie der Lendenwirbelsäule (LWS) beigefügt, wonach bei L 3/4 eine Stenose des Spinalkanals bei sonst regulärem Befund, bei L 4/5 eine dorsale Protrusion der Bandscheibe, die den Dursalsack erheblich pelottiert und auch die Neuroforamina partiell verlegt, vorlag und bei L5/S1 eine flache, dorsale Protrusion der Bandscheibe bei ausreichender knöcherner Weite von Neuroforamina und Spinalkanal bestand. Vom 20. Februar bis 20. März 2002 hatte sich der Kläger einem von dem Rentenversicherungsträger bewilligten Heilverfahren in der Rehabilitationsklinik R W / Bad K unterzogen. In der sozialmedizinischen Epikrise des Entlassungsberichtes der Klinik wurde die Beurteilung abgegeben, der Kläger könne seine letzte Tätigkeit als Bauarbeiter / Steinmetz nicht mehr ausüben, sondern nur noch körperlich leichte, gelegentlich mittelschwere Arbeiten in wechselnder Körperhaltung verrichten.

Der von der Beklagten um eine medizinischen Stellungnahme ersuchte Arzt für Arbeitsmedizin Dr. R empfahl eine Begutachtung, falls die arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt sein sollten. In einer Stellungnahme vom 26. Juli 2002 zu den arbeitstechnischen Voraussetzungen gemäß der Ziffer 2108 der Anlage zur BKV nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) kam der Dipl.-Ing. L von dem Technischen Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten u. a. aufgrund eines persönlichen Gesprächs mit dem Kläger und einer Rücksprache mit dem Unternehmer Dr. Peter zu dem Ergebnis, die Gesamtdosis der Belastung für den Beschäftigungszeitraum vom 11. Juni 1986 bis 25. Juli 2002 habe 0,63 MNh betragen. Nach einer Stellungnahme des TAD der Bau-BG Bayern und Sachsen vom 07. August 2002 habe der Kläger in den 83 Arbeitstagen vom 10. März bis 25. Juli 1986 an 42 Tagen die Mindestbelastungsdosis von 5500 Nh überschritten und eine Belastungsdosis von 292.488 Nh (= 0,29 MNh) erzielt. Die Landwirtschaftliche BG Niedersachsen-Bremen errechnete in einer Arbeitsplatzanalyse vom 08. November 2002 zu den BKen 2108/ 2110, der Kläger habe in der Zeit seiner Tätigkeit als Waldarbeiter von 1980 bis 1985 45,1 % des Belastungsgrades oder der jeweiligen Dosisrichtwerte (11.273.983 Nh) erreicht. Nachdem die Gewerbeärztin U in der am 11. Dezember 2002 abgegebenen Stellungnahme ausgeführt hatte, wegen des Ausschlusses gefährdender Tätigkeiten könne die Anerkennung einer BK Nr. 2108 nicht empfohlen werden, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 10. Januar 2003 die Gewährung einer Entschädigung wegen dieser BK sowie prophylaktische Leistungen nach § 3 BKV mit der Begründung ab, die arbeitstechnischen Voraussetzungen seien nicht erfüllt, weil der nach dem MDD geforderte Gesamtdosiswert von mindestens 25 MNh nicht erreicht worden sei.

Zur Begründung des hiergegen eingelegten Widerspruchs machte der Kläger unter Bezugnahme auf die von ihm eingereichten Atteste des Orthopäden Dr. M vom 20. März 2003 und des Arztes für Neurochirurgie Dr. U vom 03. April 2003 geltend, dass seine Beschwerden auf seine Tätigkeiten als Zimmermann und als Fassadenmonteur und Plattenverleger zurückzuführen seien. Die Einschätzung des Belastungsumfangs in der Stellungnahme des TAD gehe lediglich von Erfahrungswerten aus und berücksichtige nicht die tatsächliche Tätigkeit, insbesondere die Verlegung von Platten. Sofern er Bodenplatten im Umfang von 30 x 30 Zentimeter verlegt habe, sei er auf durchschnittlich 180 Platten mit einem Gewicht von 20 Kilogramm gekommen. Bei den in der Staatsbibliothek verlegten Bodenplatten habe es sich um 100 Kilogramm Platten gehandelt, die von ihm und einem Arbeitskollegen gemeinsam angehoben, transportiert und verlegt worden seien. Dabei sei man auf 20 Stück pro Tag gekommen. Auf einer Baustelle "im Dol" seien Platten mit einem Gewicht von 300 Kilogramm von 4 Personen verlegt worden.

Durch Widerspruchsbescheid vom 28. Mai 2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Sie hielt an ihrer Auffassung fest, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr. 2108 nicht erfüllt seien, und wies darauf hin, dass die Stellungnahme des TAD u. a. aufgrund persönlicher Befragungen erstellt worden sei.

Zur Begründung der gegen diese Entscheidung erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, die Berechnungen der Beklagten beruhten auf falschen Voraussetzungen, da er als Steinmetz und Plattenverleger langjährig schwere Lasten getragen und darüber hinaus oftmals in extremer Rumpfbeugehaltung Arbeiten verrichtet habe, die zu einer überdurchschnittlichen Belastung der Wirbelsäule geführt hätten.

Das Sozialgericht hat zunächst die Ärztin für Allgemeinmedizin und Arbeitsmedizin Dr. E zur Sachverständigen ernannt. In ihrem arbeitsmedizinischen Gutachten vom 07. Mai 2004 ist Dr. E zu dem Ergebnis gelangt, bei dem Kläger bestehe ein rechts mediolateraler bis dorsomedianer Bandscheibenvorfall im Segment L 4/5 sowie ein dorsomedianer Bandscheibenvorfall L 5/ S 1. Die medizinischen Voraussetzungen der BK Nr. 2108 seien erfüllt. Der Kläger sei weitaus länger als 10 Jahre wirbelsäulenbelastend tätig gewesen. Bei ihm bestünden Bandscheibenvorfälle im Bereich der unteren LWS, die sich über 2 Segmente hinzögen, mit chronisch rezidivierenden Beschwerden und Schmerzen sowie Funktionseinschränkungen. Anlagebedingte Wirbelsäulenerkrankungen/ Fehlstellungen ließen sich bei der gutachterlichen Untersuchung nicht feststellen, ebenso seien wirbelsäulenbelastende Freizeitaktivitäten vom Kläger nicht angegeben worden. Die berufsbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage seit September 2001 fortlaufend 20 v. H. Sie empfehle eine Überprüfung der Berechnungen nach dem MDD.

Auf Anregung des Sozialgerichts hat die Beklagte eine ergänzende Stellungnahme der Abteilung Prävention vom 11. November 2004 vorgelegt, die von dem Technischen Aufsichtsbeamten H aufgrund einer nochmaligen Rücksprache mit dem Unternehmer Dr. P von der Firma B am 26. Oktober 2004 sowie unter Berücksichtigung der Angaben des Klägers im Widerspruchsverfahren abgegeben wurde. Er ermittelte für die Zeiträume vom 11. Juni 1986 bis 31. März 1991 sowie vom 01. April 1991 bis 25. Juli 2002 eine Gesamtbelastungsdosis von 5,43 MNh.

Gegen diese Berechnung hat der Kläger erneut Einwendungen erhoben und geltend gemacht, er habe insbesondere auf den Baustellen der Staatsbibliothek sowie der Spandauer Seebrücke extrem schwere Platten bewegen müssen. Diese Arbeiten seien nicht, wie in dem Bericht angenommen worden sei, im Jahre 1991 durchgeführt worden, sondern in den Jahren 1999 bzw. 2000/ 2001. Hierzu hat der Kläger eine Auskunft der Firma B vom 04. April 2005 über seine Baustelleneinsätze vorgelegt.

Nachdem die Beklagte geltend gemacht hat, dass das Gutachten von Dr. Evers gravierende Mängel aufweise und daher nicht verwertbar sei, hat das Sozialgericht den Arzt für Orthopädie Dr. E mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Der Sachverständige hat in dem Gutachten vom 25. Juni 2005 bei dem Kläger im Bereich der LWS ein LWS-Syndrom mit Lumboischialgien rechts auf dem Boden eines im MRT nachgewiesenen Bandscheibenvorfalls bei mäßigen degenerativen Wirbelveränderungen festgestellt. Er ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die Schäden an den LWS durch die beruflichen Belastungen weder verursacht noch richtunggebend verschlimmert worden seien, weil das hierfür zu fordernde Verteilungsmuster eines dem altersüblichen vorauseilenden Verschleißzustandes von kopfwärts nach fußwärts zunehmend nicht nachzuweisen sei und weil es an belastungsadaptiven Reaktionen an den Grund- und Deckplatten der Wirbelkörper der LWS fehle. Der Kläger hat zu dem Gutachten ein Attest des ihn behandelnden Neurochirurgen Dr. U vom 09. August 2005 vorgelegt, in dem es u. a. heißt, wie bereits in dem Attest vom 03. April 2003 erwähnt, scheine die jahrelange Fehlbelastung der Wirbelsäule eine wesentliche Ursache der jetzigen Beschwerden zu sein.

Das Sozialgericht hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 28. Dezember 2005 abgewiesen: Der Kläger erfülle weder die arbeitstechnischen noch die medizinischen Voraussetzungen für die Entschädigung einer BK Nr. 2108. Der Belastungsanalyse vom 11. November 2004 sei zu folgen, da sie auf den Angaben des Klägers beruhe. Nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. E sei der Wirbelsäulenschaden nicht als berufsbedingt anzuerkennen, weil es an einem dem Alter vorauseilenden Verschleißzustand der Wirbelsäule, der von kopfwärts nach fußwärts zunehmend sich ausgebildet habe, sowie an degenerativen Veränderungen im Sinne von Randkantenanbauten und Sklerosierungen der Grund- und Deckplatten an den Wirbelkörpern der LWS als so genannte belastungsadaptive Zeichen fehle. Das für den Kläger günstige Gutachten von Dr. E sei nicht zu verwerten, da die Sachverständige sich nicht an die anerkannten Regeln der Begutachtung gehalten und keine schlüssige Begründung dafür gegeben habe, dass die Wirbelsäulenerkrankung trotz Fehlens belastungsadaptiver Zeichen an der Wirbelsäule beruflich verursacht worden sein solle.

Gegen den am 01. Februar 2006 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 17. Februar 2006 Berufung eingelegt.

Er beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 28. Dezember 2005 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 10. Januar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Mai 2003 zu verurteilen, bei ihm eine BK nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV anzuerkennen und zu entschädigen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf den Akteninhalt verwiesen. Der Verwaltungsvorgang der Beklagten lag dem Senat vor und war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, jedoch nicht begründet. Ihm steht, wie das Sozialgericht zutreffend entschieden hat, ein Anspruch auf Anerkennung seiner Wirbelsäulenbeschwerden als BK nicht zu. Er kann deshalb auch keine Entschädigungsleistungen beanspruchen. Die Voraussetzungen der hierfür allein als Rechtsgrundlage in Betracht kommenden BK Nr. 2108 der Anlage zur BKV i.d.F. der Zweiten Verordnung zur Änderung der BKV vom 18. Dezember 1992 (BGBl. I Seite 2343) sind nicht erfüllt.

Hiernach sind bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können, als BK anzusehen.

Für die Anerkennung und Entschädigung einer Erkrankung als BK nach Nr. 2108 muss bei dem Versicherten mithin eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule vorliegen, die durch das langjährige berufsbedingte Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige berufsbedingte Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung (arbeitstechnische Voraussetzungen) entstanden ist. Die Erkrankung muss den Zwang zur Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten herbeigeführt haben, und als Konsequenz aus diesem Zwang muss die Aufgabe dieser Tätigkeit tatsächlich erfolgt sein (BSG SozR 3-5670 Anlage 1 Nr. 2108 Nr. 2).

Im vorliegenden Fall sind die arbeitstechnischen Voraussetzungen (haftungsbegründende Kausalität) für die Entstehung einer BK Nr. 2108 nicht erfüllt. Das ergibt sich aus den Belastungsbeurteilungen nach dem MDD der einzelnen für die Unternehmen, bei denen der Kläger beschäftigt gewesen ist, zuständigen Unfallversicherungsträger, die die Beklagte bereits im Verwaltungsverfahren eingeholt hat.

Soweit der Kläger gegen die von dem Dipl. Ing. L von dem TAD der Beklagten gefertigte Berechnung der Gesamtbelastungsdosis vom 26. Juli 2002 Einwendungen erhoben hat, ist dem insoweit Rechnung getragen worden, als die Beklagte eine weitere von dem Technischen Aufsichtsbeamten H am 11. November 2004 erstellte Berechnung nach dem MDD vorgelegt hat, die aufgrund weiterer Auskünfte des Unternehmers Dr. P von der Firma B gefertigt wurde und die im Widerspruchsverfahren gemachten Angaben des Klägers über die beruflichen Belastungen in den Jahren 1986 bis 2002 berücksichtigt. In die Berechnung Eingang gefunden haben insbesondere die Angaben des Klägers über die von ihm als besonders lendenwirbelsäulenbelastend geschilderten Tätigkeiten auf den Baustellen "Staatsbibliothek" und "im Dol". Insgesamt errechnete der Technische Aufsichtsbeamte eine Gesamtbelastungsdosis von 5,43 MNh für die Zeiträume vom 11. Juni 1986 bis 31. März 1991 und vom 01. April 1991 bis 25. Juli 2002. Hiernach ist unter Berücksichtigung der zuvor errechneten Belastungsdosen von 11,27 MNh für die Tätigkeit als Waldarbeiter bei der Firma S V von 1980 bis 1985 und von 0,29 MNh für die Tätigkeit vom 10. März bis 25. Juli 1986 die erforderliche Gesamtbelastungsdosis nach dem MDD nicht erreicht worden.

Nach dem MDD, das nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG SozR 4-2700 § 9 Nr. 1) zumindest derzeit ein geeignetes Modell ist, um die kritische Belastungsdosis eines Versicherten durch langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten für eine Arbeitsschicht und für das Berufsleben zu ermitteln und in Beziehung zu einem Erkrankungsrisiko zu setzten, sind bei Männern nur Hebe- und Tragevorgänge zu berücksichtigen, die zu einer Druckkraft von 3200 Newton (N) auf die Bandscheibe L5/S1 führen. Diese Hebe- und Tragevorgänge werden unter Einbeziehung ihrer zeitlichen Dauer pro Arbeitstag aufaddiert und, wenn sie eine Tagesdosis von 5500 Nh überschreiten, wird dieser Arbeitstag als wirbelsäulenbelastend angesehen und für die weitere Berechnung berücksichtigt. Bei einer Summe der Werte dieser belastenden Arbeitstage (Gesamtdosis) von über 25 MNh wird das Vorliegen einer Einwirkung i.S. der BK Nr. 2108 bejaht. Diese Werte sind keine Grenzwerte, sondern Orientierungswerte, die eine Hilfe bei der Beurteilung des medizinischen Zusammenhangs zwischen der Einwirkung und Erkrankung darstellen.

Bei dem Kläger ist eine Gesamtbelastungsdosis von 11,27 + 0,29 + 5,43 = 16,99 MNh ermittelt worden. Zwar unterschreitet dieser Wert den Orientierungswert von 25 MNh deutlich, er liegt jedoch über dem Mittelwert von 12,5 MNh, bei dessen Überschreitung medizinische Ermittlungen, wie sie vorliegend durch Einholung von Sachverständigengutachten vorgenommen worden sind, geboten erscheinen. Nach der Rechtsprechung des Senats (u.a. Urteil vom 09. Juni 2005, Az.: L 3 U 113/02) kann bei einer Unterschreitung des Orientierungswerts von 25 MNh nach dem MDD die Anerkennung einer BK Nr. 2108 nur dann in Betracht gezogen werden, wenn einerseits die Hälfte der nach dem MDD erforderlichen Gesamtdosis, also 12,5 MNh, übertroffen wurde und andererseits die Ermittlungen zum Krankheitsbild und zum medizinischen Kausalzusammenhang eindeutig zu dem Ergebnis geführt haben, dass eine berufliche Verursachung der bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule hinreichend wahrscheinlich ist.

Diese Voraussetzung ist hier jedoch nicht gegeben. Vielmehr sind auch die medizinischen Voraussetzungen für das Vorliegen der BK Nr. 2108 nicht als erfüllt anzusehen. Nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen besteht keine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass die bei dem Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen im Bereich der Lendenwirbelsäule im Sinne der erstmaligen Entstehung oder zumindest im Sinne einer wesentlichen Verschlimmerung eines bestehenden Leidens ursächlich auf seine berufliche Tätigkeit zurückzuführen sind.

Dies ergibt sich aus dem überzeugenden Gutachten des Orthopäden Dr. E vom 25. Juni 2005. Der Sachverständige, der bei seiner Beurteilung hypothetisch angenommen hat, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr. 2108 erfüllt sind, hat bei dem Kläger ein LWS-Syndrom mit Lumboischialgien rechts auf dem Boden eines im MRT nachgewiesenen Bandscheibenvorfalls bei mäßigen degenerativen Wirbelsäulenveränderungen festgestellt. Das im Februar 2003 erstellte MRT stelle in der untersuchten Etage L4/5 eine mäßige Höhenminderung der Bandscheiben mit mäßigen degenerativen Veränderungen an den Wirbelkörpern dar. Hier habe sich ein deutlicher mediolateraler rechtsbetonter subligamentärer Bandscheibenvorfall mit einer deutlichen Alteration der nervösen Strukturen besonders der abgehenden Nervenwurzel L5 gezeigt. In der Etage L5/S1 sei bei gering verminderter Bandscheibenhöhe und Degenerationszeichen der Bandscheibe eine kleine mediale subligamentäre Bandscheibenvorwölbung ohne nennenswerte Alteration der nervösen Strukturen zur Darstellung gelangt. Hiernach ist ein belastungskonformes Schadensbild eines von cranial nach caudal zunehmenden Verschleißzustandes insoweit nicht gegeben, als der wesentliche Schaden in Form eines Bandscheibenvorfalls bei L4/L5 besteht, während bei L5/S1 nur eine kleine mediale Bandscheibenvorwölbung vorliegt. Dr. E hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die wesentlichen Druckkräfte auf den Bereich L5/S1 wirken, wo der Schaden geringer ist. Es sei, so argumentiert der Sachverständige, von einer normalen anlagebedingten Minderbelastbarkeit des Bewegungssegmentes L4/L5 auszugehen. Weiterhin hat Dr. E ausgeführt, es seien insbesondere dem Alter des Klägers vorauseilende degenerative Veränderungen im Sinne von Randkantenanbauten und Sklerosierungen der Grund- und Deckplatten an den Wirbelkörpern der Lendenwirbelsäule als so genannte belastungsadaptive Zeichen nicht festzustellen. Es habe sich insgesamt gesehen ein unter dem altersüblichen Grad einzuschätzender Verschleißzustand der oberen Lendenwirbelsäule ergeben.

Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteile vom 27. Februar 2003 - L 3 U 39/00 - und vom 11. November 2004 - L 3 U 1/03 -) ist das Fehlen belastungsadaptiver Reaktionen zwar kein Ausschlusskriterium, eine berufliche Verursachung kann in einem solchen Fall aber nur bejaht werden, wenn alle anderen Umstände für einen Kausalzusammenhang sprechen. Dies ist nicht der Fall, denn insbesondere das Fehlen eines belastungskonformen Schadensbildes spricht, wie dargelegt worden ist, gegen eine berufliche Verursachung der Schäden im Bereich der Lendenwirbelsäule.

Der Senat hat keine Bedenken, dem Gutachten des Sachverständigen Dr. E, gegen das der Kläger keine substantiierten Einwendungen erhoben hat, zu folgen. Demgegenüber kann das Gutachten der Arbeitsmedizinerin Dr. E vom 07. Mai 2004 nicht als Entscheidungsgrundlage herangezogen werden. Es fehlt, worauf das Sozialgericht zutreffend hingewiesen hat, an der Feststellung und Abwägung der für und gegen eine berufliche Verursachung des Bandscheibenschadens sprechenden Umstände, die der in der Beurteilung der Problematik bandscheibenbedingter Erkrankungen der Wirbelsäule besonders erfahrene Sachverständige Dr. E vorgenommen hat. Das von ihm herausgearbeitete Ergebnis, dass eine berufliche Verursachung nicht hinreichend wahrscheinlich ist, ist schlüssig und nachvollziehbar.

Da sowohl die arbeitstechnischen als auch die medizinischen Voraussetzungen der BK Nr. 2108 nicht erfüllt sind, war die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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